Marktplatzangebote
17 Angebote ab € 1,50 €
Produktdetails
  • Verlag: Propyläen
  • Seitenzahl: 224
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 399g
  • ISBN-13: 9783549060063
  • ISBN-10: 3549060068
  • Artikelnr.: 24056662
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2000

Angebot an den gefesselten Nachbarn
Frankreich und Deutschland müssen die Politische Union Europas gemeinsam vollenden

Philippe Delmas: Über den nächsten Krieg mit Deutschland. Eine Streitschrift aus Frankreich. Aus dem Französischen von Caroline Gutberlet. Propyläen Verlag, Berlin, München 2000. 224 Seiten, 34,- Mark.

Mit dem dramatischen Titel seiner Streitschrift möchte Philippe Delmas seine Landsleute wachrütteln. Denn wenn die Franzosen sich noch länger gegen die Vertiefung der Europäischen Union sperren, so meint er, dann riskieren sie die Partnerschaft mit Deutschland und Frankreichs Zukunft in Europa. Delmas war von 1991 bis 1993 Sicherheitsberater des französischen Außenministers Roland Dumas und sitzt heute in der Vorstandsetage der französischen Airbus-Industries.

"Von Europa nehmen die Deutschen nur noch den Euro wahr, und das mit Furcht." Den schönen Satz schrieb Delmas Monate vor der Einführung des Euro am 1. Januar 1999. Heute wird er noch richtiger sein. Denn die Furcht der Deutschen ist wohl nicht geschwunden, sondern gestiegen, wahrscheinlich um das Maß, um das der Euro gefallen ist. Delmas' ganze Bewunderung gilt Bundeskanzler Helmut Kohl, der die "titanische Aufgabe" meisterte, "die Deutschen dazu zu bringen, dem Euro beizutreten". Das Opfer war größer, als Delmas ahnt.

Denn Kohl hat seinerzeit nicht nur die Deutschen, sondern auch sich überzeugen müssen: Den Entschluss, die Schaffung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion mitzutragen, "habe er gegen deutsche Interessen getroffen". Das gestand er im Dezember 1989 dem amerikanischen Außenminister Baker.

Den Enkeln Charles de Gaulles mutet Delmas nun ein ähnliches Opfer zu. Die Deutschen haben Währung und wirtschaftliche Souveränität aufgegeben. Jetzt sollen die Franzosen nachziehen und ihr tausendjähriges Staatsgebäude und dessen politische Souveränität ebenfalls an Europa abgeben. Der Einheitswährung müsse die Konvergenz der Gesellschaften und der Ökonomien folgen. Denn die Währungsunion könne ohne Politische Union nicht bestehen. Deren Entwicklung hänge von den Franzosen ab, die sich am heftigsten dagegen wehren: "Frankreich muss folglich den Weg einschlagen, den nur es alleine eröffnen kann: Deutschland die Etablierung gemeinsamer Macht anzubieten."

Ob sich in Paris so bald eine Regierung finden wird, die mit französischen Interessen ähnlich souverän umgeht wie seinerzeit Bundeskanzler Kohl mit den deutschen? Delmas hat Zweifel. Dabei, argumentiert er, könnte sie es und müsste sie es. Das Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion war die "Zähmung deutscher Macht" in Europa. Wenn die Europäer jetzt auf halbem Wege anhalten würden, bliebe nicht nur die Politische Union unvollendet, sondern auch die "Zähmung deutscher Macht". Den Schaden hätte Frankreich. Der Euro würde es Deutschland erlauben, "innerhalb einer Währungsunion zu prosperieren, die weitgehend nach seinen Regeln funktioniert". Das Ergebnis wäre eben jenes "deutsche Europa", das Paris so fürchte. Schon jetzt beobachtet Delmas - und mit ihm womöglich Präsident Chirac -, "dass Deutschland und Österreich zusammengenommen dasselbe ökonomische Gewicht innerhalb der EU haben wie Frankreich und Großbritannien zusammen".

Dazu komme das "besondere Einvernehmen Deutschlands mit seinen östlichen Nachbarn". Delmas stellt sich sogar eine deutsch-russische Freihandelszone Königsberg vor - "nichts Verwerfliches zwar, aber welch ein Symbol!" Die Franzosen müssten sich entweder für die Politische Union entscheiden oder der Konfrontation mit Deutschland ins Auge sehen. Sollte Frankreich Deutschlands Macht sich selbst überlassen, würde der deutsche Nachbar stärker werden als ganz Europa. "Und das", so hat es Delmas bei de Gaulle gelesen, "wird sich nur durch Krieg lösen lassen."

