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Seit den 1960er Jahren, dem Jahrzehnt, in dem sich das fotografische Zeitalter seinem Ende zuneigte, erschien eine Vielzahl grundlegender theoretischer Texte, die den Status fotografischer Bilder reflektierten. Im ersten Band der Anthologie werden zentrale Beiträge zur Diskussion der Fotografie als paradigmatischem, apparativem Medium, mit dessen Hilfe der Logik des Index gezollte Bilder erstellt werden, großenteils zum ersten Mal auf deutsch vorgestellt. Ob in Sigmund Freuds Theoretisierung des Fetischs, in Walter Benjamins Thesen über die Reproduzierbarkeit von Kunstwerken oder in André…mehr

Produktbeschreibung
Seit den 1960er Jahren, dem Jahrzehnt, in dem sich das fotografische Zeitalter seinem Ende zuneigte, erschien eine Vielzahl grundlegender theoretischer Texte, die den Status fotografischer Bilder reflektierten. Im ersten Band der Anthologie werden zentrale Beiträge zur Diskussion der Fotografie als paradigmatischem, apparativem Medium, mit dessen Hilfe der Logik des Index gezollte Bilder erstellt werden, großenteils zum ersten Mal auf deutsch vorgestellt. Ob in Sigmund Freuds Theoretisierung des Fetischs, in Walter Benjamins Thesen über die Reproduzierbarkeit von Kunstwerken oder in André Malraux' Darstellung eines nicht mehr auf ein materielles Gebäude beschränktes Museums, immer fungiert das Fotografische als »Richterstuhl« (W. Benjamin) künstlerischer und kultureller Praktiken - nicht zuletzt der Nobilitierung des Mediums in der sogenannten künstlerischen Fotografie.

Band 2: Diskurse der Fotografie - Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2003

Die Medien-Polizist-Maschine
Im Baukasten: Drei Anthologien streiten um den Kanon der Foto- und Mediengeschichte
Man könnte die Geschichte der Fotografie auch als eine Geschichte über die Bilder der Mütter und Großmütter erzählen. Ihren Anfang nähme sie dann bei Baudelaire, der in seiner Kritik über den „Salon 1859” die Fotografie zwar als ein Medium der Erinnerung zurückwies und die Porträtmanie seiner Zeit verdammte, der aber doch nicht umhin konnte, sich ein Bild seiner Mutter zu wünschen: „Gerne hätte ich ein Porträt von Dir”, schrieb er ihr 1865. „In Le Havre gibt es einen vorzüglichen Fotografen. Aber ich habe die Befürchtung, dass sich die Sache jetzt nicht machen lässt. Du kennst Dich da nicht aus, und alle Fotografen, auch die vorzüglichen, haben ihre Manien. Für sie handelt es sich um ein gutes Bild, wenn alle Warzen, alle Runzeln, alle trivialen Eigenschaften eines Gesichts völlig sichtbar und übertrieben wiedergegeben sind. Eigentlich kann das, was ich mir wünsche, nur in Paris gemacht werden: ein genaues Porträt, das aber die Unschärfe einer Zeichnung besäße.”
Stiefkind im Wintergarten
Proust hat sich in der „Suche nach der verlorenen Zeit” auf diese Stelle bei Baudelaire bezogen, als er Marcels Blick mit der Präzision eines Kameraobjektivs auf das vom Tod schon gezeichnete Gesicht der Großmutter fallen ließ. Die Fotografie wurde ihm so – wenn auch nur in den dem 19. Jahrhundert zugewandten Teilen der „Recherche” – zur kontextlosen Wahrnehmung schlechthin, zum Inbegriff der „willkürlichen Erinnerung”. Später wiederum hat Siegfried Kracauer Proust aufgenommen, als er in seinem Aufsatz „Die Photographie” feststellte, dass sich aus der Ähnlichkeit des Bildes seiner Großmutter die Großmutter selbst nicht rekonstruieren ließ. Walter Benjamin schrieb seine Fototheorie an Baudelaire, Proust und Kracauer entlang. Und Roland Barthes schließlich bezog sich in der „Hellen Kammer” auf alle zusammen, als er anhand jenes Bildes, das seine Mutter in einem Wintergarten zeigte, das Wesen der Fotografie zu erklären suchte.
