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Seit langer Zeit die erste große Lessing-Biographie - aus der Feder des Literaturwissenschaftlers und erfolgreichen Buchautors Willi Jasper. Einfühlsam schildert er den Philosophen, Dichter, Dramatiker und bedeutendsten Vertreter der deutschen Aufklärung als die große Gestalt der religiösen und weltanschaulichen Toleranz, aber auch als den rebellischen Intellektuellen, der mit seinem Nonkonformismus die Zeitgenossen brüskierte.

Produktbeschreibung
Seit langer Zeit die erste große Lessing-Biographie - aus der Feder des Literaturwissenschaftlers und erfolgreichen Buchautors Willi Jasper. Einfühlsam schildert er den Philosophen, Dichter, Dramatiker und bedeutendsten Vertreter der deutschen Aufklärung als die große Gestalt der religiösen und weltanschaulichen Toleranz, aber auch als den rebellischen Intellektuellen, der mit seinem Nonkonformismus die Zeitgenossen brüskierte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Mit Zorn und Fernstudium
Willi Jaspers Lessing-Biographie / Von Hans-Jürgen Schings

Überraschend neu und modern soll sie sein und "die seit Jahrzehnten erste große Lessing-Biographie". Die großen Lessing-Monographien, die von Danzel-Guhrauer und Erich Schmidt, erschienen im neunzehnten Jahrhundert. Größte Vollständigkeit und Genauigkeit, Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit, "entsprungen aus Liebe und Bewunderung für den Heros" - so lautete das Ethos jener Gelehrten, die man heute gern als Positivisten belächelt. Sie forderten umfassende Kenntnis des Materials, wollten aber nicht nur "Erweiterung der Kenntnis", sondern "Erkenntnis" (Danzel). Und sie wußten, wem sie dienten, dem "Herold des humanen Weltbürgertums", dem "Schutzheiligen der Geistesfreiheit" (Erich Schmidt).

Ein Selbstbewußtsein solchen Kalibers ist der heutigen Lessing-Forschung längst abhanden gekommen. Ins Partikulare und Hochdifferenzierte getrieben und vornehmlich an Interpretation interessiert, scheut sie den integralen Zugriff. Schon Heinrich Schneiders "Biographische Studien" (1950) ließen erkennen, daß Neuigkeiten zu Lessings Biographie nur unter größter Mühsal zu haben sind. Die letzte bedeutende Leistung der Lessing-Biographik gelang Dieter Hildebrandt mit seiner "Biographie einer Emanzipation" (1979), gearbeitet mit schriftstellerischer Eleganz, getragen noch von dem Glauben an das emanzipatorische Potential ihres Gegenstandes. Seitdem greift gar die bange Vermutung um sich, daß Lessing womöglich ein "Leben ohne Biographie" (Horst Steinmetz) geführt habe, daß die eherne Sachlichkeit seiner öffentlichen Äußerungen ein gescheitertes privates Ich geradezu verberge.

Willi Jasper hat Mut und hält sich deshalb mit Rechtfertigungen und dem Stand der Lessing-Forschung nicht lange auf. Er nähert sich einem "unheimlichen" Klassiker, der "Tragik einer mutigen Existenz", die in Deutschland "ohne Nachfolge blieb", wie es Hugo von Hofmannsthal formulierte. Zwei Stoßrichtungen sind damit vorgegeben. Die eine zielt auf die Spannungen, Brüche und Widersprüche in Lessings Existenz, die andere auf die "deutsche Misere", die dafür zeitlebens verantwortlich war und dann auch noch die Geschichte seiner Wirkung ruinierte. Der "Aufklärer und Judenfreund" hatte in Deutschland keine Chance und mußte mit seinem Lebensglück und dem Scheitern seiner Botschaft bezahlen. Das unerbittlich düstere Szenario verwandelt Jaspers Buch über weite Strecken in eine Anklageschrift, die auf den Ton der "Irascibilität" gestimmt ist. Ob der dem Erkenntniswert einer Biographie gut bekommt, ist eine andere Frage.

Schönredner wie Herder, Friedrich Schlegel oder Goethe sind diesem Ansatz zufolge von vornherein unglaubwürdig und müssen sich derbe Abfuhren gefallen lassen. Schlegel ertappt Jasper bei dem bekannten Wort von Lessings "dreister Selbständigkeit", das sei "ehrfurchtsvoll und schaudernd zugleich" - vielleicht aber nur deshalb, weil der strenge Betrachter die zeitgenössisch positive Bedeutung von "dreist" nicht wahrnimmt.

