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Ritsos' Gedichtzyklus, eine Art literarisches Testament, das 1986 und 1987 entstand, wurde erst nach dem Tod des Autors veröffentlicht. In den achtundsechzig Gedichten dieses Gedankentagebuchs eines letzten strahlenden Ägäissommers unterzieht Jannis Ritsos (1909-1990) die tragenden Ideen seines literarischen und politischen Lebens einer illusionslosen Prüfung. Sie wird im Zeichen des nahe bevorstehenden Endes vollzogen. Radikal in der Bestandsaufnahme, läßt Ritsos als letzte Gewißheit nur mehr die der Selbsterneuerung fähige künstlerische Produktivität gelten - losgelöst von jeder externen…mehr

Produktbeschreibung
Ritsos' Gedichtzyklus, eine Art literarisches Testament, das 1986 und 1987 entstand, wurde erst nach dem Tod des Autors veröffentlicht. In den achtundsechzig Gedichten dieses Gedankentagebuchs eines letzten strahlenden Ägäissommers unterzieht Jannis Ritsos (1909-1990) die tragenden Ideen seines literarischen und politischen Lebens einer illusionslosen Prüfung. Sie wird im Zeichen des nahe bevorstehenden Endes vollzogen. Radikal in der Bestandsaufnahme, läßt Ritsos als letzte Gewißheit nur mehr die der Selbsterneuerung fähige künstlerische Produktivität gelten - losgelöst von jeder externen Zwecksetzung.
Ein Höhepunkt innerhalb von Ritsos' Oeuvre ist dieses Alterswerk dadurch, daß die ideologischen und persönlichen Abschiede als Augenblicke intensivster Wirklichkeit des Verabschiedeten gestaltet sind. Ritsos' tiefe Trauer um die Schönheit der Welt, die er verlassen muß, macht diese desto überzeugender wahrnehmbar für die Lesenden.

Autorenporträt
Der Lyriker Jannis Ritsos (1909 - 1990) zählt mit den Nobelpreisträgern Giorgos Seferis und Odysseas Elytis zu den bedeutendsten Dichtern der sogenannten "Generation von 1930", die eine modernistische Wende in der griechischen Dichtung herbeiführten. Als jüngster Sohn einer vornehmen Familie von Landbesitzern in Monemvassia (Lakonien) geboren, erlitt er als Kind schwere Schicksalsschläge: Seine Mutter starb bereits 1921 an Tuberkulose, er selbst musste wegen dieser Krankheit auf ein Studium verzichten und war später immer wieder gezwungen, Sanatorien und Kliniken aufzusuchen. Auch den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der Familie erlebte Ritsos bereits als Kind: Sein Vater verlor Grundbesitz und Vermögen. Anders als Seferis und Elytis sympathisierte Ritsos ab 1931 mit der kommunistischen Partei Griechenlands, was beginnend beim autoritären Metaxas-Regime bis hin zur Obristendiktatur immer wieder Verfolgung und Inhaftierung für ihn bedeutete. Ritsos verbrachte mehrere Jahre

in Konzentrationslagern für politische Gefangene auf verschiedenen griechischen Inseln, zuletzt stand er 1969/1970 unter Hausarrest auf Samos.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2002

Fahnen von einst
Vexierbilder: Das lyrische Vermächtnis des Jannis Ritsos

Als Kind, so erzählt der Dichter, sei er auf dem Schulweg am Schlachthaus vorübergerannt, um dem Geschrei der verendenden Tiere zu entkommen. Dann aber habe er sich zum Gehen gezwungen und schließlich das Gebäude betreten: "Ich wollte mich nicht mehr an den Tod gewöhnen - ihn bekämpfen wollte ich." Wie Elias Canetti, der große Verneiner des Todes, hat auch der 1990 gestorbene Dichter Jannis Ritsos sein Leben als Revolte gegen den Tod verstanden, als "endlose Schlacht gegen den Tod".

Diese Schlacht hat der junge Ritsos zunächst ganz unmetaphorisch gegen die Tuberkulose geführt. Die Jahre 1927 bis 1931 verbrachte er in verschiedenen Sanatorien. In der Armenabteilung einer solchen Klinik hatte er, angeregt durch die Leküre von Gorkis "Mutter", angefangen, sich mit sozialistischen Ideen zu beschäftigen. Kommunistische Freunde führten ihn 1934 in die Partei und 1941 in den Widerstand. Aber Ritsos' politische Wirkung basierte von Anfang an auf seiner Arbeit als Dichter. "Epitaphios", ein Zyklus, der die Toten einer vom General Metaxas niedergeschlagenen Demonstration beklagt, hatte ihn 1936 berühmt gemacht. Für die folgenden Jahrzehnte wurde Ritsos zur Symbolfigur des gewaltlosen Widerstands. In den Jahren, als der Dichter immer wieder in Straf- und Umerziehungslagern interniert war, schrieb er, ein Holzbrett auf den Knien, seine Verse, die heimlich von Hand zu Hand gingen. Erst 1974, nach dem Sturz der Junta und der Aufhebung der Zensur, kam er endgültig frei.

Natürlich war Jannis Ritsos auch eine Symbolfigur der westeuropäischen Linken, zumal der deutschen. Er mußte schon deshalb faszinieren, weil für diesen linken Archaiker Volkstümlichkeit und Engagement keine Gegensätze waren. Ritsos wollte "ein Dichter des letzten Jahrhunderts vor dem Menschen" sein. Ein Wunsch, den der Dichter 1942 formuliert hatte, als der Kollaps der sozialistischen Utopie nicht abzusehen war. Auch Ritsos ist von der Desillusionierung eingeholt worden. Doch hat er auch abgeschworen?

