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Es ist ein ganzer Haufen Russen, den es zu Beginn der Neunziger in Amsterdam an Land gespült hat. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, die Grenzen sind durchlässiger geworden, aber Heimweh ist trotzdem ein Thema für diese Jungs, denen Puschkin-Büsten und Salzgurken inneren Halt geben, die ihre Tage auf dem pittoresken Rembrandtplein verbringen, wo sie Aquarelle an die Touristen verscherbeln, und ihre Nächte dem Studium des Wodkas widmen. Witali Kirillow ist einer von ihnen, der Mann mit den meergrünen Augen. Längst ist sein Visum abgelaufen, seit dem Tag, an dem er "illegal" wurde, fährt er…mehr

Produktbeschreibung
Es ist ein ganzer Haufen Russen, den es zu Beginn der Neunziger in Amsterdam an Land gespült hat. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, die Grenzen sind durchlässiger geworden, aber Heimweh ist trotzdem ein Thema für diese Jungs, denen Puschkin-Büsten und Salzgurken inneren Halt geben, die ihre Tage auf dem pittoresken Rembrandtplein verbringen, wo sie Aquarelle an die Touristen verscherbeln, und ihre Nächte dem Studium des Wodkas widmen. Witali Kirillow ist einer von ihnen, der Mann mit den meergrünen Augen. Längst ist sein Visum abgelaufen, seit dem Tag, an dem er "illegal" wurde, fährt er vorsichtshalber in der Straßenbahn nicht mehr schwarz.

Doch das ist nicht das einzige Delikt in Witalis Leben. Acht Jahre zuvor, als Offizier an der sowjetisch-finnischen Grenze, hinderte er einen Kameraden nicht daran, sich in den Westen abzusetzen. Von der Familie gutmütig als "das größte Loch im eisernen Vorhang" verspottet, wurde er von der Armee hart bestraft. Seitdem läßt der Gedanke an den Flüchtling Witali nicht mehr los. Und schließlich, unterstützt von der rasant-energischen Jessie, macht er sich auf, um herauszufinden, was aus ihm geworden ist.

Nur zwei, drei Pinselstriche braucht Marente de Moor, um in ihrem Debütroman die unterschiedlichsten Viertel Amsterdams lebendig werden zu lassen und vor allem die russische Szene der Stadt zu porträtieren: lauter Charakterköpfe, die - hochsympathisch und besorgniserregend tiefgründig - ganz nebenbei verhandeln, was Grenze, was Identität, was Heimat bedeutet.

"Ein mitreißendes Bild - manchmal herrlich komisch, manchmal voller Nostalgie - von einem ungebärdigen Pulk Russen, die wie Schiffbrüchige in Amsterdam gestrandet sind." -- Haarlems Dagblad
Autorenporträt
Moor, Marente de
Marente de Moor, geboren 1972, lebte nach ihrem Studium der Slawistik mehrere Jahre in St. Petersburg, wo sie Theaterwissenschaft studierte und als Korrespondentin für De Groene Amsterdammer arbeitete. Amsterdam und zurück ist ihr Debütroman.

Hüsmert, Waltraud
Waltraud Hüsmert, geboren 1951 in Werdohl, studierte Niederlandistik, Germanistik und Kunstgeschichte in Berlin und Leiden (Niederlande). Seit 1981 ist sie als freie Übersetzerin tätig. Waltraud Hüsmert lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2010

Vergiss Amsterdam!
Marente de Moors Debütroman über russische Migranten
Sie kommen aus dem Nichts. Sie überschwemmen die Plätze Amsterdams mit kitschigen Bildchen von grellbunten Brücken und Fahrrädern, leuchtenden Fassaden und Grachten. Da stehen sie dann, blinzeln verächtlich in den hellen Tag hinein und scheinen sich mit den letzten Sonnenstrahlen in Luft aufzulösen. Bis zum nächsten Morgen. Marente de Moor heftet sich an die Fersen eines aufdringlich präsenten, von den Einheimischen konsequent ignorierten Berufsstandes und begleitet die exilrussischen Andenkenhändler abends in ihre wodkadunstigen Diaspora-WG-Küchen.
In ihrem Debütroman „Amsterdam und zurück“ lässt die niederländische Autorin ihre Hauptfigur Witali – Russe, Mitte zwanzig, zum ersten Mal im Westen – in ein postsowjetisches Panoptikum stolpern: mitten im Amsterdam der frühen neunziger Jahre und doch fernab des niederländischen Alltags. Solche Parallelgesellschaftsszenarien bergen oft die Gefahr, nur allzu bekannte Klischees wiederzukäuen. De Moor lässt sich davon nicht schrecken. Sie spart weder an alkoholschwerer Wehmut, noch an nostalgischem UdSSR-Nippes und schafft es so beiläufig, den – äußeren und inneren – Mechanismen nachzuspüren, die einen Menschen in der Fremde zum Prototypen seiner Community werden lassen.
Der Weg, den Witali einschlägt, ist der des geringsten Widerstandes. Schon die Reise in den Westen war nicht seine Idee, sondern die der Großmutter: Man dürfe nicht zu lange an einem Ort bleiben, hatte diese ihm zu Hause gepredigt, „sonst passiert so was – und sie deutete zum anderen Zimmer, wo Witalis Eltern beim Melodienraten im Fernsehen mitsangen“. Witali zieht bei seinem Cousin, dem Künstler Ilia, ein. Abends wird der Erlös aus dem Verkauf „selbst gemalter“ Stadtansichten auf den Kopf gehauen, in Lokalen, in denen mitten im Sommer Aufzeichnungen russischer Silvestershows über die Bildschirme flackern.
Dort trifft man immer auf die gleichen Gestalten: Den aufgeblasenen Mischa, Star der Straßenhändlerszene, den verspulten Carlos-Castaneda-Jünger Tjoma, Roman, ehemals Lehrer für die Geschichte der KPdSU, und all die anderen. Irgendwann während ihres Aufbruchs in eine neue Welt sind sie hängen geblieben, in einem Gewirr aus äußeren Zwängen, Heimweh und der Angst vor der Fremde.
De Moor, die 1972 geboren wurde, als Korrespondentin in Russland gelebt hat und heute für die Wochenzeitung Vrij Nederland schreibt, porträtiert in kenntnisreichen Nahaufnahmen eine verschrobene und hoffnungslose Emigranten-Szene. Sie erzählt mit unaufdringlichem Witz und einer Lakonie, die ein wenig an Wladimir Kaminer erinnert. Immer ist sie nahe an ihrem Protagonisten, dessen Betrachtungen sie manchmal ganz unerwartet in Bilder von einer fast widerwillig wirkenden Poesie münden lässt. Hier und da streut sie kleine surreale Momente ein, wenn etwa Witali und Ilja am selben Tag fast gleichlautende Briefe ihrer Mütter bekommen – auch sie scheint das Diaspora-Virus gepackt zu haben, das sie in synchron klagende Auswanderer-Mütterchen verwandelt.
Der Titel des Buches verrät bereits, dass Witali nicht bleiben wird. „Mach es nicht so wie wir“, hatte ein Freund dem Neuen geraten. „Sie haben uns zu Dorfbewohnern gemacht, die gemeinsam um den Holzofen hocken, weil draußen angeblich ein Schneesturm tobt.“ Witali verlässt das neue Dorf. Ein Albtraum, der ihn seit seiner Militärzeit plagt, verlangt nach Klärung. Die kann er nur hoch im Norden an der finnisch-russischen Grenze finden, nicht in Amsterdam. CORNELIA FIEDLER
MARENTE DE MOOR. Amsterdam und zurück. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Roman. Suhrkamp, Berlin 2010. 285 Seiten, 22,90 Euro.
Mitten in den Niederlanden
der frühen neunziger Jahre entsteht
ein postsowjetisches Panoptikum
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2011

Das Leben der osteuropäischen Boheme

Doppelte Landeskunde: Die niederländische Autorin Marente de Moor erzählt in ihrem Debütroman "Amsterdam und zurück" von Exilrussen in Holland voller Heimweh.

Es fängt vielversprechend an. Wir schreiben das Jahr 1993, und Witali liegt im Schlafwagen und träumt zum wiederholten Male die entscheidende Szene seines bisherigen Lebens. Als Grenzsoldat hat er damals einen Kameraden über die finnische Grenze entkommen lassen, einfach nicht reagiert und ist danach degradiert und strafversetzt worden. Eigentlich ist das Schnee von gestern, im wahrsten Sinn des Wortes, denn die Flucht ereignet sich im tiefsten Schnee. Aber das Bild, wie der andere mit seinen Skiern nach Finnland hinübergleitet, lässt ihn nicht los. Nun ist Witali auf dem Weg in den Westen, zu seinem Cousin Ilja in Amsterdam, ausgestattet mit einem Riesencarepaket der Mama. Am Ende des Romans wird er sich, auf der Suche nach dem Soldaten von damals, auf den Rückweg nach Russland machen, als blinder Passagier auf einem Kreuzfahrtschiff. Das Heimweh all der Amsterdamer Russen hat auch ihn gepackt.

