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Sie waren jung, blickten voller Erwartungen in die Zukunft, fühlten sich als Deutsche und gehörten Familien an, die seit Jahrhunderten in Deutschland lebten. Als Hitler an die Macht kam, änderte sich für diese Menschen alles: Als Juden ausgegrenzt und gedemütigt, wurden sie aller Chancen beraubt und am Ende mit dem Tod bedroht. Desillusioniert verließen sie ihre Heimat in alle Himmelsrichtungen - nach Palästina, Fernost, Südamerika oder in die USA. Dem Historiker und Journalisten Walter Laqueur, der durch vielbeachtete und hochgelobte Standardwerke zur Geschichte des Zionismus und zur…mehr

Produktbeschreibung
Sie waren jung, blickten voller Erwartungen in die Zukunft, fühlten sich als Deutsche und gehörten Familien an, die seit Jahrhunderten in Deutschland lebten. Als Hitler an die Macht kam, änderte sich für diese Menschen alles: Als Juden ausgegrenzt und gedemütigt, wurden sie aller Chancen beraubt und am Ende mit dem Tod bedroht. Desillusioniert verließen sie ihre Heimat in alle Himmelsrichtungen - nach Palästina, Fernost, Südamerika oder in die USA. Dem Historiker und Journalisten Walter Laqueur, der durch vielbeachtete und hochgelobte Standardwerke zur Geschichte des Zionismus und zur Kulturgeschichte Deutschlands zwischen 1918 - 1935 bekannt wurde, gelingt in seinem neuen Buch ein facettenreiches Porträt dieser Menschen seiner Generation. In vielen Einzelbiographien kehrt er immer wieder zu der Frage zurück, welche Rolle das gemeinsame Schicksal von Flucht und Exil im Leben dieser Menschen gespielt haben. copyright 3sat online
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2000

Heimatlos in die Welt verstreut
Die aus Deutschland und Österreich in mehr als hundert Länder vertriebenen jungen Juden

Walter Laqueur: Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Seebohm. Propyläen Verlag, Berlin und München 2000. 460 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 48,- Mark.

Etwa zwanzigtausend flüchteten nach der Kriegsentfesselung in den "Wartesaal Schanghai". Der Grund war ganz einfach: "Es war der einzige Ort auf der Welt, für den kein Visum benötigt wurde." Nach dem Krieg haben sich die "Schanghailänder" immer wieder getroffen, wie die aus Bolivien, aus Afrika, aus den exotischsten Ländern der Erde auch - nicht um in oft quälenden Erinnerungen zu schwelgen, sondern um irgendwie zu sich selbst zu finden. Noch Jahrzehnte später wurden viele der in mehr als hundert Länder vertriebenen jungen Juden aus Deutschland und Österreich von Albträumen verfolgt, und manche konnten nie vergessen, wie sie sich Nacht für Nacht in den Schlaf geweint hatten - krank vor Heimweh, ohne Aussicht, Vater und Mutter je wiederzusehen.

Die Rede ist von jenen zehntausend "glücklichen" jungen deutschen Juden, die mit den legendären "Kindertransporten" nach England und in eine Welt gerieten, die den meisten als zutiefst fremd, vielen als ungemein ungastlich galt. Töchter aus großbürgerlichen Berliner Familien mußten als Dienstmädchen lernen, Plumpudding zu kochen, und empfanden das als demütigend. Viele Jungen merkten rasch, daß sie nie eine Chance haben würden, "echte Engländer" zu werden. Als sie älter wurden und das ganze Ausmaß der jüdischen Tragödie begriffen, wurden sie dankbar.

