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Die Königin kommt. Und das Dorf im nördlichsten Zipfel der Niederlande steht kopf. Mitten drin im Trubel dieses Junitages 1969 ist die Familie Kaan. Zwei der Söhne schwenken Fähnchen vor dem Gemeindehaus, und der kleinen Tochter auf dem Arm ihrer Mutter Anna streicht Königin Juliana höchstpersönlich über die Wange.Vierzig Jahre später ist es ruhig geworden auf dem Hof der Kaans. Drei Generationen leben jetzt dort, das alte Bauernpaar, Sohn Klaas und seine Familie. Aber Vieh gibt es außer dem Stier und dem Hofhund keines mehr. Und daß Altbäuerin Anna sich regelmäßig mit einer Flasche Eierlikör…mehr

Produktbeschreibung
Die Königin kommt. Und das Dorf im nördlichsten Zipfel der Niederlande steht kopf. Mitten drin im Trubel dieses Junitages 1969 ist die Familie Kaan. Zwei der Söhne schwenken Fähnchen vor dem Gemeindehaus, und der kleinen Tochter auf dem Arm ihrer Mutter Anna streicht Königin Juliana höchstpersönlich über die Wange.Vierzig Jahre später ist es ruhig geworden auf dem Hof der Kaans. Drei Generationen leben jetzt dort, das alte Bauernpaar, Sohn Klaas und seine Familie. Aber Vieh gibt es außer dem Stier und dem Hofhund keines mehr. Und daß Altbäuerin Anna sich regelmäßig mit einer Flasche Eierlikör und ihrer Seelenlast im Gepäck auf den Heuboden zurückzieht - wo ihr lediglich der stoisch kauende Stier Gesellschaft leisten darf -, wird von der Hofgemeinschaft stillschweigend akzeptiert. Nur die fünfjährige Dieke wundert sich. Was vor vierzig Jahren dem Leben ihrer Familie eine völlig andere Richtung gegeben hat, offenbart sich dem Leser erst nach und nach.In Juni erzählt Gerbrand Bakkervon einem Dorf, einem Hof, einem tragischen Unfall, vor allem aber von einer Familie, deren Mitglieder alle auf ihre Weise versuchen, mit der Erinnerung umzugehen. So wortkarg wie wortstark tut er dies, in der lakonischen, berührenden Sprache, die schon Oben ist es still auszeichnet, seinen erfolgreichen Debütroman - »ein ganz großes Vergnügen« (Spiegel Online).
Autorenporträt
Gerbrand Bakker, 1962 in Wieringerwaard geboren, ist Autor und Gärtner, hin und wieder auch Eisschnelllauftrainer. Für seine Romane, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden, hat er zahlreiche Preise erhalten. Bakker lebt in Amsterdam und in der Eifel.
Andreas Ecke hat Autoren wie Gerbrand Bakker, Saskia Goldschmidt und Ernest van der Kwast ins Deutsche übertragen. Er wurde mit dem Else-Otten-Übersetzerpreis und dem Europäischen Übersetzerpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2010

