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Dieses Buch verfolgt mit den Erkenntnismitteln der Psychoanalyse den Weg durch ihre eigene Geschichte, Theorie und Praxis, durch die Bildung ihrer Schulen und Bewegungen. Es ist auch eine andere Aufklärung über das emanzipatorische »Programm der Aufklärung«. Die Freudsche Psychoanalyse wird als unterirdische Schöpfungsgeschichte des Subjekts entgegen der oberirdischen Ordnung herrschender Rationalität wieder bewußtgemacht und zugleich der Mythos von ödipus als Metaphysik der Psychoanalyse erhellt. Wie Nietzsche zielt die Psychoanalyse Freuds auf eine Wiedereinführung des verlorenen…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch verfolgt mit den Erkenntnismitteln der Psychoanalyse den Weg durch ihre eigene Geschichte, Theorie und Praxis, durch die Bildung ihrer Schulen und Bewegungen. Es ist auch eine andere Aufklärung über das emanzipatorische »Programm der Aufklärung«. Die Freudsche Psychoanalyse wird als unterirdische Schöpfungsgeschichte des Subjekts entgegen der oberirdischen Ordnung herrschender Rationalität wieder bewußtgemacht und zugleich der Mythos von ödipus als Metaphysik der Psychoanalyse erhellt. Wie Nietzsche zielt die Psychoanalyse Freuds auf eine Wiedereinführung des verlorenen konnaturalen Denkens und der Bedeutung des Leibes für die menschliche Lebenswelt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2002

Ariadnefadenscheinig
Wie Aufklärungskritik sich selbst zum Opfer fällt: Freuds Subjekt in der Analyse
Nach 403 Seiten ist es heraus: „Der Diskurs der psychoanalytischen Orthodoxie ist dem Diskurs der Moderne konform: er ist die Negation des Freudschen Gegendiskurses zur Moderne.” Um bei dieser Kollegenkritik anzukommen, haben die ehemaligen Leiter der Marburger Uniklinik für Psychotherapie, Manfred Pohlen und Margarethe Bautz-Holzherr, erstens ans Vergessen der menschlichen Triebnatur in den „Grundbegriffen der Moderne” erinnert. Das heißt, sie haben die Begriffe „Selbstreflexion”, „Emanzipation” und „Kommunikation” als Figuren pathogener Leibvergessenheit entlarvt („ein psychoanalytischer Diskurs über die Grundbegriffe der Moderne”).
Sie haben zweitens Freuds Rückgriff auf mythische Erklärungsmuster als kritisch metaphorischen Gegendiskurs zur rationalistischen Aufklärung stark gemacht („Freuds Naturgeschichte und die Aufklärung von Naturgeschichte im Mythos”). Und sie haben drittens die szientistische Verkümmerung des Freudschen Denkens in der psychoanalytischen „Orthodoxie” angeprangert. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie am traditionellen „Setting” festhält, an der „Couch-Sessel-Anordnung”. Und indem sie die Anordnung dogmatisch übernimmt, ist sie auch schon dem „irrationalen Zug der Moderne” verfallen, huldigt dem „Autoritarismus” und verrät aus lauter Prestigesucht den „Gegendiskurs” Freuds („die Transzendierung der Autorität Freuds in der Übertragung seines Begehrens”).
So bekannt und einleuchtend die Kritik an einer medizintechnisch instrumentalisierten Psychoanalyse ist, als Nicht-Analytiker tut man sich schwer mit dem langatmigen „Diskurs”. Die bereits vor zehn Jahren publizierte, jetzt als Taschenbuch aufgelegte Arbeit liest sich über weite Strecken wie ein Familienstreit unter Psy-Experten: wer im Lande besitzt die größte kulturkritische Kompetenz? Zwar betonen die Autoren ausdrücklich ihre Rückbindung an die klinische Alltagspraxis und stellen ihre naturwissenschaftliche Ausbildung heraus, um sich vom „Leerlauf der Interpreta tionsmechanik von Kulturtheorie” abzusetzen. Wer dann freilich auf Falldarstellungen oder die Diskussion therapeutischer Alternativen zur denunzierten „Orthodoxie” wartet, hat umsonst gewartet.
