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Der Protestantismus ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Über 500 Jahre hinweg haben die evangelischen Kirchen die Geistes- und Religionsgeschichte ganz Europas geprägt. Der bekannte Kirchenhistoriker Martin Greschat beschreibt diese europäische Geschichte, in dem er Schlaglichter auf die entscheidenden Epochen der Entwicklung des Protestantismus wirft. Neben Luthers Reformation werden die Aufklärung und die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts beschrieben. Aber auch politisch wirksame Phänomene, wie der protestantische Nationalismus im Deutschen Kaiserreich oder die Ökumene als das große…mehr

Produktbeschreibung
Der Protestantismus ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Über 500 Jahre hinweg haben die evangelischen Kirchen die Geistes- und Religionsgeschichte ganz Europas geprägt. Der bekannte Kirchenhistoriker Martin Greschat beschreibt diese europäische Geschichte, in dem er Schlaglichter auf die entscheidenden Epochen der Entwicklung des Protestantismus wirft. Neben Luthers Reformation werden die Aufklärung und die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts beschrieben. Aber auch politisch wirksame Phänomene, wie der protestantische Nationalismus im Deutschen Kaiserreich oder die Ökumene als das große Projekt des Protestantismus im späten 20. Jahrhundert, kommen in den Blick. Ein Ausblick auf die Zukunft des Protestantismus schließt diesen knappen und gut lesbaren Band ab.
Autorenporträt
Martin Greschat, geb. 1934, war Professor für Kirchengeschichte an der Universität Gießen. Zahlreiche Veröffentlichungen, insbesondere zur Reformationsgeschichte und zur kirchlichen Zeitgeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.09.2005

Stirbt der Protestantismus?
Die Reformation und ihre Zukunft in Europa
Zweifelsohne ist die Gestalt des Christentums, die von der Reformation des 16. Jahrhunderts ausging, zusammen mit dem römischen Katholizismus und der östlichen Orthodoxie ein wesentlicher Faktor des Werdens des modernen Europa. Zweifelhaft ist dagegen, wo und wie dieser Faktor aktuell präsent ist, und strittig bleibt, wie man dieses religiöse Erbe der europäischen Kultur normativ zurechnen darf oder muss. Schon die mögliche Wortwahl „reformatorisch”, „evangelisch”, „protestantisch” signalisiert hier Ambivalenz. Was war also und bewirkte „die Reformation”?
Dieser Frage widmet sich der Kieler Historiker Olaf Mörke im Rahmen der „Enzyklopädie deutscher Geschichte”. Er bietet zunächst einen Überblick über den „Ereigniskomplex Reformation” im deutschen Reich - von 1517, dem Thesenanschlag Luthers, bis 1555, dem Augsburger Religionsfrieden. Bis 1525 stehen die theologischen Anliegen Luthers und Zwinglis im Vordergrund; bis 1530 der Bauernkrieg, die reichspolitische Dimension des religiösen Impulses und die Institutionalisierung des neuen Glaubens; bis 1548 die Formierung politisch-konfessioneller Blöcke, das Täuferreich Münster und das Scheitern letzter Einigungsversuche; und bis 1555 Fürstenkrieg und Religionsfriede. Präzis, kompakt, doch gut lesbar wird hier der Stand des Wissens der neueren, interdisziplinären und internationalen Forschung vorgestellt.
Der Leser wird keineswegs mit der Illusion beruhigt, dass die gängige Platzierung der „Reformation” zwischen 1517 und 1555 schon hinreichend bestimme, um was es sich dabei handle. Da die Chronologie ein heuristisches Konstrukt ist, eröffnet uns der Autor den „Kommunikationszusammenhang Reformation”. Er akzeptiert also das Neben-, Mit-, ja Gegeneinander auf jenen Handlungs- und Diskursfeldern, die man als „die Reformation” bezeichnen kann: „Glaube”, „Gesellschaft”, „Politik”. Das ist also, im Sinne des cultural turn, der politisch-institutionelle Kommunikationsraum Deutschland und die nicht an Institutionen gebundene Kommunikation von Ideen und ihren Trägern. So lassen sich die Handlungsfelder, die politische Bedeutung der causa religionis, aber auch das uns so rigide erscheinende Ordnungsverständnis nachvollziehen, das Altgläubigen und Reformatoren, etwa gegenüber den Wiedertäufern, gemeinsam war.