Selbst den Malern mag Jasper nicht glauben. Ein "pausbäckig-freundlicher" Lessing, wie ihn die Bilder von May und Graff zeigen? Da kann nur mangelnder Realismus im Spiel sein, den man "entlarvt", wenn man Goethes Bemerkung über den Anachronismus des "Modecostüms" in Anschlag bringt - allerdings "moniert" Goethe nicht einen Fehler des Malers, er spricht aus dem Abstand von Jahrzehnten, als er das May-Porträt in seinem Arbeitszimmer aufbewahrte (und erst nach Androhung eines gerichtlichen Verfahrens zurückgab). Kleine Mißgriffe, gewiß, aber schon sie verraten, wie der zornige Blick die ihm genehmen Befunde erzwingt.

Die Lebensstationen Lessings durchläuft Jasper, wie sollte es anders sein, im Anschluß an das gut Bekannte. Die schüchterne Rede von den terrae incognitae ist freilich seine Sache nicht. Sie werden im Handstreich erobert. Lessing und die Frauen? Von Klaus Maria Brandauer läßt sich Jasper bescheinigen, daß "der Lessing mehr als zwei Frauen" hatte. Natürlich die Lorenzin aus der Leipziger Studienzeit, doch gab es auch Breslauer und Hamburger Amouren - Namen fallen, Nachweise sind überflüssig.

Über Sara Sampson und Emilia Galotti, die Opfer des Patriarchalismus, arbeitet sich Lessing zur emanzipierten Minna vor (die Chronologie zählt nicht) und damit aus der Literatur ins Leben, zu Eva König. Die freilich bekommt es mit einer Konkurrentin zu tun, Ernestine Reiske, die, sonst "diskret behandelt oder erhaben belächelt", hier endlich ernst genommen wird. Aber das hatte schon längst Heinrich Schneider getan. Nur hütete sich der Quellenkundige vor Folgerungen, die Jasper umstandslos von der Hand gehen: die "Not der Gefühle, sich zwischen zwei Frauen entscheiden zu müssen", trieb Lessing nach Italien (außerdem aber auch eine geradezu mellefontische Ehescheu). So einfach ist es, dem spröden Lessing auf die Schliche zu kommen.

Manches Rätsel gibt die Breslauer Zeit Lessings und sein Engagement beim General von Tauentzien auf. Wer es gewohnt war, dabei an eine einigermaßen glückliche Periode zu denken, muß sich sagen lassen: Lessing war auf einem "Irrweg", den Jasper mit der zunächst dunklen Formel "Prophetenschmerz und Soldatenglück" bezeichnet. Zum Soldatenglück gehört natürlich das Glücksspiel, man weiß es. Worum sich die Literaturwissenschaft aber bedauerlicherweise nicht gekümmert hat (Jasper liebt diese vorwurfsvolle Wendung), sind die Finanzspekulationen, in die Lessing gemeinsam mit seinem General verwickelt gewesen sein soll. Tauentzien war verantwortlich für die "Münzverschlechterung", mit der Preußen die enormen Kriegskosten auszugleichen suchte, ein einträgliches Geschäft, und sein Sekretär war beteiligt. Zwei amtliche Briefe zeigen, daß er Bescheid wußte. Außerdem kam Lessing als "Makler" zwischen Breslau und Berlin in Frage, kannte er doch den jüdischen Münzpächter Veitel-Heine Ephraim persönlich. Lessing ein Kriegsgewinnler? Erklären sich so die Geldmittel, über die er in Breslau verfügte? Jasper weiß den Verdacht zu wecken, obwohl die Beweislage dünn bleibt. Jedenfalls führte Lessing in Breslau ein "Doppelleben". So gesellt sich zum Soldatenglück der Prophetenschmerz. Und damit sind wir beim "Laokoon", denn der Prophet ist niemand anders als der unglückliche trojanische Priester, und Lessing ist Laokoon, da er ebenso leiden mußte. Noch mag man seiner Wahrnehmung nicht recht trauen, da muß man obendrein noch lesen, daß der "Kunstrichter" Lessing zum ästhetischen Problem "wenig beizutragen" habe. Der "Laokoon" enthüllt vielmehr sein "eigenes Seelendrama", basta. Die armen Interpreten, die sich am "Laokoon" so scharfsinnig abgearbeitet haben - sie haben nichts verstanden.