Das kriegsbedrohte England hat im Vergleich zu seiner Größe viel mehr jüdischen Flüchtlingen Zuflucht gewährt als die reichen, sicheren Vereinigten Staaten, die sich später soviel auf ihre Humanität zugute hielten. Bei aller Objektivität schlägt bei Laqueur gelegentlich doch Bitternis durch, so wenn er berichtet, daß die Schweizer "im Juli 1942 beschlossen hatten, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, weil ,das Boot' voll sei", und er in Klammern hinzufügt: "Dieses Dekret blieb etwa ein Jahr lang in Kraft. Keine Anwendung fand es zum Beispiel auf die Mitglieder der Familie Mussolinis, die nach seinem Sturz im Juli 1943 in der Schweiz Zuflucht suchten."

Walter Laqueur war eines jener Kinder, die den Holocaust zufällig und gleichsam "unverdient" überlebten (eine Vorstellung, die viele zeitlebens quälte), aber über sein und das Schicksal seiner eigenen Familie erfährt man in seinem Buch fast nichts - und das ist symptomatisch, analysiert er doch mit dem Scharfblick des objektiven Historikers, warum es so lange gedauert hat, bis die "jüngere Generation" - also die heute "ältere" - bereit war, nach ihren "Wurzeln" zu suchen, selbst wenn diese "in der Luft" hingen, wie es eine Zeitzeugin nannte.

Konnte Israel den Davongekommenen ein "Zuhause" sein? Trotz vieler Schikanen der britischen Mandatsmacht gelangten viele auch nach Palästina - für die einen war das ein elender, primitiver Ort, für die anderen das Land der Verheißung. Die einen kamen mit ihrem Goldfischglas, die anderen nach schrecklicher Odyssee mit buchstäblich nichts als den Kleidern auf dem Leib. Die Zeiten änderten sich, und es gehört zu den aufschlußreichen Passagen des Laqueurschen "Berichts", den Begriff dieses modernen Exodus zu differenzieren: zeitlich, inhaltlich, weltanschaulich, religiös.

Wenn es überhaupt eine Gemeinsamkeit in der "jüngeren Generation" gab, dann war es die der Individualität. Indem Laqueur hartnäckig und unter den verschiedensten Aspekten dennoch nach Gemeinsamkeiten fahndet, beschreibt er unzählige bewegende, grausame, manchmal sogar erheiternde Einzelschicksale und präsentiert damit einen bunten Blumenstrauß jüdischer Existenz. Wie schwierig es trotz einer großen Fülle von Memoiren bleibt, den Strauß zu binden, deutet er selbst mit der Bemerkung an, daß die "Verfolgungen in Deutschland . . . eine Verstreuung der Gemeinden und der Familien in Gang gesetzt (habe), die nicht nur in der jüdischen Geschichte, sondern wohl auch in der jedes anderen Volkes einmalig war." Denkt man an das jüdische Schicksal in der Antike oder an das der spanischen Juden von 1492, so erscheint dieser Satz nur quantitativ richtig, und es erstaunt schon, daß Laqueur auch nicht ansatzweise auf die entsetzliche christliche "Tradition" eingeht, nach der es ebendas ewige (verdiente) Schicksal des Judentums sei, in alle Welt verstreut zu werden - es sei denn, ein Hitler nähme die "Endlösung der Judenfrage" in Angriff.

Auf eine ebenso makabre wie ironische Weise belegt dieses Buch, daß die Nationalsozialisten so unrecht nicht hatten, wenn sie das "Gift des Judentums" in allen "gesunden" Volkskörpern wüten sahen - nur mit dem fundamentalen Unterschied, daß man das Wort "Gift" durch das Wort "Medizin" ersetzen muß. Das Register enthält eine große Zahl von großen Namen aus Wissenschaft, Kultur und Politik, dazu zählen nicht nur Henry Kissinger und Madelaine Albright. Eine minimale Auswahl in alphabetischer Reihenfolge: Améry, Angress, Arendt, Avneri. Man bricht besser bereits hier ab, wenn man diesen Text nicht sprengen will. Laqueurs ganz unpathetisch formulierte Bestandsaufnahme macht deutlich, daß eben nicht nur die ältere Generation - also die Einsteins -, sondern auch die jüngere einen überproportionalen Anteil an Wissenschaft, Kunst und Kultur hatte und noch hat, nun aber nicht mehr überwiegend in Deutschland und Österreich, sondern in der ganzen Welt.

