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Der dritte Band der Geschichte des Pietismus behandelt das 19. und 20. Jahrhundert. In dieser Zeit breitet sich der Pietismus geographisch weiter aus. Dabei werden einerseits seine Kernanliegen (Gemeinschaft, Erweckung und Evangelisation, Bibel, Frömmigkeit) weiter verfolgt, zugleich kommt es zu differenzierenden Ausgestaltungen (Innere und Äußere Mission, Evangelikalismus und Fundamentalismus, Social Gospel u.a.). Trotz der vielfältigen Ausformungen lassen sich deutliche Verbindungslinien zum älteren Pietismus aufzeigen. Die 11 Autoren des Bandes beschreiten geographisch wie zeitlich ein…mehr

Produktbeschreibung
Der dritte Band der Geschichte des Pietismus behandelt das 19. und 20. Jahrhundert. In dieser Zeit breitet sich der Pietismus geographisch weiter aus. Dabei werden einerseits seine Kernanliegen (Gemeinschaft, Erweckung und Evangelisation, Bibel, Frömmigkeit) weiter verfolgt, zugleich kommt es zu differenzierenden Ausgestaltungen (Innere und Äußere Mission, Evangelikalismus und Fundamentalismus, Social Gospel u.a.). Trotz der vielfältigen Ausformungen lassen sich deutliche Verbindungslinien zum älteren Pietismus aufzeigen. Die 11 Autoren des Bandes beschreiten geographisch wie zeitlich ein Forschungsfeld, das insgesamt noch wenig bearbeitet ist. Die Entwicklung des Pietismus in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Skandinavien, Ostmitteleuropa und besonders in Deutschland sowie in Nordamerika werden in ihren unterschiedlichen Ausprägungen dargestellt. Es entsteht dadurch erstmals ein umfassender Überblick zur weltweiten Geschichte des Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert.

Aus dem Inhalt
Evangelikalismus und Réveil (Großbritannien, Frankreich, Niederlande)
Die Allgäuer katholische Erweckungsbewegung
Die Diasporaarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine
Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen 1815-1888
Geschichte der protestantischen Mission in Deutschland
Erweckungsbewegungen in Skandinavien
Die Erweckungsbewegung in Ostmitteleuropa
Evangelikalismus und Heiligungsbewegung
Evangelikalismus und Fundamentalismus in Nordamerika
Autorenporträt
Dr. theol. Ulrich Gäbler ist Professor für Kirchengeschichte, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Kirchengeschichte und Dogmengeschichte an der Universität Basel; Rektor der Universität Basel.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friedrich Wilhelm Graf lobt ausdrücklich dieses Handbuch, da hier "erstmals... eine `fromme Internationale` sichtbar" werde, "die die moderne Christentumsgeschichte weltweit prägte". Wenn auch der Leitbegriff "Neupietismus" methodologische Schwierigkeiten, die die Autoren dieses Handbuches selber ansprechen, aufwerfe, gelingt hier doch nach Meinung des Rezensenten ein umfassender guter Überblick dieser religiösen Bewegung in neuerer Zeit. Ganz besonders hebt der Rezensent Hartmut Lehmanns Beitrag hervor, da hier die entscheidenden Fragen zur Begriffsbildung problematisiert würden, aber auch das Verhältnis der Pietisten zu gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen thematisiert werde. Natürlich schränkt der Rezensent, wie bei solchen Publikationen üblich, sein Lob auch ein, denn "Wichtiges fehlt": vor allem neben ausführlicheren Einzelbeiträgen zu bedeutenden Einzelpersonen vor allem die Frage nach dem sozialen Engagement der pietistischen Institutionen. Dies schmälert jedoch keineswegs den guten Gesamteindruck, den die Rezension über das Handbuch vermittelt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2001

Zur Kommunikation war ihnen jedes Mittel recht, doch sittenloses Schreiben lehnten sie ab
Auch die fromme Internationale erkämpfte das Menschenrecht: Ein Handbuch zeigt die Neupietisten als Modernisierer eigener Art

Seit 1970 sprechen protestantische Kirchenhistoriker vom "Spätpietismus" des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts. Der klassische Pietismus habe sich damals erschöpft. Die Erweckungsbewegungen der Restaurationszeit stellten trotz mancher Kontinuitätselemente neue, eigene Formen frommer Vergemeinschaftung dar. Die Historiker des Pietismus ließen ihre Gesamtdarstellungen deshalb mit den Anfängen der Erweckungsbewegung enden.

Die "Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus" beschreitet einen neuen Weg. Nach zwei vielgerühmten Bänden zum Pietismus des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts legt sie nun ein großes Sammelwerk zu den neupietistischen Lebenswelten der Moderne vor. Der "Problematik ihres Vorgehens" sind sich Herausgeber und Autoren bewußt. Sie wollen religiöse Lebenswelten vermessen, die erst von ferne erkundet sind. Als Neupietisten deuten sie alle entschieden frommen Christen, die sich am klassischen Pietismus eines Spener, Francke oder Zinzendorf orientierten. Dieses Kriterium ist plausibel. Zwar wird das "Feld der Phänomene" an seinen Rändern sehr unscharf. Die Autoren können in komparatistischen Perspektiven aber kommunikative Netzwerke sichtbar machen, die "die Stillen im Lande" weltweit mit "den Vätern" verbanden.

