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Nicht erst seit der vielbeachteten Wahl des neuen Papstes, nicht erst seit den religiös motivierten Terroranschlägen, die die westlichen Demokratien erschüttert haben, und nicht erst seit der Wiederkehr religiöser Fundamentalismen in allen Teilen der Welt wird deutlich, daß die Frage der Religion zu einer Nagelprobe der Zivilisation geworden ist. Doch war die Religion nicht längst überwunden? Die Philosophen Richard Rorty und Gianni Vattimo, die als Vertreter einer dezidierten Metaphysikkritik nicht gerade in Verdacht stehen, dem Christentum das Wort zu reden, stellen die Frage nach der…mehr

Produktbeschreibung
Nicht erst seit der vielbeachteten Wahl des neuen Papstes, nicht erst seit den religiös motivierten Terroranschlägen, die die westlichen Demokratien erschüttert haben, und nicht erst seit der Wiederkehr religiöser Fundamentalismen in allen Teilen der Welt wird deutlich, daß die Frage der Religion zu einer Nagelprobe der Zivilisation geworden ist. Doch war die Religion nicht längst überwunden?
Die Philosophen Richard Rorty und Gianni Vattimo, die als Vertreter einer dezidierten Metaphysikkritik nicht gerade in Verdacht stehen, dem Christentum das Wort zu reden, stellen die Frage nach der Zukunft der Religion. In pointierten Texten und einem anschaulichen Gespräch gehen sie von der Beobachtung aus, daß die Metaphysikkritik mitnichten zum Verschwinden der Religion geführt hat. Der Tod Gottes gehört der Vergangenheit an, die Religion nicht. Doch gehört ihr wirklich die Zukunft? Oder hat nicht vielmehr eine Verschiebung der religiösen Erfahrung stattgefunden, die eine Metaphysikkritik keineswegs ausschließt? Wird eine Religion ohne Gott kommen?
»Was kommt nach dem Ende der Metaphysik? Kann Religion ohne Begründungen, objektive Wahrheiten oder Gott auskommen? Zwei der einflußreichsten Philosophen unserer Tage kommen hier zu einer Antwort zusammen. Gemeinsam bestimmen Vattimos Hermeneutik und Rortys Pragmatismus unsere Vorstellung der christlichen Botschaft, daß die Liebe das einzige Gesetz darstelle, neu.« Nancy Frankenberry