Neues über Lessings merkwürdige italienische Reise hat Jasper, sieht man von der genannten Entlarvung der Motive einmal ab, nicht mitzuteilen. Vom Kopfschütteln über die dürren Erträge und den unlustigen Reisenden hält er nichts. Gern folgt man der Beschreibung von Lessings Aufenthalt in Livorno, einem "Paradies der Juden", und den möglichen Begegnungen mit bedeutenden Repräsentanten des Judentums. Man atmet auf: endlich ergiebige Recherchen und neue Quellen. Sie stammen nun freilich samt und sonders von Lea Ritter Santini, die es mit ihrem Wolfenbütteler Ausstellungsprojekt von 1993 verstanden hatte, aus den spärlichen Reisedokumenten blühende italienische Landschaften hervorzuzaubern. Eine Pointe gewinnt Jasper dem Verhältnis Lessings zu Amerika ab, das er mit Heinrich Schneider darlegt. Warum gibt es von Lessing keine "offizielle Stellungnahme der Entrüstung" über den Braunschweiger Subsidienvertrag von 1776 und den Menschenschacher, der sich in seiner Umgebung ereignete? Die Antwort: Lessing interessierte sich für die jüdische Abkunft bestimmter Indianerstämme, konnte deshalb nicht für die missionierenden amerikanischen Siedler Partei ergreifen, erhoffte statt dessen von den braunschweigischen Offizieren "eine gewisse aufklärerische Funktion in Amerika"!

Die Balance von Leben und Werk gehört verständlicherweise zum hergebrachten Programm einer Biographie. Nicht so in diesem Falle. Es dürfte keinen Lessing-Biographen geben, der mit den Werken und Schriften Lessings so interesselos umgeht wie Jasper. Geschlossene Werkbesprechungen werden ausgespart. Der "Samuel Henzi" wird überraschend aus seinem fragmentarischen Status befreit und in Berlin "abgeschlossen". Die "Emilia Galotti" führt gleich zur Kapitulation: schlechthin unverständlich, ein Beispiel für die "sperrigen Irrationalismen" ihres Autors. Der "Philotas" - eine "wilde Dramenskizze" - spiegele Lessings innere Verfassung von 1759 und nehme Breslau vorweg - geschrieben wurde er aber schon 1758. Die Wolfenbütteler Reimarus-Fragmente werden auf 1774 und 1777 datiert und falsch zugeordnet - das letzte und provozierendste kam 1778 heraus; Lessings "Gegensätze" sind bloßes Scheingefecht. Die "Erziehung des Menschengeschlechts" geht nicht einfach als "Vermächtnis" Lessings durch, muß sich vielmehr noch einmal die vage These vom Koautor Albrecht Thaer gefallen lassen (der auch das erste Spinoza-Gespräch mit Lessing geführt haben soll). Daß der "Werther" einen "bedauernswerten Rückfall" in den Sturm und Drang darstelle, hat man so auch noch nicht gehört. Die philologischen Sekundärtugenden haben es in diesem Buch nicht leicht.

Entschlossen bekämpft Jasper dagegen den großen Unheilstifter, die deutsche Misere. Wie sie ihre fatalste Ausprägung, den Antisemitismus, hervorbringt, beschreibt er in dem längsten und informativsten Kapitel seiner Biographie am Beispiel Moses Mendelssohns und seiner Freundschaft mit Lessing. Ein Bündnis von deutscher Aufklärung und Haskala war die Hoffnung, die früh zuschanden ging. Die Hauptschuldigen werden bald dingfest gemacht. Es sind die deutschen "Mandarine" und Meisterdenker, an ihrer Spitze der "Staatsdichter" Goethe. Denn der vermeintliche Feind der Aufklärung ist deshalb auch ein (vielleicht sogar antisemitischer) Feind Lessings. Da ist sie wieder, die zornige Kombinatorik dieses Biographen, die sich durch nichts von ihren Vorurteilen abbringen läßt.