Das ist gleichsam die Klammer des Romans. Deren Füllung allerdings ist dürftig. Nicht, dass darin nicht allerhand erzählt würde, ganz im Gegenteil. Ein ganzer Bilderbogen wird da entfaltet, Szenen aus dem Leben der osteuropäischen Amsterdamer Boheme. Marente de Moor, die eine Weile in Sankt Petersburg gewohnt und dort als Auslandskorrespondentin gearbeitet hat, kennt sich bestens aus. Beinahe aber muss man vermuten, dass der Roman gerade daran scheitert. Sie kann nichts von dem zurückhalten, was sie über die osteuropäische Szene in Amsterdam weiß, die sich vor allem damit über Wasser zu halten scheint, dass sie auf dem Rembrandtplein schlechte Bilder verkauft. Ansonsten wird gesoffen, auch gefixt sowie gefeiert und gevögelt.

Amsterdam wird mehr durch Straßennamen beschworen als wirklich beschrieben. Die Stadt ist natürlich bunt und libertär und irgendwie verrückt und hat im Süden auch eine bürgerliche Seite. Da landet Witali irgendwann, weil sich eine junge Holländerin in ihn verliebt und ihn in dem schönen Haus aufnimmt, das sie für einen reichen Mann hütet, damit es nicht den Besetzern zum Opfer fällt. Marente de Moor betreibt gleich doppelte Landeskunde, die ihres eigenen Landes und der untergehenden respektive untergegangenen Sowjetunion. Wer speziell über die Letztere noch nicht viel wusste, kann hier einiges lernen, fragt sich aber irgendwann, warum er das tun soll.

Es gibt nette Szenen in diesem Buch, namentlich die Schilderung eines Sprachkurses und eines Zoobesuchs. Es gibt auch pointierte und gelungene Sätze wie etwa diesen: "Ruslan war gesprächiger, als es seine Vergangenheit erlaubte, doch die Wahrheit blieb meist in sicherem Abstand." Es gibt auch richtig kluge Sätze mit Wahrheitsanspruch, zum Beispiel: "Die niederländische Natur ist etwas zum Fotografieren. Den Rest lässt du weg oder denkst ihn dir dazu." Aber recht bald fragt man sich, warum man sich für all diese Figuren (trotz seiner nur 282 Seiten hätte der Roman ein Personenverzeichnis à la Tolstoi oder Dostojewski durchaus vertragen) eigentlich interessieren soll. Das Leben der Boheme ist, genauer betrachtet, eine ziemlich langweilige Angelegenheit.

Zwar versucht de Moor, an der Person des Witali entlang zu erzählen und an seiner Obsession durch den Soldaten, der damals über die Grenze ging. Zugleich aber möchte sie uns eine Totale bieten, weiß über jede ihrer Figuren enorm viel und kann uns ihr Wissen nicht vorenthalten. So zerfasert das Ganze in eine Vielzahl von Geschichten, die alle in etwa auf derselben Bedeutungsebene bleiben. In diesem Einerlei ist dann auch der (Drogen-)Tod nichts Besonderes mehr.

Als Witali den anderen von seinem Soldaten erzählt, sagt er: "Ich will wissen, was aus ihm geworden ist." Einer seiner russischen Kumpels antwortet: "Dasselbe wie aus uns. Nichts Besonderes."

Eben. Das ist das Problem dieses Romans.

JOCHEN SCHIMMANG

Marente de Moor: "Amsterdam und zurück". Roman.

Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 282 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nichts Besonderes findet Rezensent Jochen Schimmang an diesem Roman von Marente de Moor. Dabei gibt sich die Autorin alle Mühe und entfaltet mit ihrem Hintergrundwissen über die osteuropäische Amsterdamer Boheme ein figurensattes, buntes, um nicht zu sagen an allen Enden zerfaserndes Panorama. Nur wozu? Schimmang jedenfalls verliert irgendwann die Lust an all den libertären Party-Szenen und dem so freimütig geteilten Insiderwissen der Autorin. Die paar klugen Sätze und Momente (ein Zoobesuch, ein Sprachkurs!) helfen auch nicht weiter. Für den Rezensenten ist und bleibt das Buch eine ziemlich langweilige Angelegenheit.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Marente de Moor ... porträtiert in kenntnisreichen Nahaufnahmen eine verschrobene und hoffnungslose Emigranten-Szene. Sie erzählt mit unaufdringlichem Witz und einer Lakonie, die ein wenig an Wladimir Kaminer erinnert. Immer ist sie nahe an ihrem Protagonisten, dessen Betrachtungen sie manchmal ganz unerwartet in Bilder von einer fast widerwillig wirkenden Poesie münden lässt.« Cornelia Fiedler Süddeutsche Zeitung 20101215