Ihr Leitbegriff Neupietismus eröffnet innovative Perspektiven auf die christliche Religionsgeschichte der Moderne. Sichtbar werden evangelikale Gruppen, charismatische Bewegungen und fundamentalistische Freikirchen, die im dauernden Konflikt mit den großen Amtskirchen lebten. Für diese Christen waren intensivster Glaubensernst, rigide Askese und extreme Sittenstrenge kennzeichnend. Vom breiten Weg der vielen lauen Sünder wichen sie ab, um auf schmalen Wegen ins Himmelreich zu gelangen. Sie grenzten sich von der sündhaften Welt ab und kämpften gegen die teuflischen Verführungen der Moderne wie Alkohol, sexuelle Freizügigkeit und Konsumrausch. Ihr Heilandsglaube erschloß ihnen eine starke Identität. Dennoch wurden sie für die großen ideologischen Verführungen der Moderne anfällig. Dank des Glaubens an die Prädestination der wahrhaft Frommen sakralisierten sie ihre Nation 1914 jeweils zum auserwählten Gottesvolk. Nächstenliebe bewies man in höchster Opferbereitschaft im Felde.

Die Autoren der dreizehn Beiträge sind ausgewiesene Pietismusforscher. Neben multiperspektivischen Panoramazeichnungen finden sich Miniaturen von Glaube und Leben der Frommen. Kapiteln zum britischen Evangelikalismus und französischen Réveil folgen Übersichten zu den Erweckungsbewegungen in Deutschland, Skandinavien und Ostmitteleuropa. Jörg Ohlemacher beschreibt die Evangelikalen, Heiligungsbewegten und protestantischen Gemeinschaftschristen. Auch wird der Transfer neupietistischer Frömmigkeit durch die zahlreichen Missionsgesellschaften seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert dargestellt. Den Schluß des Ganzen bilden der "Evangelikalismus und Fundamentalismus in Nordamerika" sowie der pointillistisch skizzierte "Pietismus in Deutschland seit 1945". Hartmut Lehmann analysiert "die neue Lage" der Frommen in den krisenreichen Prozessen gesellschaftlicher Modernisierung seit der Doppelrevolution um 1800. Mehrfach betont er, daß entscheidende Fragen der Begriffsbildung und Periodisierung noch ungeklärt sind. Auch seien die Zeitdeutungen, politischen Mentalitäten und Glaubenshaltungen der besonders Frommen kaum erkundet.

Die Historiker des Neupietismus folgen Methoden, die sich in der Erforschung des alten Pietismus bewährt haben. Beschrieben werden die Zentren der Erweckten, die konfessions- und grenzüberschreitenden Kommunikationsnetze, die sozialen Trägergruppen und die ambivalente Haltung gegenüber der modernen Verwissenschaftlichung der Welt. Lehmann gibt die entscheidenden Fragen vor. Haben die Neupietisten sich von der modernen Welt nur abgekapselt? Oder haben sie im Kampf gegen den "Säkularismus" widersprüchliche Modernisierungsprozesse auch positiv mitgestalten können? Die Antwort fällt für die einzelnen Kultursphären und Gesellschaften unterschiedlich aus. Neupietisten konnten ökonomisch modern, aber politisch entschieden konservativ sein. Viele europäische Evangelikale setzten bürgerlich-liberaler Fortschrittsgläubigkeit überlieferte Sitte entgegen. Sie blieben skeptisch gegenüber szientifischer Rationalität und dramatisierten die Gefahren der modernen Technik. Zur Verbreitung der Glaubenswahrheit bedienten sie sich aber der jeweils modernsten Kommunikationsmedien und machten in ihren Kliniken und Anstalten zunehmend von naturwissenschaftlich orientierter Medizin Gebrauch.

Das herrschende Bild einer generellen Modernitätsfeindschaft ist insoweit unzutreffend. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten traten viele Evangelikale politisch "progressiv" für ein Wahlrecht der Industriearbeiter oder die Gleichberechtigung schwarzer Sklaven ein. Der deutsche Gemeinschaftstheologe Johannes Lepsius bezeugte seine zärtliche Heilandsfrömmigkeit im Kampf gegen den Genozid der Türken an den Armeniern. Mit einer konservativen Schöpfungstheologie begründete er ein naturrechtliches Menschenrechtsethos.

Auch Handbücher spiegeln nur die Vorläufigkeit dieses Äons. Wichtiges fehlt. Die großen Biblizisten Johann Tobias Beck, Adolf Schlatter und Karl Heim hätten eigene theologische Analysen verdient. Auch enttäuschen die Passagen zur "sozialen Frage". Einflußreiche neupietistische Institutionen wie die "freie kirchlich-soziale Konferenz" und die zahllosen Vereine und Verbände des konservativen Sozialprotestantismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik werden nicht erwähnt. Die Kritik an Einzelheiten schmälert aber nicht das fällige Lob des Gesamtunternehmens.

Erstmals wird hier eine "fromme Internationale" sichtbar, die die moderne Christentumsgeschichte weltweit prägte. Die Neupietisten wollten allein ihrem Heiland dienen und führten ein Leben, das für viele Kirchenchristen unverständlich, anstößig war. Als Heilsarmisten bekämpften sie die Sünde und trugen zumindest den Sieg davon, den anderen ein schlechtes Gewissen zu machen. In ihrer Traditionsbindung wurden sie zu Modernisierern eigener Art. Sie betonten das Eigenrecht individueller Frömmigkeit gegenüber den Uniformierungszwängen amtlicher Religion, staatlicher Politik und aufgeklärter Vernunft. Jeder müsse in Wort und Tat seinen eigenen Weg zu Gott finden. In ihrem Kampf gegen eine seichte Verbürgerlichung des Glaubens trugen diese Frommen zur inneren Pluralisierung der protestantischen Konfessionskulturen bei.

FRIEDRICH WILHELM GRAF

"Der Pietismus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert". Geschichte des Pietismus, Band 3. Hrsg. v. Ulrich Gäbler unter Mitwirkung von Martin Sallmann. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000. 605 S., geb., 148,- DM.

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