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'Trotzki ? kaum ein Name der russischen Geschichte hat die Hoffnungen der Menschen mehr entzündet als der des marxistischen Revolutionärs, erschien er doch lange Zeit als das menschliche Antlitz des Sowjetkommunismus. Über viele Jahre waren Stalin und Trotzki Weggefährten, bis es schließlich zum Bruch kam. Aus dem Exil kämpfte Trotzki dann elf Jahre lang vehement gegen Stalins Gewaltherrschaft, bis er 1940 von einem russischen Agenten mit einem Eispickel erschlagen wurde. Ein neuer Blick auf das Leben dieses schillernden Revolutionärs ist längst überfällig. Dem Kampf für den "wahren"…mehr

Produktbeschreibung
'Trotzki ? kaum ein Name der russischen Geschichte hat die Hoffnungen der Menschen mehr entzündet als der des marxistischen Revolutionärs, erschien er doch lange Zeit als das menschliche Antlitz des Sowjetkommunismus. Über viele Jahre waren Stalin und Trotzki Weggefährten, bis es schließlich zum Bruch kam. Aus dem Exil kämpfte Trotzki dann elf Jahre lang vehement gegen Stalins Gewaltherrschaft, bis er 1940 von einem russischen Agenten mit einem Eispickel erschlagen wurde. Ein neuer Blick auf das Leben dieses schillernden Revolutionärs ist längst überfällig.
Dem Kampf für den "wahren" Kommunismus widmete Leo Trotzki sein Leben. Schon als Jugendlicher schloss er sich den Revolutionären an, entwickelte später die Theorie der permanenten Revolution und begründete die straff organisierte Rote Armee. Ein atemloses Leben, immer an vorderster Front und mit vollem Risiko. Wie sein Rivale Stalin ließ er Widersacher ohne Umschweife aus dem Weg räumen und wurde dennoch nach seiner Verbannungaus der Sowjetunion zum Idol einer ganzen Generation. Um seine letzten Jahre ranken sich viele Legenden. Vor allem die Zeit in Mexiko, wo er eine Affäre mit der Malerin Frida Kahlo begann, sorgte für Aufsehen. Dem Stanford-Historiker Bertrand M. Patenaude ist auf Basis neuer Quellen ein sehr persönliches Porträt einer der kontroversesten Figuren des 20. Jahrhunderts gelungen.
Autorenporträt
Bertrand M. Patenaude, Jahrgang 1956, ist Research Fellow für Geschichte und Internationale Politik an der Stanford University und der Hoover Institution. Seine Bücher zur modernen europäischen und russischen Geschichte wurden mehrfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2011

Endspiel eines Weltrevolutionärs

Gefangen in den Netzen Stalins und seines eigenen Mythos: Bertrand Patenaude weiß die letzten Jahre Leo Trotzkis im mexikanischen Exil dramaturgisch gekonnt zu erzählen.

Die Geschichte, die in Bertrand M. Patenaudes "Der verratene Revolutionär" nicht zum ersten Mal, aber doch genauer und detailreicher als irgendwo zuvor erzählt wird - von der Ankunft Leo Trotzkis in Mexiko Anfang 1937 bis zu seiner Ermordung im Sommer 1940 -, trug Züge einer Tragödie antiken Zuschnitts. Dazu gehörte, dass das tödliche Fatum, das den Helden unentrinnbar ereilte, von ihm selbst hellsichtig antizipiert wurde, obwohl es den Prognosen weltrevolutionärer Aufschwünge diametral entgegenlief, die er der internationalen Schar seiner Anhänger als "gesetzmäßig" in Aussicht stellte.

Unter einem ähnlichen Paradox hatte auch schon der jähe Verlust der überragenden Stellung gestanden, die Leo Trotzki als der große Stratege des siegreichen Bürgerkriegs in Russland erlitten hatte, kaum dass "der Alte" (Lenin) wegen Krankheit die Zügel aus der Hand gegeben und die Brüderhorde der Parteiführer sich selbst überlassen hatte. Noch rätselhafter wirkten Trotzkis von aller Welt bemerkte Abwesenheit bei Lenins Begräbnis im Januar 1924 (wegen eines Fiebers, das einen psychischen Zusammenbruch anzeigte) und seine weitgehende Wehrlosigkeit angesichts des (keineswegs unaufhaltsamen) Aufstiegs seines Antipoden Josef Stalin.

