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Den Höhepunkt der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert bildete die in Paris 1867. In ihrem vermessenen Anspruch ist sie ein großartiger Spiegel des Zeitalters der Industrialisierung: Voller Aufbruchsstimmung reflektiert sie dessen optimistische wie ausbeuterische Natur. Aber auch die Krisen des imperialistischen Zeitalters werfen schon ihre Schatten voraus. Volker Barth gelingt es in bewundernswerter Weise, an diesem Beispiel die Mentalität der Welt um die Mitte des 19. Jahrhunderts einzufangen.

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Produktbeschreibung
Den Höhepunkt der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert bildete die in Paris 1867. In ihrem vermessenen Anspruch ist sie ein großartiger Spiegel des Zeitalters der Industrialisierung: Voller Aufbruchsstimmung reflektiert sie dessen optimistische wie ausbeuterische Natur. Aber auch die Krisen des imperialistischen Zeitalters werfen schon ihre Schatten voraus. Volker Barth gelingt es in bewundernswerter Weise, an diesem Beispiel die Mentalität der Welt um die Mitte des 19. Jahrhunderts einzufangen.
Autorenporträt
Volker Barth, geb. 1974, promovierte 2004 in München und Paris und ist seitdem Post-doc research-fellow an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Paris.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2007

Die besten Austern! Die größten Kanonen!
Die „Exposition Universelle” von 1867, zeigt Volker Barth, wollte die Welt von Paris aus noch einmal erschaffen
In dem Text „Über die Strenge der Wissenschaft” beschreibt Jorge Luis Borges ein Land, in dem die Kartographie so hoch entwickelt gewesen sei, dass dessen Karte sich in allen Punkten mit ihm, dem Land, gedeckt habe. Dieses Projekt erscheint so phantastisch wie unhandlich; am Ende haben Land wie Karte sich in eine wüste Gegend verwandelt, in der von Wissenschaft keine Rede mehr ist. Doch wie sonst ließe sich die Welt darstellen?
Im Jahre 1867 präsentierte man eine Lösung, die nur gut 460 000 Quadratmeter beanspruchte. Das entsprach der Fläche des Pariser Marsfeldes. An jedem der 217 Ausstellungstage der „Exposition Universelle de 1867” drängten sich dort rund 50 000 Besucher, um zu bestaunen, was über 52 000 Aussteller aus 49 Ländern zu zeigen hatten. Insgesamt elf Millionen Besucher sahen, was neben Frankreich, England, den USA, Russland und dem Osmanischen Reich auch Nationen wie Liou-Kiou, Hawaii, Andorra, Hessen, Bayern, Preußen und Neu-Grenada mitgebracht hatten.
Die nach der Londoner „Great Exhibition” von 1851 nunmehr vierte Weltausstellung hat in Paris – anders als die von 1889 mit dem Eiffelturm – keine bleibenden architektonischen Spuren hinterlassen. Doch sie war, wie Volker Barth in seiner so materialreichen wie luziden Dissertation im Geiste eines Walter Benjamin darstellt, in mehrfacher Hinsicht innovativ. Wegen Platzmangels in der zentralen Ausstellungshalle etablierte sie das Konzept der Nationalpavillons, das künftige Ausstellungen prägen sollte. Ihre Dauerkarten zählten zu den ersten Lichtbildausweisen, und die Vielzahl der Produkte gab der Diskussion um ein internationales Patentrecht wichtige Impulse. Zu ihren Attraktionen zählten ein Aufzug, der Heißluftballon des Fotografen Nadar und zwei Aquarien, die man aus kommod eingerichteten künstlichen Grotten von unten besichtigen konnte. Zudem wurde eines der wichtigsten Bauvorhaben des 19. Jahrhunderts, der Suezkanal, von seinem Betreiber Ferdinand de Lesseps präsentiert.
Wichtiger als solche spektakulären Zahlen und Exponate war den Veranstaltern jedoch der universelle ideelle Anspruch, der durch ein Verkaufsverbot gegen die kommerziellen Interessen der Aussteller geschützt werden sollte. Die Welt, so Barth, sollte unter französischer Leitung nicht nur dargestellt, sondern in einer neuen Genesis und „ausgehend vom französischen Beispiel noch einmal erschaffen werden.”
