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Heiner Müller, berühmt für Theaterstücke und Gespräche (und Whisky und Zigarren), schrieb ein Leben lang Gedichte. Vom Aufbau- zum Kinderlied der 1950er Jahre, vom Liebes- zum Widmungsgedicht, von Ballade und Sonett zum Lehr- und Prosagedicht, vom Autorkommentar bis zum Antikentext der 1990er Jahre - dieser Band versammelt erstmals Müllers sämtliche zu Lebzeiten und postum veröffentlichten Gedichte, dazu Texte aus dem Nachlass, in chronologischer Reihe. Eröffnet wird der Band durch den einzigen zu Lebzeiten erschienenen Lyrikband. Daran schließen alle verstreut veröffentlichten Gedichte aus…mehr

Produktbeschreibung
Heiner Müller, berühmt für Theaterstücke und Gespräche (und Whisky und Zigarren), schrieb ein Leben lang Gedichte. Vom Aufbau- zum Kinderlied der 1950er Jahre, vom Liebes- zum Widmungsgedicht, von Ballade und Sonett zum Lehr- und Prosagedicht, vom Autorkommentar bis zum Antikentext der 1990er Jahre - dieser Band versammelt erstmals Müllers sämtliche zu Lebzeiten und postum veröffentlichten Gedichte, dazu Texte aus dem Nachlass, in chronologischer Reihe. Eröffnet wird der Band durch den einzigen zu Lebzeiten erschienenen Lyrikband. Daran schließen alle verstreut veröffentlichten Gedichte aus Anthologien und Zeitschriften an. Hinzu kommen zahlreiche unbekannte und bekannte Gedichte und Entwürfe aus dem Nachlass. Erweiternd und ausführlich kommentierend, ersetzt »Warten auf der Gegenschräge« den 1998 erschienenen Gedichtband der Werkausgabe. "Die Welt ist beschrieben kein Platz mehr für Literatur / Wen reißt ein gelungener Endreim vom Barhocker / Das letzte Abenteuer ist der Tod / Ich werde wiederkommen außer mir / Ein Tag im Oktober im Regensturz"
Autorenporträt
Müller, HeinerHeiner Müller, geboren am 9. Januar 1929 in Eppendorf, Sachsen, war einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zudem war er Lyriker, Prosa-Autor und Essayist sowie Präsident der Akademie der Künste Berlin (Ost). Er ist am 30. Dezember 1995 in Berlin verstorben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2015

Blendendes Dunkel
Die gesammelten Gedichte von Heiner Müller in einem wuchtigen Band
Anfang der Fünfzigerjahre erhielt der wie immer klamme Heiner Müller unerwartet die Möglichkeit, mit seinem Schreiben Geld zu verdienen. Beim Zentralrat der FDJ, so hörte er, könne man Nachdichtungen anfertigen. Nicht etwa von Puschkin oder Majakowski. Vielmehr ging es um Volkslieder, die unter anderem ein Liederbuch schmücken sollten, das für die Weltfestspiele 1951 vorgesehen war. Doch Müller kam etwas zu spät: „Es waren nur noch polnische Volkslieder und Stalin-Hymnen übrig. Es gab Rohübersetzungen, das metrische Schema und die Melodie. Und 300 bis 350 Mark pro Hymne. Da habe ich am Fließband Stalin-Hymnen nachgedichtet. Es war relativ leicht, meistens stand das gleiche drin: ,Rose des Morgens‘, oder ,Lilie des Mai‘“.
  Ein großes Glück ist es, für Heiner Müller selbst, aber vor allem für uns, seine Leser, dass er nicht bei den Stalin-Hymnen blieb. Zeit seines Lebens schrieb Müller Gedichte. Als er auf dem Theater erste Erfolge feierte, konnte er schon auf eine breite Sammlung von Versen zurückblicken. Das Gedicht, so scheint es, war der geheime Fluchtpunkt seines Schreibens. In welch unterschiedliche Richtungen seine lyrischen Versuche ausstrahlen und wie gut er es verstand, sich traditionelle Formen anzuverwandeln, kann man jetzt in
einer Ausgabe seiner Gesammelten Gedichte nachlesen. Ein wuchtiges Buch mit weit über 400 Gedichten, das antritt, den 1998 erschienenen Sammelband der Werkausgabe zu ersetzen.
