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Als eigensinnige und viel besungene Gefährtin des Jugendstildichters Richard Dehmel ging sie in die Geschichte ein und wurde - fast - mit ihm vergessen: Ida Dehmel. Matthias Wegner zeichnet mit dem Leben der deutschen Jüdin ein dramatisches Schicksal zwischen dem 19. Jahrhundert und dem Nationalsozialismus nach. Er entwirft das brillante Porträt einer faszinierenden Frau, die ihre Kreativität in den Dienst anderer stellte und sich dennoch ihre Autonomie bewahrte. Eine Geschichte, die sich erregend und so reich an Überraschungen liest wie der Roman einer Epoche.

Produktbeschreibung
Als eigensinnige und viel besungene Gefährtin des Jugendstildichters Richard Dehmel ging sie in die Geschichte ein und wurde - fast - mit ihm vergessen: Ida Dehmel. Matthias Wegner zeichnet mit dem Leben der deutschen Jüdin ein dramatisches Schicksal zwischen dem 19. Jahrhundert und dem Nationalsozialismus nach. Er entwirft das brillante Porträt einer faszinierenden Frau, die ihre Kreativität in den Dienst anderer stellte und sich dennoch ihre Autonomie bewahrte. Eine Geschichte, die sich erregend und so reich an Überraschungen liest wie der Roman einer Epoche.
Autorenporträt
Matthias Wegner,geb. 1937 in Hamburg, war nach dem Studium der Literatur- und Kunstgeschichte viele Jahre Verlagsleiter (Rowohlt, Bertelsmann). Er lebt als Autor, Herausgeber und Publizist in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2001

Der Poet auf dem Fahrrad
Matthias Wegners Doppelbiografie über Ida und Richard Dehmel

"Häuser erzählen Geschichten." So schließt Matthias Wegners Buch über den "Lebenstraum der Ida Dehmel". Gemeint ist vor allem jenes Haus in Hamburg-Blankenese, das ein Hamburger Architekt dem Dichter Richard Dehmel gebaut und ein Freundeskreis ihm geschenkt hatte. Betritt man das Haus, dessen untere Räume heute Privatmuseum sind, wird man von gepflegter Jugendstilatmosphäre umfangen; Dehmel selbst hatte Möbel entworfen, Tapeten wurden von Emil Orlik, Lampen von Henry van der Velde beigesteuert. Auf einem Regal im Salon steht die Urne mit der Asche von Richard und Ida Dehmel. Als "besungenste Frau der neueren Zeit" galt Ida dem Dichter-Freund Alfred Mombert, als eine der "großen Liebesgeschichten der Menschheit" feierte der Dehmel-Biograph Julius Bab das Verhältnis der beiden. Zum fünfzigsten Geburtstag 1913 sandte Frank Wedekind ein Telegramm: "Herzlichen Glückwunsch dem größten deutschen Dichter!" Ist von solchen Ruhm mehr als die Asche übriggeblieben?

Matthias Wegner, Autor von Büchern wie "Klabund und Carola Neher" oder "Hanseaten. Von stolzen Bürgern und schönen Legenden", nähert sich der Frage mit erfreulicher, mit hanseatischer Kühle. Auch wenn der Titel die Lebensgeschichte der Frau ankündigt, wirft die Gestalt Dehmels ihren Schatten fast auf jede Seite des Buches. Die Autoren von Künstlerbiographien sind immer in Versuchung, ihre Darstellung durch einen Hochglanz der Porträtierten aufzupolieren. Aber Wegner greift nicht in die Trickkiste: Kein Phönix steigt aus der Asche Dehmels. Wegner sieht den Dichter der Jahrhundertwende aus der kritischen Distanz und mit der Nüchternheit der nächsten Jahrhundertwende. Andererseits fällt er über die Gestalt, die uns so fremd geworden ist, nicht mit unhistorischen oder moralischen Rügen her.

Er führt die Biographien der in Bingen geborenen Ida Coblenz, der Tochter eines wohlhabenden jüdischen Weingutbesitzers und Weinhändlers, und des märkischen Försterssohns Richard Dehmel zusammen, ohne über die Hindernisse hinwegzugaloppieren, die der Ehe der beiden zunächst im Wege standen: Idas Ehe mit dem Berliner Tuchhändler Leopold Auerbach, aus der ihr einziger Sohn hervorging, und Dehmels Ehe mit Paula Oppenheimer, der Tochter des Rabbiners in der Berliner Reformgemeinde. Paula, mit der Dehmel drei Kinder hatte, wurde später eine bekannte Kinderbuchautorin. Die beiden Ehen konnten nicht haltbar sein, weil Ida und Richard Dehmel unaufhaltsam aufeinander zutrieben. Dehmel hat dieses Einander-verfallen-Sein dichterisch kommentiert: in "Zwei Menschen" (1903), einem "Roman in Romanzen" - dem Kultbuch der Zeit.

