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Es ist, als schreibe Robert Walser mehr als 45 Jahre nach seinem Tod noch immer weiter. Nach den Texten 'aus dem Bleistiftgebiet', die Walsers bis dahin ediertes Werk um 2000 Druckseiten unbekannter Prosastücke, Gedichte und dramatischer Szenen erweiterten, liegt nun ein Band mit unerwarteten Neuentdeckungen vor. Es sind größtenteils Texte, die verstreut in Zeitungen erschienen sind und mit dem darauffolgenden Tag in der unüberblickbaren Fülle des Blätterwaldes verschwanden, daneben Manuskripte aus verschiedenen Quellen - zufällig erhalten geblieben und wieder zutage gekommen. Der Autor…mehr

Produktbeschreibung
Es ist, als schreibe Robert Walser mehr als 45 Jahre nach seinem Tod noch immer weiter. Nach den Texten 'aus dem Bleistiftgebiet', die Walsers bis dahin ediertes Werk um 2000 Druckseiten unbekannter Prosastücke, Gedichte und dramatischer Szenen erweiterten, liegt nun ein Band mit unerwarteten Neuentdeckungen vor.
Es sind größtenteils Texte, die verstreut in Zeitungen erschienen sind und mit dem darauffolgenden Tag in der unüberblickbaren Fülle des Blätterwaldes verschwanden, daneben Manuskripte aus verschiedenen Quellen - zufällig erhalten geblieben und wieder zutage gekommen. Der Autor selbst, so scheint es, hat sich um das Schicksal seiner Texte schon früh wenig gekümmert, als wisse er um die Sinnlosigkeit, Flaschenpostsendungen an die Zukunft adressieren zu wollen.
Statt dessen schrieb er klaglos »für die Katz, will sagen, für den Tagesgebrauch« und stellte alles Weitere dem Kommenden anheim. Robert Walser war keiner jener Autoren, die sich und ihr Schaffen von Beginn an dokumentierten - um so rätselhafter und geheimnisvoller ist heute seine Erscheinung.

Hermann Hesse erklärte: »Wenn Robert Walser hunderttausend Leser hätte, wäre die Welt besser.« Da der Band Feuer die letzten bisher unbekannten Texte versammelt, ist nun, im Jubiläumsjahr, das gesamte Werk Robert Walsers vollständig publiziert. Ein großes Gewicht im uvre dieses Autors nehmen die Mikrogramme ein, deren Entzifferung in der öffentlichkeit als »Sternstunde der Literatur« gilt. Deshalb werden sie im Jubiläumsprogramm erstmals vollständig in einer broschierten, preisgünstigen Ausgabe vorgelegt. Die von Bernhard Echte zusammengestellten Texte Europas schneeige Pelzboa entdecken Robert Walser als politischen Autor.
Autorenporträt
Robert Walser wurde am 15. April 1878 in Biel geboren. Er starb am 25. Dezember 1956 auf einem Spaziergang im Schnee. Heute ist Walser durch seine Romane, seine feuilletonistische Prosa, seine Gedichte und seine Dramolette als einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts anerkannt. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Banklehre und arbeitete als Commis in verschiedenen Banken und Versicherungen in Zürich. Seine ersten Gedichte, die 1898 erschienen, ließen ihn rasch zu einem Geheimtip werden und verschafften ihm den Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines ersten Buches Fritz Kochers Aufsätze folgte er 1905 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner den Durchbruch erzielt hatte. In rascher Folge publizierte Walser nun seine drei Romane Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909). Infolge einer psychischen Krise geriet Walser Anfang 1929 gegen seinen Willen in die Psychiatrie, deren Rahmen er nie mehr verlassen konnte. 1933 von der Berner Klinik Waldau nach Herisau verlegt, gab er das Schreiben vollständig auf und lebte dort noch 24 Jahre als vergessener anonymer Patient. Sein Werk erscheint seit 1978 im Suhrkamp Verlag, seit 2018 auch in der neuen kommentierten Berner Ausgabe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2003

Treffsicher wie Tell
Bergwertung: Zwei neue Sammlungen von Texten Robert Walsers

Das große Vaterland "noch größer zu machen wird mein Stolz, mein Leben, meine Sehnsucht, meine Ehrsucht sein": Im ersten Aufsatz - Schulaufsatz? - eines Bandes, der seine "Texte zur Schweiz" dokumentiert, entpuppt sich Robert Walser als glühender Patriot. Sein Schwärmen entspricht dem politischen Bewußtseinsstand eines Halbwüchsigen. Mindestens zweimal gibt sich der Verfasser tatsächlich als "Schüler der zweiten A-Klasse" zu erkennen. Der Herausgeber Bernhard Echte datiert den Text auf 1902 - damals war Robert Walser vierundzwanzig Jahre alt.