Frankreich habe Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Deutschland. Dazu bestehe jedoch kein Grund mehr, weil Frankreich heute der wirtschaftliche Motor Europas sei: "Deutschland ist heute konservativer und dirigistischer als Frankreich. Seine Wirtschaft ist die am stärksten subventionierte und reglementierte der Welt." Längst seien die Franzosen "die Deutschen Europas geworden". Mit der fast abwiegelnden Deutung der Geschichte Deutschlands, "das von Fall zu Fall mehr Opfer oder mehr Täter gewesen ist als irgendein anderes Land", will Delmas seine Landsleute ebenfalls beruhigen. Meistens wäre Deutschland ein Opfer Frankreichs gewesen: "Von den dreiundzwanzig deutsch-französischen Kriegen der letzten vier Jahrhunderte fanden neunzehn ausschließlich auf deutschem Boden statt." Frankreich habe schon im Dreißigjährigen Krieg darauf hingewirkt, "eine vereinte katholische deutsche Macht ein für alle Mal zu verhindern". Sogar den mörderischen Nationalismus der Nationalsozialisten versteht Delmas auch als Folge "des krankhaften Wunsches Frankreichs, Deutschland ein für alle Mal loszuwerden".

Die von Delmas geforderte Politische Union Europas beschwor schon im September 1946 kein Geringerer als Winston Churchill. Er sprach damals von den "Vereinigten Staaten von Europa" und von der "Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland". Das wird oft zitiert. Nicht so oft zitiert wird, was Churchill als Voraussetzung nannte: den "gesegneten Akt des Vergessens" und das "Ende der Vergeltung". Wo Verzeihen unmöglich sei, werde das Vergessen notwendig, um eine gemeinsame Zukunft überhaupt zu ermöglichen. Vierundfünfzig Jahre später dürfte kein Politiker mehr so sprechen - jedenfalls nicht in Deutschland. Delmas beweist Mut, wenn er darüber dennoch nachdenkt: "Diese Verpflichtung, zu vergessen, gibt es für alle. Nur nicht für die Deutschen, die an eine nicht verjährende Verpflichtung, sich zu erinnern, gefesselt sind: Auschwitz." Aber wie sollen die Deutschen damit leben und wie die Europäer mit den Deutschen? Einen Ausweg aus dem Dilemma findet Delmas nicht. Vielleicht macht er es sich zu schwer. Denn wo die Gefahr des Vergessens nicht besteht, ist die "Pflicht zur Erinnerung" eigentlich entbehrlich.

