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"Es beginnt mit einem Scherz. Im November 1930 stellt Samuel Beckett (1906-1989) den Romanisten des Trinity College in Dublin einen Dichter namens Jean du Chas vor, den es nicht gibt. Mit parodierter Bildungshuberei und selbstverliebten Formulierungskünsten, die durch Sarkasmus gesteigert und in Schach gehalten werden, weist dieser Text auf Becketts ersten, postum veröffentlichten Roman »Traum von mehr bis minder schönen Frauen« voraus, der 1932 in Paris entstand, sowie auf den Erzählzyklus »Mehr Prügel als Flügel« aus dem Jahr 1934 (aus dem zwei Erzählungen aufgenommen wurden). Am Schluß der…mehr

Produktbeschreibung
"Es beginnt mit einem Scherz. Im November 1930 stellt Samuel Beckett (1906-1989) den Romanisten des Trinity College in Dublin einen Dichter namens Jean du Chas vor, den es nicht gibt. Mit parodierter Bildungshuberei und selbstverliebten Formulierungskünsten, die durch Sarkasmus gesteigert und in Schach gehalten werden, weist dieser Text auf Becketts ersten, postum veröffentlichten Roman »Traum von mehr bis minder schönen Frauen« voraus, der 1932 in Paris entstand, sowie auf den Erzählzyklus »Mehr Prügel als Flügel« aus dem Jahr 1934 (aus dem zwei Erzählungen aufgenommen wurden). Am Schluß der chronologisch nach dem Zeitpunkt des Entstehens geordneten Sammlung steht Immer noch nicht mehr, des Autors letzter Prosatext, geschrieben zwischen 1986 und 1988: fast Szene in der Reduziertheit des Raums und der Bewegungen; fast Gedicht in seinem Kreisen, Variieren, Wiederholen. »Eines Nachts als er den Kopf auf den Händen am Tisch saß sah er sich aufstehen und gehen.« Dante und der Hummer (so heißt die erste Erzählung aus Mehr Prügel als Flügel) macht alles, was in den Werken, in Einzelausgaben und sonst verstreut von Becketts kürzerer erzählender Prosa auf deutsch erschienen ist, zum ersten Mal in einem Band verfügbar -dazu drei kleine deutsche Erstveröffentlichungen: »Das Bild«, »weder noch« und »Wie soll man sagen«."
Autorenporträt
Beckett, SamuelSamuel Beckett wurde am 13. April 1906 in Dublin geboren und starb am 22. Dezember 1989 in Paris. Er zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts und erhielt 1969 den Literaturnobelpreis. Beckett ist dem breiten Publikum hauptsächlich durch seine Dramen, insbesondere Warten auf Godot, bekannt, verfasste aber auch Prosa und Lyrik.

Enzensberger, ChristianChristian Enzensberger, geboren 1931 in Nürnberg und verstorben 2009 in München, war Professor für Englische Literaturgeschichte an der Universität München. Er übersetzte zahlreiche Werke aus dem Englischen ins Deutsche.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2000

Lulu auf dem Fladen
Ausgeträumt träumen: Kleine Prosa von Samuel Beckett

"Ich persönlich habe nichts gegen Friedhöfe", läßt Samuel Beckett in "Erste Liebe" den Erzähler sprechen, "ich gehe da recht gern spazieren, lieber da als anderswo, glaube ich, wenn ich schon ausgehen muß. Der Geruch der Leichen, den ich unverkennbar unter dem des Grases und des Mutterbodens herausrieche, ist mir nicht unangenehm. Etwas süßlich vielleicht und zu Kopf steigend, aber wieviel erträglicher als der Geruch der Lebenden, der Achselhöhlen, der Füße, der Gesäße, der wachsigen Präputien und der frustrierten Ovula." "Erste Liebe", entstanden 1946, 1955 überarbeitet, aber erst 1970 veröffentlicht, 1976 erstmals auf deutsch erschienen und nun wieder in einem Band mit der gesammelten Kurzprosa enthalten, zeigt den Prosaisten Beckett auf der Höhe nicht seiner "Meisterschaft", wohl aber seines Vermögens.

Hinter ihm liegen die alexandrinischen Stilübungen und Maskeraden der frühen Phase, darunter "Dante und der Hummer", das diesem Band den Titel gab, und vor ihm liegen die Exerzitien des Endens und Verstummens, das "Fading" - "Oh alles Enden" heißt Becketts letzter veröffentlichter Satz in "Stirrings Still" aus dem Jahre 1988. Hier aber, in "Erste Liebe", führt Beckett Tod und Lust, Weltekel und schwärzesten Humor auf eine frappierende Weise erzählerisch zusammen. Dabei steht ihm Turgenjew mit seiner gleichnamigen romantischen Novelle Pate.

Der junge Mann hat mit dem Tod seines Vaters auch seine Wohnung und, wie es scheint, jeden weiteren Halt verloren. Auf dem Friedhof hat er noch einmal das Grab des Vaters aufgesucht, um auf dem Grabstein das Datum seines Ablebens abzulesen. Wenig später, "um nun zu einem lustigeren Thema überzugehen", macht der junge Mann auf einer Parkbank die Bekanntschaft einer Frau. "Sie begann, meine Knöchel zu streicheln." Was kann daraus werden, wenn man fünfundzwanzig ist und ein "moderner Mann" und demnach vor Spannkraft strotzt, "sogar von sexueller von Zeit zu Zeit"? Später, als er sich den Namen der Frau, sie heißt Lulu, "auf einen alten Färsenfladen schreiben" sieht, glaubt er, es müsse sich um Liebe handeln. Freilich ist es mit der Spannkraft des jungen Mannes nicht sehr weit her.

Ihre Komik bezieht Becketts Erzählung unter anderem aus dem Umstand, daß hier vom männlichen sexuellen Engagement durchweg als von einer passiven, bestenfalls nachgiebigen Attitüde die Rede ist: "Ziehen Sie sich nicht aus? sagte sie. Oh, wissen Sie, sagte sie, ich ziehe mich nicht oft aus. Es stimmte, ich bin nie jemand gewesen, der sich bei jeder Gelegenheit auszog." Trotzdem zieht der junge Mann in die Wohnung seiner Geliebten ein, bis er entdecken muß, daß Lulu eine Prostituierte ist - "Sie leben also von der Prostitution? sagte ich. Wir leben von der Prostitution, sagte sie." Bald darauf ist Lulu dann auch noch schwanger, und als es ihr einfällt, den jungen Mann alle Augenblicke "mit unserem Kind zu piesacken", ergreift er die Flucht. "Ich hätte anderer Lieben bedurft, vielleicht", heißt es am Ende. "Aber Liebe gibt es nicht auf Verlangen."

Man hat in Becketts Texten eine Rhetorik der Impotenz am Werk gesehen, und hier, in "Erste Liebe", kann man sie mit Händen greifen. Impotent, Inkontinenz, Muskelschwäche, Müdigkeit, das sind Körpersymptome, die Beckett zu Chiffren der "condition humaine" umdeutet. Dies jedoch ohne einen Hauch von Leiden oder Kritik, sondern im Geiste einer großen misanthropischen Heiterkeit. Die Abdankung des Phallus, das "Einschläfern der Ich-Idee", wie es in "Erste Liebe" heißt, sie eröffnen Perspektiven jenseits der Kritik, Perspektiven des Tierwerdens und mehr noch des Maschine- oder Gerätwerdens, wie sie sich in Becketts späten Erzählungen unübersehbar aufdrängen. Deleuze und Guattari wußten, warum sie im "Anti-Ödipus" gleich auf der zweiten Seite Beckett die Reverenz erwiesen. Der Satz aus dem Roman "Molloy", den die Autoren zitieren: "Wie beruhigend ist es, von Fahrrädern und Hupen zu sprechen. Unglücklicherweise geht es nicht darum, sondern um die Frau, die mir das Leben gegeben hat. Durch das Loch in ihrem Hintern, wenn ich mich recht erinnere", enthält den ganzen Beckett in nuce. Wie oft ist in seinen Erzählungen, in den mittleren und erst recht in den späten, von Fahrrädern und Hupen und anderen Junggesellenmaschinen die Rede, um nicht vom unverwundenen Schrecken und Skandalon der Geburt reden zu müssen, von der die Münder dieser Sprech-Akte dann doch nicht aufhören können zu reden. "Nein, ich bedaure nichts, ich bedaure nur, geboren zu sein, Sterben ist eine so lange, mühselige Sache, fand ich immer", liest man in "Aus einem aufgegebenen Werk" von 1954/55. Aber ehe man in die Versuchung kommt, diesen Worten allzuviel Verzweiflung abzulauschen, stößt man anderswo, in der Erzählung "Um abermals zu enden (und anders Durchgefallenes)" auf Sätze wie diesen: "Die Leichtathletik war im Grunde mein Verderben."

Die Geburt, die Leichtathletik, die Frauen, was geht diesen wechselnden Ursachen des Verderbens voraus? Es ist wohl der Hang des Autors zu dem, was ein englischer Kritiker einmal "the stark und startling remark" nannte. Aller Verzweiflung geht bei Beckett eine Rhetorik voraus, die sich ihrer Mittel ziemlich sicher ist und die vor allem nach Kräften die Register des Hohen und des Niederen mischt. "Ja, es gibt Stunden, vor allem nachmittags, da ich mich für einen Synkretisten Reinholdscher Art halte", das ist Beckett in der Maskerade des erzblasierten Dandys, aber man weiß schon, die nächste Schließmuskelschwäche ist nicht weit, und bald wird sich der junge Herr wieder in den "seichenden Skribenten" verwandeln, als der er andernorts figuriert. Bei der deutschen Übersetzung, die großteils natürlich von Elmar Tophoven stammt, hat man immer ein wenig den Verdacht, daß sie hinter den Grobheiten des Originals zurückbleibt.

Man könnte freilich bei Becketts späten, abstrakten Prosastücken ganz auf Mutmaßungen verzichten und einfach ihre Titel aneinanderreihen: "Texte um nichts", "Falsch anfangen", "Ausgeträumt träumen", "Schluß jetzt", "Losigkeit", "Um abermals zu enden", "Schlecht gesehen, schlecht gesagt", "Aufs Schlimmste zu", "Immer noch nicht mehr". Das letzte Ziel von Becketts kürzer werdenden Geschichten, denkt man, könnte es gewesen sein, eine Geschichte zu schreiben, die nicht länger wäre als ihr Titel. "Oh alles enden". So rücksichtslos, so unlesbar, so tiefernst und bodenlos heiter ist die moderne Literatur einmal gewesen.

CHRISTOPH BARTMANN

Samuel Beckett: "Dante und der Hummer". Gesammelte Prosa. Aus dem Französischen und Englischen übersetzt von Elmar und Erika Tophoven. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 366 S., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christoph Bartmann widmet sich in seiner Besprechung des Prosabandes zunächst der kleinen Erzählung "Erste Liebe" und versucht dem Mechanismus des Beckett`schen Humors auf die Spur zu kommen. Trotz der Niedergangsstimmung überwiege die Komik und über dieser "Rhetorik der Impotenz" liege "große misanthropische Heiterkeit". Dieser Befund lässt sich auch auf die anderen Texte des Bandes ausdehnen, und der Rezensent macht als weitere Quelle des Komischen das abrupte Aufeinanderstoßen von "Hohem und Niedrigen" aus, das auf existentielle Verzweiflung "Schließmuskelschwäche" folgen lässt. Allerdings äußert er den Verdacht, dass die deutsche Übersetzung die "Grobheiten des Originals" abschwächt, wobei offen bleibt ob das zu begrüßen ist oder einen Mangel darstellt. Zum Schluss wird dem Rezensent richtig nostalgisch zu Mute, denn er trauert den Zeiten hinterher, in denen die Literatur so "rücksichtslos, so unlesbar, so tiefernst und bodenlos heiter" gewesen ist wie im vorliegenden Band.

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