In einer Porträtgalerie der Mütter und Großmütter also könnte man sie zusammenführen, die „Leittexte” zur Geschichte der Fotografie. Sicher sind es längst nicht alle, die man nennen müsste. Doch wäre es ein großer Teil des Kanons, auf den Barthes selbst anspielte, als er die Fotografie 1977 in einem Interview einmal das „Stiefkind der Kultur” nannte, über das es „nur wenige große Texte von intellektuellem Rang” gebe.
Das Interview, das nun in dem von Herta Wolf herausgegebenen Band „Paradigma Fotografie” wieder nachzulesen ist, fand noch vor der „Hellen Kammer”, also noch vor Barthes’ eigener Kanonisierung statt. Seither kann vom „Stiefkind” keine Rede mehr sein: Diverse Geschichten der Fotografie wurden verfasst. Allerdings richtete sich der Blick dabei immer wieder auch auf „Leittexte”, wenn etwa Wolfgang Kemp in seiner dreiteiligen Anthologie all die Dokumente versammelte, „die zu ihrer Zeit für die Theorie der Fotografie maßgebend waren und auch heute noch inspirierend wirken”. Die Anthologie stand, wo Foto- und, mehr noch, wo Mediengeschichte geschrieben wurde, immer schon hoch im Kurs.
Dass sie auch jetzt noch angesagt ist, beweisen gleich drei Bände, die soeben im Suhrkamp-Verlag erschienen sind: eine Ausgabe der „Medienästhetischen Schriften” von Walter Benjamin, die neben den kleinen auch die „großen” Texte über Baudelaire, die „Kleine Geschichte der Photographie” und den „Kunstwerk”-Aufsatz versammelt; Herta Wolfs „Paradigma Fotografie” und der von Albert Kümmel und Petra Löffler herausgegebene Band „Medientheorie 1888-1933”.
Wie unterschiedlich Anthologien sein können, führen diese drei Bände vor Augen. In allen stellt sich die Frage nach der Auswahl; steht zur Disposition, ob man sich an „Texten von intellektuellem Rang” oder an Nebentexten orientiert, ob man den Kanon bestätigt oder ihn neu schreibt. Der Herausgeber der „Medienästhetischen Schriften” Benjamins hat es dabei sicher am einfachsten: Ohne Vollständigkeit anzustreben, versammelt Detlev Schöttker im Werk verstreute Beiträge eines Autors und ordnet sie den verschiedenen Medien zu. Beschlossen wird der Band durch ein informatives Nachwort, das die selten dargestellte Rezeptionsgeschichte der Texte nachzeichnet: Enzensbergers 1970 veröffentlichter und gegen die Frankfurter Schule gerichteter „Baukasten zu einer Theorie der Medien” markiert den Beginn; Baudrillard und Virilio das vorläufige Ende.
Was Schöttker seiner Sammlung eher verhalten nachstellt, wird der Fotohistorikerin Herta Wolf dagegen zum Gegenstand einer eigenen Anthologie: Es gebe „Leittexte”, schreibt sie, „die von denjenigen, die sich mit der Fotografie beschäftigen, immer wieder zitiert werden”. Erstaunlich allerdings sei, dass sie in vielen Aufsätzen meist als Belege verwendet und nur selten kritisch gelesen würden. Mit ihrer „Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters” versucht die Herausgeberin das Gegenteil: Zusammengestellt werden „kritische Reflexionen”; Beiträge, die nicht nur weil sie kanonische Texte zum Ausgang nahmen, selbst zu kanonischen Texten wurden.