Nur wenige kehrten in das Land zurück, in dem sie geboren waren, Heimat wurde es den allermeisten niemals mehr. Eine heimatlose jüdische Generation? Laqueur sieht das erfrischend nüchtern: "In jüngerer Zeit scheinen sich Ahasvers Spuren" - natürlich wird Stefan Heym erwähnt - "verloren zu haben, auch wenn sich gelegentlich noch Klagen vernehmen lassen, daß man nirgendwo zu Hause sei. Doch es ist keineswegs sicher, daß sich diejenigen, die akut unter dieser Sehnsucht leiden, in einer Welt, die so fragmentiert und ruhelos geworden ist, irgendwo anders heimisch gefühlt hätten, selbst wenn sie ihren Geburtsort nie verlassen hätten."

MICHAEL SALEWSKI

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2000

Generation Exodus
Die jüdische Jugend auf der Flucht vor den Nazis
WALTER LAQUEUR: Geboren in Deutschland, Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933, Propyläen-Verlag, Berlin 2000. 471 Seiten, 48 Mark.
Überleben oder Untergehen – das sind nicht viele Alternativen für ein Leben. Dass es manchmal nur diese gibt, beschreibt Walter Laqueur in seinem Buch „Geboren in Deutschland”, einem Generationsporträt der Kinder jüdischer Familien, denen nach 1933 die Flucht aus Deutschland gelang. Das Schicksal verstreute die rund 80 000 jüdischen Jugendlichen, geboren zwischen 1914 und 1928, in der ganzen Welt – in die USA und nach Palästina, nach Großbritannien, China und in die Sowjetunion.
Der Zeitgeschichtler Walter Laqueur, 1921 in Breslau geboren, hat die Biografie seiner eigenen Generation geschrieben. Er selbst emigrierte 1938 nach Palästina. Später war er fast 30 Jahre lang Direktor des Londoner Institute of Contemporary History and Wiener Library, seit 1971 arbeitet er zusätzlich für das Center for Strategic and International Studies in Washington. Eben weil Laqueur über diejenigen schreibt, mit denen er Alter und Schicksal teilt, geht sein Interesse über ein rein akademisches hinaus. „Geboren in Deutschland” verbindet die biografischen Mosaiksteine Einzelner mit einem größeren politischen und gesellschaftlichen Kontext.
Diese Herangehensweise hat ihren Preis: Das Buch behandelt eine Fülle von Lebenswegen in Kürze, aber die einzelnen Beschreibungen werden selten vertieft. Es sind bekannte Persönlichkeiten darunter, Teddy Kollek etwa, Stefan Heym oder Ruth Westheimer. Schnell wird die unglaubliche Vielfalt an Geschichten deutlich: tragische und glück-liche Zufälle, der rasante Wechsel von Orten, Sprachen, Zugehörigkeit, und manchmal die Annahme einer neuen Identität.
Getto und Widerstand
Man möchte weiterlesen bei den Einzelnen, wissen, wie es ihnen ergangen ist und wie sich alles genau zugetragen hat. Oft aber bremst Laqueur das emotionale Interesse des Lesers zugunsten der akademischen Betrachtung. Er befasst sich mit der Gettoisierung und dem jüdischem Widerstand, mit Fluchtwegen und Kulturkonflikten. So entsteht ein Gesamtbild dieser „Generation Exodus”, das zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber dennoch alle relevanten historischen Aspekte aufgreifen will. Nicht zu Unrecht weist Laqueur allerdings darauf hin, dass eine enorme Anzahl der Exilanten Autobiografien geschrieben hat, welche ihre Schicksale wesentlich detaillierter dokumentieren.
Gleichzeitig äußert Laqueur sein Bedürfnis, die Geschichten einer Generation zu bewahren, deren Angehörige manchmal in fünf Jahren mehr erlebt haben als andere Menschen in ihrem ganzen Leben. Viele der Porträtierten sind mittlerweile gestorben, andere sind sehr alt. Daher ist es gut, dass „Geboren in Deutschland” jetzt erscheint – in einem Moment, in dem dieses Kapitel der Zeitgeschichte zu Geschichte wird.
