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Warum erzählen Menschen? Wie haben sie Erzählen gelernt? Welche kulturellen Leistungen sind mit dem Erzählen verbunden? Und was ist Erzählen überhaupt? Auf diese Fragen gibt Fritz Breithaupt eine verblüffende Antwort. Erzählen erlaubt es, Ausreden vorzutragen. Wer eine Ausrede hat, kann den Kopf aus der Schlinge ziehen. Das Wesen der Ausrede besteht darin, neue, meist komplexere Beschreibungen für bereits beurteilte Handlungen zu liefern. In der ersten Ausrede der Menschheitsgeschichte bekennt Adam zwar, daß er den Apfel aß, bestreitet aber seine Verantwortung, da Eva ihm die Tat eingeflüstert…mehr

Produktbeschreibung
Warum erzählen Menschen? Wie haben sie Erzählen gelernt? Welche kulturellen Leistungen sind mit dem Erzählen verbunden? Und was ist Erzählen überhaupt? Auf diese Fragen gibt Fritz Breithaupt eine verblüffende Antwort. Erzählen erlaubt es, Ausreden vorzutragen. Wer eine Ausrede hat, kann den Kopf aus der Schlinge ziehen. Das Wesen der Ausrede besteht darin, neue, meist komplexere Beschreibungen für bereits beurteilte Handlungen zu liefern. In der ersten Ausrede der Menschheitsgeschichte bekennt Adam zwar, daß er den Apfel aß, bestreitet aber seine Verantwortung, da Eva ihm die Tat eingeflüstert habe. Beginnend mit dieser Urszene, verfolgt das Buch die ineinander verschlungenen Pfade von juristischer Verantwortung und Literatur und zieht dabei auch evolutionsbiologische Erkenntnisse heran.
Autorenporträt
Fritz Breithaupt ist Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington. Dort leitet er das in seiner Form einzigartige Experimental Humanities Lab, an dem er narrative Ereignisse, Empathie, moralisches Denken, Emotionen, Parteilichkeit, Ausreden, Gewalt und Überraschung mit seinem Team empirisch erforscht. Er schreibt regelmäßig für Die Zeit und das Philosophie Magazin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2012

Zieh den Kopf aus der Schlinge, Bruder Adam!
Alles nur erzählt: Der Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt besinnt sich auf die "Kultur der Ausrede"

Gewiss wirkte man integrer, wenn man auf Ausreden gänzlich verzichtete. Im täglichen Miteinander, das sich nicht nur an hehren Maßstäben der Moral orientiert, sind verbale Ausflüchte aber sehr gebräuchlich. Wem bestätigt wird, er sei nie um eine Ausrede verlegen, der darf sich nicht nur getadelt fühlen, sondern erfährt auch eine Anerkennung seiner Kreativität. Der an der Indiana University in Bloomington lehrende deutsche Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt hält das Phänomen dennoch für unterschätzt. Er geht so weit, auf ihm eine ganze Erzähl- und Kulturtheorie zu gründen. Erzählen, argumentiert er, bedeute im Grunde, eine Ausrede zu formulieren.

Breithaupts Studie "Kultur der Ausrede" beginnt mit den ersten Menschen, dem Sündenfall des Alten Testaments. Adam leugnet nicht, die verbotene Frucht gegessen zu haben, meint aber, Eva trage die Verantwortung, schließlich habe sie ihm die Frucht gereicht. Eva verweist auf die Schlange, die sie verführt und betrogen habe. Zwar kamen die beiden mit ihren Ausreden nicht durch und wurden aus dem Paradies vertrieben, sie haben nach Breithaupt aber dennoch eine weitreichende Kulturtechnik etabliert: Ausreden antworten auf Anklagen. Sie setzen deren Beschreibungen und Deutungen andere entgegen und tragen so zu einer komplexeren Beschreibung der Welt bei.