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2006

Werdet Realisten!
Gegenwart einer Illusion: Gianni Vattimo und Richard Rorty üben das philosophische Rückzugsgefecht
Von Manfred Geier
Der Name Sigmund Freuds taucht in diesem Buch kein einziges Mal auf. Aber es wird wohl kein Zufall gewesen sein, dass ein Gespräch zwischen Richard Rorty und Gianni Vattimo „Die Zukunft der Religion” tituliert worden ist. Sie werden ihren Freud gelesen haben, der 1927 in „Die Zukunft einer Illusion” dafür argumentiert hatte, endlich erwachsen zu werden und nicht länger auf den Schutz durch göttliche Liebe oder Macht zu hoffen.
Werdet endlich Realisten! Das war Freuds aufgeklärter Imperativ, auch wenn er wusste, wie schwer es ist, auf „liebgewordene Illusionen” zu verzichten, die selbst Philosophen noch immer zu „intellektuellen Unarten” verführen. Stück für Stück der Religion versuchten sie „in kläglichen Rückzugsgefechten zu verteidigen”, bis ihr Gott sich am Ende in ein abstraktes Prinzip aufgelöst habe, das nichts mehr mit der machtvollen Persönlichkeit der religiösen Lehre verbinde.
Ist „Die Zukunft der Religion” also ein ironischer Titel, mit dem die Philosophen Richard Rorty und Gianni Vattimo auf die psychoanalytische Provokation reagierten? Jedenfalls ist bemerkenswert, wie genau sie Freuds Vorwurf entsprechen, Rückzugsgefechte für eine Position zu führen, die philosophisch schwächelt und sich in nichts aufzulösen scheint.
Man kann es in jenem Gespräch nachlesen, das die beiden philosophierenden Freunde am Morgen des 16. Dezember 2002 in Paris geführt haben, organisiert und moderiert durch Santiago Zabala. Es liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor, ergänzt durch Rortys Dankesrede zur Verleihung des Meister-Eckhart-Preises im Dezember 2001 (deutsche Übersetzung in SZ vom 4.12.2004) und Vattimos Überlegungen zum Zeitalter der Interpretation von 2003.
Santiago Zabala hat sie durch programmatische Bemerkungen über eine Religion ohne Theisten und Atheisten eingeleitet. Denn weder behaupte Massimo theistisch, dass es einen Gott gibt, noch begründe Rorty atheistisch, dass es ihn nicht gibt. Aber keiner von beiden wolle das religiöse Vertrauen auf die Liebe als eine infantile Illusion verwerfen oder überwinden.
Denn wir dürfen, Vattimo zufolge, hoffen, dass sich das religiöse Bedürfnis nach einer christlichen Liebe im „credere di credere” artikuliert, im Glauben, um zu glauben. Und wir dürfen, Rorty zufolge, auch hoffen, dass die christliche Botschaft der brüderlichen Liebe wirksam ist und sich in ein freundschaftliches „wir” aller Menschen erweitert.
Doch dieser gemeinsame Nenner ihres Pariser Gesprächs, auf dem sie sich trafen, soll ihre unterschiedlichen Hintergründe nicht verwischen. Gianni Vattimo, Jahrgang 1936, vertritt als Philosoph zwar eine Position des „schwachen Denkens” (pensiero debole), das alles Starke hinter sich gelassen hat.
Er ist postmodern in der Kritik des Fortschrittsglaubens, postmetaphysisch in der Absage an alle Letztbegründungen, postchristlich in seiner Abkehr von der institutionalisierten Kirche und postontologisch, weil er nicht mehr zu sagen wagt, was wirklich ist und was nicht ist.
Aber aus dieser schwachen Rückzugsstellung gewinnt für ihn die christliche Religiosität eine Plausibilität, die Vattimo eigenwillig mit dem christologischen Konzept der „Kenose” verknüpft: Die Menschwerdung Gottes sei eine radikale Schwächung seiner Allmacht, Allgegenwart und Allwissenheit.
Seither liege alles in menschlichen Händen, und die damit in Gang gesetzte Säkularisierung könne deshalb als die „paradoxe Verwirklichung der tiefsten Berufung der christlichen Religion” verstanden werden, für die nur noch die Liebe zähle.
Richard Rorty, Jahrgang 1931, ist als Philosoph schon immer gegen eine „systematische” Philosophie gewesen, die sich auf Erkenntnisprozesse konzentriert. Der Andere als solidarischer Gesprächspartner interessiert ihn, nicht das Andere der Realität, dieser objektiven „Welt da draußen”. Bildung statt System! lautete seine Parole, unter der dann auch die christliche Liebesbotschaft in seine Philosophie hineinschlüpfen konnte, angestoßen vor allem durch Vattimos „bewegendes und originelles Buch ,Credere di credere‘.”
Das Gespräch vom Dezember 2002 über Religion nach der Metaphysik ist von einem freundschaftlichen Geist beseelt. Man hat die gleichen Bücher gelesen, kennt seinen Nietzsche, Heidegger und Gadamer, erhebt keine starken Erkenntnisansprüche und partizipiert an einer gemeinsamen Bildung.
Nur einmal geraten die beiden Freunde kurz ins Stolpern. „Was passiert, wenn wir an einen Ort kommen, wo man uns ablehnt, wie in einigen Teilen der islamischen Welt?” fragt Vattimo seinen lieben Richard, der ihm antwortet: „Mir erscheint die Vorstellung eines Dialogs mit dem Islam als gegenstandslos. Es wird keinen Dialog zwischen den Mullahs der islamischen Welt und dem demokratischen Westen geben.”
Da war dann doch plötzlich Schluss mit dem sich bildenden „Wir” und der religiösen Inspirationskraft der Liebe. Freuds Realitätsprinzip drängte sich für einen kurzen Moment ins Gespräch. Die Welt da draußen lässt auch das säkularisierte christliche Liebesgebot als eine bloße Illusion erkennen, wenn man es philosophisch an die erste Stelle rückt und den starken Anspruch auf eine aufklärerische Desillusionierung zurückstellt.
Der Jubilar Freud, 150 Jahre nach seiner Geburt, ist von unüberholter Aktualität. Man sollte ihn nicht nur feiern, sondern auch wieder einmal lesen.
Richard Rorty, Gianni Vattimo
Die Zukunft der Religion
Herausgegeben von Santiago Zabala. Übersetzt von Michael Adrian und Nora Fröhder. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 114 Seiten, 16,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Gott legt die Knarre nieder
Eine Art Schadensabwicklung der Religion: Richard Rorty und Gianni Vattimo polemisieren gegen die Barbarei der Wortwörtlichkeit / Von Christian Geyer

