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"Für mich wurde Grosz zu einem Künstler, dessen Werk und dessen Leben mir mehr bedeuteten als ein gut Teil der modernen Maler, die mir im Gedächtnis sind."
Mehr als einen ambivalenten bildnerischen Reiz - eine wirkliche Herausforderung stellt das Werk des "rabiaten" deutschen Künstlers George Grosz für den Schriftsteller Mario Vargas Llosa dar. "Meine Faszination durch das, was er während seiner sechsundsechzig Lebensjahre malte, zeichnete, schrieb, tat und nicht tat, rührt ebenso aus Wahlverwandtschaften wie aus scharfen Gegensätzen her." Das Werk dieses Realisten beleuchtet einen…mehr

Produktbeschreibung
"Für mich wurde Grosz zu einem Künstler, dessen Werk und dessen Leben mir mehr bedeuteten als ein gut Teil der modernen Maler, die mir im Gedächtnis sind."

Mehr als einen ambivalenten bildnerischen Reiz - eine wirkliche Herausforderung stellt das Werk des "rabiaten" deutschen Künstlers George Grosz für den Schriftsteller Mario Vargas Llosa dar. "Meine Faszination durch das, was er während seiner sechsundsechzig Lebensjahre malte, zeichnete, schrieb, tat und nicht tat, rührt ebenso aus Wahlverwandtschaften wie aus scharfen Gegensätzen her." Das Werk dieses Realisten beleuchtet einen zentralen Aspekt schöpferischer Arbeit überhaupt: ihre Verbindung mit der wirklichen Geschichte und dem Leben, das "ebenso trügerische wie wahrhafte Zeugnis", das die Fiktion - ob bildende Kunst oder Literatur - von der objektiven Welt ablegt.
Ein lebhaftes Porträt des Künstlers ist hier gezeichnet: eine leidenschaftliche Lektüre des Werks von Grosz und eine scharfsinnige Auseinandersetzung mit einer Kunst , die die Verbindung zur wirklichen Welt nie gekappt hat und von sehr vitalen Kräften bewegt wird. So ist dieser Essay auch eine Art "Selbstporträt im Spiegel" des Schriftstellers Vargas Llosa.
Autorenporträt
Mario Vargas Llosa wurde am 28. März 1936 in Arequipa (Peru) geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Bolivien, Piura (Nordperu) und Lima. Im Alter von 18 Jahren heiratete er Julia Urquidi, mit der er neun Jahre zusammenlebte. Diese Beziehung verarbeitete er später in seinem Roman Tante Julia und der Kunstschreiber . Bereits während seines Studiums der Geistes- und Rechtswissenschaften in Lima und Madrid (Promotion über Gabriel García Márquez) schrieb er für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und veröffentlichte erste Erzählungen. 1963 erschien sein erster Roman La ciudad y los perros (dt. Die Stadt und die Hunde ), der auf eigenen Erfahrungen in der Kadettenanstalt Leoncio Prado in Lima beruht. Der Roman wurde in Spanien mehrfach ausgezeichnet und in über 20 Sprachen übersetzt. Vargas Llosa war als Gastprofessor in Washington, Puerto Rico, London, New York und Cambridge tätig. 1989 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democrático für die peruanischen Präsidentschaftswahlen und unterlag 1990 im zweiten Wahlgang. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zurück. Mario Vargas Llosa ist Ehrendoktor verschiedener amerikanischer und europäischer Universitäten und hielt Gastprofessuren unter anderem in Harvard (1992), Princeton (1993) und Oxford (2004). 2010 erhält er den Nobelpreis für Literatur "für seine Kartografie von Machtstrukturen und seine energischen Bilder des individuellen Widerstands, der Rebellion und Niederlage". Heute lebt Mario Vargas Llosa mit seiner Frau Patricia in Madrid und Lima.
Er gehört zu den bekannten lateinamerikanischen Autoren. Sein umfangreiches Gesamtwerk umfasst neben Romanen auch Erzählungen, politische Betrachtungen, Theaterstücke und Essays. 1977 gewählt zum Präsidenten des Internationalen P.E.N.-Clubs. 1996 ausgezeichnet mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2008 mit dem Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung. 2010 erhielt Mario Vargas Llosa den Nobelpreis für Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2000