Wie ein steinerner Gast steht am Weg Idas zu Dehmel der Binger Landsmann Stefan George. Man traf sich in Bingen - die junge Ida wäre bereit gewesen, in einen Orden Georges als Schwester einzutreten. Aber die hohe Stirn des jungen George bewölkte sich, als ihm Ida, die Dehmels "Erlösungen" gelesen hatte, Dehmel als "Mitarbeiter" empfahl. Der Priester geistiger Schönheit und der Prophet der befreiten, den Lebenshunger befriedigenden Sinnlichkeit, sie ließen sich nicht unter denselben "Stern des Bundes" bringen. Als sie sich später in Idas Anwesenheit begegneten, gingen sie wortlos aneinander vorbei. Da war die Binger Freundschaft längst zerbrochen.

Was macht uns die Liebessprache Dehmels heute so unerquicklich? "Unerträglich verschwärmt" nennt sie Wegner, weitaus weniger modern als ihre Vertonungen durch Arnold Schönberg. Geradezu schwülstig erscheint uns das Vokabular des Seelenaufruhrs, das immer gleich nach den Sternen greift. Ida läßt sich infizieren. Wie ein Sturm, so schreibt sie in einem Brief, kommt Dehmel über sie: "Meine Brüste sind wie zwei Wellen, die an Land schäumen wollen, und das Land bist Du."

Ida verstand sich als Mittlerin und Maklerin der Kunst. Ihr großes Vorbild war Rahel von Varnhagen. Schon als Ida Auerbach residierte sie in der Berliner Tiergartenstraße in einem Salon, später machte sie in Hamburg Dehmels Haus zu einem kulturellen Sammelpunkt. Sie schloß sich der Frauenbewegung an, nicht als militante Feministin, aber als Kämpferin für das Wahlrecht der Frauen. Ihr bleibendes Verdienst ist die Gründung der Gedok, der "Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine", im Jahr 1927.

Dehmels schriftstellerische Anfänge wurden noch durch den sich verabschiedenden Naturalismus abgesegnet, und Gedichte wie "Der Arbeitsmann", "Vierter Klasse" oder "Mailied" standen bei der Arbeiterbewegung und dann in der DDR in hohem Ansehen. Seine Freundschaft mit Detlev von Liliencron hielt seinen Nietzsche-Kult in Grenzen, er blieb auf Distanz zu den Extremen der Dekadenzliteratur und der mythologisierenden "Kosmiker". Er war ein robuster Wanderer und wohl der erste Poet auf dem Fahrrad - viel zitiert jedenfalls wurde sein Gedicht "Radlers Seligkeit" mit dem Refrain "Ich radle, radle, radle" und der berlinernden Schlußpointe: "Noch Joethe machte das zu Fuß, / und Schiller ritt den Pegasus. / Ich radle." Er profitierte von den zur Mode werdenden Lesereisen und ließ sich seine Auftritte als Rezitator durch eine Konzertagentur vermitteln.

Der Sportsgeist schlug in Geistestrübung um, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Man wird dem Mann, dessen Frauen Jüdinnen waren, keine Deutschtümelei und keinen Antisemitismus unterstellen können, aber mit dem Ausbruch des Kriegs, mit dem Begeisterungssturm, der den Dichterhain (auch in anderen kriegführenden Nationen) durchrauschte, setzte doch das traurigste Kapitel in Dehmels Schriftstellerlaufbahn ein. Hatte er schon früher den Krieg als "höchsten Mannesrausch" herbeigesehnt, so meinte er jetzt als Freiwilliger in den Schützengraben der Westfront wie in einen Jungbrunnen zu steigen, pries das Soldatenleben trotz der Toten um ihn her als Genuß und bombardierte die Zeitungsredaktionen in Deutschland mit den flammenden Parolen seiner Feldpostkarten. Man beförderte ihn sofort zum Unteroffizier, und dennoch fühlte er sich, als "Feldmarschall oder Reichskanzler" in seinem "geistigen Berufsgebiet", nicht genügend geehrt. Den Chauvinismus teilte er zunächst mit anderen Schriftstellern und Intellektuellen, aber im Unterschied zu vielen ließ er sich durch die Realität des Krieges nicht belehren. Später strickte er mit an der Dolchstoßlegende, bezichtigte die Deutschen, ihre Bestimmung zum "Herrschervolk" verfehlt zu haben. An den Folgen einer Kriegsverletzung starb er 1920.