Rauchen, granteln, Gräber pflegen
Gerbrand Bakkers Bauernroman „Juni“ erzählt vom beschädigten Landleben
Dieser Junitag ist so heiß, dass sich die Dinge aufs Kaputtgehen kaprizieren. Die Dinge in Gerbrand Bakkers Roman „Juni“ sind genauso beseelt wie die in der Hitze hechelnden und blökenden Tiere, und sie sind das auf eine ganz selbstverständliche Art. Sie zerspringen, verdampfen, fallen runter oder kippen einfach um wie das morsche Scheunentor auf dem Hof der Kaans.
Oder wie die Dachziegel, die abrutschen und den Blick freigeben auf den glasigen Himmel. Durch diese Löcher starrt die Altbäuerin Anna Kaan, die sich mit einer Flasche Eierlikör auf dem Strohspeicher verbarrikadiert hat. Wer sie zurückholen will, wird barsch abgewimmelt, denn der Mann, die drei Söhne und die kleine Enkelin sind Teil des Problems. Seit vierzig Jahren verkriecht sich Anna Kaan in unregelmäßigen Abständen auf dem Speicher, um an einen anderen Junitag zu denken.
Am 17. Juni 1969 besucht die Königin das Dorf, das selbstverständlich Kopf steht: Kinderspalier, Ansprache des Bürgermeisters, Mittagessen im Polderhuis. Der Bürgermeister sagt „Lunch“, weil er mit der Zeit geht, denn Ende der sechziger Jahre liegt umtriebige Modernität in der Luft Nordhollands. Der Bäcker hat einen nagelneuen Lieferwagen, und auf dem Kaan-Hof glänzen die Melkmaschinen – ganz im Gegensatz zur hitzeträgen Gegenwart, in der alles bröckelt und bröselt. Dirk, der Stier, ist nur noch eine Reminiszenz an bessere Zeiten, die Kühe sind längst verkauft. Selbst Does, der schlappe Hofhund, passt in dieses Bild dezenter Depression: Man muss ihn zur Abkühlung in den Wassergraben werfen, weil er zu apathisch ist, um von selbst auf die Idee zu kommen, ins Wasser zu springen
Der Niederländer Gerbrand Bakker ist ein Entschleuniger, von den alltäglichen Verrichtungen – Rauchen, Granteln, Gräber pflegen – erzählt er mit einer exakt austarierten Lakonie, die mal zur Resignation neigt, mal zum staubtrockenen Witz umschwenkt. Man könnte ihn einen alten Meister nennen, einen Bauernmaler, der das untergehende Landleben in aller Klarheit erfasst, ohne es zu verklären.
Und ohne es bloßzustellen. Vor allem die inneren Monologe geben den Dörflern, auch in der Übersetzung von Andreas Ecke, einen herben Klang. Ein Panorama der Bockigkeit, Melancholie und Renitenz entfaltet sich da, wobei die Königin so etwas wie die Luxusausführung ihrer Landsleute darstellt. „Höchste Zeit für ein Zigarettchen“, denkt sie sich, wenn sie wieder einen Bürgermeister abgehakt hat, und: „Sie hofft, dass es im Polderhuis Sherry gibt.“ Das Volk dreht selbst und trinkt Eierlikör.
Es passiert nicht viel in „Juni“ – schnell begreift man, dass ein tragischer Unfall die Familie Kaan gezeichnet hat –, und gerade deshalb erzeugt das beschädigte Landleben einen erstaunlichen Sog. Die triste Kuhlosigkeit des Kaan-Hofs hallt in den Figuren noch noch, dazu wirken die leere Landschaft und die schnurgeraden Straßen wie Weitwinkelaufnahmen, in denen sich knarzige Schweiger verstecken.
Einen Bauernroman hat man Bakkers vor zwei Jahren erschienenes Debüt „Oben ist es still“ genannt; für „Juni“ könnte man den Begriff Polder-Western einführen. Zwischen 1969 und die Gegenwart passt aber noch etwas ganz anderes: eine schwule Coming-of-Age-Geschichte leuchtet verheißungsvoll in den puristischen Kapiteln, die „Stroh“, „Kastanie“ oder „Kies“ heißen. Sporadisch tauchen Geschlechtsteile und zarte Berührungen im dörflichen Kollektivbewusstsein auf.
Gerbrand Bakker, geboren 1962, stammt aus dem Dorf Wieringerwaard unweit der Insel Texel, jener Gegend also, in der sein Roman „Juni“ spielt. Auch „Oben ist es still“ handelt von einem nordholländischen Bauern, dessen Vater in der Dachkammer dahinsiecht. In beiden Romanen sitzen Elternteile im Oberstübchen fest, hängt die Familiengeschichte schwer in der Landschaft und über dem Hof. Aber es ist vor allem der lapidare Ton, der Bakkers Romane kennzeichnet. Die verknappten Dialoge erinnern an die Romane des britischen Lakonikers Magnus Mills, aber anders als Mills entschwebt Bakker nicht ins Surreale . Seine Romane bleiben auf dem Boden, auf dem genau abgesteckten Terrain zwischen Scheune und Dammzaun.
Manchmal ist den Figuren genau dort ein Glücksmoment vergönnt, zum Beispiel, wenn die fünfjährige Dieke ihren Onkel Jan auf dem Weidezaun trifft: „,Warum sitzt hier?‘ – ,Darum.‘ – ,Darum?‘ – ,Nur so, weil mir das gefällt.‘ – ,Ach so‘, sagt Dieke.“ Vielleicht werden sie, der verlorene Sohn und das redselige Kind, sogar die Gegenwart von ihrer Verfallssucht erlösen.
JUTTA PERSON
GERBRAND BAKKER: Juni. Roman. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 303 Seiten, 19,80 Euro.
Das Volk in Nordholland
dreht selbst und trinkt Eierlikör
Leere Landschaft und schnurgerade Straßen: Ländlicher Alltag in Nordholland. Foto: Irma Bulkens/Hollandse Hoogte/laif
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2010