HEINRICH MAETZKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.07.2000

Stell dir vor, es ist Krieg gegen Frankreich
Und keiner geht hin . . . Ein Franzose über das komplizierte Verhältnis zu den Deutschen
PHILIPPE DELMAS: Über den nächsten Krieg mit Deutschland – Eine Streitschrift aus Frankreich, Propyläen-Verlag, Berlin 2000. 224 Seiten, 34 Mark.
Wer erfahren will, was der Autor wirklich über die Rollen Frankreichs und vor allem Deutschlands in Europa denkt, muss bis zu Seite 200 (von 210 Seiten Text) lesen. „Es gibt wenige, die echten Argwohn gegenüber dem Nachbarn zeigen oder empfinden”, steht dort über die wahren Gefühle beider Völker füreinander. Und die einfache Folgerung lautet: „Frankreich und Deutschland werden entweder gemeinsam mit ihrem Erbe fertig, oder sie gehen gemeinsam daran zu Grunde. ” Das Rezept, wie daraus praktische Politik wird, könnte nicht banaler sein: die gleichzeitige Umsetzung der politischen Union und der Währungsunion.
Als dieses Buch im vergangenen Jahr in Frankreich erschien, erregte es vor allem wegen seines polemischen Titels Aufsehen. Aber der Autor glaubt nicht wirklich daran, dass der Kampf um die Vorherrschaft in Europa auch im 21.  Jahrhundert zwischen Deutschen und Franzosen wieder mit Waffen ausgetragen wird. Das eigentliche Risiko besteht für Delmas darin, dass ganz Europa in einem „Folkloremix” unter amerikanischem Patronat aufgehen könnte, falls beide Nationen darauf beharren sollten, wieder verstärkt ihre nationale Identität zu kultivieren, statt „gemeinsame Macht” zu entwickeln. Für Frankreich ist die Substanz des Buches viel weniger originell als sein Motto.
Seinen Landsleuten empfiehlt der Autor, sich endlich damit abzufinden, dass Politik gegen Geographie nicht Recht behalten kann. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach 1918 und abermals nach 1945 habe Deutschland seinen Platz wieder gefunden, „nicht durch die pathologische Versessenheit auf die Rückeroberung der Macht, sondern allein durch seinen Standort”. Für die meisten französischen Leser dürfte es überraschend sein, durch Delmas zu erfahren, dass sich von 23 deutsch-französischen Konflikten während der letzten vier Jahrhunderte 19 allein auf deutschem Boden abspielten. In national-französischen Geschichtsbüchern seit 1871 las sich die Genesis der Erbfeindschaft anders.
Über dieses solide Gerüst legt das Buch ein historisch-literarisches Gewebe, zitatenreich und wohl formuliert, in dem die immer wiederkehrende Angst vor Deutschland das Leitmotiv ist. Sonst hätte kaum jemand in Frankreich das Buch gekauft oder rezensiert. „Hass” gehört für Delmas zum kollektiven Gedächtnis. Er lässt „Blut in den Adern gefrieren”, bewegt einen „Rosenkranz des Unsühnbaren” oder macht Deutschland zum „zwanghaften Brandstifter der entsetzlichsten Feuer”. Wer solche Sätze in Übersetzung liest, sollte wissen, dass sich in der Pariser Publizistik um das öffentliche Ansehen bringt, wer nüchtern schreibt. Pathos ist für den Augenblick bestimmt, nicht als Fundament weltanschaulicher Gebäude. Autor und Leser geben darauf automatisch Rabatt.
Der „nächste Krieg mit Deutschland” knüpft an ein früheres Werk an, das Delmas „Die schöne Zukunft des Krieges” betitelte. Er hatte darin erläutert, dass der Krieg mindestens für zwei Arten von Auseinandersetzung nie veralten werde. Die eine sei der Kampf um Reichtümer oder Territorien wie in Kuweit. Die andere könne eintreten, wenn Bevölkerungen wie in Bosnien nicht mehr zusammenleben könnten. Es habe auch keinen „atomaren Frieden” gegeben: Der Atomkrieg habe bloß nicht stattgefunden.
Seine Karriere hat dem Autor Einblick in viele Gebiete verschafft. Er hat Mathematik und Wirtschaftswissenschaft studiert, die Elitehochschule ENA absolviert, dem sozialistischen Außenminister Roland Dumas als Berater in Verteidigungsfragen gedient und bei Airbus gearbeitet. Auch an der Begründung der Hilfsorganisation „SOS Prostituierte” war Philippe Delmas beteiligt.
RUDOLPH CHIMELLI
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Sinn dieses "dramatischen" Titels, schreibt Rezensent Heinrich Maetzke, ist für den Autor, von 1991 bis 1993 Sicherheitsberater des französischen Außenministers Roland Dumas", seine Landsleute aufzurütteln, sich endlich für ein starkes Europa zu entscheiden. Hierfür sei jedoch ein Verzicht auf die politische Souveränität der Grande Nation von Nöten, so wie Deutschland - in Gestalt des damaligen Kanzlers Kohl - auf die ökonomische Macht der Deutschen Mark seinerzeit zu Gunsten des Euro verzichtet hat. Die Einbindung Deutschlands in Europa, so argumentiere der Autor, sei nach dem Krieg bekanntermaßen als notwendig erachtet worden, um einen neuerlichen Versuch deutscher Hegemonie zu vereiteln. Aber was ist aus all dem für heute zu schließen? Nach einem Hinweis auf die auch von Dumas festgestellte, gewissermaßen gegen Churchill einzuwendende "nicht verjährende Verpflichtung", sich an Auschwitz zu erinnern, schließt die Besprechung mit der Überlegung, dass man eigentlich nicht an etwas erinnern müsse, das nie vergessen wurde.

© Perlentaucher Medien GmbH