Wie läßt sich der Furor der Religion besänftigen? Das ist die harte Frage hinter weichen Modethemen wie "Dialog der Religionen". Harald Schmidt scheint weit und breit die einzige religionsfreie Zone zu sein.

Täuscht der Eindruck, oder ist es richtig, daß über allem Reden und Schweigen zum Thema Religion derzeit eine unsichtbare Knarre hängt? Sicher ist, daß die starke öffentliche Befassung mit Religion im Moment ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Schadensbegrenzung läuft. Wie läßt sich der Furor der Religion besänftigen? Wie kann man den Schaden, den Gottes Anhänger über die Welt bringen, begrenzen? Das ist die harte Frage hinter weichen Modethemen wie Dialog der Religionen, Respekt vor religiösen Gefühlen oder Religiosität im liberalen Gemeinwesen. Harald Schmidt scheint weit und breit die einzige religionsfreie Zone zu sein. Gefragt, warum der islamistische Terror nicht auch bei ihm Thema sei, antwortete Schmidt neulich sinngemäß, er leiste sich diese Feigheit gern, denn auch seine satirische Freiheit lebe von Regeln, mit denen es vorbei sei, wenn einer mit der Knarre das Kommando übernimmt. Ob man redet oder schweigt - Religion ist der Schadensfall, den es abzuwickeln gilt.

Durchaus in Schußweite ist auch das kleine Buch angesiedelt, in dem sich die Philosophen Richard Rorty und Gianni Vattimo über "Die Zukunft der Religion" Gedanken machen. Das Bändchen hat seinerseits Sprengkraft. Denn es stellt sich begriffsstutzig und fragt fundamental: Was heißt überhaupt Glauben? Wie läßt sich Glaube von Unglaube unterscheiden? Kann man Glauben in Worte fassen, oder verschlägt er einem notwendig die Sprache? So postmodern die Antworten ausfallen, so mittelalterlich mutet die Radikalität der Fragen an. Beides gefällt, weil es herausfordert: die Religionen, die sich in ihren Lehrgebäuden verschanzen, aber eben auch den westlichen Knarrendiskurs, der sich mit ihnen befaßt.

Dieser Dauerdiskurs erreicht in seiner medialen Abgeklärtheit kaum je die Religionen selbst, ihre innere Architektur, sondern sieht häufig nur ihre gesellschaftlichen Auswirkungen an. Die Podien einigen sich meist schnell auf irgendein Modell der Sphärentrennung zwischen säkularen und religiösen Belangen. Unbeantwortet bleibt dabei die Frage, die hier von Rorty und Vattimo in den Mittelpunkt gestellt wird: Wie muß es im Innern einer Religion aussehen, wie muß ihr theologisches Gerüst gebaut sein, damit Sphärentrennung nicht nur ein taktisches Zugeständnis ist, das der Religion eigentlich zuwiderläuft und von ihr bei nächster Gelegenheit wieder verworfen wird?