  Gleich auf den ersten Seiten finden wir ein Gedicht, das auf versteckte Art und Weise die beiden Glutlinien des Müllerschen Schreibens enthält. „Als Abend wurd wir stiegen auf den Baum / Von dem sie früh den Toten schnitten.“ Wer über die Gegenwart schreibt, davon war Müller überzeugt, denkt und schreibt immer auch über den Tod und die Toten. Die Stimmen der Tradition, die Schichten der Vergangenheit, sie mögen im eigenen Kopf abgelagert sein oder in den Sedimenten der Landschaft – all diese Töne und Partikel klingen mit, sie gilt es abzutragen und mit der Sprache immer neu zu durchleuchten.
  Die zweite Idee hat Müller noch raffinierter in die Wörter eingelagert: „ZWISCHEN AST UND ERD IST RAUM“, lesen wir da. Und wer die Buchstaben genau ansieht, entdeckt, dass in dem Vers nicht nur das Wort „Raum“, sondern auch der „Traum“ zu finden ist. In den Erlebnisweisen des Traums glaubte Müller, den Momenten des Unbewussten nachtasten zu können, der Traum war ihm zugleich eine Art der Wahrnehmung, in der noch nichts zur Form geronnen ist, in der sich vielmehr alles im Fluss befindet, stets beweglich und fern eines möglichen Endes. In Traumbildern konnte er den Verfestigungen der Sprache entgegenarbeiten, hier konnte er Widersprüche im Denken reflektieren und ideologische Muster aufbrechen.
  Überhaupt scheint Bewegung so etwas wie der Grundimpuls von Müllers Schreiben gewesen zu sein – das zeigt dieser Band in zahllosen Anmerkungen deutlich auf. Dort kann man neben genauen Hinweisen zur Entstehung viele der Entwürfe und Varianten bestaunen, die Müller zu seinen Gedichten angefertigt hat. Jeder Text war ihm eine Möglichkeit, die wieder und wieder bearbeitet werden musste. Den Metamorphosen der Gedichte entsprechen die wechselnden Zusammenhänge, in die sie eingebettet sind: hier ein Programmheft, dort eine Anthologie, ein Theaterstück – oder eben ein ganzer Gedichtband.
  Es ist eine gute Entscheidung der Herausgeberin Kristin Schulz, Müllers Idee einer „brutalen Chronologie“ zwar zu folgen, sie aber nicht stur einzuhalten. So stellt sie jenen Gedichtband von 1992 an den Anfang, dessen Auswahl Müller selbst getroffen hatte. Wie in einem Querschnitt scheinen dort seine lyrischen Verfahren auf, wird seine Lust deutlich, Figuren aus dem Mythos mit den Stoffen der Gegenwart zu verschränken und in eine freie, oft prosanahe Diktion zu überführen – oder umgekehrt antike Versmaße wie den Hexameter an zeitgemäßen Materialien zu brechen. Mit seiner Technik der Montage gelang es Müller auch mühelos, Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ mit Büchners „Woyzeck“ zu verschmelzen: „DER GLÜCKLOSE ENGEL. Hinter ihm schwemmt Vergangenheit an, schüttet Geröll auf Flügel und Schultern, mit Lärm wie von begrabnen Trommeln, während vor ihm sich die Zukunft staut“.
