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Ohne seine Freundin Sumi hätte Andreas, der begnadete Cellist, den Mut zu seinem schwierigen Pariser Konzert nicht aufgebracht. Mit ihr aber hat er den entscheidenden Termin fast versäumt - weil die Nacht die beiden beinahe verschluckt hätte. Warum sie ihn danach abrupt verläßt und nach Japan zurückfährt, kann er nicht begreifen. Überhaupt wird Andreas aus den Frauen, mit denen er sich tröstet und die ihn trösten, nie klug: aus Catherine nicht, aus Vera nicht und nicht aus Jacqueline. Und immer ist er einen Schritt zu spät - was er auch anpackt, wem er sich auch nähert, er bleibt im Korsett…mehr

Produktbeschreibung
Ohne seine Freundin Sumi hätte Andreas, der begnadete Cellist, den Mut zu seinem schwierigen Pariser Konzert nicht aufgebracht. Mit ihr aber hat er den entscheidenden Termin fast versäumt - weil die Nacht die beiden beinahe verschluckt hätte. Warum sie ihn danach abrupt verläßt und nach Japan zurückfährt, kann er nicht begreifen. Überhaupt wird Andreas aus den Frauen, mit denen er sich tröstet und die ihn trösten, nie klug: aus Catherine nicht, aus Vera nicht und nicht aus Jacqueline. Und immer ist er einen Schritt zu spät - was er auch anpackt, wem er sich auch nähert, er bleibt im Korsett seiner Herkunft sowie im Korsett seiner so großen Begabung.
Adolf Muschg hat mit Eikan, du bist spät einen Roman komponiert, in dem das Verhältnis von Frau und Mann, von westlichen wie östlichen Mustern, von der Differenz des Schweigens zum Reden berührt, nie "ausgesagt", nie ausagiert wird. Andreas - ein typischer Mann in den besten Jahren? - bleibt, auch als er im fernen Japan sein Scheitern Möglichkeit einer Umkehr erfährt, ein unsolider Mitspieler um den Preis des Lebens. Daß die Aufgabe, daraus etwas wie "seine Lebenskunst" zu machen, mit "aufgeben" zu tun haben könnte, merkt er spät, doch nicht zu spät.

Autorenporträt
Adolf Muschg, geboren 1934 in Zollikon (Kanton Zürich), studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in Zürich und zwei Semester in Cambridge. Nach der Promotion 1959 war Muschg zunächst Lehrer an einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium in Zürich. Von 1970 bis in die frühen Neunziger Jahre war er Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Adolf Muschg ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS), und war 1975 Zürcher Ständeratskandidat. Sein politisches Engagement drückt sich auch in der Mitarbeit in der Kommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung von 1974 bis 1977 aus. Adolf Muschg wohnt in Männedorf bei Zürich. 1994 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet und, 2015 erhielt Adolf Muschg den Schweizer Grand Prix Literatur für sein Gesamtwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2006

Klingende, schäumende Pranken
Rätselhafte Kirschblüten: Adolf Muschg sucht in Japan Erleuchtung

"Eikan, du bist spät" - welch irritierender Titel! Denn da ist nicht nur die Fremdheit des japanischen Mönchsnamens, da verstört auch noch die anglisierende Formulierung. Soll sie das abbilden, wovon das Buch auch handelt - interkulturelles Lernen? Doch wovon handelt dieses Buch eigentlich? Von einem Mann und seinem Alter ego und Rivalen, dem Freundfeind gleicher Herkunft. Andreas Leuchter und Roman Enders. "Wem nie von Liebe Leid geschah" - bei diesem Satz verschränkt der Lehrer im Internat die Namen der "Zwillingsbrüder": "Merk dir's, Enders: Du bist auch nur ein Andreas, du bist es hinten, der andere ist's vorn."

Andreas, ein zu Beginn des Romans zweiundvierzigjähriger Cellist, erhält im Mai 1986, nach zwanzig Jahren ohne Kontakt, von Roman einen Brief, in dem dieser ihm eine Komposition widmet mit der Auflage, das Werk noch binnen Jahresfrist in Paris zur Aufführung zu bringen, vor seinem angekündigten Tod durch "den neuesten Erreger unserer Zivilisation". Doch Leuchter tut sich schwer mit diesem nahezu unspielbaren Werk. Von seiner Ehefrau Catherine, einer Atemtherapeutin, hat er sich innerlich entfernt, das "Verschwinden der Nähe" hinter "Lebenshöflichkeit" tarnend. Losen Kontakt hält er auch mit anderen Frauen, allesamt selbständige, eigenwillige und eher intellektuelle Persönlichkeiten. Da sind die Pianistin Lea, Vera, die die erste weibliche Professur für öffentliches Recht in der Schweiz innehat, und Jacqueline aus Lausanne mit ihrer Tochter Chantal. Doch die alle anderen Frauenbeziehungen, die zumeist auch Bettbeziehungen sind, überschattende Sehnsucht ist die nach Sumi, einer stillen, geheimnisvollen Japanerin und ihrerseits begnadeten Cellistin. Sumi, die Schweigsame, entpuppt sich für ihn recht rasch als "wahre Quelle seiner Inspiration", und sie ist es auch, die den Schlüssel zu der Komposition seines Freundes findet. Doch bei einer Paris-Tour läßt sie ihn allein im Hotelzimmer zurück.

Andreas Leuchter, aus Liechtenstein stammend, ist ein durchaus weltläufiger Mann. Er ist nicht nur im Französischen und im Englischen zu Hause, sondern er fühlt sich sogar in Feinheiten des Japanischen ein. So manch eine sprachliche Pointe in dieser brillant mit Sprache spielenden Narration dürfte hiesigen Lesern damit allerdings verschlossen bleiben, denn der Autor verzichtet gewissermaßen auf die Untertitel, die uns im Kino bei originalsprachlichen Passagen weiterhelfen. Vor allem die Namen haben es dem Erzähler angetan, die japanischen wie die vertrauteren Lebrecht und Lieberman - "Es gibt kein rechtes Leben im falschen" - bis hin zum französischen Christus: "Schesü Cri - als wäre er ein Schrei."

Der Mann aus der Peripherie verwindet den Verlust der japanischen Geliebten nur zum Schein, denn zwar tröstet er sich mit anderen Frauen - offenbar hat er keine Probleme, immer wieder neue Partnerinnen zu finden -, doch läßt er sich auf diese wechselnden Bekanntschaften nicht mehr tief ein. Mit Freundinnen wie der Juristin Vera führt er rasante Dialoge, hinter denen so etwas wie Sehnsucht, ein "unerfülltes Geschäft", aufblitzt. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2002. Und so nutzt der mittlerweile vom Künstler zum "Handelsreisenden in Musik" Mutierte die Gelegenheit zu einer Reise nach Japan, wohlwissend, daß hinter der Einladung der japanischen Musikhochschule, als Jurymitglied beim Cellowettbewerb mitzuwirken, seine frühere Geliebte steht.

Mit Japan zur Kirschblütenzeit bedient Muschg versiert den Topos der gleichermaßen exemplarisch freundlichen wie enigmatischen Fremde. Es ist gar nicht so einfach, hier nicht den abgegriffenen Klischees zu verfallen, doch werden selbst die allzu "japanisch" anmutenden Szenen vom Philosophenweg in Kyoto, von Tempelbesuchen und der ersten Begegnung mit japanischem Hierarchiegefüge mit kennerischer Raffinesse und bisweilen mit verhaltenem Humor entfaltet. Das Fremde daran wird nicht nur genau beobachtet, sondern, wo möglich, auch behutsam erklärt. So registriert er noch die Körpersprache, beispielsweise die verneinende Geste, die er "Scheibenwischen" nennt.

Was Leuchter indessen in der ungewohnten Fremde am meisten zu schaffen macht, ist die geradezu unheimliche Präsenz von Sumi, die als Cellomeisterin im Hintergrund agiert und die Reden und Handlungen ihrer Schüler und der Jurymitglieder bestimmt und die sich Leuchter dennoch auf demonstrative Weise entzieht. So ist er sich nicht einmal sicher, ob die ältere Dame im violetten Kimono, die sich beim abendlichen Bankett nacheinander mit allen Gästen unterhält, seine frühere Geliebte ist oder nicht. Die Magie, die sie umgibt, scheint in der fatalen Faszination wider, mit der sie selbst noch die reichlich unsympathisch wirkenden anderen Europäer in der Jury in ihrem Bann hält. Jeder von ihnen ist ihr auf seine Weise hörig.

Nun mag man einräumen, daß der Erzähler den Roman vielleicht mit ein wenig zuviel "Japan" versehen hat - es fehlen weder ein Erdbeben noch die fetzige junge Japanerin mit Leder-Outfit und blauen Kontaktlinsen noch ein kurioser Fall von weiblichem Harakiri und Yakuza-Gangster. Doch das ihn verstörende Fremde, Geheimnisvolle ist dies alles nicht, sondern es ist die Geliebte, die ihn verlassen hat und ihn auf Abstand hält. Und da ist es wohl weniger die kulturelle Distanz, sondern es ist ein Abgrund, der sich in Leuchter selber auftut. Leuchters Lebensbürden, die Haßliebe zu seinem Freund, wie er Mutterwaise, der ihn durch einen Tritt in die Hoden unfruchtbar gemacht hat und der ihn als Todkranker erpreßt, sind unauflösbar verknotet mit seinen "Don Juan"-artigen Zügen, und auf die Kindheit geht auch seine geheime Japan-Sehnsucht zurück.

Das alles liest sich trotz geist- und temporeicher Dialoge und einer Handlung, die das Kriminalistisch-Thrillerhafte streift, nicht immer widerstandslos. Zum einen wirkt der Roman stellenweise ein wenig überfrachtet, zum anderen irritieren widersprüchliche Zeitangaben, so daß man bei der das Geschehen rekonstruierenden Lektüre wiederholt innehält oder stolpert. Großartig dagegen, wie der Autor Musik in Bilder umzusetzen versteht: "Der Ton vibrierte wie eine erhobene Pranke aus flatterndem Schaum ... Aber die schäumende Pranke fiel nicht. Sie hielt ein, wurde festgehalten auf ihrer größten Höhe, im Augenblick, als ihre Bewegung am bedrohlichsten schien." Wie hier, am erzählerischen Höhepunkt der Japan-Episode, erhelltes Musikverständnis und Selbsteinsicht Leuchters in das Bild der Tsunami-Ikone, Hokusais weltberühmten Holzschnitts "Die große Woge" aus den 36 Ansichten des Berges Fuji, gegossen werden, dürfte auch jene Leser überzeugen, die sich nicht ohne weiteres auf Leuchters musikologische Grübeleien einlassen wollen.

Leuchter, der Suchende, erlebt in der Fremde einen Zusammenbruch, der ihn erleuchtet, bis Scheitern und Gelingen für ihn zusammenfallen. "Ich mißverstehe, also bin ich. Ohne Mißverständnis keine Liebe. Zu dumm, der Satz gilt auch umgekehrt."

IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT

Adolf Muschg: "Eikan, du bist spät". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 319 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht immer einfach zu lesen sei Muschgs letzter Roman, meint Rezensentin Irmela Hijiya- Kirschnereit, doch immer mit großer Könnerschaft und einem "brillianten" Faible für Sprachspiele geschrieben. Ein Cellist, referiert die Rezensentin die Handlung, erhält von einem Jugendfreund kurz vor dessen Tod einen Brief mit einer ihm gewidmeten Komposition, die ihm zunächst fremd ist, bis eine "geheimnisvolle Japanerin" als Muse in seinem Leben auftaucht. Muschg beschreibe die Prosa der Wirklichkeit im Alltag des Musikers mit Ehefrau und Liebschaften, so die Rezensentin, und mache dann einen Schnitt vom zweiundvierzigjährigen Cellisten zum knapp sechzigjährigen, der von der früheren japanischen Geliebten als Jurymitglied eines Cellowettbewerbs eingeladen wird. Aus dieser Japanreise mache Muschg eine "ein wenig überfrachtete" Kulturgeschichte Japans, kritisiert die Rezensentin, doch die "kulturelle Distanz" des Helden diene nur als Hintergrund für den "Abgrund" in ihm selbst. Seine "Don Juan"-Mentalität, die Hassliebe zu seinem lange verstorbenen Jugendfreund und allerlei sonstige "Lebensbürden" träten nun zu Tage. Zuletzt bedeute der Zusammenbruch gewissermaßen eine Art Erleuchtung. Der Roman, lobt die Rezensentin, enthalte "geist- und temporeiche Dialoge" und einen mitunter "thrillerhaften" Plot. Wahrhaft "großartig" sei es aber, wie Muschg "Musik in Bilder umzusetzen versteht".

© Perlentaucher Medien GmbH
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