Richard Rorty und Giovanni Vattimo, der pragmatistische Amerikaner und der hermeneutische Italiener, sind als Philosophen keine unbeschriebenen Blätter. Sie führen das Geschäft der Dekonstruktion auf ihre Weisen fort: Rorty als der bewegliche Ironiker mit immer leichtem Gepäck, Vattimo als der etwas schwerblütige, auf Nietzsche, Freud und Gadamer fixierte Dauerkorrektor seiner eigenen katholischen Sozialisation: ein Protoschmerzensmann des sacrificium intellectus. Rorty beschreibt seine dekonstruktivistische Allianz mit Vattimo so: "Zwischen jemandem wie mir und jemandem wie Vattimo besteht immer noch ein großer Unterschied. Angesichts der Tatsache, daß er als Katholik erzogen wurde und ich fernab von jeder Religion, überrascht das nicht. Nur wenn man religiöse Sehnsüchte für irgendwie vorkulturell hält, für etwas, das zum ,Wesen der menschlichen Natur' gehört, wird man zögern, die Religion vollständig zu privatisieren, indem man sie von dem Ballast der Universalitätsforderung befreit."

Die symmetrische Abrüstung von Wahrheitsansprüchen, ihre Zurücknahme ins Feld der Poesie - das ist für die beiden Philosophen die Formel, ohne die die Religionen nicht zukunftsfähig seien. Tatsächlich staunt man zunächst, daß es bevorzugt das Christentum und nicht der Islam ist, bei dem hier die Probe auf die Zukunftsfähigkeit gemacht werden soll. Wird nicht allgemein angenommen, im Unterschied zum Islam habe das Christentum die Phase der Aufklärung schon weitgehend hinter sich? Doch Rorty und Vattimo geht es letztlich nicht um diese oder jene Religion. Ihnen geht es um eine Polemik gegen den Wissenscharakter von Religion überhaupt. Und wo könnte eine solche Polemik besser ansetzen als beim Christentum, das sich noch am reflektiertesten als Vervollkommnung der Vernunft beschreibt?

Über den utopischen Charakter ihres Sanierungsplans scheinen sich die beiden Autoren keine Illusionen zu machen. Auf der einen Seite wollen sie der Religionsgeschichte einreden, daß sie nur Text sei - unbegrenzt auslegungsfähig, bar jeder ontologischen Unterscheidungskraft, weit offen für neues Vokabular. Auf der anderen Seite gestehen sie zu, daß die Religion immer wieder historische Gestalt annimmt - in Kathedralenbauten, Caritas und Terroranschlägen. Die Autoren wissen, daß die historischen Objektivierungen eine andere Sprache sprechen als die des endlosen Sprachspiels. Als geschichtlich agierender Größe ist daher dem Islam ebensowenig wie dem Christentum mit dem Appell beizukommen, spielerisch doch einfach einmal das Vokabular zu wechseln.