Diskrete Pixel
Es geht also um eine Art Anthologie zweiter Ordnung: Aufsätze, die „Leittexte” verhandeln, werden nun selbst zu „Leittexten” erklärt. Und das leuchtet nicht nur bei Sarah Kofmans „Freud – Der Fotoapparat” oder John Taggs und Allan Sekulas kritischen Schriften zur Instrumentalisierung des Bildes unmittelbar ein. Warum die Anthologie allerdings sogar im Titel das „Ende des fotografischen Zeitalters” bemüht, bleibt dahingestellt. Zwar vollzieht sich mit dem Übergang von der chemischen Fotografie zu elektronischen Bildtechnologien eine unbestrittene Transformation: Weil das digitale Bild aus diskreten Pixeln zusammengesetzt ist, kann es mit Hilfe des Computers gemorpht, gefiltert oder weich gezeichnet werden. Es ist, so Peter Lunenberg, so unentwirrbar mit Elementen der Grafik verbunden, dass die früher einzigartigen Qualitäten der Fotografie als Fotografie verloren gehen.
Dass der chemischen Fotografie nicht weniger die Möglichkeit der Bearbeitung innewohnte, wird im Angesicht des digitalen Bildes aber fast zur Lappalie heruntergespielt. Einer der ersten „Leittexte” der Fotogeschichte wäre hier vielleicht noch einmal der Rede wert gewesen: Henry Fox Talbots „Zeichenstift der Natur”. Mit ihm formierte sich ein bis heute andauernder Diskurs, der das Medium zum Inbegriff der Evidenz machte und seinen Zeichencharakter überging. Bernd Stiegler hat dies kürzlich in dem bei Fink erschienenen Band „Die Eroberung der Bilder” zum Gegenstand eines Aufsatzes gemacht (München 2003, 203 Seiten, 28,90 Euro). Was die Authentizität von Bildern angeht, hätte man sich in „Paradigma Fotografie”, statt auf ein „Ende”, mehr noch auf Kontinuitäten berufen und so am Ende vorbei argumentieren können.
Die interessanteste der drei neuen Anthologien ist der von Albert Kümmel und Petra Löffler herausgegebene Band „Medientheorie 1888-1933”. Und dies gar nicht so sehr, weil das Buch mehr sein will als eine ,bloße‘ Anthologie, sondern weil es statt der „Leittexte” die Nebentexte versammelt. Was mit kritischen Kommentaren versehen wird, sind, nach Jahreszahlen geordnet, über sechzig sonst schwer zugängliche Beiträge aus zeitgenössischen Fachzeitschriften. Man kennt sie zum Teil aus diskursanalytischen Untersuchungen, wo sie oft aber nur als Belege fungieren, man mit ihnen das Material selbst sprechen lässt. Hier erfahren sie durch den Kommentar und durch biografische Informationen über ihre nur wenig geläufigen Autoren erstmals eine Historisierung. „Der Phonograph und die Blinden”, „Die Radio- Polizist-Maschine” oder „Das Fernkino im Haus” heißen ihre vielversprechenden Titel. Man freundet sich schnell an mit diesem neuen Kanon.
JULIA ENCKE
WALTER BENJAMIN, Medienästhetische Schriften. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 443 Seiten, 14 Euro.
ALBERT KÜMMEL, PETRA LÖFFLER (Hrsg.), Medientheorie 1888-1933. Texte und Kommentare. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2002. 568 Seiten, 17 Euro.
HERTA WOLF (Hrsg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2002. 467 Seiten, 15 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Andrea Gnam hat in diesem Essayband zur Fotografientheorie - ein zweiter soll folgen - offenbar einige anregende Aufsätze gefunden. Lobend nennt sie Jonathan Crays Essay über Descartes und die Camera obscura, Sarah Kofmans Aufsatz über Freud, für den Fotografie vor allem eine Illustration der Arbeit des Unbewussten war, oder Rosalind Krauss' "kritische Würdigung" von Malraux' Überlegungen zum imaginären Museum, das Bilder aus der ganzen Welt als Fotografien versammeln sollte. Mit Missfallen hat die Rezensentin allerdings einen Schwerpunkt über das Museum und die Fotografieabteilung des Museum of Modern Art in New York gelesen. Sie findet es "seltsam", dass Kuratoren Ausstellungen ihrer Kollegen in "Grund und Boden kritisieren". Hier hätte sich Gnam einen Kommentar der Herausgeberin gewünscht.

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