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Läßt sich erotische Annäherung auch im Sinn einer Asymptote vollziehen? Lothar erforscht das gemeinsame Werk des Theologen Hans Urs von Balthasar und seiner legendären Amica, der Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr. Er glaubt sich einem unglaublichen Liebesdrama auf der Spur. Und Lothar selbst, ein von den Theaterwissenschaften zur katholischen Theologie sowie zu sexueller Enthaltsamkeit konvertierter Student, gerät zunehmend in Gewissenskonflikte mit seiner hoch und heilig gelobten Haltung: Das Charisma der Klavierspielerin Mary Lou stellt ihn vor Versuchung und Versagung. Wie in Tomboy…mehr

Produktbeschreibung
Läßt sich erotische Annäherung auch im Sinn einer Asymptote vollziehen? Lothar erforscht das gemeinsame Werk des Theologen Hans Urs von Balthasar und seiner legendären Amica, der Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr. Er glaubt sich einem unglaublichen Liebesdrama auf der Spur. Und Lothar selbst, ein von den Theaterwissenschaften zur katholischen Theologie sowie zu sexueller Enthaltsamkeit konvertierter Student, gerät zunehmend in Gewissenskonflikte mit seiner hoch und heilig gelobten Haltung: Das Charisma der Klavierspielerin Mary Lou stellt ihn vor Versuchung und Versagung. Wie in Tomboy entwickelt das Diskursnetz in Jungfrau ein burleskes Eigenleben. Hollywoods B-Film-Ikone Maria Montez sowie ihr Wiedergänger Mario Montez sind darin ebenso verstrickt wie Clemens Brentano, der jahrelang Visionen einer stigmatisierten Nonne protokollierte, Ronald Tavel, Begründer des Theatre of the Ridiculous, der Camp-Filmer Jack Smith oder die Jazzpianistin Jutta Hipp. Thomas Meinecke ist mit einem popistischen Zugang zum Katholischen gesegnet. In seinem neuen Roman begibt er sich auf extravagante Pfade des Glaubens: Polyphon geht es que(e)r durch die Jahrhunderte, campy und kinky.
Autorenporträt
Thomas Meinecke wurde 1955 in Hamburg geboren, lebte ab 1977 in München und zog 1994 in ein oberbayrisches Dorf. Von 1978 bis 1986 war er Mitherausgeber und Redakteur der Avantgarde-Zeitschrift Mode & Verzweiflung, in den Achtzigerjahren schrieb er Kolumnen für die ZEIT, ab 1986 veröffentlichte er Erzählungen und zahlreiche Romane, zuletzt den Roman Selbst (2016) im Suhrkamp Verlag. Außerdem war er von 2007 bis 2013 Kolumnist für das Berliner Magazin Groove. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Düsseldorfer Literaturpreis (2003) und dem Karl-Sczuka-Preis für Hörspiel als Radiokunst (2008). Im Wintersemester 2012 hatte er die Poetikdozentur an der Goethe-Universität Frankfurt inne, 2014 war er Writer in Residence an der Queen Mary University in London und 2016 Fellow am IFK in Wien. Die Frankfurter Vorlesungsreihe mit dem Titel Ich als Text ist anschließend in der edition suhrkamp erschienen. Thomas Meinecke ist außerdem Musiker und Texter in der 1980 von ihm mitgegründeten Band Freiwillige Selbstkontrolle (FSK), Radio-DJ in seiner Sendung Zündfunk Nachtmix (BR 2) und hat auch als Solokünstler Platten aufgenommen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Ist es egal, wer liest?
Thomas Meinecke kodiert wieder / Von Tobias Rüther