Patenaudes Schilderung der letzten Jahre des völlig isolierten, vom eigenen Mythos gefesselten Oktoberrevolutionärs macht diese absteigende Lebenslinie immerhin plausibler. Es waren zwei fatale, miteinander zusammenhängende Eigenschaften, die Trotzki als Politiker schlichtweg untauglich machten und trotz seiner großen persönlichen Ausstrahlung und seines weiten intellektuellen Gesichtskreises einen leeren Raum um ihn herum schufen. Da war zunächst, nach dem Zeugnis seines frühen Bewunderers Max Eastman, die bemerkenswerte Fähigkeit, sich ihm nahestehenden Menschen zu entfremden. Trotzki konnte Millionen begeistern und war stets umgeben von Bewunderern; aber er war nicht fähig, auch nur ein Handvoll Menschen dauerhaft und gleichberechtigt zu seinen Freunden und Mitstreitern zu machen. Der Selbstmord seiner Tochter Sina in Berlin 1932 und der ungeklärte Tod seines Sohnes Lew in Paris 1937 waren für ihn deshalb so vernichtende Schicksalsschläge, weil er sich eingestehen musste, dass neben dem Terror, mit dem Stalin seine Familie bis in letzte Glied überzog, auch ein Mangel an väterlicher Anerkennung im Spiel gewesen sein konnte.

Dass er nicht einmal die kleine "Weltpartei" seiner Anhänger in den Vereinigten Staaten, Frankreich und anderen Ländern zusammenhalten konnte und dass er die prominente Schar seiner linken oder liberalen Verteidiger gegen Stalin, angeführt von dem amerikanischen Philosophen John Dewey, in andauernde Distanzierungsnöte versetzte, hing mit seinem anderen Mangel als Politiker zusammen: seiner doktrinären Rechthaberei, die sich aus dem vermeintlich überlegenen historischen Arkanwissen des "Dialektischen Materialismus" speiste. Hierin sah er sich als der einzige Kongenius von Marx und Lenin, umgeben von flachen Epigonen und begriffsstutzigen Schülern - ein ewig Unverstandener.

Dabei scheute er im dichten Strom seiner Texte auch vor eklatanten Widersprüchen nicht zurück: Einerseits nannte er Stalins Regime, so wie das Hitlers, "totalitär", andererseits wollte er die UdSSR als "degenerierten Arbeiterstaat" von allen kapitalistischen Ländern der Welt fundamental unterschieden wissen. Er klagte die Moskauer Hexenjagden und Gewaltorgien in den schärfsten Wendungen an, verteidigte aber "prinzipiell" den bolschewistischen Massenterror, den er schließlich selbst einst mitbegründet hatte.

Eine wesentliche Differenz zwischen faschistischer Diktatur und bürgerlicher Demokratie wollte er selbst dann nicht sehen, als die demokratischen Öffentlichkeiten des Westens seine letzte politische Aktionsbühne geworden waren. Und als der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen wurde und der Zweite Weltkrieg ausbrach, verstieg er sich zur Verstörung seiner Anhänger zu den weltfremdesten Stellungnahmen, etwa einer "prinzipiellen" Verteidigung der sowjetischen Aggression gegen die baltischen Staaten und Finnland 1939/40.

Gleichzeitig prophezeite er eine neue "revolutionäre Welle" im und durch den Weltkrieg, die mit dem Kapitalismus und dem Faschismus auch den Stalinismus wegfegen werde. Wenn aber nicht? Dann wäre, wie er seinen Anhängern sibyllinisch verkündete, die marxistische Vorstellung von der historischen Überfälligkeit des Sozialismus womöglich insgesamt zu überprüfen. Kein Wunder, dass sich die etwa zweitausend Anhänger seiner im September 1938 gegründeten IV. Internationale sofort in eine "Majority" und eine "Minority" spalteten, die Trotzki selbstverständlich sofort mit den "Bolschewiki" und "Menschewiki" in den Jahren nach 1903 gleichsetzte.