Glauben und Wissensdynamik
Diese Perspektivik des Erinnerns wird noch geschärft durch die in dieser Reihe des Verlags Oldenbourg übliche Darstellung der Forschungslage. Die Reformationsforschung hat ja inzwischen die Reformation als Epoche und die Kohärenz ihres Prozesses zur Diskussion gestellt. Der Zusammenhang spätmittelalterlicher und reformatorischer Frömmigkeit, die Verflechtung von Reformation und gesellschaftlicher Struktur (Stadt, Land, Adel, Territorien), die Kirchenkritik der Laien, der Zusammenhang von Frömmigkeit und kulturellem Wandel, der Konnex von Reformation, Öffentlichkeit und Medien - all dies hat die Forschung zur Dynamisierung des Epochenbegriffs genötigt. Dabei gehen Profan- und Kirchengeschichte einig in ihrer Einschätzung der reformatorischen Dynamik als einer religiösen, in der Wahrnehmung der Pluralität der Reformation und in der schärferen Unterscheidung zwischen ihrer „Durchsetzung” nach 1525 und ihrer „Wirkungsgeschichte”.
Ganz anders stellt Martin Greschat „lebendige Vergangenheit” vor. Der Gießener Kirchenhistoriker erinnert in seinem Buch „Protestantismus in Europa” in acht Kapiteln an Voraussetzungen und Perioden der gemeinsamen, wenn auch in Brechungen verlaufenen Geschichte der Protestanten in Europa, um nach ihrer Zukunft zu fragen - mit der Worten des Religionssoziologen Jean Baubérot: „Muss der Protestantismus sterben?”
Diese Frage lenkt den Blick der Erinnerung über 1517 zurück auf die Gesamterscheinung des Christentums: eine Botschaft, die plural überliefert und, anders als der Islam, in immer neue kulturelle Kontexte übersetzt wurde. Und als „Grundgebenheiten Europas” (es ist immer Westeuropa, die alte „Christianitas” gemeint) nimmt Greschat an, was seit Augustin immer neu thematisiert wurde: die Unterscheidung von weltlicher Macht und Kirche, die Bedeutung des Individuums, seiner Freiheit und Verantwortung, sowie die Fähigkeit der Vernunft, den Glauben denkend zu erfassen und so eine Dynamik des Wissens in Gang zu setzen.
Vor diesem Hintergrund beschreibt das Buch die Reformation, die Aufklärung, die Erweckungen und die ökumenische Bewegung. Weniger die historische Periode als vielmehr die wirkmächtige Bewegung ist gemeint; so werden etwa - mit Recht - Aufklärung und Erweckung als so gut wie zeitgleiche Phänomene des 17. bis 19. Jahrhunderts dargestellt. Eingeschoben sind die Verflechtungen des Protestantismus mit den west- und osteuropäischen Nationalismen, besonders auch die Rolle der deutschen, seit 1789 politisch verunsicherten Theologie bis zu den Wunschträumen von 1933. Diese Beschreibungen lesen sich plausibel; sie setzen mit vielsagenden historischen Szenen ein und greifen nicht selten in anschauliche Details aus (der Nachweis der Zitate lässt allerdings zu wünschen übrig). Die nationalen Unterschiede werden ebenso notiert wie strukturelle Gemeinsamkeiten des „Protestantismus”.
Kein Platz für J. S. Bach?
Während die nationalistischen Fixierungen sich vielerorts aufgelöst haben, konstatiert der Autor als ein gemeinsames Vermächtnis von Aufklärung und Erweckung die Autonomie des Individuums gegenüber den Institutionen sowie die Autonomie der Gesellschaft, die „mündige Welt” - beides Voraussetzungen sowohl der spezifisch protestantischen Existenzgewissheit als auch des politischen Liberalismus mit der Forderung der Toleranz und der Annahme vorstaatlicher Grundrechte.