Nach zweihundert Seiten im neuen Roman von Thomas Meinecke, "Jungfrau", ist man so weit, selbst eine Scheibe Mortadella für überdeterminiert zu halten. Da nämlich schmiert eine Jazzmusikerin namens Mary-Lou dem Theologiestudenten Lothar Lothar ein Brot und belegt es mit "einer Scheibe italienischer Mortadella" - was eine "noch nie dagewesene, auf beunruhigende Weise alltägliche und darin eben zugleich extrem intime Situation" sei. Man streicht diese Stelle an, beschließt, "Mortadella" zu googeln, reimt sich im Stillen aber schon die Indizien zusammen: irgendwas mit Tod (morta), irgendwie weiblich (della) und dann noch aus Fleisch und womöglich katholisch (Italien). Das kann in diesem Körperpolitikroman, dem gefühlt dreiundzwanzigsten, den Thomas Meinecke seit "Tomboy" von 1998 geschrieben hat, nur ein weiterer Baustein im hochkomplexen Diskurssystem sein, das sich der Schriftsteller abermals für ein Buch erdacht hat.

Die Suche im Internet führt nicht weiter, kein Wortspiel, keine Metapher, kein Code - und doch kommen einem die vorgefundenen Erklärungen, die Mortadella sei "eine italienische Wurstspezialität", sehr bekannt vor: In so hölzernen Synonymen spricht eben auch Meineckes neuer Roman "Jungfrau" oft, und genauso taten es schon die anderen davor: "Tomboy" also, dann "Hellblau" von 2001, schließlich "Musik" von 2004 - allesamt waren das Operationen am offenen Wort: Was ist ihm und damit uns, Achtung Seminarton, eingeschrieben?

Bei Meinecke wird, was sonst Füllmaterial einer Handlung wäre, nicht einfach so beim Namen genannt, sondern umschrieben. Oder besser: Ihnen wird etwas zugeschrieben. Im neuen Buch passiert das zum Beispiel dem "kalifornischen Kettencafé", von dem ungefähr jeder weiß, wie es heißt. Meinecke aber erforscht, wovon wir reden, wenn wir reden, er prüft, wie die gewählten Etiketten - Kettencafé, Schulmädchen, Jungfrau - die Welt formen, in der wir leben, und wie sie zugleich Macht über diese Welt ausüben. Es dreht sich alles um die Gemachtheit der Sprache, und deswegen wird kein stinknormaler plot erzählt, den man frei nacherzählen könnte, sondern ein sprachliches Verfahren durchgespielt.

Aber selbst wenn man mit der nicht gerade brandneuen Erkenntnis einverstanden ist, dass es ein Machtverhältnis zwischen Sprache und Welt gibt, und absolut dafür ist, über diesen Komplex, wo es nur geht, auch zu sprechen - irgendwann schwirrt einem doch der Kopf davon. Ungefähr ab Seite zweihundert. Spätestens bei der italienischen Mortadella, die einem nicht Wurst sein kann, weil sie eben auch etwas ganz anderes bedeuten könnte. Nichts geschieht zufällig in "Jungfrau".

Das klingt idiotisch, weil dieser Roman wie jeder andere auch ausgedacht ist. Aber die meiste Zeit fühlt man sich eben auch wie ein Idiot, wenn man ein Buch von Thomas Meinecke liest. Weil einem wieder und wieder eine Dimension entgeht, eine Referenz unklar ist, die Detailkenntnis fehlt. Das ist auf Dauer ungeheuer frustrierend. Der ideale Leser von "Jungfrau" ist wohl nur der Autor selbst. Der kann es gar nicht wollen, aber er erzeugt doch ein unangenehmes Machtverhältnis zwischen seinem Buch und denen, die es schließlich in den Händen halten und zu kapieren versuchen. Ein Lektüregefälle, ein Unterlegenheitsverdacht. Und ausgerechnet Meinecke zu verdächtigen, über Herrschaftswissen zu verfügen, wo der doch Machtverhältnisse und Sozialkontrolle beschreibt, gibt einem schon wieder das Gefühl, selbst das Problem zu sein.

Wenn Meinecke, Jahrgang 1955, nebenher noch Musiker und DJ, seine Figuren in Konstellationen packt, sind das immer symbolische Ordnungen: Lothar, der zölibatäre Theologiestudent, "saß beim Kaffee, in Betrachtung einer von Mary-Lou am Tag nach dem Tod des Schlagzeugers Max Roach verfassten Postkarte, mit einer emotionalen Anspielung an das gemeinsame Studium des Max Roach gewidmeten Heftes der Zeitschrift Du, aufgegeben in Barcelona, wo sie mit ihrem Trio, als Höhe- und Scheitelpunkt der laufenden Tournee, ein mehrtägiges lukratives Gastspiel in einem fancy Restaurant absolvierte. Als Motiv präsentierte die Karte Juan de la Cruz mit geschultertem Kruzifix." Ein typisches Zitat, das alles versammelt, was "Jungfrau", bitte noch mal alle kurz festhalten, verhandelt: Musik, Amerika, Medien, Zitat, katholischer Poststrukturalismus, Schrift.

Thomas Meineckes Romane erzählen von Körpern, haben aber nicht deren Temperatur. Zur sozialen Welt, deren Normierungen der Autor beschreibt, stehen sie selbst nicht in Spannung. Vielleicht ist der Roman der letzte und einzige Ort, Körper zur Sprache zu bringen. Dieses neue Buch aber wirkt, als würde es sich nicht für seine Leser interessieren.

Thomas Meinecke: "Jungfrau". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 346 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Unaufhaltsame Lesererwartung nach dem Akt
Wie man mit sub-akademischen Zitierorgien das erotische Raffinement steigert: Thomas Meineckes Roman „Jungfrau” enthüllt die Reize der freiwilligen Selbstkontrolle Von Christoph Bartmann
Wenn eine Romanfigur namens Lothar Lothar (Lóthar der Vor-, und Lothár der Nachname) sich für Lacans Claudel-Lektüre interessiert und dabei im Internet „auf den sieben Monate alten, ausführlichen Kommentar eines Berliner Kunden einer internationalen Internet-Buchhandlung” stößt, „der bei Slavoj Zizek auf Lacans Claudel-Lektüre gestoßen war”, dann ist man wahrscheinlich in der Welt von Thomas Meinecke gelandet. Unablässig stoßen hier Leser oder Hörer auf Dinge, auf die vor ihnen jemand anderer beim Lesen oder Hören gestoßen war, und irgendwie stricken alle diese neugierigen Leser und Hörer mit am Text einer Kultur (2.0?), in der Urheberrechte und Originalideen eher eine Nebenrolle spielen. Mit solch postheroischem Wissensmanagement spielt Meinecke Roman für Roman wechselnde Themen der populären Kultur an und durch, und jedes Mal geht man als Leser belehrt und bereichert aus der Lektüre heraus, höchstens ein bisschen erstaunt, dass in den Köpfen wie auch immer fiktionaler junger Kulturwissenschaftler der Diskurs ein solch lückenloses Regiment führt.
Das Thema des neuesten Meinecke-Romans heißt „Jungfrau”, oder Keuschheit oder „Für eine Politik der Versagung” (so war der Kommentar des Berliner Zizek-Lacan-Claudel-Lesers überschrieben). Das Thema kann jemandem nicht fremd sein, der wie Meinecke seit bald dreißig Jahren einer Band angehört, die „F.S.K.” oder „Freiwillige Selbstkontrolle” heißt. Lothar Lothar, der junge Theaterwissenschaftler, der zur katholischen Theologie übergetreten ist und sich seither ein Keuschheitsgelübde auferlegt hat, studiert mit heiligem Eifer die Bücher der katholischen Mystiker Hans Urs von Balthasar und Adrienne von Speyer. Es sind Bücher, in denen sich das sexuelle Verlangen nach Gott in einer kaum verschleierten Deutlichkeit ausspricht – so unverschleiert, dass die populäre These, es ginge in der religiösen Mystik „eigentlich” um Sex, dem jungen Kulturwissenschaftler schlicht zu trivial ist. Die Sublimations-These, nach der Klosterschwestern und –brüder ihr Begehren in ein anderes Medium übertragen, wenn sie Gott lieben, ist falsch. Vielleicht sind sie – und mit ihnen all die freiwillig Selbstkontrollierten – nur die raffinierteren Liebhaber. „Die Jungfrau erscheint hier als Potenz alles Geschlechtlichen”, um Meinecke zu zitieren, wenn er Adrienne von Speyr zitiert.
Anders als in früheren Meinecke-Romanen darf das Thema dann aber doch auch fleischliche Gestalt annehmen, und zwar mittels der schönen Pianistin Mary Lou, die den armen Lothar Lothar und sein Gelübde mit ihrer bezwingenden Physis vor allerschwerste Proben stellt. Das gibt dem Roman einen realistischen Schmelz und Zauber, der die seitenlangen Zitierorgien über alles, was man zwischen Mystik, Jazz und Camp weiß und wissen sollte, unerwartet konsumierbar macht. Ja, die sub-akademischen Zitier-Einlassungen steigern das erotische Raffinement des Romans, indem sie die unaufhaltsame Lesererwartung nach dem „Akt” zügeln, verzögern und kommentierend konterkarieren.
Und es könnte sein, dass sich mit dem Thema „Entsagung/Versagung” auch die Umrisse einer größeren politisch-philosophischen Idee abzeichnen, die Meinecke und uns noch länger beschäftigen wird. „Wir tun ja nicht nichts”, lässt er seine Figur sagen, „sondern wir tun Dinge nicht.” Das kann man sich als Formel eines sozusagen post-triebhaften Genießens vorstellen, dessen ethische Vorzüge auf der Hand liegen.
Mit „Jungfrau” hat Meinecke, überzeugender noch als in der früheren Büchern, einen popkulturellen Arbeitsraum aufgemacht, in dem man sich mit sinnlichem Vergnügen und intellektuellem Gewinn tummelt. Aber was heißt hier „popkulturell”? Abelaerd und Héloise, Benedikt XVI., Jutta Hipp und Paul Claudel? Der Sache nach wäre es schwer, diese Phänomene einfach unter Pop zu buchen. Pop ist aber, was Meineckes Methode – nicht zu ihrem Nachteil – aus ihnen macht.
Thomas Meinecke
Jungfrau
Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 348 Seiten, 19, 80 Euro.
Lothar Lothar, ein junger Theaterwissenschaftler, ist zur katholischen Theologie übergetreten und hat sich seither ein Keuschheitsgelübde auferlegt – das ist die Macht der Mutter Gottes. Foto: Parry / Impact / Visum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Nicht unspannend, aber beileibe kein ungetrübtes Vergnügen ist dieser neue Roman von Thomas Meinecke aus Sicht von Rezensentin Susanne Messmer, die für die Lektüre einen Internetzugang zwecks Googelns unerlässlich findet. Denn der Roman, dem sie das Etikett "Diskursroman" verpasst, sei ein "sortierter, hochkomplizierter Zettelkasten", der Plot spindeldürr, die Figuren totenblass. Umso "lüsterner" werfe man sich auf das bisschen Handlung, die Hauptfigur mit dem albernen Namen "Lothar Lothar", der kaum, dass er sich fürs Zölibat entschieden hat, auf die laszive Musikerin Mary Lou trifft, und ihr gegenseitiges Begehren durch die Enthaltsamkeit immer stärker wird. An dieser Geschichte nun handele Meinecke die "Konstruiertheit kultureller Selbstverständlichkeiten" wie Sprache und Geschlecht ab. Irgendwann hat sie sich an Meineckes dauerndes Textbrodeln gewöhnt und ist selbst erstaunt, bis zum Ende des Buchs "bei der Stange" geblieben zu sein. Doch zum ersten Mal lasse Meinecke durchblicken, wie er Geschichten erzählen würde, würde er sie denn erzählen wollen.

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»Mit Jungfrau hat Meinecke, überzeugender noch als in früheren Büchern, einen popkulturellen Arbeitsraum aufgemacht, in dem man sich mit sinnlichem Vergnügen und intellektuellem Gewinn tummelt. Aber was heißt hier 'popkulturell'? Abelaerd und Héloise, Benedikt XVI., Jutta Hipp und Paul Claudel? ... Pop ist, ... was Meineckes Methode aus ihnen macht.«
Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung