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Seit ihrer Begründung als einer eigenen philosophischen Disziplin ist die Ästhetik von einer Kontroverse geprägt, die sie wie ein roter Faden durchzieht: Es ist der Streit um die Frage, wie die Ästhetik sich zur theoretischen und praktischen Philosophie verhält. Die hier versammelten Aufsätze gehen dem zentralen Grundgedanken nach, wonach theoretische und praktische Philosophie und philosophische Ästhetik nur im wechselseitigen Bezug sinnvoll sind. Denn die ästhetische Erfahrung ist nicht einfach ein weiterer Gegenstand der Philosophie neben anderen: Die ästhetische Erfahrung besitzt vielmehr…mehr

Produktbeschreibung
Seit ihrer Begründung als einer eigenen philosophischen Disziplin ist die Ästhetik von einer Kontroverse geprägt, die sie wie ein roter Faden durchzieht: Es ist der Streit um die Frage, wie die Ästhetik sich zur theoretischen und praktischen Philosophie verhält. Die hier versammelten Aufsätze gehen dem zentralen Grundgedanken nach, wonach theoretische und praktische Philosophie und philosophische Ästhetik nur im wechselseitigen Bezug sinnvoll sind. Denn die ästhetische Erfahrung ist nicht einfach ein weiterer Gegenstand der Philosophie neben anderen: Die ästhetische Erfahrung besitzt vielmehr selbst eine philosophische Dimension, ohne auf Philosophie reduzierbar zu sein.
Autorenporträt
Kern, AndreaAndrea Kern ist Professorin für Geschichte der Philosophie an der Universität Leipzig. Bei Suhrkamp sind zuletzt erschienen: Schöne Lust (stw 1474) und Quellen des Wissens (stw 1786)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2003

Was unterscheidet den Sonnenuntergang von der Kunst der Fuge?
Wer wissen will, was Schönheit ist, traue bloß keinem Philosophen: In der "philosophischen Ästhetik" sucht man die Ästhetik vergeblich

Vielleicht ist die zunehmende Weltarmut der Philosophie der nicht verhandelbare Preis für die Ausdifferenzierung der Wissenschaften. Hegels Ästhetik etwa besteht wesentlich aus Kunstwissenschaft und Kunstgeschichtsschreibung. Selbst seine Einordnung der Kunst in die Geschichte des Selbstbewußtseins der Freiheit ist material Historie und formal Geschichtsphilosophie. Übrig bliebe der Begriff des Schönen. Auf seiner Abstraktionshöhe längst eingerichtet hat sich die in der deutschen Ästhetik dominierende Wellmer-Schule - jetzt mit Freunden zu einem Gruppenfoto versammelt: im Sammelband "Falsche Gegensätze".

Bei allerlei feinen Unterschieden wird darin durchweg die ästhetische Erfahrung kantianisch als lustvoll freies Spiel der Erkenntniskräfte beschrieben, die unabschließbar zwischen den Materialien, der Form und dem unterstellten Sinn des Kunstwerks beziehungsweise des Naturschönen hin und her wechseln. Albrecht Wellmers Schüler, Martin Seel, Christoph Menke, Ruth Sonderegger, Andrea Kern, geben dem einen seltsam subjektivistischen Einschlag. Während es Kant noch um die metaphysische Gewißheit ging, in die Welt zu passen, wird jetzt die Form der ästhetischen Erfahrung zu ihrem eigenen Gehalt. Es interessiert nur mehr das Selbstgefühl der eigenen Kraft - eine Autostimulation, der gegenüber jeder Unterschied zwischen einem Sonnenuntergang und der "Kunst der Fuge" dahinschwindet.

Wellmer selbst akzentuiert fortschreitend das diskursive Moment des Umganges mit Kunst. Das Hin und Her zwischen Material, Form und Sinn werde durch sprachlich fixierte Auslegungstraditionen gelenkt. In unser Hören von Musik geht ein, was wir über sie gehört haben. Im Alltag wie in der Wissenschaft reden wir über die Absicht einer Inszenierung, die Gegenstände eines Fotos, den Sound einer CD und über das, was andere dazu gesagt haben. Die Philosophie redet dann darüber, was wir machen, wenn wir über Kunst reden. So gibt sie deren Begriff.

