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'So unterschiedlich Hitlers Biographen sein Leben deuten in einem sind sich alle einig: Die Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg waren entscheidend für seinen späteren Aufstieg. Hitler selbst hatte sich zum tapferen Frontsoldaten stilisiert, dessen Freiwilligen-Regiment, eine verschworene Kampfgemeinschaft, den Keim der späteren NS-Bewegung bildete. Diese Darstellung wurde von der NS-Propaganda verbreitet und von späteren Biographen (u.a. Fest und Kershaw) weitgehend übernommen. In seinem aufsehenerregenden Buch zerstört der Historiker Thomas Weber diesen Mythos. Anhand nie ausgewerteter Akten…mehr

Produktbeschreibung
'So unterschiedlich Hitlers Biographen sein Leben deuten in einem sind sich alle einig: Die Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg waren entscheidend für seinen späteren Aufstieg. Hitler selbst hatte sich zum tapferen Frontsoldaten stilisiert, dessen Freiwilligen-Regiment, eine verschworene Kampfgemeinschaft, den Keim der späteren NS-Bewegung bildete. Diese Darstellung wurde von der NS-Propaganda verbreitet und von späteren Biographen (u.a. Fest und Kershaw) weitgehend übernommen. In seinem aufsehenerregenden Buch zerstört der Historiker Thomas Weber diesen Mythos.
Anhand nie ausgewerteter Akten des sogenannten List-Regiments, in dem Hitler diente, zeichnet Weber ein ganz anderes Bild: Hitler war keineswegs der mutige Soldat an vorderster Front, sondern als Meldegänger meist weit hinter den Frontlinien tätig. Das Regiment war keine homogene Einheit, sondern bestand aus Rekruten unterschiedlichster Anschauungen. Kaum einer trat nach dem Krieg der NSDAP bei, viele standen dem späterenNSRegime kritisch gegenüber. Doch die Nationalsozialisten unterdrückten alle Berichte, die ihrem Propagandabild widersprachen. Regimentskameraden, die sich kritisch über Hitler äußerten, landeten in Gestapohaft.
Nicht zuletzt kann Weber zeigen, dass Hitler ebenso orientierungslos aus dem Krieg herauskam, wie er hineingegangen war. Erst infolge der revolutionären Unruhen 1918/19 haben sich seine späteren politischen Ansichten geschärft. Webers Buch füllt eine Lücke und schreibt ein wichtiges Kapitel der Hitler-Biographie neu.
Autorenporträt
Thomas Weber, geboren 1974 in Hagen, lehrt Europäische und Internationale Geschichte an der University of Aberdeen. Zuvor war er Assistant Professor am Department of History an der University of Chicago.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2011