Der Tag, an dem die Königin kam
Chronist hohler Mittelmäßigkeit: Der Niederländer Gerbrand Bakker

Womöglich ist es einfach die Landschaft, aus der sich die Antworten ablesen lassen auf die großen Fragen des Lebens. "Hügel hinter Hügel und breite Täler", schrieb Georg Büchner mit Blick auf die Umgebung in seinem berühmten Fatalismus-Brief und zog sogleich den weltanschaulichen Schluss: "eine hohle Mittelmäßigkeit in allem". Schwerlich zu ergründen indes, ob die geographische Gleichförmigkeit Initiator oder nur Indikator der mentalen Verfasstheit ist. Noch nicht einmal Hügel gibt es in den Landschaften des Niederländers Gerbrand Bakker. Flach, weit und eintönig sind sie - so kennt man sie schon aus seinem im vergangenen Jahr vielfach gelobten Debüt "Oben ist es still" -, "breite Streifen Weide- und Ackerland, deren Ende nicht zu sehen ist. Hier und da ein klobiger Bauernhof mit rotem Ziegeldach." Ausweglosigkeit und Stillstand scheinen dieser Landschaft eingeschrieben, umso mehr, wenn sie von der Sonne so unerbittlich ausgeleuchtet wird wie an den brütend heißen Frühsommertagen, von denen Bakker in seinem zweiten Roman "Juni" erzählt.

Der Juni ist ein trauriger Monat im Leben der Familie Kaan, die auf einem dieser klobigen Höfe inmitten der weiten Ebenen lebt. Daran besteht von Beginn an kein Zweifel, auch wenn zwischen den drei Generationen nicht viele Worte gewechselt werden, und bald ahnt man auch, Zeuge welch unheilvollen Jubiläums man ist. Vierzig Jahre sind seit dem Juni 1967 vergangen, das erzählen die beiden Rahmenkapitel des Romans, als die Königin dem kleinen Dorf einen Besuch abstattete: ein Mittagessen und ein kurzer Gang über den Marktplatz. Bevor sie wieder in ihr Auto steigt, um ihre Reise über die Dörfer fortzusetzen, gestattet sich die Monarchin einen kleinen Ausreißer aus dem Protokoll: Sie spricht ein paar Worte mit einer jungen Mutter, die zu spät zu dem großen Ereignis gekommen ist, streichelt der kleinen Tochter über die Wange. (Tatsächlich war die langjährige niederländische Throninhaberin Juliana bekannt für ihre volksnahen Umgangsformen.)

Mittlerweile ist Anna Kaan, die junge Mutter, älter, als die Königin es damals war, und an Eigenwilligkeit scheint sie dieser kaum nachzustehen: Eine Packung Kekse und je eine Flasche Wasser und Eierlikör hat sie mit sich genommen und starrt nun finster an die Decke der Scheune, auf deren Dachboden sie liegt. Das könnte angesichts des Alters der Dame eine recht drollige Vorstellung sein, wäre nicht offensichtlich, dass es sich um die einzige - wenngleich vorübergehende - Fluchtmöglichkeit handelt, die ihr das Leben gelassen hat. Man müsse nur, denkt sie, "hin und her rutschen wie Kühe oder Schafe, die sich scheuern, so lange rutschen, bis alle harten, stechenden Halme einen Platz gefunden haben". Das mag für eine Position im Stroh zutreffen. Für das Leben reicht ein bisschen Hinundherrutschen nicht. Hier bleiben die Stacheln, und wo man sie nicht mehr zu spüren meint, da hat sich der Schmerz doch nur in unterschwellige Wut verwandelt.