Das ist weniger trivial, als es erst den Anschein hat. Es weckt den Sinn für die Vielfalt der Sprachhandlungen, die wir als Interpretieren qualifizieren. Und es wehrt dogmatische Ansprüche ab, im Deutschunterricht müßten wir erkennen lernen, was der Dichter uns sagen will, oder Musikwissenschaft habe motivisch-thematische Analyse zu betreiben. Seinerseits dogmatisch ist allerdings der Anspruch, hiermit den legitimen und einzig legitimen Gegenstand der philosophischen Ästhetik nach dem Ende der idealistischen Kunstmetaphysiken gefaßt zu haben. Einesteils verträgt sich mit dem nachmetaphysischen Selbstbewußtsein eher schlecht die Rede von Kunst im Singular. Interpretieren heißt im Konzertsaal etwas anderes als auf der Bühne oder im literaturwissenschaftlichen Seminar.

Das je aufzurollen muß Aufgabe der Fachwissenschaften sein. Wellmer bringt denn auch in der Hauptsache detaillierte musikwissenschaftliche Überlegungen, die den Schein des Philosophischen nur wahren können, weil die Musikwissenschaft selbst sich so wenig Gedanken über das macht, was sie tut. Eine Ästhetik, die einem modernen pluralen Kunstbegriff ohne Dilettantismus gerecht werden will, kann zu eigenen Einsichten erst im vergleichenden Durchgang durch die verschiedenen Fachwissenschaften gelangen. Umgekehrt ist nicht einzusehen, warum die Philosophie, wenn sie die Vielfalt der Operation Interpretieren statuiert, nicht auch selbst ans Interpretieren gehen sollte. Sie wäre dann zwar ein Interpret unter anderen und müßte sich fachwissenschaftlichen Standards unterwerfen. Dennoch hätte sie durchaus eigenes beizutragen. Um die Geschichte der Künste als Geschichte des Selbstbewußtseins der Freiheit zu erzählen, muß man die Geschichte der Künste kennen, aber man muß auch einen Begriff von Freiheit haben.

Begriffen wie Bild, Ausdruck, Mimesis, Medium, Zeit, Präsenz, Subjekt, zumal von Anwälten der modernen bildenden Künste sehr großzügig verwendet, fehlt es gewiß oft an philosophischer Klarheit. Und was Schönheit ist, wird, wenn die ästhetische Erfahrung auch oder gar vor allem eine Erfahrung der nicht mehr schönen Künste sein soll, ganz rätselhaft. Vielleicht entspringt die Inhaltsleere der Philosophie doch nur der Angst der Philosophen, sich in Gebiete zu begeben, in denen sie nicht die alleinige Definitionsmacht besitzen.

GUSTAV FALKE

Andrea Kern, Ruth Sonderegger (Hrsg.): "Falsche Gegensätze". Zeitgenössische Positionen zur philosophischen Ästhetik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 345 S., br., 13,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der aus einer Tagung hervorgegangene Band "Falsche Gegensätze" sucht die Stellung der Ästhetik innerhalb der Philosophie neu zu bestimmen, berichtet Rezensentin Christine Pries. Das scheint den Autoren nach Einschätzung von Pries im großen und ganzen auch ganz gut gelungen zu sein. Wie Pries ausführt, bildet die programmatische Einleitung der Herausgeberinnen Andrea Kern und Ruth Sonderegger, die theoretische und praktische Philosophie einerseits und Ästhetik andererseits nur im wechselseitigen Bezug aufeinander für sinnvoll erachten, den Ausgangspunkt für die weiteren Beiträge. Insbesondere das von Kern und Sonderegger behauptete enge Verhältnis von Ästhetik und dem philosophischen Unternehmen in Puncto Selbstreflexifität stößt auf Pries' Interesse. Die einzelnen Beiträge von Autoren wie Martha Nussbaum, Albrecht Wellmer und Jens Kulenkampf bieten nach Ansicht der Rezensentin eine Vielzahl von Zugängen zum Thema. Pries hebt hervor, dass die Beiträge trotz des "generell hohen Abstraktionsniveaus" den Bezug zum ästhetischen Gegenstand nicht verlieren. Insgesamt erblickt Pries im vorliegenden Band einen "außergewöhnlich gut komponierten Tagungs- und Sammelband", der anrege, manchen Streit in der Ästhetik weiterzuführen.

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