Der Führer war ein Zitterer
Adolf Hitler bezeichnete seine Erfahrung im Ersten Weltkrieg als entscheidend für seine verhängnisvolle Entscheidung, „Politiker zu werden“.
Jetzt hat der Historiker Thomas Weber den Mythos vom tapferen Frontsoldaten Hitler noch einmal gründlich überprüft Von Gerd Krumeich
Der Erste Weltkrieg war ja, wie alle wissen, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. Was mit diesem Ausspruch George F. Kennans genau gemeint ist, bleibt zwar eher unklar. Grundsätzlich aber gilt, dass sich durch den Ersten Weltkrieg eine Destruktivität aufbaute, die sich dann unkontrolliert fortentwickelte und den Zweiten Weltkrieg sowie den Holocaust zur Folge hatte.
Natürlich ist gerade für diese Kontinuität die Entwicklung der Person Adolf Hitlers von größter Bedeutung. Hitler selber hat in „Mein Kampf“ die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, den er als einfacher Gefreiter überwiegend an der (West-)Front verbracht hatte, als entscheidend bezeichnet für seinen Hass auf Juden, Kommunisten und andere Dolchstößler und für seine verhängnisvolle Entscheidung: „Ich aber beschloss Politiker zu werden“.
Hitlers Kriegserlebnis hat daher die Forschung schon seit langem beschäftigt. Hauptquellen waren seine wenigen Briefe aus dem Krieg sowie die oft verzerrten und zudem widersprüchlichen späteren Äußerungen von Weggefährten und Kriegskameraden. Hinzu kam die offizielle Geschichte des Regiments, in dem Hitler gedient hatte, nämlich des Reserve-Infanterie-Regiments 16, üblicherweise nach seinem ersten Kommandanten „Regiment List“ genannt.
Die Studie „Hitlers erster Krieg“ von Thomas Weber hat bereits vor einem Jahr, als die englische Erstfassung erschien, auch hierzulande einiges Aufsehen erregt – und das wird sich sicherlich in der Diskussion um die deutsche Ausgabe fortsetzen. Denn Webers Buch ist ebenso reich an neuen Quellen wie kenntnisreich und zudem gespickt mit bewusst pointierten Thesen, die – wenn sie zutreffen – dem tradierten Bild des tapferen und deshalb hoch dekorierten Weltkriegssoldaten Hitler tiefe Schrammen zufügen. Das Buch ist ein gewichtiger Beitrag zur Geschichte des Hitler-Mythos und – nicht zuletzt – zu dessen Inszenierung und Entwicklung.
Das unschätzbare Verdienst des Autors – eines deutschen Historikers, der im schottischen Aberdeen Europäische Geschichte lehrt – ist es zunächst, mit allergrößter Akribie, Forscherfleiß im besten Sinne, alle erdenklichen Quellen zur Geschichte Hitlers im Ersten Weltkrieg eruiert zu haben. Im Unterschied zu den Vorgängerstudien hat er hierfür insbesondere die Geschichte des Regiments List verfolgt. Es ist faszinierend zu sehen, welche Masse an Archivquellen der verschiedensten Provenienz – Gefechtsberichte, persönliche Erinnerungen, Briefe und Tagebücher von Regimentskameraden Hitlers – hier zusammengetragen worden sind, um gleichsam aus einer „dichten Beschreibung“ des Regiments die Typik und die spezifischen Qualitäten der Person Hitlers herauszufiltern. Die bewältigten Quellenmassen, die Findigkeit im Aufspüren neuer Forschungspfade – all das ist beeindruckend.
Es gelingt Weber, durch ein Abgleichen der Regimentsquellen die Spreu vom Weizen zu trennen. Dabei kann er vor allem zeigen, wie die schon mit Beginn der zwanziger Jahre einsetzende Mythisierung Hitlers sowohl durch seine Anhänger als auch durch seine Gegner die vielfältigsten Fabulierungen im Hinblick auf Hitlers soldatische Kriegserfahrung hervorgebracht hat.
Webers Analyse führt ihn zu der weitreichenden, ja radikalen Behauptung, dass Hitler während des gesamten Krieges keineswegs der Frontsoldat par excellence gewesen sei, als der er sich selber darstellte, als den ihn seine Anhänger verehrten und seine Gegner respektierten. Dieser einfache Gefreite, der als einer von weniger als 600 „Gemeinen“ das Eiserne Kreuz Erster Klasse erhielt, ist für Weber eine Ausgeburt einer durch Einschmeichelei gegenüber den Vorgesetzten erreichten privilegierten Stellung. Er war „Melder“ nicht etwa zwischen Bataillonsführung und Fronttruppe, sondern im Himmelreich zwischen Regimentsstab und Bataillon: also mindestens drei Kilometer hinter der Front, wo die Granaten und Schrapnells des feindlichen Feuers kaum einmal einschlugen.