Seine eigentliche Spannung gewinnt Patenaudes Darstellung aber nicht aus diesen eher melancholischen Irrungen und Wirrungen seines Helden und von dessen Gefährten, sondern aus der minutiösen Rekonstruktion der Art und Weise, wie Stalin das Netz um seinen imaginären Gegenspieler systematisch enger zog. Nicht nur Lew Sedow, engster Mitarbeiter von Trotzkis Sohn und Mitherausgeber des "Bulletins der Opposition", war ein Agent des sowjetischen Geheimdienstes, der die intimsten Briefe, geheimsten Mitteilungen und ungedruckten Texte Trotzkis frisch auf Stalins Schreibtisch brachte. Auch im New Yorker Vorzimmer des faktischen Chefs der IV. Internationale, James Cannon, saß eine Informantin. Trotzkis amerikanischer Literaturagent, der seine lebenswichtigen Verträge als Autor aushandelte, unterhielt ebenfalls eine Residentur der sowjetischen Dienste und hätte beinahe die Publikation seiner Anklageschrift "Die verratene Revolution" torpediert.

Selbst den internationalen Untersuchungsausschuss, der Trotzkis Unschuld gegenüber den absurden Anschuldigungen der Moskauer Schauprozesse gegen die Altbolschewiken beweisen sollte, brachten die Stalinisten durch interne Manipulationen ums Haar zum Entgleisen. Und schließlich war auch in der kleinen, häufig wechselnden Wachmannschaft des belagerten Trotzki in Mexiko ein Maulwurf, der für das - allerdings erfolglose - erste Mordkommando das Tor zur Festung öffnete. Dass der verratene Revolutionär sich allenthalben von Agenten Stalins umgeben sah, war insofern nicht verwunderlich. Schwerer zu erklären ist, warum er gerade denen hartnäckig vertraute, gegen die ein begründeter Verdacht vorlag. Am Ende trat er seinem Mörder Ramón Mercader, der sich als NKWD-Romeo und sympathisierender Geschäftsmann bis in seine engste Umgebung vorgearbeitet hatte, arglos gegenüber und zwang ihn so, beim Zuschlagen die Augen zu schließen - eine Raskolnikow-Szene.

Patenaudes Buch macht alle analytischen Mängel, was die Einordnung Trotzkis und des "Trotzkismus" in die Gesamtgeschichte des Kommunismus betrifft, wett durch eine dramaturgisch gekonnte, psychologisch stimmige und vermutlich faktisch präzise Darstellung dieses Endspiels, das nicht zufällig in den Kataklysmen des Zeitalters fast spurlos unterging. Der Weltkrieg bedeutete für viele eine nochmalige Umwertung aller Werte. Diego Rivera, der großartige Künstler revolutionärer Wandmalereien und erste Gastgeber Trotzkis in Mexiko, der sich mit ihm auf Grund scheinbar geringfügiger Differenzen ebenfalls überworfen hatte, behauptete bei seinem Wiedereintritt in die stalinistische KP Mexikos nach dem Krieg, er habe Trotzki nur Asyl gewährt, um dessen Ermordung vorzubereiten. Und seine illustre Gefährtin Frida Kahlo, mit der Trotzki nach seiner Ankunft ein kurzes, stürmisches Liebesverhältnis unterhalten hatte, wie Patenaude mehr als nur plausibel macht, hinterließ bei ihrem Tod 1954 ein unvollendetes Stalin-Bild auf ihrer Staffelei.

GERD KOENEN

Bertrand M. Patenaude: "Trotzki". Der verratene Revolutionär.

Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer. Propyläen Verlag, Berlin 2010. 432 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Historiker Gerd Koenen hat bei Bertrand Patenaude nicht zum ersten Mal die Geschichte von Trotzkis Ermordung in Mexiko gelesen, aber so spannend und detailreich, versichert er, wurde sie ihm noch nicht erzählt. Plausibel findet er, wie Patenaude erst einmal grundsätzlich erklärt, wie Trotzki, nach der Oktoberrevolution der große Stratege im russischen Bürgerkrieg, derartig in die Isolation geraten konnte. Patenaude macht dafür zwei Eigenschaften verantwortlich: Trotzkis "doktrinäre Rechthaberei" und seine Unfähigkeit, mit anderen Menschen klarzukommen. Trotzki konnte Millionen begeistern, aber seinen engsten Unterstützerkreis nicht zusammenhalten. Noch fesselnder fand Koenen allerdings dargestellt, wie Stalin sein Häschernetz um Trotzki immer enger zog. Selbst Trotzkis amerikanischer Literaturagent und der engste Mitarbeiter von Trotzkis Sohn arbeiteten für Stalin, und zumindest nach dem Mord hatte Stalin auch Frida Kahlo und Diego Riviera in der Tasche. Die "präzise Darstellung dieses Endspiels" findet Koenen so gelungen und überzeugend, dass er dem Autor die eher schwache historische Einordnung Trotzkis und des Trotzkismus verzeiht.

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