Dass mit einer Tochter alles anders, alles besser wäre, ist ein Satz, den Anna immer wieder denkt, während sie das Wasser, vor allem aber auch den Eierlikör trinkt und in der Hitze unter dem Scheunendach langsam in einen Dämmerzustand gleitet, dem wenig Sanftes eigen ist und aus dem sie möglicherweise nicht mehr erwachen wird. Anna Kaan ist keine drollige alte Frau. Sie ist von stummer Bitterkeit, sie mag keine Tiere, sie mag auch ihre Enkeltochter nicht, sie hadert mit ihren drei Söhnen, und sie will nicht, dass der Grabstein auf dem Dorffriedhof gesäubert und die Inschrift neu gemalt wird: Das kleine Mädchen hat den Tag, als die Königin kam, einen Tag, der als Feiertag ins Gedächtnis des Dorfes hätte eingehen sollen, nicht überlebt.

Wie, als wären die Uhren auf dem Hof seither nicht weitergegangen, schildert Bakker das Leben der Kaans. Kaum meint man sich in der Gegenwart, wenn in der dunklen Küche Zwieback zum Kaffee gegessen wird oder wortlos Zigaretten geraucht werden. Nur dass doch mal von Handys die Rede ist, mehr noch aber dass Haus und Stallungen langsam marode werden, deutet auf das Vergehen der Zeit, aber einer Zeit, die nicht in eine Zukunft, sondern auf ein Ende zuzulaufen scheint.

Bakker weiß die Zeichen genau zu setzen, leise, aber unmissverständlich. Darin ist er seinen wortkargen Figuren ähnlich. Vermutlich liegt es an der Deutlichkeit, mit der er in seiner Lakonik, seinem vermeintlichen Verschweigen doch beredt ist, dass dem Roman mitunter etwas Konstruiertes anhaftet, das ein wenig die wie von einer klebrigen Sonne überzogenen Melancholie stört, die Bakkers Szenerien auf so hoffnungslose Weise schön macht. Nicht zuletzt mag zu dem Eindruck der Konstruiertheit beitragen, dass es wiederum, wie in seinem ersten Roman, ein weit zurückliegender Autounfall und eine diffuse Schuld ist, um die das Erzählen kreist.

Man kann diese Motivwiederholung aber auch als eine Art Schlüssel sehen. Das wahrhaft Fatale an dem Leben, wie Bakker es beschreibt, ist nicht der Tod des Kindes. Tragisch ist die fortwährende Ahnung, dass die hohle Mittelmäßigkeit, der Stillstand und das Mitmachen der Jahre, das so gleichförmig ist wie die Landschaft, Bakkers Figuren auch dann zeichnen würde, wenn es nicht den katastrophischen Fixpunkt in der Vergangenheit geben würde. Wenn der Blick täglich über die endlosen Ebenen gleitet, dann bleibt die Frage, wie viel Nichts so ein Leben sein darf, ungestellt.

WIEBKE POROMBKA

Gerbrand Bakker: "Juni". Roman. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 303 S., geb., 19,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Auf Figuren, die ihr Schicksal in den eigenen Händen halten, trifft Rezensentin Sabine Peters in diesem Roman von Gerbrand Bakker. Allerdings geht dem ein Schicksalsschlag voraus und der nie geglückte Versuch vollständigen Erinnerns. Peters erfährt das durch eine feingesponnene Textur, lakonische Sprache, innere Monologe und schroffe Dialoge, die zur ländlichen Umgebung der Geschichte und den eigenwilligen Charakteren passen. Bemerkenswert erscheint ihr das nur Angedeutete und die Fähigkeit des Autors, sich auch in die Perspektive eines fünfjährigen Kindes zu versetzen oder Homosexualität zu schildern, ganz unprätentiös. Keine leichte Lektüre, findet Peters, weil Versöhnung ausbleibt, dennoch eine lohnende, lässt sie uns wissen.

© Perlentaucher Medien GmbH