Weber demonstriert diesen Befund in immer neuen Variationen. Aber der Rezensent muss gestehen, dass ihn seine Argumentation hier nicht überzeugt hat. Es ist sicherlich wichtig zu erkennen, dass Hitlers permanente Beteuerung, den Krieg an vorderster Front erlitten und erlernt zu haben, so nicht zutrifft (was allerdings seit Joachimsthalers und Kershaws Studien gut bekannt war). Aber muss man deshalb auch seine schweren Verwundungen verniedlichen? Ist es hilfreich, uns zu erklären, dass seine Gasverletzung gar nicht so schlimm war und Hitler ins Lazarett von Pasewalk vor allem deshalb kam, weil er eine Art Kriegsneurotiker war? Das klingt ein wenig wie der bornierte Vorwurf der zeitgenössischen Mediziner und Psychiater an die „Kriegszitterer“, also die Soldaten, die zum Beispiel nach einem Granateinschlag oder nach einer Verschüttung ihr Leben lang am ganzen Körper zitterten: dass diese eben „nur“ eine Neurose hätten und schwächlicher Natur seien. Es bleibt dabei, dass Adolf Hitler als Meldegänger schwer verwundet wurde und nach einem Gasangriff „lazarettreif“ war – ein Erlebnis, welches ihn sein Leben lang nicht mehr losgelassen hat.
Mir scheint auch, dass Thomas Weber zu unkritisch den „Dokumentationen“ Guido Knopps folgt: sowohl die daraus übernommene Darstellung von Hitler inmitten der „begeisterten“ Menge auf dem Münchener Odeonsplatz 1914 als auch – wichtiger – die Filmsequenz mit Hitler (?) inmitten des Trauerzugs für den ermordeten Münchener Revolutionsführer Eisner sind alles andere als evident.
Am meisten Neues erfahren wir in diesem Buch über das gesamte „List-Regiment“, in dem Hitler diente und dessen Quellen Thomas Weber wie kein Zweiter bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgt hat. Hier gelingt ihm ein sehr lebendiges Bild einer großen soldatischen Gruppe – ein Regiment besteht aus etwa 3000 Mann, die größte Einheit, die ein Kommandierender noch mit der eigenen lauten Stimme erreichen kann. Fronterfahrung und Frontkamaradschaft haben sich immer vor allem auf der Ebene des Regiments als identitätsstiftende Einheit manifestiert. Der Autor zeigt uns insgesamt mit großer Tiefenschärfe die Diversitäten in diesem „Regimentskörper“, er zeigt detailliert, was aus dessen Angehörigen im und nach dem Krieg geworden ist. Erschütternd die Darstellung, wie auch Hitlers jüdische Regimentskameraden nach 1940 unbarmherzig verfolgt und ermordet wurden.
Wichtig ist Webers Nachweis, wie sehr die Mitglieder dieses bayerischen Regiments in der bayerischen Heimat, in ihrem familiären Umfeld, in ihrer Religionsgemeinschaft eingebunden waren und auch in Kriegs- und Nachkriegszeit blieben. Es kann keine Rede von einer spezifisch soldatischen Kultur sein, vor allem ist die vielbeschworene „Brutalisierung“ der Soldaten durch den Krieg fraglich. Aber diese immer wiederholte Feststellung ist etwas gebetsmühlenartig und entspricht auch nicht dem heutigen Forschungstand, wo die ursprüngliche (von Georges Mosse aufgestellte) These – dass nämlich die Kriegsbrutalität von den Soldaten auf die zivile Gesellschaft nach dem Krieg übertragen worden sei – seit den Arbeiten von Benjamin Ziemann und Richard Bessel differenzierteren Einsichten gewichen ist. Spätestens seit Ulrich Herberts Biographie des exemplarischen Nazis Werner Best wissen wir, dass die Weimarer „Brutalität“ nicht so sehr ein Problem der Frontsoldaten als der Kriegskinder war: jener jungen Leute, die durch die maßlose Kriegspropaganda und durch die Erfahrung des „Schandfriedens“ von Versailles sowie die „Dolchstoß“-Behauptung einen unbändigen Hass gegen das „System“ nährten. Die einschlägige neue Literatur zum Thema hat Thomas Weber offensichtlich nur sehr bruchstückhaft rezipiert.
Aber solche Fehlstellen können das Gesamturteil nicht beeinträchtigen: Mit „Hitlers erster Krieg“ hat Thomas Weber ein notwendiges, wegen der tiefschürfenden Quellenforschung ein wichtiges und in vielem neues Buch vorgelegt, das sicherlich noch einige Diskussion nach sich ziehen wird.
Thomas Weber
Hitlers erster Krieg
Der Gefreite Hitler im Ersten
Weltkrieg. Mythos und Wirklichkeit.
Propyläen Verlag, Berlin 2011.
464 Seiten, 24,99 Euro.
Die Person Hitlers wird aus
der Geschichte seines Infanterie-
Regiments herausgefiltert
Man könnte sagen: Wo ein Hund war in der NS-Bildpropaganda, da war oft der Führer nicht weit. Auf dieser später für den Hitler-Kult verwendeten Fotografie aus dem Ersten Weltkrieg hält der Gefreite Hitler allerdings nicht den Hund auf dem Schoß; er ist der Soldat in der zweiten Sitzreihe ganz rechts.
Foto: Mary Evans Picture Library/
Interfoto
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2011