Es ist nicht die einzige Stelle dieser Ausgabe, die Mißtrauen erregt. Im Nachwort bezeichnet Echte die Schweiz "am Anfang des 20. Jahrhunderts als einzige Demokratie auf dem Kontinent". Und Finnland - wo die Frauen 1906 wahlberechtigt wurden? Frankreich? Schwamm drüber! Auch über den Umschlag, für den natürlich ein grimmiger Berg hermußte. Er wurde dem Mont-Blanc-Massiv entlehnt - das leider nicht zur Schweiz gehört. Das größte und wirklich störende Ärgernis ist indes der Buchtitel. Er stammt aus dem eher belanglosen Kurztext "Allerlei": "Das Schweizerland, wie kühn und klein steht es da, umarmt von Staaten." Walser bezeichnet es als "Europas schneeige Pelzboa". Was immer er damit gemeint haben mag - gesuchte Formulierungen dieser exotischen Art finden sich in seinen Feuilletons und Essays ansonsten kaum. Aber dennoch hat man mit sicherem Instinkt für den vielleicht überhaupt unverbindlichsten und harmlosesten Abschnitt in der ganzen Sammlung diese "schneeige Pelzboa" in den Buchtitel übernommen.

Robert Walser war kein Humorist, der sich im Kalauern versuchte, und kein Kommentator der politischen Lage. Die Schweiz im weitesten Sinne ist das zentrale und ergiebige Thema dieser gebündelten Schriften. Mehrere Skizzen über Wilhelm Tell hat Walser hinterlassen. Diese Nachdichtungen bekannter Szenen enthalten scharfsinnige Einschätzungen über den Kitsch in der Literatur, der entzückend sein könne, wie über den Nationalhelden: Sind Tell und Gessler, der Landvogt, "nicht eine einzige widerspruchsvolle Persönlichkeit?" Man wird in Zukunft Robert Walsers Beschreibung der Schlacht von Sempach im Geschichtsunterricht lesen müssen. Sie enthält genau das Pathos, das der Schweizer Mythologie so genau entspricht, und bricht es gleichzeitig ohne jeden Zwang zur Ironie. In Walsers Erzählung suchen die siegreichen Eidgenossen in der Nacht im Lichte ihrer Fackeln nach ihrem Märtyrer Winkelried, der sich vor dem Heer der Habsburger niederwarf, die Spitzen ihrer Speere auf sich zog und damit eine Bresche in ihre Reihen schlug. Das Ereignis "lehrt uns eigentlich, wie furchtbar dumm es ist, sich einzumummeln" - und mündet in eine sehr Walsersche Geschichtsphilosophie: "Eine große Tat tilgt die mühselige Folge der Tage nicht aus. Das Leben steht nach einem Schlachtentag noch lange nicht still; die Geschichte macht nur eine kleine Pause, bis auch sie, vom herrischen Leben gedrängt, vorwärtseilen muß."

Genauso erhellend ist Robert Walsers Streifzug durch die helvetische Geistesgeschichte, die begann, als "die Römer kulturbringend durch das Schweizerland zogen". Jahrhunderte später machten sich dann im Ausland "Dichter bemerkbar wie Shakespeare und Cervantes". Auf einer Insel im Bieler See hielt sich Jean-Jacques Rousseau vorübergehend auf: "Genannter verbreitete eine Menge zarter, sentimentaler Einflüsse, und Wirkungen gingen von ihm aus, die man landschaftsanerkennend nennen kann." Mehrere Aufsätze sind Gotthelf und Gottfried Keller gewidmet, den Walser einen "nicht nur beliebten, sondern anerkannt großartigen Behaglichkeitsvertreter" nennt. Genauso unterhaltsam und ungemein aufschlußreich sind Robert Walsers Studien über die Maler Albert Anker und Karl Staufer-Bern. Er porträtiert den Züricher Reformator Zwingli und den Stadtpräsidenten Hans Waldmann. Landschafts- und Stadtbeschreibungen finden sich in diesem Band - ein Schmuckstück ist der Bericht "Kleist in Thun".

