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Wo von seelischen Wunden und Verwundbarkeit die Rede ist, kommen immer auch Gewalt, Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit zur Sprache, ebenso wie gesellschaftliche und staatliche Verantwortlichkeit. Deshalb sind Trauma-Diskurse immer auch politisch - lassen sich jedoch nie auf den Faktor Politik reduzieren. José Brunner geht diesen faszinierenden Zusammenhängen sowohl theoretisch als auch historisch nach. Er veranschaulicht die Vielfalt, die die Politik des Traumas auszeichnet, anhand einer Reihe von Fallstudien zum psychischen Leiden von Opfern von Sexualgewalt, US-amerikanischen…mehr

Produktbeschreibung
Wo von seelischen Wunden und Verwundbarkeit die Rede ist, kommen immer auch Gewalt, Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit zur Sprache, ebenso wie gesellschaftliche und staatliche Verantwortlichkeit. Deshalb sind Trauma-Diskurse immer auch politisch - lassen sich jedoch nie auf den Faktor Politik reduzieren. José Brunner geht diesen faszinierenden Zusammenhängen sowohl theoretisch als auch historisch nach. Er veranschaulicht die Vielfalt, die die Politik des Traumas auszeichnet, anhand einer Reihe von Fallstudien zum psychischen Leiden von Opfern von Sexualgewalt, US-amerikanischen Vietnam-Veteranen, Afghanistan-Heimkehrern der Bundeswehr, deutschen Kriegskindern, ehemaligen politischen Inhaftierten der DDR sowie im Nahost-Konflikt traumatisierten Palästinensern und Israelis. Sie dienen dazu aufzuzeigen, wie Trauma-Diskurse und ihre politischen Dimensionen grundsätzlich neu gedacht werden können. Brunners brillantes Buch entwickelt auf diesem Weg einen innovativen analytischen Rahmens, der die Wissensbilder der Seele weder als Entdeckungen noch als Erfindungen, sondern als Übersetzungen versteht.
Autorenporträt
Brunner, José
José Brunner lehrt an der Universität Tel Aviv. Er ist Professor an der juristischen Fakultät und am Cohn Institut für Wissenschaftsphilosophie und Ideengeschichte wie auch Direktor des Eva & Marc Besen Institute for the Study of Historical Consciousness, wo er die Fachzeitschrift History & Memory herausgibt. Auf deutsch ist von ihm unter anderem erschienen: Psyche und Macht: Freud politisch lesen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

José Brunner untersucht in "Die Politik des Traumas" anhand verschiedener Studien zu Vietnam- und Afghanistanveteranen und Opfern des Israel-Palästina-Konflikts den Umgang, den die jeweiligen Gesellschaften mit den Traumata pflegen, wie die konkreten Fälle in psychologische Konzepte "übersetzt" werden, und wie diese schließlich über Literatur und Medien in der breiten Öffentlichkeit ankommen, berichtet Alexandra Belopolsky. Leider gehen in Brunners Darstellung einige wesentliche Facetten der Debatte verloren, bedauert die Rezensentin. Zum Beispiel übernehme er unkritisch die Gleichbehandlung von Tätern und Opfern, unterschlage häusliche Gewalt in seinen Untersuchungen und ignoriere die anhaltenden Folgen des Holocausts auf die Wahrnehmung und Wirkung des Israel-Palästina-Konflikts, zählt Belopolsky auf.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2014

Vom psychischen Nachleben der Gewalt
Blessuren der Seele: José Brunner untersucht die gesellschaftliche Wahrnehmung von Traumata

Trauma-Diskurse in all ihren Varianten sind immer auch politisch - das behauptet José Brunner in seinem neuen Buch. "Die Politik des Traumas" analysiert die medizinische und gesellschaftliche Wahrnehmung von Traumata und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) am Beispiel von Vietnam-Veteranen und Vergewaltigungsopfern in den Vereinigten Staaten, von Afghanistan-Heimkehrern in Deutschland und Opfern des israelisch-palästinensischen Konflikts. In allen Fällen lässt sich zeigen, wie institutionelle Anerkennung von Traumata und politischer Aktivismus sich gegenseitig bedingen.