Etappen-Adolf in der Ersatzfamilie
Neue Quellen über den Gefreiten Hitler und das List-Regiment im Ersten Weltkrieg

Schon seit mehreren Jahren ist sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch der historischen Publizistik ein starkes Interesse am frühen Werdegang Adolf Hitlers zu beobachten. So ist der einflussreichen Darstellung über "Hitlers Lehrjahre" in Wien aus der Feder von Brigitte Hamann die monumentale Hitlerbiographie des britischen Historikers Ian Kershaw gefolgt, in der er die langfristige Bedeutung von Hitlers Kriegsdienst herausstellt. Der Krieg und seine Folgewirkungen, so Kershaw, hätten Hitler "geschaffen". Im Gegensatz dazu hat zuletzt Ralph Georg Reuth in einer Studie über "Hitlers Judenhass" die kurze Zeit der Münchener Räterepublik als die Phase identifiziert, in der Hitler seinen Rasseantisemitismus und den unbändigen Hass auf den Bolschewismus überhaupt erst begründet habe.

Die Darstellung von Thomas Weber, der an der Universität Aberdeen europäische und internationale Geschichte lehrt, knüpft an die genannten Arbeiten an, wartet jedoch mit teilweise überraschenden und über weite Strecken gut dokumentierten Thesen auf. Im Gegensatz zu den herrschenden Deutungen der Hitler-Biographik, welche fast ausnahmslos die Fronterfahrung des Ersten Weltkriegs als einen, wenn nicht den prägenden Faktor für die Ausdifferenzierung von Hitlers politischer Weltsicht und die Radikalisierung seiner politischen Anschauungen betonen, erkennt Weber am Ende des Krieges einen eher orientierungslosen Zeitgenossen, dessen Regiment ihm in den Jahren zuvor zu einer "Ersatzfamilie" geworden war. Aus dieser Zeit gebe es keinerlei Hinweise auf irgendwelche antisemitischen Äußerungen Hitlers. Dass er Anfang 1919 kurzzeitig als ein Anhänger der sozialistischen Revolution auftauche, könne nicht als Ursache für seine politische Radikalisierung gedeutet werden. Denn tatsächlich falle diese erst in eine Zeit, nachdem Hitler, nicht zuletzt um der Vereinsamung zu entgehen, der Deutschen Arbeiterpartei beigetreten war.

Weber zielt jedoch nicht nur auf eine Korrektur der bisherigen Hitler-Biographien ab, sondern im Grunde beansprucht er, den Weg der deutschen Gesellschaft vom Ersten Weltkrieg in das "Dritte Reich" neu zu zeichnen. Gestützt auf die Auswertung sämtlicher überlieferter Akten und sonstiger Zeugnisse des bayerischen Infanterieregiments, in dessen Reihen Hitler für mehr als vier Jahre gedient hatte, geht es ihm darum, die relative Normalität der politischen Kultur in der Weimarer Republik herauszustellen. Jedenfalls will er von einer langfristig wirksamen Brutalisierung der deutschen Soldaten im Weltkrieg, welche der deutsch-amerikanische Historiker George Mosse schon vor mehr als einem Jahrzehnt als eine der wesentlichen Ursachen für den Untergang der Weimarer Republik eingestuft hatte, nichts wissen. Selbst nachdem Hindenburg und Ludendorff eine Radikalisierung der deutschen Kriegsführung angeordnet hatten, hätten die meisten Frontsoldaten sich eben nicht von einer "Kultur der Zerstörung" mitreißen lassen. Einen geradezu emblematischen Wert misst Weber in diesem Zusammenhang der 1932 erschienenen Regimentsgeschichte zu, die Hitler in einer für ihn beleidigenden Fotografie als eine nur "tölpelhafte Randfigur" zeigt.

Neben den Bildanalysen, die angesichts eines sonst in der Zeitgeschichtsschreibung oft sorglos wirkenden Umgangs mit historischen Fotos als ein Vorzug der Studie Webers gelten dürfen, besticht seine akribische Auswertung der Quellen zum List-Regiment. Was er hierzu im Einzelnen aus den Archiven und Bibliotheken in Deutschland, vor allem aus München, aber auch im Ausland zusammengetragen hat, ist mehr als beeindruckend. Auf einer breiten Quellengrundlage ist letztlich eine spannend zu lesende Kollektivbiographie entstanden, der wir Einblicke in sämtliche Stufen von Hitlers Werdegang im Weltkrieg und seinen späteren Durchbruch an die Macht verdanken. En passant erfahren wir außerdem viel über das soldatische Leben im Weltkrieg, über die besonderen Herausforderungen des Grabenkrieges, die Versuche der wechselseitigen Verbrüderung, aber eben auch über die immensen Verlustraten ausgewählter Kompanien des List-Regiments. Hitler aber hatte Glück!