Die aus erwecklichem Geist gespeiste ökumenische Bewegung stellt für Greschat in ihrem überkonfessionellen und internationalen Charakter, aber auch in ihrer nichttheologischen, sozial engagierten Dynamik ebenfalls ein Positivum für die Zukunft des Protestantismus dar. Die Reformation kommt da zu stehen als die rechtfertigungstheologische Stärkung des in seinem Gewissen freien Individuums und als ein mächtiger Schub zur Diesseitigkeit in Beruf und Politik.
Diese sympathischen Stilisierungen dürften manchen Leser dennoch einseitig anmuten. Etwa dem Historiker: Das Zeitalter der Konfessionalisierung ist bei Greschat nur am Rande dargestellt, ganz im Zeichen der konfessionellen Selbstdisziplinierung nach innen und der Intoleranz nach außen; nur zögernd spricht Greschat von „protestantischer Kultur”, und bei der „Diesseitigkeit” vermisst man den Blick auf Naturwissenschaft und Technik. Aber auch der Laie - ob innerhalb oder außerhalb der Kirche - wird sich wundern, dass die Erinnerung an die dichterische und musikalische Tradition abhanden gekommen ist - sollten die Lieder von Paul Gerhardt oder die Kirchenmusik von J. S. Bach nicht auch in zur Zukunft des Protestantismus gehören? Und wie steht es mit den existierenden evangelischen Kirchen?
Von diesen verfassten Institutionen hält der Autor nun allerdings nicht viel, auch nichts von ökumenischen Bemühungen auf kirchenleitender Ebene. Mit der „Leuenberger Konkordie” von 1973 hätten die „Laien” bislang nichts im Sinn, so Greschat, und die mit den Katholiken 1999 formulierte „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre” bedrohe die Identität des numerisch ohnedies minoritären europäischen Protestantismus.
Statt fragwürdiger Bündnisse, so die Botschaft, ist die theologische Konfrontation mit der Moderne nötig, wenn der Protestantismus nicht sterben soll. Im nachchristlichen Europa, geprägt durch die Abkehr von Ideologien, durch Selbstbestimmung des Einzelnen und Diesseitigkeit, muss der Protestantismus sein Profil schärfen: So wird er wird sich im Wettbewerb mit anderen Sinnangeboten und Weltanschauungen behaupten. Denn sein Profil besteht genau in dem zu kritisch-aktiver Freiheit befähigenden Rechtfertigungsglauben des Einzelnen und in seiner „tiefen Diesseitigkeit” in einer säkularen Welt, wie Greschat mit Dietrich Bonhoeffer pointiert. Und was wäre die Alternative zu Kirchenleitungskonferenzen? Ein europäisches Netz von „Partnerschaften von Ortsgemeinden, . . . unabhängig von ihrer Leitung”. Nun, das klingt schön, lässt uns aber fragen: Ob ein solches Netz die Strukturschwäche des Protestantismus, die Gestaltung der Institution Kirche, wirklich beseitigt?
WALTER SPARN
OLAF MÖRKE: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung. Enzyklopädie deutscher Geschichte, Band 74. Oldenbourg, München 2005. 184 Seiten, 34,80 Euro.
MARTIN GRESCHAT: Protestantismus in Europa. Geschichte, Gegenwart, Zukunft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005. 175 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Was war die Reformation, wie wirkt sie in die Gegenwart hinein und vor allem: Ist der Protestantismus zukunftsträchtig? Martin Greschat bejaht das und skizziert in seiner Studie, welche Wandlungen notwendig sind, damit der Protestantismus im "nachchristlichen Europa" seine Relevanz behält. Walter Sparn würde ihm gern Glauben schenken, zweifelt aber an einigen der Vorschläge: Gut und richtig, dass Greschat die "Diesseitigkeit" und die "nichttheologische, sozial engagierte Dynamik" des Protestantismus als Plus in säkularen Zeiten darstellt, aber die "Strukturschwäche" des Reformchristentums ist damit noch nicht überwunden. Ebenfalls nachvollziehbar für den Rezensenten: die Konstatierung eines "gemeinsames Vermächtnisses von Aufklärung und Erweckung". Doch wo bleibt der Blick auf die Wissenschaften? Und was ist mit den künstlerischen Traditionen des Protestantismus, fragt Sparn. Sein Fazit: eine anregende, aber etwas einseitige Darstellung.

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