Der Kern des Trauma-Diskurses liegt, so Brunner, in dem Begriff "Übersetzung". Das Leid der Betroffenen wird von Psychologen und Psychiatern in ein klinisches Bild übersetzt, das dann wiederum - etwa über Gesetze und die Klauseln von Krankenversicherungen - in Politik übersetzt wird. Einerseits kann die Verfolgung von politischen Zielen, wie die der Feministinnen und der Vietnam-Veteranen in den siebziger Jahren, zu neuer Forschung über die Symptome führen. Andererseits können Forschungsergebnisse durch die Brille eines politischen Ziels betrachtet werden (Brunner distanziert sich aber ausdrücklich von dem Begriff "Instrumentalisierung"). So wie bei der deutschen Debatte um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Während die Experten der Bundeswehr PTBS als heilbar bezeichneten, bestanden die Friedensaktivisten unter den Psychologen auf der Unheilbarkeit dieser Störung. Über die Dunkelziffer der Traumatisierten wird natürlich auch keine Einigkeit erzielt.

In solchen Debatten spielen die Medien immer eine wichtige Rolle, und Brunner setzt sich ausführlich mit deren Darstellungen des Traumas und auch seinen literarischen Verarbeitungen auseinander. Das mediale Bild der deutschen Afghanistan-Heimkehrer stellt sich dabei als ziemlich standardisiert heraus. Der seelisch verwundete Soldat kehrt in seine meist kleinstädtische Heimat zurück, verleugnet zuerst seinen Zustand und entfremdet sich seiner Familie und seinen Freunden - bis ihn endlich jemand davon überzeugt, eine Therapie zu beginnen, an deren Ende er geheilt in die Arme seiner Geliebten fällt.

Die PTBS-Definition des Psychiatrie-Handbuchs DSM-III (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) unterscheidet bewusst nicht zwischen Tätern und Opfern. Personen, die durch von ihnen selbst begangene Gewalt, einschließlich Mord und Kriegsverbrechen, an PTBS leiden, unterscheiden sich in den Augen der Therapeuten nicht von Patienten, die an den Störungen durch von anderen ausgeübte Gewalt leiden.

Diese Nichtunterscheidung scheint sich auch in Brunners Buch niederzuschlagen. Denn trotz der umfangreichen Diskussion über die "Übertragung des Krieges in die Heimat" (vor allem, im deutschen Kontext) kommen einige Facetten dieser "Übertragung" bei ihm nicht vor. Obwohl häusliche Gewalt ein ebenso traumatisierendes Ereignis darstellen kann wie ein terroristischer Angriff, werden traumatisierte Heimkehrer, die zu Hause selbst zu Tätern werden, nicht behandelt. Brunner erwähnt nicht einmal, dass die Statistik über häusliche Gewalt bei Vietnam-Veteranen mit PTBS mehr als doppelt so hohe Zahlen wie der Durchschnitt aufweist (33 gegenüber 13,5 Prozent). Nach einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2009 über Irak- und Afghanistan-Heimkehrer gestanden mehr als die Hälfte der befragten Veteranen, häusliche Gewalt begangen zu haben, und fast ein Drittel gab zu, dass ihre Partner Angst vor ihnen haben.

Überraschend ist auch, dass Brunner in seinem Israel-Kapitel das weitergegebene Holocaust-Trauma, das fraglos die israelische Gesellschaft und den israelisch-palästinensischen Konflikt bis heute prägt, beiseitelässt. Mehr Aufmerksamkeit für solche Facetten seines Gegenstands hätte Brunners Buch zweifellos gutgetan.

ALEXANDRA BELOPOLSKY.

José Brunner: "Die Politik des Traumas". Gewalterfahrung und psychisches Leid in den USA, in Deutschland und im Israel/Palästina-Konflikt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2014, 289 S., br., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Brunner, der eine Professur für Wissenschaftsphilosophie und deutsche Ideengeschichte innehat, gelingt es in diesem Buch auf eindrückliche Weise, die Verbindung zwischen Traumadiskursen und den zeitgleich stattfindenden politischen und gesellschaftlichen Debatten darzustellen."
Daniel Lucas, literaturkritik.de 12.09.2014