In der Summe verdeutlichen Webers Ausführungen, dass der spätere deutsche Diktator entgegen seiner nachträglichen Selbststilisierung als unerschrockener Frontsoldat wohl doch meist mehr aus der rückwärtigen Etappe das Kriegsgeschehen verfolgte. Auch seine beiden militärischen Auszeichnungen verdankte er mehr der Nähe zum Regimentsstab als seinen tatsächlichen Leistungen an der Front. Überhaupt zeigt sich Weber mehr als einmal darum bemüht, dem von der NS-Propaganda und nicht zuletzt von Hitler selbst kreierten Mythos des "tapferen Gefreiten" fast fortlaufend einen neuen Stoß zu versetzen. Das wirkt gelegentlich etwas bemüht und geht letztlich da fehl, wo er auf Hitlers Kriegsverletzungen zu sprechen kommt. Insgesamt beeindruckend und für die historische Forschung über weite Strecken neu sind jedoch seine Ausführungen über die Strategien, mittels derer Hitler und die mit ihm verbündeten Kräfte schon in der Weimarer Republik ein geschöntes Bild seiner Weltkriegserfahrungen in der Öffentlichkeit verbreiteten. Wer von den Zeitgenossen noch nach dem Januar 1933 versuchte, daran auch nur einen Kratzer anzusetzen, musste letztlich um sein Leben bangen.

So sehr gerade diese Passagen überzeugen, stört freilich im Lauf der Lektüre die Tendenz des Autors, seine Thesen zu überzeichnen. Sie wirken an all den Stellen problematisch, wo er den Stand der historischen Forschung allzu einseitig wiedergibt. So weiß man bereits seit geraumer Zeit um die Friedenssehnsucht gerade der fronterfahrenen Soldaten, und auch die Frage der völkerrechtswidrigen Kriegsführung der deutschen Soldaten in Belgien ist inzwischen detailliert und überzeugend ergründet worden. Noch mehr irritiert ein Ansatz, der die Angehörigen des List-Regiments als einen Mikrokosmos der deutschen Gesellschaft einstuft, obwohl sich Weber sehr wohl der konfessionell und sozial eingeschränkten Rekrutierungsbasis bewusst ist.

Um die Ursachen für den Untergang der Weimarer Republik zu erforschen, reichen die von ihm ausgebreiteten Quellen sicherlich nicht aus. Überdies bleibt fraglich, ob nicht doch etwas mehr vom Weltkrieg an Hitler hängengeblieben ist, als Weber dies zugestehen möchte. Denn die Narben von Kriegserlebnissen reichen, wie wir aus zahlreichen Studien nicht nur zum Ersten Weltkrieg wissen, weit tiefer, als es das reine Aktenstudium zu klären weiß. Gleichwohl, Webers Studie erhellt auf der Basis neu erschlossener Quellen eine Schlüsselphase im Werdegang des deutschen Diktators und vermittelt darüber der zukünftigen Diskussion wichtige Impulse.

CHRISTOPH CORNELISSEN

Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit. Verlag Propyläen, Berlin 2011. 585 S., 24,99 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Gerd Krumeich von Thomas Webers Werk über Hitler als Gefreiter im Ersten Weltkrieg. Er würdigt es als bedeutenden Beitrag zur Geschichte des Mythos vom tapferen Frontsoldaten Hitler. Diesen Mythos unterzieht der Historiker in seinen Augen einer akribischen Prüfung, deren Ergebnis in zugespitzen Thesen vorgetragen wird, die das Bild des hoch dekorierten Weltkriegssoldaten in Frage stellen. Höchste Anerkennung zollt Krumreich den umfangreichen, minutiösen Recherchen des Autors, der eine Fülle von neuen Quellen zur Geschichte Hitlers im Ersten Weltkrieg und insbesondere zur Geschichte des List-Regiments aufgetan hat. Überzeugend zeigt Weber seines Erachtens, dass Hitler keineswegs der Frontsoldat "par excellence" war und dass die in den zwanziger Jahren einsetzende Mystifizierung Hitlers durch Anhänger wie Gegner mit zahlreichen Fabulierungen durchsetzt war. Dass Weber Hitlers Verwundungen im Ersten Weltkrieg verniedlicht, überzeugt den Rezensenten allerdings weniger. Nichtsdestoweniger fällt sein Urteil insgesamt sehr positiv aus.

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