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'War das Unrechtsregime der SED in Ostdeutschland ein Kavaliersdelikt? Betrachtet man die Ostalgie-Shows im Fernsehen, den Kultstatus von DDR-Devotionalien oder die öffentliche Verhöhnung ehemaliger Häftlinge durch frühere Stasi-Offiziere, so scheint sich dieses milde Urteil über die zweite deutsche Diktatur durchgesetzt zu haben. Während sich die Täter von einst durch tatkräftige Lobbyarbeit einen auskömmlichen Lebensabend erstritten, werden die Opfer in Deutschland wieder einmal allein gelassen.
Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, zieht knapp zwei Jahrzehnte
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Produktbeschreibung
'War das Unrechtsregime der SED in Ostdeutschland ein Kavaliersdelikt? Betrachtet man die Ostalgie-Shows im Fernsehen, den Kultstatus von DDR-Devotionalien oder die öffentliche Verhöhnung ehemaliger Häftlinge durch frühere Stasi-Offiziere, so scheint sich dieses milde Urteil über die zweite deutsche Diktatur durchgesetzt zu haben. Während sich die Täter von einst durch tatkräftige Lobbyarbeit einen auskömmlichen Lebensabend erstritten, werden die Opfer in Deutschland wieder einmal allein gelassen.
Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, zieht knapp zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des SED-Regimes eine kritische Bilanz des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit. Er beschreibt die mangelhafte strafrechtliche Verfolgung der Täter und deren Reorganisation in schlagkräftigen Vereinen. Er zeigt, wie die SED durch Umbenennung und geschicktes Taktieren ihr Überleben in der Demokratie sicherte, und schildert die Lage Tausender Opfer, die unzureichend entschädigt wurden und deren Kampf für Freiheitund Demokratie kaum öffentliche Wertschätzung erfährt. Im Gegensatz zur gründlichen Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur wird das SED-Regime vielfach verharmlost und schöngeredet. Insbesondere in der jüngeren Generation herrscht eine erschreckende Unkenntnis über die Realität der kommunistischen Diktatur und das Ausmaß politischer Verfolgung in der DDR. Knabes Bilanz sollte jedermann aufrütteln, dem die politische Kultur unseres Landes am Herzen liegt.
Autorenporträt
Hubertus Knabe, geboren 1959 in Unna, ist wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen Zentralgefängnis der Staatssicherheit. Von 1992 bis 2000 war er in der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (Gauck-Behörde) tätig. Zahlreiche Buchveröffentlichungen über die DDR und Osteuropa.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.04.2007

Muntere Stasi-Aktivisten
Eine Abrechnung mit allen DDR-Nostalgikern
Er ist die Hassfigur aller DDR-Nostalgiker und -verharmloser: Hubertus Knabe, Historiker und Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, des ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnisses der DDR-Staatssicherheit. Gewiss hat sich Knabe mit seinem eher schlichten Geschichtsbild, in dem die schier allmächtige Stasi nicht nur die DDR beherrschte, sondern auch angeblich die Linke der alten Bundesrepublik steuerte, sehr angreifbar gemacht. Doch die im Internet zu lesenden Tiraden gegen den „Antikommunisten aus dem Gruselbuch” machen Knabe fast schutzbedürftig. Anstatt sich inhaltlich mit ihm und seiner problematischen Gedenkstätten-Konzeption auseinander zu setzen, ist da vom „starren, durchdringenden Blick” und vom „vergifteten Lächeln” Knabes die Rede. Geschenkt.
Auch mit seinem neuen Buch wird sich der unermüdliche Stasi-Verfolger nicht viele Freunde machen, vermutlich schreiben die einschlägig bekannten Anwälte schon an Entwürfen für einstweilige Verfügungen und Unterlassungserklärungen. Denn fast giert der Autor nach juristischen Nackenschlägen, wenn er etwa schreibt: „Man darf deshalb gespannt sein, ob Gysi auch gegen dieses Buch vorgehen wird.” Sie bekommen alle ihr Fett ab, die, in welcher Funktion auch immer, mit der Stasi gekungelt haben: Gregor Gysi, Manfred Stolpe, Lothar Bisky, Lothar de Maizière und viele, viele andere.
Knabe bemüht sich dabei um eine relativ nüchterne Sprache, sein faktengesättigtes Werk stützt seine Hauptthese durchaus glaubwürdig: Die Aufarbeitung des Unrechtsstaates DDR lässt zu wünschen übrig. Während die Opfer mit kargen Renten abgespeist werden, genießen die Täter ihre stattlichen Pensionen und treten zugleich immer dreister auf. Da feiern die alten Genossen noch munter die alten DDR-Gedenktage, etwa am 1. März die Gründung der Nationalen Volksarmee oder am 1. Dezember den „Tag der Grenztruppen”. Da verklären die alten Funktionsträger unverdrossen den vermeintlichen „Arbeiter- und Bauernstaat”, da verbieten die Gerichte ungeschminkte Darstellungen über Stasi- Verstrickungen und die fanatischen Hintermänner der DDR-Grenzschützen.