Aber alle Äußerungen Goethes über Lessing lassen doch Respekt und Verehrung erkennen? Tut nichts, denn hat Goethe nicht einmal von der "polemischen Natur" Lessings gesprochen und sie gegen das eigene Naturell abgesetzt? Nur hartnäckige Erregung kann ihm das Wort im Munde umdrehen: "Hämisch" sei das, ein "Attest der Abweichung von der Norm", mithin Ausgrenzung des Aufklärers. Insbesondere Goethes "Zynismus" hat es solcher Empörung angetan. Lessing hatte dem Autor des "Werther" ein Schlußkapitelchen vorgeschlagen - "je cynischer je besser". Im Nu wird daraus der "Vorwurf des Zynismus", den Jasper auf eigene Faust auch noch zum gewissenlosen, "unverhohlenen Sarkasmus" zu steigern weiß - ausgerechnet bei der Lektüre von Goethes berühmtem (und anrührendem) Kondolenzbrief an Zelter, als dessen Sohn Selbstmord begangen hatte. Erst Goethe und mit ihm Schiller haben mit der Weimarer "Nathan"-Aufführung von 1801 die Bühnenlaufbahn des Stückes eröffnet? Infameres hätten sie nicht tun können. Um ein Viertel kürzte der "devote" Schiller den Text, beflissene Auslieferung der Lessingschen Botschaft an die Weimarer Verharmlosungsästhetik, Unterminierung auch gleich noch der "Erziehung des Menschengeschlechts" durch "ästhetische Erziehung". So zerstörten die Weimarer die Wirkungsgeschichte des "Nathan". Den Ruin aber besorgte Goethe mit "Faust" und dem Faustischen, einem gezielten "Gegenentwurf" gegen den "Nathan"! Abwegiger geht es nicht.

Jasper hat ein zorniges Buch geschrieben, das die Provokation sucht. Warum nicht? Aber das neue, harmonisierungsresistente Lessing-Bild, das dabei herauskommen soll, ist ein Meinungsbild auf unsicherem Grund. Mit Streifzügen durch Lessings Leben und Welt, die das Material und die Resultate ausgewählter Vorgänger durchweg nur um Verdachtsmomente und Skandalisierungen ergänzen, mit eiligen Spekulationen, die der Kontrolle philologischer Standards nur allzuoft entlaufen, mit einem kaum gebremsten Furor des Urteils und Vorurteils, der die eigene Recherche durch Machtsprüche ersetzen möchte, ist die verheißene neue und dazu "große" Lessing-Biographie nicht zu haben.

Willi Jasper: "Lessing. Aufklärer und Judenfreund". Biographie. Propyläen Verlag, München 2001. 471 S., geb., 48,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rolf-Bernhard Essig bespricht in einer Doppelrezension zwei Biografien deutscher Dramatiker, wobei ihm nur eine wirklich gefallen hat.
1. Willi Jasper: "Lessing. Aufklärer und Judenfreund"
Diese Biografie Lessings kann der Rezensent gar nicht genug loben, zumal zu seiner Überraschung die von ihm als Gegensatzpaar begriffene Frische und philologische Korrektheit sich in der Darstellung durchaus die Hand reichen. Er preist den "gewinnenden Stil" des Autors, der "eigene Forschungsergebnisse" aufzuweisen habe und bescheinigt dieser Lebensbeschreibung, sowohl auf der "Höhe der Zeit" zu sein, als auch ihrem Gegenstand völlig gerecht zu werden. Lediglich "Kleinigkeiten" wie den Titel und kleinere "Fehlurteile" kritisiert er, doch die können seiner Begeisterung keinen Abbruch tun.
2. Jörg Aufenanger: "Das Lachen der Verzweiflung. Grabbe. Ein Leben"
Weniger glücklich ist der Rezensent mit der Biografie Grabbes. Zwar äußert er Verständnis für die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens, denn gesicherte Fakten zu Grabbes Leben sind rar. Er kann also nachvollziehen, dass Aufenanger auf "Spekulationen" angewiesen war, doch stört es ihn, dass der Autor sich allzu sehr von seinem Forschungsobjekt "einnehmen" lässt, was bis in die Sprache Aufenangers wirke. Ein bisschen weniger "Empathie" hätten dem Buch gut getan, meint der Rezensent, der insgesamt die "Einseitigkeit" und Parteilichkeit des Biografen beklagt.

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