Ida Dehmel widmete sich der Aufgabe, das Erbe zu verwalten und den Brief-Nachlaß zu erschließen, nun im Bewußtsein einer Gralshüterin. Ihr Lebensende war wie ein Hohn auf ihren Lebenstraum. Im Namen ebenjenes "Herrschervolks", das ihr Mann zur Pflicht gerufen hatte, wurde das jüdische Volk zum Untergang verurteilt. Als im Zweiten Weltkrieg die ersten Judentransporte Hamburg verließen, gelang es Freunden noch, die Frau des nationalen Dichters von der Deportation freizustellen. Aber in Ida Dehmel saßen die Schrecken zu tief. Am 29. September 1942 nahm sie sich das Leben.

Matthias Wegner hat mit großer Sorgfalt das Werk Dehmels, die Briefwechsel sowie den Nachlaß im Hamburger Dehmel-Archiv ausgewertet. Der Preis für die Gewissenhaftigkeit ist eine gelegentliche stilistische Umständlichkeit oder, in den Kommentaren zwischen längeren Zitaten, die Anpassung an den Wortgebrauch der früheren Epoche. Angesichts der Parteinahme Wegners für die Frauenbewegung wirkt beispielsweise ein Satz wie "Drei Kinder gebar sie ihrem Mann" etwas altväterlich. Solche Steifheiten aber macht die plastische Darstellung der Lebensläufe und ihres zeitgeschichtlichen Umfelds wett. Eine Doppelbiographie ist entstanden, in der sich hinter den Geschicken der Individuen und den Aufschwüngen, Kuriositäten und Abwegen der Literatur hart die Konturen unserer Geschichte abzeichnen.

WALTER HINCK.

Matthias Wegner: "Aber die Liebe. Der Lebenstraum der Ida Dehmel". Claassen Verlag, Econ Ullstein List Verlag, München 2001. 416 S., geb., 44,90 DM.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2001