  Allerdings leuchten nicht alle diese „zerbrochnen Gesänge“ gleichermaßen. Nicht wenige Gedichte gefallen sich im bloßen Arrangieren von Meinungen, zu revolutionären Ideen etwa oder zur sozialistischen Doktrin, wie sie Müller in der DDR begegnete. Und auch wenn diese Texte versuchen, in Gleichnissen und Bildern die Widersprüche zwischen Idee und gelebtem Alltag zu durchdringen, bleiben sie oft nur das, was der Titel eines Dreizeilers ausspricht: „LEKTION“. Intensiver sind jene Gedichte, in denen Müller sich an lyrischen Miniaturen reibt. Aus den 324 Archivkästen mit Notizen und Entwürfen aus dem Nachlass, die im Heiner-Müller-Archiv der Berliner Akademie der Künste lagern, hat Kristin Schulz ein paar schöne ans Licht geholt. Kleine Denkbilder oder Augenblicksskizzen wie diese: „AUF DEM BAHNSTEIG / Drei Vögel. / Klein, unbeirrt / Vom Zuglärm.“
  Der Zuglärm der Gegenwart indes beschäftigte Heiner Müller genauso wie der Mythos oder die Geschichte. Neben manch eher harmlosen Notaten zu politischen Ereignissen finden wir Gedichte, die sich auf den Körper und seine Erinnerungswelten einlassen. In den Monaten vor seinem Tod im Dezember 1995 nahm Müller Motive aus früheren Dramen oder Prosatexten wieder auf und spielte sie in Gedichten neu durch. So verwandelt sich eine halbmythische Waldszenerie, wie sie das Prosastück „HERAKLES 2 ODER DIE HYDRA“ skizziert, in den „TRAUMWALD“ eines Sonetts („Heut nacht durchschritt ich einen Wald im Traum“) – und kehrt verzerrt wieder als halbes Zitat in dem Gedicht „NOTIZ 409“: „Heute nacht im Traum war ich Aktäon“.
  Fast scheint es, als habe Müller in seinen letzten Gedichten noch einmal alle seine Möglichkeiten zusammengezogen. Es ist anrührend und faszinierend zugleich, wie er den Luftgeist Ariel beschwört, er möge den Sturm zum Schweigen bringen. Oder wie er „unter der Zeit des Menschen“ den Raum und die Zeit des Gedichts entdeckt. Bis am Ende noch einmal die Toten ihren Auftritt haben: „die toten warten auf der gegenschraege / manchmal halten sie eine hand ins licht / als lebten sie eh sie sich ganz zurueckziehn / in ihr gewohntes dunkel das uns blendet“.
NICO BLEUTGE
Die Herausgeberin folgt Müllers
Idee der „brutalen Chronologie“,
allerdings nicht sklavisch
Heiner Müller (1929-1995) gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker. Zudem schrieb er Lyrik und Prosa, war Regisseur sowie Präsident der Akademie der Künste Berlin. Foto: dpa
        
  
  
  
Heiner Müller: Warten auf der Gegenschräge. Gesammelte Gedichte. Hrsg. von Kristin Schulz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 675 Seiten,
49,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Auch wenn Annett Gröschner um die Widersprüchlichkeit einer solchen, auf die Klassikerwerdung des Autors zielenden Ausgabe gesammelter Gedichte weiß - denn Heiner Müller war ein Textclusterproduzent, erklärt sie - die Erschließung des Müllerschen Nachlasses und die Erstveröffentlichung von 88 Texten in diesem Buch sagen ihr zu. Schon weil Müller für sie nie weg war und seine Texte noch immer Gegenwart zu durchdringen helfen, wie Gröschner findet. Darüber hinaus sorgt der von der Herausgeberin Kristin Schulz besorgte Anhang bei der Rezensentin für Begeisterung, vermag Schulz ihr doch Zusammenhänge zwischen Früh- und Spätwerk zu erschließen und den Weg von Müllers Zeilen durch Zeiten und Genres. Da ist es für Gröschner zweitrangig, wenn die Gedichte im Band qualitativ durchaus stark schwanken.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Als Agent Provocateur des Theaters wurde Heiner Müller zur Legende. Warten auf der Gegenschräge zeigt ihn als kraftvollen Dichter« Beate Tröger der Freitag 20141002