Auf eine direktere Art politisch und kritisch - aber keineswegs radikaler - sind die gegen Schluß präsentierten Abhandlungen über "Die Zukunft der Nationen", Geschichte und Bildung: "Mit kühler Empörtheit, die mich durchtanzt, durchlacht, die mir übrigens ganz und gar paßt, weil sie eine sittliche Höhe darstellt, sage ich, daß in einem kleinen Land jährlich achtzig Millionen für Militärzwecke verausgabt werden. Schade um so viel Geld!" Gerade in diesen etwas banaleren Stücken zu tagespolitischen Fragen zeigt sich deutlich, wie unverbraucht der Ton Robert Walsers ist.

Doch der Ärger über die Edition verfolgt den Leser auch noch, nachdem er den Band bereits zur Seite gelegt hat: "Die von Bernhard Echte zusammengestellten Texte . . . entdecken Robert Walser als politischen Autor" - womit sie bei aller Lebhaftigkeit, die sie auszeichnet, wohl doch ein bißchen überfordert sein dürften. Der Satz über die Texte, die ihren Autor entdecken, steht auf dem Klappentext einer zweiten Neuerscheinung, die Suhrkamp zum 125. Geburtstag des Schriftstellers herausgebracht hat: "Feuer". Es handelt sich um eine Sammlung kleiner Prosastücke, die Walser in großer Zahl produzierte und verschiedenen Zeitungen zum Druck anbot. Um seine Arbeiten "für die Katz, will sagen, für den Tagesgebrauch", um ihren Abdruck und die Honorierung hat er sich nicht besonders intensiv gekümmert. Meist stellte er keine Kopien her. Auch an die Nachwelt hatte er nie gedacht. Sie wird nun mit diesen wiedergefundenen Feuilletons beglückt, auf die sie eher als Walsers Zeitgenossen hätte verzichten können - interessant sind die Arbeiten für literaturwissenschaftliche Experten, allen anderen kann man sie allenfalls empfehlen, wenn sie den ganzen Walser bereits gelesen haben.

Zu seinem Verständnis tragen sie nichts Neues bei, und dies ganz im Gegensatz zu den Texten über die Schweiz, die manchmal geradezu visionär sind und in ihrer Gesamtheit ein Profil, eine Mentalität, eine Geschichte erkennen lassen - und auch eine Emanzipation. Walser, der patriotische Schüler, wurde zum subversivsten und freisten Schriftsteller des Landes - vor Dürrenmatt; nicht nur bezüglich der Chronologie. Seine Schriften enthalten die überzeugendste, weil unscheinbare und ideologiefreie Kritik der "politischen Korrektheit" - über die Scheinheiligkeit der Moral in der Politik findet man in seinen Texten stechende Argumente von radikalster Aktualität.

Walser ist mit seinen Worten so treffsicher wie Wilhelm Tell mit der Armbrust. Selbst den Überdruß an den zum Geschwätz verkommenden Debatten und die Krise des politischen Intellektuellen hat er vor siebzig Jahren in überraschenden Gedankengängen thematisiert. "Der schweizerische Schriftsteller sieht sich nicht entmutigt", schrieb er 1931, "aber irgendwie protestierte das nationale Leben gegenüber fortwährender Ausbeutung." Deshalb legte Walser den Intellektuellen auch schon mal das Schweigen nahe: "Ein Land und ein Volk wollen nicht in einem fort geschildert, dargestellt oder abgebildet, sondern begehren in Ruhe gelassen zu sein."

JÜRG ALTWEGG

Robert Walser: "Europas schneeige Pelzboa". Texte zur Schweiz. Herausgegeben von Bernhard Echte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 350 S., geb., 23,- [Euro].

Robert Walser: "Feuer". Unbekannte Prosa und Gedichte. Herausgegeben von Bernhard Echte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 141 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003

Hauptsache, es wird geküsst
Aus dem Altpapier gezogen: Unbekannte Texte Robert Walsers aus den Jahren 1907 bis 1933
Seit nahezu fünfzig Jahren ist Robert Walser tot; lange vorher schon hatte er das Publizieren eingestellt. Doch nach Zahl und Umfang können es die Neuerscheinungen, die Walsers Namen tragen, mit denen lebender Autoren aufnehmen. Wie bei Kafka oder Benjamin ist das Werk Robert Walsers vor allem eine editorische Leistung der Nachwelt. Zu seinen Lebzeiten waren seine Schriften wenigen bekannt und bald verschollen. Viele Manuskripte sind verloren gegangen, sogar die Belegstücke gedruckter, heute aber nicht mehr auffindbarer Artikel.
Manches Verlegte findet sich wieder. Dem Spürsinn der Robert-Walser- Forscher musste der Zufall zu Hilfe kommen, um diese unbekannten Texte aus den Jahren zwischen 1907 und 1933 wieder ans Licht zu bringen, die in Zeitungen wie dem „Berliner Börsen-Courier”, dem „Schweizerischen Familien Wochenblatt für Unterhaltung und Belehrung”, der „Kasseler Post” und der „Dame” versteckt waren, manchmal auch ungedruckt in den Schubladen der Redakteure liegen blieben. Damals hatten weder die Leser noch die Redakteure noch der Verfasser selbst geahnt, dass sie in diesen kleinen, flüchtigen Feuilletonstücken klassische Werke der Moderne vor sich hatten. Sobald ein Schriftsteller kanonisiert ist, werden seine verstreuten Spuren wie Reliquien eingesammelt. Um dreißig Prosatexte, fünf Gedichte und einige Fragmente lässt der nun von Bernhard Echte herausgegebene Band Walsers Œuvre wachsen.
Das Gift der Beobachtung
Jeder neue Text Walsers, einmal dem Vergessen entrissen, erscheint uns als eine Trouvaille, die nie hätte verloren gehen dürfen. So lesen wir „Etwas über die Eisenbahn” aus der Perspektive eines „Tagediebs”, der nichts Besseres zu tun hat, als auf den Bahnhöfen den Reisenden zuzusehen: „Ah, ein wichtiger Zug kommt an, man steht da und sieht zu, wie sie sich um den Hals fallen, wie sie Küsse links und rechts austeilen, wie die lieblichen Frauenköpfe erröten, wie Hände und Arme sich zum Empfang ausbreiten, wie Augen aufleuchten, wie Diener, die ihre Herrschaften erwarten, bei deren Anblick strammstehen, um Köfferchen, Pakete und alle möglichen dummen Sachen flink in Empfang zu nehmen.”
Am 1. September 1907 war dieses banale Ereignis, mit einem unauffälligen – schon fast manieriert unauffälligen – Vokabular beschrieben, in der „Frankfurter Zeitung” erschienen, am 2. September wurde es bereits zum Altpapier gelegt. Nun, nach seiner Wiederentdeckung, wird dieser Passus zum dauerhaften Vorrat der deutschen Literatur zählen. Mit Recht: dieser weit gespannte und leicht gefügte Satz macht an der Gruppe von Menschen, die ihre wahren Gefühle bei der Ankunft auszudrücken glauben, den Mechanismus von Blechfiguren sichtbar, die heftige Gesten ausführen, ohne eine Innenwelt zu besitzen. (Dieses Verfahren, das gewohnte Bild des Menschen durch die Beschreibung seiner Gesten zu verfremden, hat Kafka von Walser übernommen.)
Gleichgültig ist, wer wen küsst, Hauptsache, es wird möglichst viel, rechts und links, geküsst; Frauenköpfe erröten wie auf Knopfdruck; Hüte werden geschwenkt, Arme ausgebreitet, als gehörten sie niemandem. So laufen gesellschaftliche Rituale ab. Nur der Bummelant, der faszinierte, aber unbetroffene Beobachter – Walsers bevorzugter Standpunkt dem Leben gegenüber –, verfügt über genug Zeit und den Blick, die Seltsamkeit alltäglicher Szenen wahrzunehmen. Der Flaneur spielt den Aristokraten in der bürgerlichen Welt: „er ging schlecht gekleidet und kam sich adlig vor”. Es wäre unter seiner Würde, mit den anderen Menschen vertraut zu sein. Walsers Texte sind arm an Dialogen. Der Beobachter spricht nicht mit den Beobachteten und lässt sie selbst nicht sprechen. Ihr heftiges Gezappel bleibt stumm wie das Tierorchester hinter einer Schaufensterscheibe. Das Allernächste und Gewöhnlichste wird so in eine märchenhafte Ferne entrückt. Weil in dieser Distanz die Dürftigkeit und Peinlichkeit der alltäglichen Welt schwindet, ergreift den verwunderten Leser stets eine gewisse Sehnsucht nach ihr.
Aus genügender Entfernung betrachtet, scheint alles liebens- und lobenswert zu sein: Winter, Nässe, Nebel und Feuersbrünste. Gerade das „schreckliche Gift der Beobachtungsgabe” verwandelt den Schriftsteller in den Stellvertreter Gottes auf Erden; mit seinem Herrn teilt er das interesselose Wohlgefallen an der gesamten Schöpfung. Wie Gott sieht er, dass alles gut ist. Der Teufel steckt nicht im Detail, sondern in der Ironie: So schön wäre alles, wenn es schön wäre. Brennt ein Haus effektvoll ab, so bringt es der durch seine Beobachtungsgabe vergiftete Beobachter auf die göttlich-teuflische Formel: „Der Feuerschein ist ein gediegener Baumeister.” Von dieser schönen Welt zu lesen, ist schöner, als in ihr zu leben – weshalb es auch Gott vorzog, lieber nicht in seiner Schöpfung, mitten unter all den bedrückenden und bedrückten Leuten, zu wohnen.
Ohne Pausen kein Genuss
Neue Texte Walsers zu lesen, bedeutet nicht, etwas Neues zu lesen. Zu Beginn jeder Lektüre von Walsers Prosa stellt sich ein solcher Zauber ein, dass der Leser ihm nie mehr entfliehen zu können glaubt. Doch bald ermüden ihn gerade diese unaufhörlichen Verzauberungen. Schon wenige Sätze genügen, damit ein Leser für den Ton dieses Dichters gewonnen ist. Doch dieser Ton ändert sich von Werk zu Werk, von Jahr zu Jahr so wenig, dass es dem Gedächtnis schwer fällt, einzelne Werke mit bestimmten Szenen – und nicht nur eine selige Stimmung – in Erinnerung zu behalten.
Walsers Stil ist eigentümlicher als jedes seiner Werke. Die Faszination, die ein einzelner Text ausübt, hängt davon ab, ob man ihn nach längerer Abstinenz als ersten wieder liest oder in einer Reihe Walserscher Texte an späterer Stelle. Er ist dann gewiss nicht schlechter, aber gleicher geworden. Weil diese Schriften so kurz sind und so leicht eingehen, versäumt es der Leser, die Pausen einzulegen, die erst Wert und Charakter dieser kleinen Welten hervortreten ließen. Für die unverhoffte Vermehrung von Walsers Schriften wird man dankbar sein, selbst wenn sie der ästhetischen Individualität nichts mehr hinzufügen.
HEINZ SCHLAFFER
ROBERT WALSER: Feuer. Unbekannte Prosa und Gedichte. Herausgegeben von Bernhard Echte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 141 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Diese Sammlung brauchen eigentlich nur Literaturwissenschaftler, stellt Jürg Altwegg lapidar fest. Robert Walser produzierte die kleinen Prosastücke nach Auskunft des Rezensenten in großer Zahl für verschiedene Zeitungen und schätze diese Arbeiten "für die Katz, will sagen, für den Tagesgebrauch" selbst recht gering, weshalb er sie auch selten sammelte oder Kopien anfertigte. Ärgerlich findet der Rezensent den Klappentext, in dem es heißt, dass die hier veröffentlichten Texte ihren Autor Robert Walser als politischen Autor entdecken würden, "womit sie bei aller Lebhaftigkeit, die sie auszeichnet, wohl doch ein bisschen überfordert sein dürften". Alles in allem vielleicht ein Band für jene, schließt Altwegg, die wirklich "den ganzen Walser" schon gelesen haben.

© Perlentaucher Medien GmbH"