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Produktdetails
  • Verlag: Propyläen
  • Seitenzahl: 543
  • Deutsch
  • Abmessung: 48mm x 144mm x 219mm
  • Gewicht: 825g
  • ISBN-13: 9783549071441
  • ISBN-10: 3549071442
  • Artikelnr.: 09784311
Autorenporträt
Peter Godman, geboren 1955 in Auckland, Neuseeland, ist nach Dozenturen in Oxford, Cambridge und Tübingen seit 2002 Professor für lateinische Philologie des Mittelalters und Geistesgeschichte an der Sapienzia in Rom. Obwohl bekennender Nichtgläubiger, bekam er bereits 1996 die Erlaubnis zur Recherche im Geheimarchiv des Vatikans. Peter Godman hat zahlreiche wissenschaftliche Bücher geschrieben, die international publiziert und ausgezeichnet wurden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2001

Verboten gut
Anarchisten auf dem Fels’ Petri:
Peter Godman studiert den Index
Zur Erquickung der Frommen wie der Unfrommen hatte Roms höchste Inquisitionsbehörde die literarische und geistige Welt jahrhundertelang mit einem einzigartigen bibliografischen Instrument ausgestattet: Der „Index der verbotenen Bücher” klärte die einen darüber auf, welche Lektüren mit dem Kanon der Rechtgläubigkeit unvereinbar seien, und lieferte den anderen wertvolle Hinweise zur Schließung ihrer Bildungslücken. Als vermeintlich verlässlicher Wegweiser durch die schwarzen Labyrinthe des gedruckten Wortes war der Index librorum prohibitorum erstmals 1559 und in letzter Auflage 1966 erschienen. Dann wurde eingestellt, was aus der Sicht seiner Apologeten ein „unvergleichliches Meisterwerk” an Gelehrsamkeit war, und geblieben ist die Legende eines ruchlosen Machwerks, dazu ersonnen, der schönen Literatur und dem freien Geist ein loderndes Autodafé zu bereiten.
Karl Marx fehlt
Die Legende ist dahin, seitdem der Tübinger Historiker und bekennende Agnostiker Peter Godman soeben eine stattliche Sammlung geheimer Gutachten zu spektakulären Fällen aus der Literatur- und Geistesgeschichte herausgegeben und kommentiert hat: „Weltliteratur auf dem Index. Die geheimen Gutachten des Vatikans”. Demnach ging es hinter den Mauern des Vatikans auch nicht viel anders als in den geheimen und vertraulichen Eingeweiden moderner bürokratischer Apparate – von der CIA bis zur DFG –, nämlich zäh, kontrovers und gar nicht immer professionell und kompetent, sondern oft genug dilettantisch und kontraproduktiv zu: Gestresste und überforderte Gutachter ließen zwar kräftig ihre Muskeln spielen und verstanden sich auf die ganze Bandbreite rhetorischer Zungenschläge und Winkelzüge, waren aber in ein träges System eingebunden, das der Konkurrenz gegenüber dem Konsens und der Konformität gegenüber der Brillanz den Vorzug gab und dessen einzige Sorge war, dass der Index konsequent bliebe. Aber nicht einmal das war er, wie es das Fehlen solch illustrer Namen wie Isaac Newton, Charles Darwin und Karl Marx auf der Liste bezeugt. Eines der Haupthindernisse für eine effektive Aufklärungsarbeit war, dass die so genannten Konsultoren nur über geringe oder gar keine Fremdsprachenkenntnisse verfügten und sich auf zufällige Denunziationen und auf italienische Übertragungen beispielsweise von französischen Übersetzungen aus dem Englischen verließen. Godman zufolge hatten sie bis in die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auch „noch immer keine Ahnung, was den Charakter eines Romans ausmachte”, und germanistischen Erstsemestern gleich verwechselten sie den Autor mit dem Erzähler. Da unabhängig von Gattung und Textsorte an jedes verdächtige Wort dieselbe Messlatte der Orthodoxie angelegt wurde, konnte man so gut wie jeden Satz inkriminieren – oder es auch lassen. Man konnte die Behauptung eines längst verblichenen Humanistenpapsts von der Existenz eines „Glockenturms ohne Glocken” expurgieren, und gewiss konnte man Denis Diderot für den folgenden Satz der Blasphemie und Begünstigung unzüchtiger Handlungen bezichtigen: „Wenn es da droben geschrieben steht, daß Dir Hörner aufgesetzt werden, Jacques, dann kannst Du machen, was Du willst, sie werden Dir aufgesetzt.”
Manchmal droschen die bestellten Gutachter auch so kräftig aufeinander los, dass Drittgutachten eingeholt werden mussten, die wiederum so lange auf sich warten ließen, dass es am Ende der Verhandlungen, wie im Fall Vico, hieß: „Beschlossen wurde nichts.” So sind diese Geheimgutachten des Vatikan eine eher komische als schaurige Lektüre, und man wundert sich nur, warum der Vatikan so lange gezögert hat, einen seiner schwärzesten Hausmythen bloßzustellen. Godman kommt zu dem Schluss: „Daß sich Rom über Jahrhunderte hinweg hartnäckig weigerte, seine Zensurkriterien preiszugeben, lag daran, daß es keine hatte. Oder besser gesagt, es hatte viele: genauso viele Kriterien wie Zensoren.” Und es kommt noch besser: „Viele dieser Hüter der katholischen Rechtgläubigkeit können als lizensierte Anarchisten betrachtet werden: Sie taten, was sie wollten.” Unsere römischen Vorfahren.
VOLKER BREIDECKER
PETER GODMAN: Weltliteratur auf dem Index. Die geheimen Gutachten des Vatikan. Propyläen Verlag, Berlin 2001. 543 Seiten, 58,68 Mark.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der "Index der verbotenen Bücher", den der Vatikan erstmals 1559 verfasste, sollte helfen, sich in den "schwarzen Labyrinthe(n) des gedruckten Wortes" besser zurecht zu finden, schreibt Volker Breidecker. Welche Bücher jedoch auf diesem Index landeten, blieb bis zur Veröffentlichung des vorliegenden Buches rätselhaft, berichtet der Rezensent. Der Tübinger Historiker Peter Godman hat die Geheimgutachten des Vatikan durchstöbert und dabei so einiges herausgefunden: Die Gutachter hätten "geringe oder gar keine Fremdsprachenkenntnisse" gehabt und sich auf "zufällige Denunziationen" verlassen. Auch hätten die "Konsultoren" bis weit ins 20. Jahrhundert nichts darüber gewusst, was den "Charakter eines Romans" ausmacht, berichtet der Rezensent amüsiert: "Erstsemestern gleich verwechselten sie den Autor mit dem Erzähler". Erst 1966 wurde der Index schließlich eingestellt, so Breidecker. Eine "eher komische als schaurige Lektüre" nennt dieser das vorliegende Buch - ihm hat es wohl gefallen.

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