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Der Solarplexus ist eine Verdichtung von Nervenzellen, ein Geflecht unter der Haut, das über Nervenfasern ankommende Signale aufnimmt, verstärkt und weiterleitet. Ostermaiers Gedichte zielen ins Innerste, ihr Rhythmus folgt dem Druckreflex, der Beschleunigung des Herzens, der Atemnot, wenn das Blut sich in den Gefäßen staut. Der Ort dieser Gedichte sind die Peripherien, die Wüsten am Rand der Städte, der Blick, der sich in die Netzhaut einbrennt, bevor er sich verliert. Sie erzählen vom Stillstand vor der Verletzung, vom Horizont, der sich mit den Wünschen immer weiter entfernt. Die Menschen…mehr

Produktbeschreibung
Der Solarplexus ist eine Verdichtung von Nervenzellen, ein Geflecht unter der Haut, das über Nervenfasern ankommende Signale aufnimmt, verstärkt und weiterleitet. Ostermaiers Gedichte zielen ins Innerste, ihr Rhythmus folgt dem Druckreflex, der Beschleunigung des Herzens, der Atemnot, wenn das Blut sich in den Gefäßen staut.
Der Ort dieser Gedichte sind die Peripherien, die Wüsten am Rand der Städte, der Blick, der sich in die Netzhaut einbrennt, bevor er sich verliert. Sie erzählen vom Stillstand vor der Verletzung, vom Horizont, der sich mit den Wünschen immer weiter entfernt. Die Menschen in ihnen überfällt immer wieder eine politische Lust zu lieben, den innersten Reflex gegen die äußerste
Starre zu setzen.
Ostermaiers Gedichte sind auf der Suche. Eine Suche, die dort anfängt, wo die Ner-ven blank liegen, bis sie sich als Zeilen
erneut verbinden und zu pulsieren beginnen.

Autorenporträt
Albert Ostermaier ist 1967 in München geboren, wo er heute als freier Schriftsteller lebt. 1995 erschien sein erster Gedichtband Herz Vers Sagen, der mit dem Lyrikpreis des PEN Liechtenstein ausgezeichnet wurde. Im selben Jahr fand die Uraufführung seines ersten Stückes Zwischen zwei Feuern - Tollertopographie im Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels statt. Es folgten Uraufführungen an renommierten Theatern im In- und Ausland. Namhafte Regisseur:innen wie Andrea Breth, Martin Kusej, Kay Voges und Thorleifur Örn Arnasson inszsenieren seine bildkräftigen Stücke. Sein neuestes Werk Superspreader war als Zoom-Aufführung im Residenztheater München zu sehen und erlebte im März 2021 die Uraufführung am Théâtre National du Luxembourg.

Albert Ostermaier ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Lyriker und Dramatiker der Gegenwart. 12 Gedichtbände, 39 Theaterstücke, 7 Libretti und 4 Romane zeugen von der unermüdlichen Schaffenskraft. Viele seiner Gedichte und Theaterstücke sind in mehrere Sprachen übersetzt und gelangten zur internationalen Aufführung (u. a. in Los Angeles, New York, Athen, Santiago de Chile, Kiew, Rom, Teheran). Neben seinen zahlreichen Lyrikbänden und Theaterstücken schrieb er 2008 seinen ersten Roman Zephyr, 2011 Schwarze Sonne scheine, der auch als Hörbuch erschien und mit dem Preis der Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde, 2013 den Roman Seine Zeit zu sterben und 2015 ist sein vierter Roman Lenz im Libanon erschienen, der im Jahr 2017 auch auf Arabisch publiziert wurde. Der letzte Gedichtband Über die Lippen wurde 2019 im Suhrkamp Verlag veröffentlicht, im Herbst 2021 wird ein neuer Gedichtband Teer erscheinen.

Für seine außergewöhnliche, vielseitige Arbeit hat Albert Ostermaier namhafte Preise und Auszeichnungen bekommen. Er ist u. a. Träger des Kleist-Preises, des Bertolt-Brecht-Preises, des Ernst-Toller-Preises und wurde 2011 mit dem WELT-Literaturpreis für sein literarisches Gesamtwerk geehrt. Er ist zu

dem Torwart der deutschen Autorennationalmannschaft und Kurator bei der DFB-Kulturstiftung. Albert Ostermaier war »writer in residence« in New York und Gastprofessor an verschiedenen Universitäten, wie Berlin und Venedig.

Albert Ostermaier hat angesehene Literaturfestivals kreiert und ins Leben gerufen, darunter Lyrik am Lech, abc - Augsburg Brecht Connected und das Romantikfestival read_. Er kuratierte das forum:autoren beim Literaturfest München sowie aktuell das Thomas-Bernhard-Festival Verstörungen in Österreich. Er ist darüber hinaus regelmäßig als vielseitiger Experte bei renommierten Radiosendern und Tageszeitungen gefragt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2004

Ewig lacht die Melonenscheibe
Miles and more: Albert Ostermaier chartert einen Musenjet

Die Welt ist alles, was im Fernsehen vorkommt; Kontinente und Zeitzonen wechseln darin so rasch, wie unsere Finger die Kanäle auf der Fernbedienung anschnippen können. Manche Lyriker meinen, da mithalten zu müssen, und so jettet das Gros der etablierten fünfunddreißig- bis fünfzigjährigen deutschen Dichter pausenlos um den Planeten, um uns aus Los Angeles oder Irland mit poetischen Clips zu versorgen. Die Flugreisen des 1967 geborenen Albert Ostermaier, der zu den erfolgreichen Theaterautoren der Gegenwart gehört, ergeben etwa alle zwei Jahre auch einen Lyrikband. Sein neuestes Werk "Solarplexus" erwähnt den heimlichen Traum dieser Lebensform: "einmal / um die welt zu fliegen / ohne je die flughäfen / zu verlassen."

Ostermaiers lyrisches Ich scheut keine Reisestrapazen. Einmal gefährdet gar eine Schreiblähmung das Hotelfrühstück: "nach einer ewigkeit vollendete / ich das kreuz auf dem / blatt für die bestellung / kaffee eier marmelade / brot bitte nicht stören." Es blieb dies aber offenbar das einzige Schreibproblem, denn ansonsten rasen die Texte nur so dahin. Das leuchtet ein, sobald man auf die stilistischen Kriterien blickt: Ausgesparte Interpunktionen, assoziatives Erzählen und unscharfe Bilder sollen zusammen mit dem mechanisch abgehackten Zeilenumbruch den Effekt atemloser Erregung durch Sprache transportieren. So funktioniert etwa das Gedicht "luftfeuchtigkeit", das jene Wettermetaphorik aufruft, die einst zur Illustrierung von Seelischem diente: "als könnte ich deine haut mit / dem himmel verwechseln / wandern meine lippen wie / wolken über deine schenkel." Nun geht es hier aber offensichtlich nicht um die Darstellung von Seelischem, sondern um die Dekoration einer Fellatio: "unter deinem immer schnelleren / atem der aufgehenden sonne / zu ...". Sonne plus Luftfeuchtigkeit gehorchen der Meteorologie, und so kommt, was kommen muß - indes: Wer braucht eigentlich heute noch Gewitterkitsch zur Verbrämung von Physiologie? Regt sich da nicht anstelle des Solarplexus viel eher das Zwerchfell?

Diese Frage stellt sich auch bei Lektüre der Reiseberichte. In "bospherusbeats" geht es nach Istanbul, wo die Freunde in einen exklusiven Club wollen. Dies gelingt schließlich, als ihnen ein Gönner zwei seiner drei Blondinen abtritt, doch bevor es heikel wird, nehmen die beiden Reißaus. Wie es im Club war? "der club war wie ein stapel / weisser blätter im wind das (sic!) / die engelwesen mit ihren / lippenstiftkalligraphien / beschrieben." Soweit Syntax und Bildlichkeit ein Urteil zulassen, muß es toll, aber ziemlich abstrakt gewesen sein. Dafür halten sich die beiden auf der Hotelterrasse schadlos. Was tröstet sie? "das ewige lachen der / melonenscheiben und das / klagende glück des sopran- / saxophons auf der brüstung / der dachterrasse die möwe / und das rauschen des meeres / in ihrem schnabel bevor die / minarette zu singen beginnen." Diese Zeilen sollte die Hotelverwaltung schleunigst in ihren Werbeprospekt aufnehmen. Das ewige Lachen der türkischen Gemüsehändler ist ihnen sicher.

Auch in San Francisco geht es wieder in einen Club, und wieder erfahren wir in "golden gates", wie es ist, wenn die Türsteher "die / kryptischen stempel auf die unterarme / drücken und die augen der tänzer im / dunkel glühen wie der farbstoff der / zu den beats geschüttelten drinks". Es ist genauso wie überall, "bis die sonne / aufgeht über der gefängnisinsel und / das radio wie jeden tag die gleiche / vorhersage sendet und als einzig / glückliche die erdbebenspalten zu / singen beginnen". Man braucht nur die Minarette durch Erdbebenspalten zu ersetzen. Warum diese singen, weiß niemand.

Fragen darf man an die Lyrik Albert Ostermaiers nicht stellen, nicht einmal an Rührstücke wie "alice in afghanistan" oder den Shakespeare-Zyklus "zwei zimmer in illyrien". Auch dort spricht das Lebensgefühl. Mag sein, daß es authentisch ist, aber es bleibt die Coolness wohlhabender junger Menschen, die sich ab und an ein wenig Schlagerromantik genehmigen: "die wärme deiner blicke / auf meinen frierenden lippen". Kindliche Sehnsucht nach einer tröstenden Hand beschließt drei der Gedichte, und der regressive Wunsch nach Geborgenheit wird unverhohlen eingestanden: "dich / bei mir zu wissen heißt nichts / fürchten zu müssen."

Das wärmt noch im Jahr 2004 das Herz, nur gilt es angesichts eines erwachsenen Autors festzuhalten: Auch mehrfache Horaz-Zitate können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Gefühlshaushalt, Lifestyle-Pose und poetisches Können deutlich auseinanderklaffen. Gedichtet, sprachlich gestaltet und geistig durchdrungen wird dieses Gemenge nicht, denn gleich kurze Zeilen, über die sich bei Performances irgendein "beat" legen läßt, können Dichtung bloß einen Abend lang simulieren.

Ostermaiers Sprach-Clips bestätigen Klischees des kommerziellen Zeitgeists, ohne deren Wahrnehmung auch nur ironisch anzutasten. Diese Situation erinnert an die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, als der Kunstmarkt mit allerlei Exotik zu Höchstpreisen bedient wurde, während Poesie und Malerei sich ganz unspektakulär an den Ufern der Seine erneuerten, indem Wahrnehmung, Intellekt und Sprache einander im Naheliegenden stimulierten. Ob nicht auch heute etwas weniger Jet-set der Kunst zugute käme? Die Flughäfen kennen wir selber.

THOMAS POISS

Albert Ostermaier: "Solarplexus". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 138 S., geb., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der Ton des Ganzen und die Männer ("empfindsam, unbehaust, großstädtisch, sehnsüchtig") die sich durch den Text schlagen oder auch in den Texten geschlagen werden, das kommt dem Rezensenten Nikolai Kubus doch sehr vertraut vor. Von Wolf Wondratschek her nämlich, als dessen Nachfolger Albert Ostermaier sich wohl begreife. Der erste Teil des Bandes ist dabei für Kubus weniger Lyrik als ein Hörspiel, kaum "konturiert" - ein Eindruck, der sich auf der beigelegten CD bestätigt findet. In den verbleibenden beiden Teilen reimt es sich immerhin, meint Kubus, aber die Verse seien doch arg holprig und das stört nicht wenig. Ostermaier hat fleißig alle tagespolitischen Stichworte aus den Nachrichten mitnotiert, aber für große Lyrik, fürchtet der Rezensent, genügt das noch lange nicht.

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