Das vielfach gegliederte Herzstück war die große Ausstellungshalle mit rund 153 000 Quadratmetern Fläche. Um einen elliptischen Garten herum waren die Themengruppen der Ausstellung in Ringen angeordnet, aus denen sich die einzelnen Nationen mehr oder weniger große Tortenstücke herausgeschnitten hatten. So konnte man entweder internationale Rundtouren durch die Schwerpunktthemen machen oder die nationalen Querschnitte durch die verschiedenen Themengruppen anschauen.
Auf die kleinste Ellipse der schönen Künste folgten die Gruppen Materialien und Anwendung der freien Künste, Möbel, Kleidung, Bergbauprodukte, Instrumente und Verfahren der Industrie und Lebensmittel. Die achte und neunte Gruppe mit Landwirtschaft und Gartenbau waren naturgemäß ausgegliedert. Die anspruchsvollste Gruppe der „Objekte, die eigens zur körperlichen und moralischen Verbesserung der Bevölkerung ausgestellt werden”, bildete einen konzeptionellen Schwerpunkt. Schlüsselworte waren Arbeit (travail) und Fortschritt (progrés), und da französische Aussteller allein schon die Hälfte des Palais d’Exposition bestückten, war unverkennbar, welche Nation den Fortschritt anführen wollte.
Ausgehend von einem Kapitel über die Politik der Symbole, die die Ausstellung mit zahlreichen Staatsbesuchen umrahmte, zeigt Volker Barth, wie deren Konzeption den Anspruch, alle Orte der Welt zu repräsentieren, in den eines utopischen Fortschrittmodells transformierte. Dazu gehörte es, auch nichteuropäische Nationen keineswegs als grundsätzlich anders zu verstehen, sondern deren Fremdheit aufzuheben, indem man sie auf der Zeitskala dieses Modells in einer früheren bis primitiven Entwicklungsphase einordnete. Ihre bisherige wie künftige Entwicklung erschien so nicht als Folge von nationalen Eigenarten, sondern als Funktion von Zeit und Arbeit. Ähnliches sollte auch für Frankreichs Gesellschaft gelten. Modelle von preiswerten Arbeiterhäusern und erschwinglichen Gebrauchswaren suggerierten den durch Zuschüsse auf das Marsfeld gelockten Arbeitern ein gesichertes Leben in wachsender Prosperität.
Mit der Realität von 1867 hatte diese harmonische und paternitäre Utopie wenig zu tun. In die Planungs- und Bauphase von 1863-67 fielen der amerikanische Bürgerkrieg und die Schlacht von Königgrätz. Beides war, wie das Attentat auf den Zaren Alexander II. in Paris und die Hinrichtung Kaiser Maximilians von Mexiko, auf dem Marsfeld kein Thema. Auch dass Bismarck und Moltke „Paris umschlichen, wie Einbrecher einen Geldschrank, bevor sie ihn aufbrechen”, wie es später hieß, wurde geflissentlich ignoriert. Dabei hatte der Industrielle Alfred Krupp das passende Werkzeug, die größte Kanone der Welt, anlässlich der Ausstellung schon einmal an die Seine bringen lassen.
Aber die Auflösung der Weltausstellung vollzog sich für Barth nicht durch äußeren Druck, sondern von innen her. Wie die große Karte bei Borges verfiel auch ihr strenger Anspruch. Er unterlag den Wünschen nach Unterhaltung und Kommerz, die man durch das Verkaufsverbot und die Einrichtung eines besonderen Gürtels von Restaurants und Zerstreuungsangeboten hatte eindämmen und kanalisieren wollen. Der utopische Ort wurde zum Volksfest, zum Wurstelprater und zum Kaufhaus, was Le Figaro dazu veranlasste, seine Berichterstattung demonstrativ einzustellen.