Volker Wedekind hat sich schon vor Jahren gegen die linke Inanspruchnahme des Dichters gewandt. In seiner soeben wieder aufgelegten Auswahl "Gedichte" (1991) stellte er einen anderen Ritsos vor: einen Dichter, der Gewalt und Verführbarkeit auch in den Opfern der Unterdrückung erkennt. Jetzt, im Nachwort zu dem späten Zyklus "Die Umkehrbilder des Schweigens", setzt Wedekind eine Argumentation fort, die Ritsos' Parteinahme relativieren soll. Ritsos ist ihm der Dichter des emphatischen Sehens, das zu einer Aufforderung zum Leben wird. Beispiel dafür ist der letzte große Gedichtkreis, den Ritsos, an Krebs erkrankt, im Sommer 1987 geschrieben und als sein Vermächtnis angesehen hat.

Der Ort, in dem die "Umkehrbilder des Schweigens" geschrieben wurden, ist nicht zufällig. Karlóvassi, ein Städtchen an der Nordküste von Samos, war seit Mitte der fünfziger Jahre des Dichters zweiter Wohnsitz. Das Haus war freilich auch der Ort, in dem der Dichter seit Ende 1968 für zwei Jahre unter Arrest stand. Karlóvassi, ein Ort der Erinnerung wie der Gegenwart, führt in das Zentrum von Ritsos' Werk.

Die 68 Gedichte dieses späten Zyklus bilden ein lyrisches Tagebuch, das ein merkwürdig stabiles Gleichgewicht zwischen Welt und Subjekt bewahrt. Ritsos beginnt zumeist mit Wahrnehmungen, die ihm die Hafenstadt zuträgt, um daran seine Reflexion und Chiffren zu schließen. Er malt Genrebilder, die ins Bedrohliche umkippen. Was aber ist mit den politischen Hoffnungen, mit der sozialistischen Utopie? Es ist offenbar eine "Zeit nach Troja". "Die Fahnen von einst sind weggepackt", heißt es dort, "zusammen mit den Faschingskostümen, ohne Mottenpulver." Ritsos liebt solche ironischen Brechungen. Sie erlauben ihm, seine Gedichte pathetisch zu schließen, ohne plakativ zu werden. Das kommt vor allem den parabolischen Texten zugute. "Nach ihrem gescheiterten Aufstieg begegneten wir den Bergsteigern. Sie hatten noch eine zerrissene Decke und eine rote Mütze" beginnt das Gedicht "Schluß". Auf Bilder der Desillusionierung und Entfremdung folgt abrupt der Schlußvers: "Dann stieg der gewaltige Stier aufs Dach und verschlang die Fahne." Picassos Guernica-Stier verschlingt die rote Fahne - ein Triumph des Lebens oder letzte Destruktion?

Einen Wink erwarten wir vom abschließenden, ausdrücklich als "Epilog" deklarierten Text. Dort spricht eine Persona, wohl das Alter ego des Dichters, und beteuert: "Die Schönheit - niemals verriet ich sie." Sie verweist mit pathetischem Gestus auf einen anderen, auf "Ihn, der den Hügel hinaufsteigt": "Seht: / Am linken Ärmel hat er einen tiefroten viereckigen Flecken. Der / ist nicht sehr deutlich zu erkennen." Von der Fahne der Revolution bleibt ein Flicken, "tiefrot". Das ist, immer noch, Apotheose, zugleich aber Verabschiedung.

Kein Zweifel, daß es sich lohnt, an den Dichter Jannis Ritsos zurückzudenken. An den Verfasser des "Epitaphios" ebenso wie an den Dichter dieser späten "Umkehrbilder des Schweigens". Man darf ihren Titel nicht bloß aus der Dialektik von Reden und Schweigen begreifen, sondern auch aus der alten Tradition der Vexierbilder. In ihnen ist der späte Ritsos ein Meister.

Jannis Ritsos: "Die Umkehrbilder des Schweigens". Gedichte. Griechisch und Deutsch. Aus dem Griechischen übersetzt und mit einem Nachwort von Klaus-Peter Wedekind. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 167 S., geb., 19,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Jannis Ritsos, 1990 mit 81 Jahren an Krebs verstorben, galt in ganz Europa "als Inbegriff des politischen Dichters" - nicht zuletzt, weil Mikis Theodorakis viele seiner Gedichte vertonte, weiß Hugo Dittberner. 1987 hatte der Dichter und Künstler von seiner Krebserkrankung erfahren und nutzte fortan jeden Tag, "im Bewusstsein des Abschieds", um ein bis drei Gedichte zu schreiben, berichtet der Rezensent. Klaus Dieter Wedekind hat diese Gedichte nun in einer "sehr schönen" und "schlanken" Übersetzung zweisprachig veröffentlicht und mit einem "aufschlussreichen" Nachwort versehen, lobt Dittberner den Herausgeber und Übersetzer. Aber auch die Gedichte selbst haben den Rezensenten zutiefst bewegt. Ritsos "letztes Projekt" sei eine "ungemein dichte, bewegende und letztlich erhebende Folge" von Gedichten, in denen der Autor "die Schönheit der kleinen Dinge und des Selbstverständlichen" würdige. Diese Gedichte sind, denkt der Rezensent, ein Abschied von und ein Vermächtnis für eine Welt, die Ritsos selbst verlassen musste.

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