Rorty selbst sieht seine Position in den Wind der Geschichte geschlagen: "Es gab im achtzehnten Jahrhundert keinen Dialog zwischen den philosophes und dem Vatikan, und es wird keinen zwischen den Mullahs der islamischen Welt und dem demokratischen Westen geben. Der Vatikan hatte im achtzehnten Jahrhundert seine ureigenen Interessen im Sinn, so wie heute die Mullahs die ihren. Sie wollen so wenig aus ihren Machtpositionen verdrängt werden wie einst (und jetzt) die katholische Hierarchie. Mit etwas Glück wird die gebildete Mittelklasse in den islamischen Ländern eine islamische Aufklärung herbeiführen, aber diese Aufklärung wird kaum nennenswert mit einem ,Dialog mit dem Islam' zu tun haben." Nicht die dekonstruktivistische Zangenbewegung von Rorty und Vattimo steuert den Gang der Religionsgeschichte, sondern der Eigensinn der Gläubigen. Die Leute glauben, lieben und hoffen offenbar wider besseres Wissen ihrer philosophischen Berater. Rorty und Vattimo nehmen es als historischen Beleg, um die Schwäche des Denkens als evolutionären Vorteil der Religion stark zu machen. Schwaches Denken ist für diese beiden Denker kein schlechtes, sondern gutes, praktisches Denken. Schwach nennen Rorty und Vattimo jenes antiessentialistische Denken, mit dem sie der Religion ihre praktische Zukunft sichern möchten. In diesem Sinne werden die großen Religionszertrümmerer Nietzsche und Freud als die ersten Liebesdiener der Religion dargestellt. Durch ihre Dekonstruktionen des Absoluten sei die Religion zu sich selbst gekommen, zu ihrem schwachen, von aller angemaßten Vernunft befreiten göttlichen Kern: zur Krippe von Bethlehem.

Im Rahmen dieser religiösen Fortschrittsgeschichte empfehlen sich Rorty und Vattimo als die eigentlich katholische Verschärfung, insofern ja Paulus gesagt habe: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Beide Philosophen beanspruchen eine Art abgeschwächte Messiasfunktion, wenn sie sich als hermeneutisch-pragmatistische Schrittmacher für ein Reich der Liebe präsentieren, das Rorty schließlich zu folgendem Hymnus der Liebe inspiriert: "Mein Gefühl für das Heilige, soweit ich eines habe, ist an die Hoffnung geknüpft, daß eines Tages, vielleicht schon in diesem oder im nächsten Jahrtausend, meine fernen Nachfahren in einer globalen Zivilisation leben werden, in der Liebe so ziemlich das einzige Gesetz ist. In einer solchen Gesellschaft wäre die Kommunikation herrschaftsfrei, Klassen und Kasten wären unbekannt, Hierarchien zweckmäßige Einrichtungen auf Zeit, und Macht läge allein in der Verfügungsgewalt einer frei übereinkommenden, belesenen und gebildeten Wählerschaft."

Ein Sonnenstaat der Liebe, in dem auch das Schadenspotential aller Religion eliminiert ist, ja Religion nicht nur ohne Dogmatik, sondern am Ende auch ohne den mit so widersprüchlich scheinenden Attributen wie gütig und mächtig ausgestatteten Gottes-Begriff auskommt. Welches religionspolitische Signal spricht aus der Tatsache, daß der neue Papst seine erste Enzyklika nicht dem Thema der Wahrheit, sondern der Liebe gewidmet hat? Rortys und Vattimos Utopie setzt die entscheidende Frage frei: Ist die Metaphysik der Griechen konstitutiv für das Christentum? Ist es für die Zukunft besser gerüstet, wenn es sich statt mit der Idee von der christlich zentrierten Einheit der Vernunft mit den postmodernen Fragment-Philosophien arrangiert? Keine Religion hat seit ihren Anfängen so strikt auf eine Allianz mit der Philosophie geachtet wie das Christentum. Was Rorty und Vattimo als die fundamentale Verfälschung des Christlichen gilt - die von den Kirchenvätern vollzogene Synthese des biblischen Glaubens mit dem hellenischen Geist -, war ursprünglich als missionarische Vorwärtsstrategie verstanden worden: als Dolmetschung des Christlichen nach außen, in einer auch Nichtgläubigen verständlichen Sprache. In dem Moment, wo die philosophische Anschlußfähigkeit nicht mehr gegeben ist, weil die Philosophie, an die man anschloß, sich überlebt hat, ihre Begriffe uns nichts mehr sagen - spätestens in dem Moment entsteht die Frage, welche andere Philosophie die Leerstelle ausfüllen soll. Ist das christliche Denken in hellenischen Begriffen also bloß eine historische Opportunität gewesen, eine Philosophie, die austauschbar ist und ohne theologische Verluste ersetzt werden könnte - wenn es nur dem Religionsfrieden dient?