Vom konkreten Fall, wo Urheber ermittel- und beweisbar sind, wo empirische Fakten den Ausschlag geben und man einer "Logik der Abbildung" folgt, hat sich diese Theorie schnell verabschiedet. Breithaupt geht es um die "narrativ erfasste Wirklichkeit", die verschiedene Sichtweisen und Versionen erlaubt. Die dialogische Form von Anklage und Verteidigung liege jeder Form von Narration zugrunde, sei es im Rahmen der Literatur oder vor Gericht. Entsprechend handelt Breithaupt auch von Rechtspraktiken, wobei er freimütig einräumt, dass Juristen wohl Schwierigkeiten hätten mit seiner Sicht der Dinge. Was vor Gericht zu klären ist, die Frage der Verantwortung, betrachtet er als "dialogisch verfasst". Ausreden seien "struktureller Teil der Verantwortung", denn: "Wer eine Ausrede hat, verantwortet sich damit." Die Frage freilich, ob sie akzeptiert wird, bleibt Sache des Gerichts.

Breithaupt bindet auch die Moral insgesamt, mehr oder weniger nachvollziehbar, an den "kreativen Akt der Ausrede". Er erweitert dazu nur den dialogischen Ansatz: Auch eine Ausrede ist eine Form von Antwort. Und die "Pflicht und Möglichkeit zur Antwort" sei der Ursprung der Moralempfindung. Ein Gefühl der Fairness oder ein Gewissen brauche es hierfür nicht, sie könnten sich ebenso erst später ergeben wie ein Bewusstsein von Schuld. Die von Breithaupt als Urerzählung seiner Theorie gewählte Vertreibung aus dem Paradies scheint allerdings eher das Gegenteil zu belegen: Die ersten Menschen verstecken sich dort vor Gott, noch bevor dieser sie zur Rede stellt.

Kognitionswissenschaftliche Exkurse unternimmt Breithaupt ebenfalls, stützt seine These durch Ansätze der Narrationstheorie und Sprachphilosophie. Besonders berücksichtigt er die Denkwege der Dekonstruktion; schon Paul de Man vertrat schließlich die These, die Fiktion verdanke sich der Ausrede. Breithaupt rekurriert auf Tiefen- und herkömmliche Psychologie sowie auf Evolutions- und Verhaltensbiologie, um bei Menschenaffen nonverbale Vorformen von "Ausreden" zu finden. Sein Beispiel: Ein Alphamännchen erreicht einen Platz, wo soeben ein Geschlechtsgenosse von niedrigerem Rang und ein Weibchen ein Stelldichein hatten, von dem sie abzulenken versuchen, indem sie so tun, als suchten sie nach Nahrung. Ist das aber eine Art von Ausrede? Dazu müsste doch erst einmal ein Vorwurf erhoben werden. Es wird hier eben viel bedenkenswertes Material zusammengetragen, aber nicht immer stringent miteinander verbunden.

Ausreden nach herkömmlichem Verständnis benötigt Breithaupt für seine Studie übrigens nicht. Wenn er am Ende den Einwand vorwegnimmt, er reduziere das Ganze der Literatur und Kultur auf einen einzelnen Aspekt, gesteht er die Schwächen seiner Theorie vielmehr selbst ein. Tatsächlich wäre man um weitere generalisierende Aspekte nicht verlegen, etwa so: Erzählen strukturiert die (Lebens-)Zeit und setzt, wie die Kultur überhaupt, ihrem Vergehen, dem Tod, eine eigene Wirklichkeit entgegen; es fördert das kommunikative Miteinander und wirkt damit erst ichbildend. Am Rande finden sich letztgenannte Thesen auch bei Breithaupt, der seine Studie als (eigenständige) Fortschreibung zweier Bücher versteht, auf die er zuweilen anspielt, "Der Ich-Effekt des Geldes" und "Kulturen der Empathie". Nur eine Beschreibung von Tatsachen ist auch sein Hinweis auf die spekulative Verfahrensweise. Er bescheinigt sich, wenigstens nicht auch noch assoziativ, sondern - eher - systematisch vorzugehen.