Die Treffen der Neffen in der Hölle
Der Mann, der die zwanziger Jahre erfand: Vargas Llosa huldigt Grosz / Von Ralf Konersmann

Er könne einen Teufel malen, hat George Grosz von sich gesagt, aber keinen Engel. Tatsächlich schien ihm der Leibhaftige auf den Straßen der großen Städte begegnet zu sein und mit Vorliebe auf den Straßen und Plätzen von Berlin. George Grosz: Das war eine Figur und zugleich der Mitschöpfer des Mythos, der sich bis heute um die zwanziger Jahre rankt. Er fühlte sich als der traurigste Mensch in Europa und war der schonungslose, der unerschrockene und leidenschaftliche Porträtist seiner Zeit.

Mario Vargas Llosa, Romancier von Weltruf, Essayist und Politiker humanistischer Provenienz, hat aus seiner Bewunderung für Grosz nie einen Hehl gemacht. Das literarische Denkmal, das der peruanische Schriftsteller ihm Anfang der neunziger Jahre gesetzt hat, umfaßt wenige Seiten und beschränkt das Augenmerk auf eine kleine Auswahl der Werke. Doch es überzeugt durch seine gedankliche Konsequenz, durch Einfallsreichtum, Scharfsinn und jene Abgeklärtheit des Urteils, wie sie nur jahrelanger Umgang mit dem Gegenstand zu gewähren vermag.

Überzeugend führt Vargas Llosa vor, wie sehr Grosz Unrecht geschieht, wenn man ihn bloß als Vertreter einer künstlerischen oder politischen Richtung gelten läßt. Die Wahrnehmung des Künstlers als eigenwilliger Kopf ist für Vargas Llosa die bare Selbstverständlichkeit, eine Frage der historischen Gerechtigkeit und der Würdigung des künstlerischen Anspruchs. Puristen mögen die Verwischung der Grenze zwischen Leben und Werk anstößig finden, doch das Verfahren dient bloß als Mittel zum Zweck. Der Physiognomie des Werks, und ihr allein, soll Prägnanz gegeben werden. Grosz tritt als ein Meister der kleinen Formen hervor, deren handwerkliche Sorgfalt jeden Vergleich besteht. Seine Montagen, seine Karikaturen und Gemälde setzen die zu jener Zeit höchstentwickelten und publikumswirksamsten Ausdrucksmittel ein, um die Ängste des Künstlers und seinen Haß darzustellen und ihm gleichwohl seine moralische Unabhängigkeit zu bewahren.

Vargas Llosas Essay führt den Betrachter in das Panoptikum einer Bilderwelt, die ein ganzes Welttheater aufbietet, um ihre blasphemischen Erregungen hinauszuschreien. Einige wenige, stets wiederkehrende Rollentypen genügen, um das schrille Ensemble dieses Theatrum mundi zu besetzen: der lüsterne Geistliche; die stets verfügbare, zum Monstrum depravierte Hure; der dienstwillige, zu jeder Schandtat bereite Schreiberling; der Offizier; und mittendrin, dummdreist, schmerbäuchig, der Bourgeois, der sich, den Bierkrug in der Hand, seinen Launen und seiner Gier ergibt.

Es ist nicht zu übersehen, wie sehr das Werk von Grosz die nachmals hochgelobte Qualität der "Ausgewogenheit" vermissen läßt. Ein ganzes Zeitalter ist hier in die Karikatur gerutscht. Grosz besaß einen untrüglichen Blick für Tätertypen, für die "Stützen der Gesellschaft". Daß hingegen die Opfer meist fehlen, läßt Vargas Llosa vermuten, Grosz sei gar nicht der auf das Recht der Übertreibung pochende Moralprediger gewesen, als den man ihn bis heute hinstellt. Moralist war Grosz allenfalls in der älteren, ethisch nahezu neutralen Bedeutung des Wortes, als ein scharfer Beobachter des Menschen in Gesellschaft. Was ihn anzog, war die Gestaltwerdung des Bösen, dem er nachstellte und das er festhielt, wo immer er es fand: In obskuren Kneipen, grell erleuchteten Tanzpalästen, Kasernen und öffentlichen Bedürfnisanstalten.