Geht es wirklich um eine symmetrische Abrüstung von Wahrheitsansprüchen, oder doch um deren Verbindung mit der Toleranz? Vattimo rührt, wenn er Christus als Antimetaphysiker hinstellt, an ein Paradox. Unstreitig ist Jerusalem nicht Athen, aber ohne Athen wäre Jerusalem Fragment geblieben. So kann man den "Leitfaden der Schwächung" auch anders auslegen: Das Christentum bindet seine Lehre, kein philosophisches Fragment neben anderen zu sein, an eine Philosophie unter anderen. Diese soll das Absolute in Worte kleiden, obwohl ihre Autorität als Philosophie keine absolute sein kann. Auch Platon ist bloß ein Hauch der Geistesgeschichte, selbst wenn man der Ansicht ist, daß alle Philosophie nur Anmerkung zu Platon ist. Es mag theologisch nicht ganz einwandfrei sein, die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes als eine Verlegenheitslösung zu bezeichnen. Der Versuch, den Namen Jahwes auf den Begriff zu bringen, war aber unstreitig eine Verlegenheitslösung. Als man aus "Ich bin" ein "Ich bin der Seiende" machte, band man die zentrale Selbstaussage Gottes an etwas so Vorläufiges wie die Seinsphilosophie. Daß eine solche Entäußerung des Absoluten später von der Ironie eines Richard Rorty getroffen werden konnte, ist ein begrenzter Schaden. Er scheint, wenn man so will, zu den Risiken der Inkarnation zu gehören.

Rorty will so natürlich nicht. Er besteht um des Religionsfriedens willen auf der Abhalfterung des ontologischen Vokabulars. Dazu legt er den Theologen einen Analogieschluß aus der Welt der säkularen Berufe nahe: "Der Fortschritt in der Klempnerei, im Zimmerhandwerk, in Physik und Chemie wird immer weitergehen, und zwar ganz unberührt vom Tod der Ontologie." Sicherlich, das Leben stirbt ab, wo es nicht aus irgendeinem Überschuß heraus gelebt wird. Aber dieser überlebenswichtige Überschuß lasse sich auf ein Minimum reduzieren.

Für den psychischen Haushalt reiche es anzuerkennen, daß wir Teil eines größeren Ganzen sind. "Dieses größere Ganze kann man sich auf vielfältige Weise vorstellen: als die Bücher, die man liest, oder die kulturelle Tradition, in der man steht, oder das physische Universum. Man kann aber auch zwischen einem solchen Ganzen und anderen hin- und herpendeln, je nachdem, was einem die eigene Vorstellungskraft eingibt." Vattimo resümiert, jede begriffliche Festlegung in Religionsdingen bedeute, "mit Kanonen auf Spatzen zu schießen". Und der souverän zwischen den Identitäten hin und her switchende Rorty macht an dieser Stelle seine erste und einzige Wahrheitsaussage: "Ja, das ist wahr."

Ob die beiden da schon wieder die Knarre auf sich gerichtet sahen? Vattimos Spatz gilt es näher in Augenschein zu nehmen. Nimmt man es genau, nimmt man es also aus Erfahrung, dann ist jeder scharf geschnittene Begriff, ob religiöser Herkunft oder nicht, so ein Kanonenschuß auf den Spatz der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit zwitschert nur. Wer sie zum Sprechen bringen will, muß sich auf Donnerhall gefaßt machen. Man kann nur sagen: Die Ohren gewöhnen sich daran. Weil Wahrheit für alle, die nicht der absolute Geist sind, immer eine Art von Verhältnisbestimmung ist, entpuppt sich der Relativismus als religiöses Scheinproblem. Ohnehin sieht es so aus, daß die Dikatur des Naturalismus die erkenntnistheoretische Frontlinie verschoben hat. Wie eine zumal in Amerika Platz greifende "Neuro-Theologie" das Phänomen des religiösen Glaubens zum Verschwinden bringt, hat der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf dargelegt. Da haben der switchende Ironiker Rorty und der zwitschernde Vattimo schon recht: Wer könnte behaupten, sich der Wirklichkeit in einem einzigen Vokabular sicher zu sein?