Die Besungenste
Matthias Wegner
porträtiert Ida Dehmel
Wenn man weibliche Fans, die mit ihrem Idol sexuelle Kontakte suchen oder haben, als Groupies bezeichnet, dann gehörte Ida Coblenz zu diesem Kreis, hundert Jahre bevor der Begriff in Mode kam. 1892 äußerte sie über den Dichter Richard Dehmel: Er „ist einer von den ganz Großen. Ich wollte, ich wäre das Weib, das er liebt.” Das hatte sie so ähnlich auch Stefan George angetragen, der wie sie aus Bingen stammte. Der hatte es aber dann aus nahe liegenden Gründen bei einem Seelenbund belassen, weshalb die 25-Jährige 1895 den Kaufmann und Konsul Auerbach aus Berlin heiratete. In Berlin richtete sie einen literarischen Salon ein, in den sie auch Fontane einlud. Die Ehe mit dem biederen und weniger erfolgreichen Geschäftsmann geriet ihr zum Martyrium. Denn Ida Auerbach fühlte sich zu Höherem berufen. Weil sie sich in kluger Selbsteinschätzung eigene künstlerische Produktion versagte, wollte sie „Maklerin zur Kunst” sein. Indem sie diesen Lebenstraum gegen große Widerstände durchsetzte, wurde aus dem Mädchen aus der Provinz, die, wie der Dichter Alfred Mombert schrieb, „besungenste Frau der neueren Zeit”.
Ihr Biograf Matthias Wegner sieht sie gar als Modell für die Gegenwart und gestaltete ihre Lebensgeschichte zum Kulturpanorama. Im Kaiserreich hatten Positivismus und Industrialisierung die metaphysischen Bindungen erkalten lassen. An die Stelle traditioneller Werte trat die grenzenlose Autonomie der Kunst. Ein Künstler, der der Untergangsstimmung des „Fin de siècle” seinen sanguinischen Vitalismus entgegenstellte, war Richard Dehmel, Mitbegründer der Zeitschrift Pan. An diesen wandte sich nun die Frau Konsulin mit schwärmerischen Worten, zunächst brieflich, dann ganz persönlich. „Da fiel der Blitz in Dehmels Seele”, glaubt dessen Biograf Julius Bab. Dehmel bekämpfte die Enge der wilhelminischen Gesellschaft mit schwülstigen Versen. „Aber die Liebe” heißt sein zweiter Gedichtband, in dem er Sinnlichkeit mystisch übersteilt, ein Unterfangen, das wenig später Thomas Mann in seiner Erzählung „Tristan” bespöttelt. Was sich auf dem Papier als höchstes Wagnis feiern lässt, führt im Leben zu mancherlei Konfusion. Erst nach einigem Zögern war der Dichter bereit, für seine Geliebte die Gattin, drei Kinder und einige andere Frauen aufzugeben. Sich und Ida macht er in gesteigerter Produktion Mut: „Stolpert auch Jeder über Leichen, / schaudre nicht davor zurück! / Denn es gilt, o Mensch, ein Glück / ohne gleichen zu erreichen.” Weil sie einen „individuellen Lebensentwurf” wagten, wurden die beiden für kurze Zeit „das Traumpaar” einer Epoche, die ihre bösen Ahnungen in einem Rausch der Sinne und der Schönheit zu ertränken suchten.
Im Ersten Weltkrieg verlor Ida ihren einzigen Sohn. Dehmel, den sie geheiratet hatte, weil die Tabubrecherin letztlich doch „keine zigeunerhaften Zustände” ertragen konnte, meldete sich, mehr als 50-jährig, freiwillig zum Krieg und wurde ein germanisch-patriotischer Reimeschmied. Die Demokratie sah in dem Verfechter der Dolchstoßlegende nur mehr den Störenfried. Nach Dehmels Tod (1920) widmete sich Ida dem Nachlass und gründete eine der zahlreichen Künstlerinnen-Vereinigungen der Weimarer Republik. Weil sie das Erbe eines deutschnationalen Dichters verkörperte, entging die Jüdin in der Nazizeit zunächst der Verfolgung. Als sich gleichwohl die Schlinge um sie enger zog und überdies die Auswirkungen einer Krankheit unerträglich wurden, schied sie 1942 freiwillig aus dem Leben.
Wegner hat das Leben dieser großen Liebenden, das selbst „einem Roman gleicht”, vornehmlich aus Quellen des Hamburger Dehmel-Archivs recherchiert. Er hat ihr einen Platz eingeräumt unter jenen Frauen, welche, wie Lou Andreas- Salomé oder Frieda von Richthofen, durch das Exzeptionelle ihre Existenz die Künstler inspirierten. Sein Porträt besticht durch kritische Distanz, wenn er resümiert, dass „die träumerische Weltflucht” und der „grenzenlose Subjektivismus” einer ganzen Generation von Künstlern, die in Ida ihre Muse sahen, den Boden bereiteten für eine Verblendung, die das Unheil nicht erkennen konnte.
HERIBERT HOVEN
MATTHIAS WEGNER: Aber die Liebe. Der Lebenstraum der Ida Dehmel. Claassen Verlag, München 2000. 415 Seiten, 44,90 Mark.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ida Dehmel könnte man als eines der ersten Groupies bezeichnen, schreibt Heribert Hoven. Zwar gab es Ende des 19. Jahrhunderts noch keine Rockstars, aber sexuelle Kontakte suchte auch sie zu ihren Idolen, etwa zu Stefan George, der es bei einem "Seelenbund" bewenden ließ oder zu Richard Dehmel, der der Leidenschaft der Berliner Salondame erlag und ihr zweiter Ehemann wurde, informiert der Rezensent. Die Jüdin Ida Dehmel, das "Mädchen aus der Provinz", 1870 geboren, 1942 - gezeichnet von einer schweren Krankheit und der Judenverfolgung ausgesetzt - durch Selbstmord verstorben, erfüllte sich einen Lebenstraum. Sie wurde eine Art "Maklerin der Kunst" und inspirierte "durch das Exzeptionelle ihrer Existenz" zahlreiche Literaten. Hoven lobt die kritische Distanz ihres Biografen Matthias Wegner, der in der "träumerischen Weltflucht" dieser Muse der Schriftsteller einen Menschen porträtiere, der wesentlich zur Verblendung einer ganzen Künstlergeneration beigetragen habe.

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