Vargas Llosa läßt sich durch solche Praktiken, die Grosz in zahlreichen Selbstbekenntnissen freimütig geschildert hat, in seinem Urteil nicht beirren. Die Verzerrungen und grotesken Vereinfachungen dieses Pandämoniums will er als Ausdrucksgestalten gemeinsam geteilter Erfahrung verstanden wissen, die uns Betrachtern vor Augen führe, "was wir auch sind". Die Könnerschaft des Künstlers habe diesen Figuren und Typen eine Überzeugungskraft verliehen, die über jeden und zumal über den moralischen Vorbehalt triumphiert. Das treffende Beispiel für diese These ist das 1925 entstandene Porträt des Schriftstellers Max Herrmann-Neiße. In einmaliger Vollendung läßt dieses Gemälde das Groteske allgemein und sogar "realistisch" erscheinen. Radikale Formgebung und tiefe Menschlichkeit sind durch eine Hingabe verbunden, die, wie so häufig bei Grosz, an Besessenheit grenzt.

Zusammen mit seiner Frau Eva verließ Grosz im Januar 1933, nur wenige Tage vor der "Machtergreifung", seine Heimat. Er fuhr als ein Bewunderer, als ein wahrer Enthusiast des American Dream. Dennoch sollte ihn sein Ingenium auf Long Island, wo er bis Ende der fünfziger Jahre lebte, alsbald verlassen, nie wieder erreichten seine Bilder ihre frühere Schärfe und archaische Kraft. Fast will es scheinen, als sei der Entwurzelte über seine eigenen Phantasmagorien erschrocken und habe in die Alternative eingewilligt, die ihm seine neue Umgebung bot: das "gut Mittelmäßige", das er augenzwinkernd hinnahm.

Vargas Llosa erläutert diesen Einbruch im Exil, der das OEuvre von Grosz in zwei ungleiche Teile zerfallen läßt, mit Anteilnahme und ohne zu glätten. Seine Würdigung des Künstlers George Grosz klingt aus mit einer Lobrede auf die Größe, auf die Freiheit und Unantastbarkeit der Kunst, die einem begabten, von der Intensität seiner Obsessionen getriebenen Gastwirtssohn aus Hinterpommern die Energie und die Mittel an die Hand gab, das Berlin der zwanziger Jahre für uns zu erfinden.

Mario Vargas Llosa: "Ein trauriger, rabiater Mann". Über George Grosz. Aus dem Spanischen übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 79 S., Abb., geb., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Von einem "extravaganten Standort aus", meint Rezensent Wilfried F. Schoeller, ist dies eine ungewöhnliche "Einführung in George Grosz": der rabiate "Kommunistenfresser" Vargas Llosa beschäftigt sich mit den Zeichnungen des deutschen Kommunisten. Dabei geht es ihm vor allem jedoch, offenbar fasziniert von der Darstellung des Abstoßenden, um eine Klärung des Kunstbegriffs. Kunst soll für Llosa weder "der Gesellschaft dienen" noch "harmonischer Ausdruck" sein; vielmehr, so zitiert ihn Schoeller, geht es Llosa bei Grosz um die `baudelairsche Ästhetik des "Verfemten"`, die am Ende als "in sich geschlossene Welt" Antwort gibt auf das soziale Leben, mit dem ihn nur eine ?dünne Nabelschnur? verbindet. Zwar erfährt man hier eigentlich wenig Neues, meint der Rezensent, aber immerhin wird man durch "kluge, bisweilen elegante Bildbeschreibungen" entlohnt.

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