Seine Theorie hebe aufs Erzählen ab, beanspruche nicht, die Literatur als solche zu erklären, betont er. Wie nötig diese Einschränkung ist, zeigt sich, wenn Breithaupt seinen Ansatz zur Auslegung von Dichtung nutzt. In Kleists Erzählung "Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik", die so komplex ist, wie man es von diesem Autor kennt, wird der durchaus nicht periphere Wahnsinn der Bilderstürmer dann lediglich als Ausflucht verstehbar, um einer Bestrafung zu entgehen. Breithaupts anregende und wohlformulierte Abhandlung belegt ihre These auf andere Weise durch sich selbst: Er erzählt eben seine Version der Ursprünge der Kultur. Statt sich als großer Wurf zu gerieren, kommt das Ganze in sympathisch kompakter, fast schon essayistisch leichter Form daher. Letztlich aber wollte oder konnte sich der Autor wohl nicht entscheiden, ob er eher auf Esprit oder Substanz setzen sollte.

THOMAS GROSS

Fritz Breithaupt: "Kultur der

Ausrede".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 235 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2012

Eva, Adam,
Apfelmus
Ach, Kulturwissenschaft: Fritz
Breithaupts „Theorie“ der Ausrede
„Kultur der Ausrede“ – der Titel klingt so, als ob er dem ausgeschiedenen Präsidenten Wulff hätte weiterhelfen können – zumindest, sich gut zu fühlen. Aber je weiter man in diesem Text kommt, umso mehr wundert man sich, was man aus klaren Begriffen alles machen kann.
Wer den Autor Fritz Breithaupt, Professor für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft und Affiliate Professor für Kognitionswissenschaften an der Indiana Universität in Bloomington, nicht kennt, wird von ihm selbst auf seine früheren Werke verwiesen, die mit diesem „Essay“ zusammengenommen, eine neue „Kulturtheorie, die sich aus der Dynamik von Institutionalisierungen ergibt“, begründen sollen.
Gibt es nicht schon Kulturtheorien genug? Brauchen wir die? Wozu? In einem utilitaristischen Zeitalter, wie dem gegenwärtigen, stehen die Geisteswissenschaften unter einem enormen Legitimationsdruck. Das gilt extrem für die Germanistik in den Vereinigten Staaten. Pompöse Titel von Professuren und Büchern gehören zum Geschäft der Selbstvermarktung.
Wenn Geisteswissenschaftler sich (post-)modern geben wollen, nennen sie sich Kulturwissenschaftler. Damit erweitert sich auch für altbackene Philologen ihr Kompetenzbereich gewaltig. Kultur kann nun fast alles sein; denn nahezu alles, worüber sie schreiben, gilt diesen Wissenschaftlern als „Erzählung“. Vor lauter Narrativen sehen sie die Welt nicht mehr.
Seit der linguistic turn auch von vielen maßgebenden Philosophen zum geistesgeschichtlichen point of no return erklärt worden ist, fühlen sich Sprachwissenschaftler legitimiert, über alles und jedes zu schreiben. So kehrt auch Fritz Breithaupt bei der Formulierung seiner Kulturtheorie zu – kein Witz! – Adam und Eva zurück. Die Behauptung Adams, Eva habe ihn angestiftet, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen, die sich wiederum von der Schlange verführen ließ, wird zum Urmuster einer „Kultur der Ausrede“.
Die Breithaupt’sche Kulturtheorie beginnt mit einer Textinterpretation der Lutherbibel, die als eine „Erzähltheorie“ daherkommt. „Die Geburt der Narration aus dem Sprechakt der Ausrede“ heißt das erste Kapitel. Die Sprache dieses Sprachwissenschaftlers dient nicht der Präzision des Gedachten, sondern suggeriert Sinn im Chaos von zielloser Wissensakkumulation. Nichts Genaues weiß man nicht; aber von vielem etwas: Heidegger und Sprechakttheorie, Evolutionsbiologie und Derrida, Gumbrecht und Luhmann – anything goes.