„Geboren in Deutschland” zeigt, wie die zwangsverordnete Mobilität die Träume, Wünsche und Lebenswege junger Menschen auf den Kopf stellte und gleichzeitig ihr Leben rettete. Henry Kissinger beispielsweise wollte eigentlich Buchhalter werden, am Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn war er US-Außenminister. Für manche wurde das Exil zur Chance, für andere zur totalen Entwurzelung. Laqueur glaubt jedoch, dass die Traumatisierung durch den Heimatverlust für die Generation seiner Eltern weitaus größer war als für die Kinder, die nicht in der gleichen Weise in Deutschland verankert waren. Sie hatten es leichter, sich in anderen Kulturen zurechtzufinden, fremde Sprachen zu lernen und neu anzufangen. Die Flucht bedeutete für sie auch Abenteuer, und viele begriffen erst viel später, wie knapp sie der Katastrophe entronnen waren.
Wie unterschiedlich die Lebenswege auch verlaufen sind – was alle verbindet, ist die Erfahrung der Vertreibung. Laqueur setzt sich in seinem Buch intensiv mit dem Begriff der Heimat auseinander. Dabei zeigt er, dass heute für viele Menschen dieser Generation Heimat nicht mehr der Ort ist, an dem sie geboren wurden, sondern dort, wo sie nun zu Hause sind. Als sie jung waren, konnte Heimat für sie auch bedeuten, im fremden New York wieder Fußball zu spielen oder die mitgenommenen Bücher in deutscher Sprache sorgsam aufzubewahren.
Walter Laqueur hat die erste Geschichte der jüngeren Emigranten vorgelegt. Der direkt nachfolgenden Generation dürfte der Großteil der Fragmente, die seine Arbeit zusammenfügt, bekannt sein. Vermutlich ist Laqueurs Buch für die Generation der Enkel spannender, weil für sie die persönlichen Geschichten und politischen Ereignisse jener Zeit in weiter Ferne liegen.
JENNY FRIEDRICH-FREKSA
Die Rezensentin ist Mitarbeiterin des SZ-Jugendmagazins Jetzt.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Vorwiegend positiv bespricht Jenny Friedrich-Freska diesen Band, auch wenn sie an einzelnen Punkten Kritik anzumerken hat. So findet sie es bedauerlich, dass viele der vorgestellten Lebensläufe nicht stärker vertieft werden. Gerne hätte sie über manche Personen mehr erfahren, wie es ihnen weiter ergangen ist. Dies werde allerdings vom Autor "zugunsten der akademischen Betrachtung" eingeschränkt. Allerdings räumt sie ein, dass Laqueur "nicht zu Unrecht" darauf hinweist, dass viele der Betroffenen selbst Autobiografien verfasst haben, in denen sie die Details ihres Lebens schildern. Zwar scheint der Rezensentin gut zu gefallen, dass der Autor auch politische und gesellschaftliche Aspekte in seinem Buch beleuchtet. Ihr besonderes Interesse gilt jedoch eher persönlichen Fragen, etwa welche Rolle Zufälle in den Lebensläufen spielten, welche Chancen sich durch die Flucht für manche erst ergeben hätten, wie die Betroffenen mit neuen Sprachen, Heimatgefühlen oder Entwurzelung umgehen. Viele hätte erst viel später begriffen, "wie knapp sie der Katastrophe entronnen waren", so die Rezensentin. Die Bedeutung des Buchs liegt für die Rezensentin neben der Darstellung all dieser Aspekte in der Aufzeichnung von Schicksalen mittlerweile sehr alter oder verstorbener Betroffener und der Überlieferung ihrer Geschichte an die "Generation der Enkel".

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr