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Der berühmte Philosoph Zhuangzi streitet sich mit einem Mann, der seit 500 Jahren tot ist. Diderot empfängt einen aufdringlichen Reporter aus dem 20. Jahrhundert zum Interview. Ein gealterter Anarchist erklärt einem enttäuschten Jünger, woran die Revolution gescheitert ist. Weimarer Zeitgenossen Goethes fallen in einer Fernseh-Talkshow über den Olympier her und merken nicht, wie sie sich dabei blamieren. Der gezielte Anachronismus dient Enzensberger als Falle, in die er den Zeitgeist zu locken sucht. Enzensberger greift mit diesen Dialogen die Form der antiken Götter- und Totengespräche wieder…mehr

Produktbeschreibung
Der berühmte Philosoph Zhuangzi streitet sich mit einem Mann, der seit 500 Jahren tot ist. Diderot empfängt einen aufdringlichen Reporter aus dem 20. Jahrhundert zum Interview. Ein gealterter Anarchist erklärt einem enttäuschten Jünger, woran die Revolution gescheitert ist. Weimarer Zeitgenossen Goethes fallen in einer Fernseh-Talkshow über den Olympier her und merken nicht, wie sie sich dabei blamieren. Der gezielte Anachronismus dient Enzensberger als Falle, in die er den Zeitgeist zu locken sucht.
Enzensberger greift mit diesen Dialogen die Form der antiken Götter- und Totengespräche wieder auf und bringt damit ein menschliches Organ auf die Bühne zurück, das im Regietheater der Gegenwart in Vergessenheit geraten ist: das Gehirn. Spielend nehmen es die Tragikomödien der Intelligenz mit denen der Körper auf. Wer am Ende recht hat, ist keineswegs ausgemacht. Es wird bis zur letzten Runde gekämpft, zum Beispiel in einem malaiischen Militärcamp, wo ein betrügerischer Banker mit einem gestrandeten Exterroristen hadert. Ihr Streit kulminiert in einem musikalischen Duett, bei dem sich zeigt, daß der Jargon des Brokers und die Parolen des Extremismus ebenso schrill wie nahtlos ineinander übergehen.

»Sie können sich Ihre historische Umgebung nicht aussuchen, mein Lieber. Und unsere Arbeit besteht nun einmal darin, zu verstehen, was nötig ist.«

Autorenporträt
Hans Magnus Enzensberger wurde am 11. November 1929 in Kaufbeuren geboren und starb am 24. November 2022 in München. Als Lyriker, Essayist, Biograph, Herausgeber und Übersetzer war er einer der einflussreichsten und weltweit bekanntesten deutschen Intellektuellen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2004

Meister Lampe im Rechenzentrum
Weltsuppenlöffel: Hans Magnus Enzensberger ist immer schon da

Hans Magnus Enzensberger unterhält sich gern mit Menschen, noch lieber aber läßt er Geisterstimmen sprechen und nimmt seine Mahlzeiten mit den Unsterblichen ein. Wie der alte Goethe ist er sich bewußt, daß man ihn "aus der allgemeinen Literatur und der besonderen der Deutschen jetzt und künftig, wie es scheint, nicht los wird". Und immer weniger läßt er sich in seinen Äußerungen von Zeitgenossenschaft anfechten. In amüsierter Distanz zum Kulturbetrieb erfreut er sich seiner Unzeitgemäßheit um so mehr, als er die Medienmaschine jederzeit perfekt zu bedienen weiß.

In der Frankfurter Lindenstraße wird derweil fleißig an seiner Historisierung gearbeitet. Das Bändchen "Natürliche Gedichte" enthält bis auf eine aktuelle Zugabe nur bereits mehrfach publizierte Texte von 1957 bis 2003. Die Dokumentation seit 1981 erschienener "Dialoge" enthält immerhin zwei Erstdrucke, darunter eine verzinkte "Metakommunikation". In beiden Büchern soll offenbar der Geschichtsfreund "auf bequeme Weise" erfahren, wie es in Enzensbergers Tagen ausgesehen, vor allem aber, daß jedenfalls einer der "anachronistischen Geister, die wir Dichter nennen", sich auch im Zeitalter elektronischer Simultanmedien als unverwechselbares Individuum wie Goethe in "ununterbrochener Tätigkeit" erhalten hat.

Naturlyrik war in einem Paradigma von Klopstock über Goethe, Hölderlin und Brentano bis zu Eichendorff, Heine und Mörike einmal das kunstvollste Medium der Selbstentzifferung des Individuums. Herrlich sollte da Natur bis in den intimsten Winkel der Persönlichkeit leuchten, zugleich sollte die Welt als beseelte für alle lesbar und fühlbar werden. Rückblickend aber erschien die Natur der deutschen Lyrik als Rückzugsort einer Innerlichkeit, die sich nur allzuleicht in Ideologie verwandeln ließ. Nach der Naziherrschaft mußte Eichendorff erst zum zeitkritischen Artisten erklärt werden, ehe er wieder gelesen werden durfte. In der Gattungsbezeichnung "Natürliche Gedichte" versichert sich Enzensberger gegen die politische Betrachtung jener Tradition, um zugleich zu dokumentieren, daß er sich auch in den Zeiten der Politisierung um ideologiekritische Klischees nicht geschert hat.

Sein derzeitiger Einsatz für Alexander von Humboldt könnte den Eindruck erwecken, es solle Naturlyrik in der vom Grimmschen Wörterbuch nahegelegten Bedeutung "von der natur handelnd, die natur erforschend, naturkundig" für die Reintegration von Dichtung und Naturwissenschaft ins Feld geführt werden. Aber Enzensberger hat seit je weder die moderne Dichtung noch die Physik überschätzt, und die Restauration angeblicher Ganzheiten ist nie sein Bestreben gewesen.

Daß der Natur in seinen Augen ein unvermindert hohes Seinsrang gebührt, bleibt davon unberührt. Vielmehr werden Widersprüche wie Anachronismen zum Prinzip der poetischen Gestaltung. Wenn in diesen Gedichten etwas gerettet werden soll, dann die Aufmerksamkeit für die Nuancen der Wahrnehmung und der Sprache und der Sinn für die schönen Unvorhersehbarkeiten der sichtbaren Welt. "Betrachte / die Abweichungen: grün von grün, / matt von glänzend, das Blatt / in der Spreite dunkler als unten / oben. Nichts wiederholt sich." Denn die Natur ist keine Maschine, sondern eine Köchin: "Unberechenbar rührt sie die Welt um / mit ihrem riesigen Löffel."

Ausgespielter Anachronismus als Lob der Differenz und als Mittel zum heiteren Lebensgenuß ist auch ein Leitprinzip der Dialoge, die in der Tradition Diderots dem "Hasenherz des Lesers" einiges zumuten. Wie schon in "Geisterstimmen" (1999) erscheint der Aussprache stiftende Dichter in der Rolle des virtuosen "Kochs und Tafeldeckers", der mit sicherem Geschmack in die Vorratskammer greift, das Verschiedenartige kombiniert, zurichtet und luxuriös auftischt. Verteilungsgerechtigkeit ist dabei seit je Chimäre. Der Autor selbst begreift sich als luxuriös, nämlich als "Widersacher der Gleichheit".

Wenn der Leser aber meint, er könne diesem hochfahrenden Hasen, der bekanntlich schon im Märchen als "vornehmer Herr" erscheint, auf die eitlen Schliche kommen, so täuscht er sich. In der "Metakommunikation" verwandelt sich Meister Lampe sogleich in jenen Igel, der durch seine Langsamkeit immer schon da ist. Der Hase rennt, bis er umfällt, der Igel läßt sich Zeit und lacht. Ob er dabei glücklich ist, erfährt anders als beim Märchen auch der aufmerksame Leser nicht, vom eiligen zu schweigen.

FRIEDMAR APEL

Hans Magnus Enzensberger: "Natürliche Gedichte". Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2004, 80 S., br., 11,80 [Euro].

Ders.: "Dialoge zwischen Unsterblichen, Lebendigen und Toten". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004, 216 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2004

Dicke Sätze, heitere Gefühle
Freundliche Übernahme der Firma Fontenelle, Diderot, Herzen & Co. : Hans Magnus Enzensbergers gesammelte Dialoge zwischen Unsterblichen, Lebendigen und Toten
Man findet in der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte nicht viele Autoren, die sich der Kunstform des literarischen Dialogs gestellt haben. Arno Schmidt mit seinen „Dichtergesprächen im Elysium” ist einer von ihnen, Hans Magnus Enzensberger mit seinen „Dialogen zwischen Unsterblichen, Lebendigen und Toten” ein anderer. So unterschiedlich die Gesprächstöne der beiden auch sind - streitbar und gern belehrend Schmidt, entspannt und undogmatisch Enzensberger - , so haben sie doch ein gemeinsames Vorbild: die Dialogkultur der Aufklärung. Diderots Wiederentdeckung des sokratischen Dialogs, seine Nobilitierung der geistreichen Konversation hat einer Literatur den Weg gewiesen, die dem Gedankenaustausch den Vorrang vor dem Gedankenerguss gab - und die dabei spielerisch die Sphären der Literatur und des Wissens in ein Gespräch brachte, das beidseits ohne Imponiergehabe auskommt.
Freilich ist die Literatur seit Diderot meist andere Wege gegangen: vom Dialog zum Monolog (und zur Monomanie), vom Zwischenmenschlichen zum „Innermenschlichen”, wie Peter Szondi es nannte, von der Aufklärung zur fortschreitenden Verfinsterung. „Über die Verfinsterung der Geschichte” heißen die beiden „Dialoge aus dem 19. Jahrhundert”, die Enzensberger nach den Erinnerungen Alexander Herzens 1984 für die Bühne eingerichtet hat.
Enzensbergers nun gesammelt vorliegende Dialoge aus den letzten 25 Jahren, teils schon veröffentlicht, teils ungedruckt, sind geeignet, den Verlust zu beziffern, der der Literatur auf diese Weise entstanden ist. Am liebsten sähe der Autor seine Götter- und Totengespräche, fiktiven Interviews und anachronistischen Talkshows auf der Bühne, um ihr „ein menschliches Organ” zurückzuerstatten, „das im Regietheater der Gegenwart in Vergessenheit geraten ist: das Gehirn”. Genau deshalb aber will die Bühne diese Dialoge nicht: sie sind ihr zu zerebral, zu souverän, zu unaufgeregt. Die Bühne ist dem Körper, seinen Kämpfen und Krämpfen verfallen, Enzensberger hingegen favorisiert seit eh und je das körperlose Spiel. Das Drama und die Leidenschaft, sie sehen bei ihm geradezu wie Schrumpf- und Schwundformen einer Intelligenz aus, die all das immer schon hinter sich weiß.
So wenig aber, wie die Bühne Enzensbergers Dialoge braucht, so wenig brauchen diese die Bühne. Sie entfalten ihren Reiz bereits beim Lesen. Vom ersten Gespräch aus dem Jahre 1978, „Szenen nach dem Chinesischen des Lu Xun” unter dem Titel „Der Tote Mann und der Philosoph” bis zum letzten, einem „Dialog über den Luxus” von 2002, künden sie von heiterer Skepsis, kritischer Gelassenheit und einem Riesenhunger auf alles Empirische.
Wer redet hier miteinander, welche Toten, welche Unsterblichen und Lebendigen? Ein chinesischer Philosoph, Zhuangzi, findet seinen Meister in einem Mann, der seit 500 Jahren tot und womöglich er selber ist. Denis Diderot wird von einem törichten Interviewer aus dem 20. Jahrhundert behelligt, dessen Mikrofon ihn zu einer Adhoc-Theorie des (nicht nur journalistischen) Parasitentums inspiriert; und dann redet er ihm die hehren Begriffe von Aufklärung und Menschenfreundlichkeit wieder aus, mit denen der Gast seinen, Diderots Namen verbindet. In ihrem klügsten Stadium hat sich die Aufklärung offenkundig in einen heiteren Fatalismus verwandelt. „Fünf Unterhaltungen über Jacques le Fataliste” schließen sich an, in denen „Der Andere” dem „Einen” die formalen, also intellektuellen Vorzüge von Diderots Werk vor Augen führt.
Wie öfter in diesen Dialogen, kommt dem Einen die Rolle des Begriffsstutzigen zu, was dem Anderen erlaubt, die Früchte seiner Einsicht besonders siegesgewiss zu präsentieren. „Der Eine” hält sich beispielsweise etwas auf die Einsicht zugute, mit „Jacques le Fataliste” beginne „die Geschichte des modernen Romans”, was dem Anderen die Replik erlaubt: „Derart dicke Sätze überlasse ich den Kritikern”. Hier und anderswo rennt Enzensberger offene Türen ein: Die Avantgarde „eine Erfindung des späten neunzehnten Jahrhunderts”, „eine reichlich doktrinäre Angelegenheit”? Natürlich. Man müsste verbissener und bockbeiniger sein, dickere Sätze schreiben und denken, um Enzensbergers Kontrahent zu werden.
Nicht immer zündet deshalb der Enzensbergersche Intelligenzfunke. Zu Aussetzern kommt es vor allem, wenn er sich, unbegleitet von den Vorbildern Diderot oder Herzen, auf das Feld der Zeitkritik begibt. Etwa in dem kurzen Dialog „Metakommunikation”. „Ich gehe nirgends hin. Keine Lesungen, keine Podiumsgespräche, keine Vorträge”, sagt „Der Eine”, in dem man ein Ebenbild des Autors zu erblicken glaubt. Während sein Gesprächspartner ein Loblied auf das öffentliche Reden singt, hält es der Eine lieber mit der nicht-teilnehmenden Beobachtung. Ob er dann nicht im September zu einer „Veranstaltung über die Problematik der teilnehmenden Beobachtung” kommen wolle? Nein, im September muss der Eine nach Harvard, zur „Internationalen Tagung der Kommunikationswissenschaftler zu dem Thema The End of Discourse”. Enzensbergers Witz kann bekanntlich „leichter als Luft” werden, aber manchmal verflüchtigt er sich dabei.
Nicht in den milde-zeitkritischen Sketchen erreichen Enzensbergers Dialoge die Höhe ihrer Möglichkeiten, sondern in den literarischen Gesprächen, die vielfältige Textfunde und eigene Befunde spielerisch montieren. Etwa in der „Liebeserklärung” namens „Nieder mit Goethe!” (1995), einer TV-Talkshow aus Weimar, in der vier eher mediokre Zeitgenossen aus ihrem Ressentiment gegen und ihrer verklemmten Verehrung für Goethe kein Hehl machen. Unterbrochen wird der Talk von goethezeitlichen Werbespots, die Enzensberger mit leichter Hand getextet hat.
Dass in dem Bastler und Verschwender ein poeta doctus wacht, dessen Ohren stets an den Gleisen der Gegenwart lauschen, zeigt Enzensbergers Nachbemerkung „Über den Anachronismus”. Im Anschluss an Hans Blumenberg, der unerwähnt bleibt, bestimmt er die „Restbestände” als unsere „wichtigsten Ressourcen”. „Der Anachronismus ist zu einem unentbehrlichen Psychopharmakon der technischen Zivilisation geworden”. Und gibt es anachronistischere Geister als die Dichter? Literaturwissenschaftler wie Friedrich Kittler hätten uns zwar hinreichend klargemacht, dass an die Stelle der Dichtung andere, neue Leitmedien getreten sind. Doch sei es bisher auch „dem massiven Einsatz der elektronischen Simultanmedien nicht gelungen”, uns diese Geister vollends auszutreiben. Das ist wahr, nicht ganz neu, charmant formuliert und reizt nicht unmittelbar zum Widerspruch. Das ist: von Enzensberger.
Hans Magnus Enzensberger
Dialoge zwischen Unsterblichen, Lebendigen und Toten
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 216 Seiten, 19, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Außer Arno Schmidt fällt Christoph Bartmann neben Hans Magnus Enzensberger kaum einer ein, der die Tradition und Kunstform des literarischen Dialogs aufgenommen und fortgeführt hat. Enzensberger erledigt das außerdem so lässig und undogmatisch wie möglich, schwärmt Bartmann. Sein Vorbild wurzelt in der Dialogkultur der Aufklärung, erklärt der Rezensent, in der geistreichen Konversation, die Literatur und Wissenschaft elegant miteinander ins Gespräch bringe. Der vorliegende Band versammelt Dialoge aus 25 Jahren Enzensbergerscher Dialogproduktion, die teilweise bereits veröffentlicht wurden, in den seltensten Fällen gespielt und anderenfalls noch ungedruckt waren. Denn für die Bühne, behauptet Bartmann, die ohnehin in den letzten Jahrzehnten den Weg vom Dialog zum Monolog beschritten habe, seien diese Dialoge "zu zerebral, zu souverän, zu unaufgeregt". Tröstlich, dass seines Erachtens die Enzensbergerschen Texte die Bühne auch gar nicht nötig haben. Sie entfalten ihre volle Wirkung schon beim Lesen, staunt der Rezensent. Am gelungensten seien die Dialoge dort, wo Enzensberger literarisch bleibe und Textfunde mit eigenen Befunden mische; begebe er sich aufs glatte Feld der Zeitkritik, kämen auch schon mal Ausrutscher ins Nichtssagende vor.

© Perlentaucher Medien GmbH