Eine Kostprobe dieses Schreibens: „Die Ausrede schüttelt hingegen die geballte Faust der Anklage, als wäre es die Einladung zur Kommunikation.“ Wie bitte? Die Interpretation der eingängigen Paradiesgeschichte führt in ein logisches Niemandsland: „Adams versuchte Rechtfertigung ist aber zugleich eine Ausrede im Sinne Austins: Ich habe eigentlich nicht den Apfel gegessen. Meine Tat war es vielmehr, auf meine Frau zu hören, und das involvierte einen Apfel. Dieses Verwischen der Grenzen zwischen bloßer Ausrede und echter Rechtfertigung, das heißt zwischen den verschiedenen Akten, ist das Metier der Ausrede.“
Ausrede hat kein Metier; aber welches Metier das von Fritz Breithaupt ist, wird von Seite zu Seite unklarer. Seine sprechakttheoretischen Pirouetten vollführt Fritz Breithaupt in einem evolutionsbiologischen Mantel, der dem schlichten Behaupten unklarer Sinngehalte noch zusätzliche szientistische Autorität verschaffen soll.
Die wissenschaftliche Anmaßung kommt in Gestalt der Bescheidenheit daher. Vor Spekulation wird gewarnt, es wird nur „vorgeschlagen“;die gewaltigsten Theorien stehen nicht auf den Schultern von Riesen, sondern auf Streichholzbeinen: „Der entscheidende Schritt zur Narrationsfähigkeit war vielleicht nicht die Sprachfähigkeit. Vielmehr wird vorgeschlagen, dass die Protoerzählung beziehungsweise die Protoerzählsituation bereits vor der Sprache evolutionäre Relevanz hatte.“ Diese Annahme ist nötig, um die Frage zu beantworten, die einen kaum schlafen lässt: „Verschafft das Erzählen einen Selektionsvorteil?“
Man bringt die Wissenschaft um, wenn man sie nur nach Nützlichkeit beurteilt. Aber der gesellschaftliche Verwertungsdruck produziert Selbstverteidigungsstrategien. In den sogenannten exakten Naturwissenschaften wird immer häufiger zu betrügerischen Methoden gefälschter Versuchsergebnisse gegriffen; die humanities schwanken zwischen zwei Möglichkeiten – der liebedienerischen Anpassung an die Auftraggeber oder der Selbstfetischisierung des Geistes.
Fritz Breithaupt entscheidet sich in „Kultur der Ausrede“ für Letzteres. Die Leser, die nicht zu einer Zunft gehören, die sich gern gegenseitig zitiert (das nennt sich „Diskurs“, der den scientific impact steigert), bekommen keine Frucht vom verbotenen Baum der Erkenntnis aufgetischt, sondern nur ein akademistisches Apfelmus vorgesetzt.
DETLEV CLAUSSEN
FRITZ BREITHAUPT: Kultur der Ausrede. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 235 Seiten, 12 Euro.
„Die Ausrede schüttelt
hingegen die geballte
Faust der Anklage . . .“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr anregend, aber nicht restlos überzeugend fand Thomas Groß Fritz Breithaupts Abhandlung "Kultur der Ausrede", in der er aus der Ausrede eine Erzähltheorie zu entwickeln versucht. Nach dem in Bloomington lehrenden Literaturwissenschaftler ist die Ausrede eine Entgegnung auf eine Anklage, die einer Weltsicht eine andere entgegensetzt, wie das Erzählen eben auch, erklärt der Rezensent. Der Autor begibt sich auf kognitionswissenschaftliches Gebiet, operiert mit Narrations- und Sprachtheorie, vertieft sich in Psychologie und Evolutions- und Verhaltensbiologie, um seine Theorie des Erzählens zu untermauern, stellt Groß fest. Nicht immer findet er die herangezogenen Argumente wirklich plausibel oder nachvollziehbar miteinander verbunden. Was ihm an diesem Versuch aber sehr sympathisch ist, ist, dass der Autor keinen "großen Wurf", sondern einen leichtfüßigen Essay darbietet und als solchen hat der Rezensent ihn offensichtlich gern gelesen.

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»Statt sich als großer Wurf zu gerieren, kommt das Ganze in sympathisch kompakter, fast schon essayistisch leichter Form daher.« Thomas Gross Frankfurter Allgemeine Zeitung 20120223