Fragwürdig war die Konzeption der Weltausstellung für Barth allerdings schon wegen ihrer ideologischen Verblendung, die verhindert habe, das Fremde und Inkommensurable zu erfassen. Entgegen dem eigenen Vollständigkeitspostulat seien „Bettler, Arbeitslose, Friedhöfe, Bordelle, Gefängnisse und Banken” nicht auf dem Marsfeld repräsentiert gewesen. Auch die unbearbeitete Natur sei nicht zu sehen gewesen.
Für die Ausstellung der Austernzucht Régneville hat Barth nur die abschätzige Wertung übrig, hier sei „die Natur zum Produkt” verkommen. Doch da schießt die ideologiekritische Darstellung übers Ziel hinaus: Die Feier des Fremden und der unkultivierten Natur entsprach nicht dem Denken des 19. Jahrhunderts, und wer würde einem Winzer vorwerfen wollen, in seinen Kellern verkämen Trauben zu Wein und Champagner? Angesichts der vielen Industrieprodukte, die von Barth nur beiläufig und quantitativ erfasst werden können, drängt sich hier eine Frage auf, die vom Autor nicht gestellt wird: Wuchs hinter den „Benutzeroberflächen” der Maschinen nicht schon eine neue Fremde heran, ein verborgenes Universum seltsamer Bauteile und Apparaturen, die in einer arbeitsteiligen Welt nur noch Spezialisten zu identifizieren und zu bedienen wussten?
Barth hebt wiederholt den „Ausstellungsimperativ der Rentabilität” hervor, der in Widerspruch zu dem Verkaufsverbot stand, denn beim Gros der Exponate handelte es sich nicht um exotische Wunderwerke, sondern um Waren. Gerade im Verfall der Weltausstellung beschreibt Barth so deren Entpuppung als Weltmarktplatz. Die den Titel gebende Konfrontation „Mensch versus Welt” kulminierte dabei in einem Fest der ungezügelten Aneignung.
Frankreich hat die 1867 für sich reklamierte Rolle als Neuschöpfer der Welt nicht erringen können, doch diese Weltausstellung und die ihr folgenden machten Paris zur Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. So sandte die „extreme Verdichtung des Raumes” auf dem Marsfeld ihre gebündelte Dynamik noch über ihre Aufsprengung durch Kommerz und Zerstreuung hinaus aus – und vielleicht gerade dadurch. Volker Barths eindrucksvolle Studie zeigt, welche Impulse die Welt durch ihre Fokussierung auf dem Marsfeld erhalten hat. ULRICH BARON
VOLKER BARTH: Mensch versus Welt. Die Pariser Weltausstellung von 1867. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007. 472 Seiten, 79,90 Euro.
Heißluftballon und Suezkanal – es ging um Arbeit und Fortschritt
Die Deutschen umschlichen Paris wie Einbrecher einen Geldschrank
Mon dieu! Mit diesem Prachtstück demonstrierte die Firma Krupp 1867 in Paris ihre Leistungskraft und die der deutschen Industrie insgesamt. Foto: bpk 1812 - 1887]
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als "luzide Dissertation im Geiste eines Walter Benjamin" lobt Rezensent Ulrich Baron diese Studie über die Pariser Weltausstellung von 1867, mit der die Welt noch einmal auf dem Marsfeld geschaffen werden sollte. Wie Baron klarstellt, war dies nicht die Ausstellung mit dem Eifelturm, zu den Attraktionen von 1867 gehörten ein Aufzug, ein Heißluftballon und Krupps größte Kanone der Welt. Wie der Rezensent darstellt, geht es Volker Barth vor allem darum zu zeigen, dass die "Exposition Universelle" nicht nur an ihrem Anspruch scheiterte, nicht kommerziell zu sein, sondern auch an ihrer "ideologischen Verblendung", die das "Fremde und Inkommensurable" nicht zulassen konnte, die der Realtität von 1867 - dem amerikanischen Bürgerkrieg, dem Attentat auf Zar Alexander, der Hinrichtung des mexikanischen Kaisers Maximilian und dem sich ankündigenden Krieg mit dem Deutschen Reich - keine Beachtung schenkte. Dies alles findet Baron sehr eindrucksvoll von dem Autor dargestellt, wie er abschließend notiert.

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