Vattimos Kronzeuge Nietzsche schrieb 1881: "Jener Kaiser hält sich beständig die Vergänglichkeit aller Dinge vor, um sie nicht zu wichtig zu nehmen und ruhig zu bleiben. Auf mich wirkt die Vergänglichkeit ganz anders - mir scheint alles viel mehr werth zu sein als daß es so flüchtig sein dürfte - mir ist als ob die kostbarsten Weine und Salben ins Meer gegossen würden." Hier hat einer gegen den vom herrschenden Vokabular verordneten Gleichmut eine Verlusterfahrung gemacht. Nicht der Kaiser, der hatte nur Begriffe vor Augen (Vergänglichkeit und so weiter), sondern Nietzsche, der sich von den Begriffen löste und Augen für den herzzerreißenden Widersinn der Schöpfung bekam. Offenbar sind Begriffe nie mehr als Verlegenheitslösungen angesichts einer unbegriffenen Welt: kulturelle Phantomkörper, aus denen man schlüpfen muß, wenn sie in einer "Barbarei der Wortwörtlichkeit" (Vattimo) sich anschicken, physische Körper zu zerstören.

Aber auch das neue Vokabular wird nicht halten, was es verspricht. Wir sollten es dem notorisch einsilbigen Gott daher nicht zu leicht machen. Ihm kommt die Dekonstruktion, so abgedroschen sie als philosophisches Programm auch sein mag, natürlich auf halbem Wege entgegen. Hält er doch, den Schaden der Religion für die Menschheit begrenzend, vernünftigerweise nur an einem Wort fest: Jahwe, ich bin. Rorty und Vattimo, diese beiden dazwischenzwitschernden bunten Vögel, sollen sein Schaden nicht sein.

Richard Rorty, Gianni Vattimo: "Die Zukunft der Religion". Herausgegeben und mit einer Einleitung von Santiago Zabala. Übersetzt von Michael Adrian und Nora Fröhder. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 114 S., geb., 16,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Das kleine Buch über "Die Zukunft der Religion" hat Sprengkraft, findet Christian Geyer, und führt das zurück auf die "mittelalterliche Radikalität", mit der es fundamentale Fragen stellt. Dass die Antworten, die Richard Rorty und Gianni Vattimo zu geben haben, postmodern ausfallen, gefällt ihm allerdings nicht weniger: "Beides fordert heraus". Geyer erklärt, was hier verhandelt wird (der Wissenscharakter von Religion am Beispiel des Christentums, die Möglichkeit der Trennung säkularer und religiöser Belange, Wahrheit und Relativismus im Glauben) und auf welche Weise (dekonstruktivistisch, polemisch, im Bewusstsein des utopischen Charakters der Vorschläge). Und er erkennt, wie die beiden Philosophen ihr "antiessentialistisches Denken" in die Ahnenfolge Nietzsches und Freuds stellen, um die praktische Zukunft der Religion zu sichern, und sich dabei, quasi über die Hintertür, als "eigentliche katholische Verschärfung" präsentieren, als Messias light mit einem "Sonnenstaat der Liebe" im Gepäck, "in dem das Schadenspotenzial aller Religion eliminiert ist".

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»Das Bändchen hat ... Sprengkraft.« Christian Geyer Frankfurter Allgemeine Zeitung 20060315