Dies darzustellen und auch anzuprangern, ist richtig und verdienstvoll. Doch immer wieder geraten Knabe die Maßstäbe durcheinander. Obwohl er explizit auf Seite 335 schreibt, es gehe „nicht darum, DDR und Nationalsozialismus gleichzusetzen”, kann er sich nicht von der Manie lösen, ständig den NS-Staat und den Umgang mit ihm in der Nachkriegszeit als Vergleich heranzuziehen. Während Knabe weitgehend ignoriert, dass trotz der offiziellen „Entnazifizierung” in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen – von der Politik bis zur Justiz, von den Ärztekammern bis zu den Universitäten – Nazis weiter bruchlos Karriere machen konnten, will er große Teile der alten DDR-Eliten völlig aus dem öffentlichen Raum verbannen. Hätte es, wie Knabe meint, nach 1990 ein ähnliches Vorgehen wie gegen die Nazis gegeben, dann „hätten Hunderttausende überprüft und Zehntausende in Haft genommen werden müssen”. Knabe rechnet zu diesem Personenkreis nicht nur alle führenden SED-Funktionäre und DDR-Regierungsmitglieder, die maßgeblichen Angehörigen der Massenorganisationen, der Stasi und der Grenztruppen, sondern auch „Journalisten, Schriftsteller oder Filmschaffende”.
Für Knabe ist es unvorstellbar, dass nicht nur Verbrecher oder skrupellose Machtmenschen sich für den Staat DDR engagiert haben, sondern vielleicht auch Leute mit ehrenwerten Motiven. Obwohl die Gründung des zweiten deutschen Staates nicht zuletzt ein Reflex auf den Nationalsozialismus war, macht sich Knabe über den „antifaschistischen Gründungsmythos” lustig. Und er findet es merkwürdig, dass bei einer deutschlandweiten Umfrage 83 Prozent angeben, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes der Grund für „eine gewisse Duldsamkeit der Menschen gegenüber dem Gesellschaftssystem der DDR” gewesen sei.
Widersprüchlich ist auch Knabes Einschätzung der Gefährlichkeit der alten und wieder recht munter agierenden DDR-Kader, die sich in diversen Vereinigungen zusammengeschlossen haben. Die sind einerseits so „schlagkräftig”, dass man fast um den Bestand des demokratischen Gemeinwesens bangen muss, andererseits charakterisiert Knabe einen solchen Verein als „merkwürdige Mischung aus linksradikaler Antifa und DDR-Seniorenverband”, der an Überalterung leide, ein Vereinsblättchen erinnert ihn an die „Mitteilungen eines Kleingärtnervereins”. Na, wenn das so ist, dann wird das vereinte Deutschland auch die paar DDR-Nostalgiker noch überstehen. RALF HUSEMANN
HUBERTUS KNABE: Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur. Propyläen, Berlin 2007. 384 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Etwas zwiespältig findet Ralf Husemann diese Abrechnung mit allen DDR-Nostalgikern und DDR-Verharmlosern, die der Historiker und Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe vorgelegt hat. Der Hauptthese des Buchs, die Aufarbeitung des Unrechtsstaates DDR lasse zu wünschen übrig, kann er sich durchaus anschließen, zumal Knabe sie mit zahlreichen Fakten belegen könne. Auch bescheinigt er dem Autor, sich um eine "nüchterne" Sprache zu bemühen, wenn er zum Beispiel anprangert, dass Stasi-Opfer mit Mini-Renten abgespeist werden, während Täter ihre satten Pensionen goutieren und zugleich immer unverschämter auftreten. Missstände wie diese darzustellen und zu kritisieren, hält Husemann für wichtig. Insofern würdigt er Knabes Anliegen als "richtig und verdienstvoll". Dennoch schießt der Autor in Husemanns Augen immer wieder über das Ziel hinaus. So hält er ihm etwa vor, trotz seines Beteuerns, DDR und Drittes Reich nicht gleichsetzen zu wollen, ständig den NS-Staat und den Umgang mit ihm in der Nachkriegszeit als Vergleich heranzuziehen. Dass sich auch Menschen mit vielleicht ehrenwerten Motiven für die DDR eingesetzt haben, könne sich Knabe nicht vorstellen.

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