Pohlen und Bautz-Holzherr halten sich nicht bei klinischen Einzelheiten auf. Es geht ums große Ganze, nämlich um „die produktive Unabgeschlossenheit des nie endenden Gattungskörpers” und dessen „leibhaftige Wahrheiten”, um das „befruchtend-befruchtete All-Leben”. Spätestens seit der Aufklärung sei der weiblich signierte Ariadnefaden dorthin gerissen. „Vergeistigung als radikale Aufklärung schafft jene Entfernung der körperlichen Basis, die das Subjekt mit Sicherheit dem Rückschlag seiner gewalttätig unterdrückten Triebnatur zum Opfer fallen lässt. Das Ausmaß an Erfahrung des ungebändigten Triebes ist die Maßgabe für die Bändigung des Ichs: die menschenalte Aufgabe der Bändigung des Dionysischen. Die moderne Abstraktion von dieser Basis, die unabdingbare Entfernung des Körpers, der Affekte und Leidenschaften aus dem rationalisierenden Diskurs produziert eine Gewalt von Selbstbezwingung im Subjekt, das in unbewusster Komplizenschaft mit dem unterdrückten Begehren den gewalttätigen Aufruhr in sich trägt.”
Unter dieses Abstraktionsniveau globaler Kritik an der Moderne fallen die Autoren dann auch nicht mehr zurück. Klinische, historische, ethnologische, religionswissenschaftliche Empirie kommt ihnen nicht in die Quere. In jedem Waschzwang tobt ein griechischer Gott. Adorno, Nietzsche, Bloch, Heidegger, Lacan, Vattimo, Marcuse, Deleuze/Guattari heißen die Referenzautoren, mit denen die Vertreter der somatischen Basis erstens gegen Jürgen Habermas’ Kommunikationsphilosophie mobilmachen und zweitens der Triebnatur auf der Spur sind. Daraus folgt, dass sich das Déjà-Lu am laufenden Band einstellt. „Die Kohärenz des Subjekts ist durch Freuds Entdeckungen unterminiert worden”, „die Sprachgemeinschaft konstituiert sich über die Ausschließung des Anderen”, „die sprechenden Subjekte werden einer einheitlichen, widerspruchsfreien Grammatik unterworfen”.
Weder in der Sache noch im Stil sind die Autoren dem Narzissmus des Originellseinwollens erlegen. Dafür hängen sie an den Lieblingsideen einer Aufklärungskritik, die seit den Münchner Kosmikern in Mode ist. Das Leben opponiert gegen die kontrollierende Ratio, der Körper gegen soziale Disziplinierungen, die All-Natur-Materie gegen den logozentrischen Verstand. Der Traum gilt einem „Subjekt”, das sich durch „Wachstum und Spontaneität im Ausdruck des Wünschens” auszeichnet, durch „Affektfreizügigkeit im Zusammenspiel von Trieb, Phantasie und Denken”, kurzum, ein „mit seiner Basis korrespondierendes ,organisches Ich‘”. Nichts scheint ihm ferner zu liegen als Freuds Gedanke, „dass es Schwierigkeiten gibt, die dem Wesen der Kultur anhaften und die keinem Reformversuch weichen werden.
Nackt bei den alten Griechen
Die Schwächen des Buches sind nach zehn Jahren nicht verschwunden. Abgesehen von den Überlegungen zur psychotherapeutischen Technik, ist es durchweg eklektizistisch. Und immer wenn die Autoren sich zu den ursprünglichen Griechen begeben, mythisch, nackt und sinnenfroh, macht sich ihr Verzicht auf philologische Hermeneutik unangenehm bemerkbar: als ideologische Zurichtung des historischen Materials. Unter dem Titel „Grammatik und Syntax” heißt es beispielsweise: „Die Sprache war anfangs eine gesungene; musiké bezeichnete im Griechischen die untrennbare Einheit von Vers und Gesang. In der Frühzeit war die musiké mit der Körperbewegung, dem Tanz untrennbar verbunden.” Dass im Anfang Körper, Tanz und Gesang war und die grammatiké aus der musiké hervorgegangen sein soll, ist irgendwie verständlich und romantisch. Es wird dadurch nicht richtiger.
Die griechische mousiké ist aus der Abstraktion des melos von der Prosarede entstanden, nicht in der Frühe, sondern in der Zeit zwischen dem 7. und dem 5. Jahrhundert vor Christus, also nach Einführung der 24 Buchstaben und nach der grammatiké techné als der Kunst des Lesens und Schreibens (und nicht: heiliger Textauslegungen). Mousiké steht nicht im Widerspruch zum logos, sondern der logos artikuliert das mathematisch-musikalische Verhältnis zwischen Psyche und Kosmos. Was im Griechischen melos und mousiké heißt, geht weder der Grammatik noch dem Rechnen vorher, sondern entsteht aus der logischen Abstraktion.
Freilich, wer den Gang zurück zum „sich ständig selber ausgebärenden Schoß” geht, für den sind entsexualisierte Schöpfungen vermutlich unvorstellbar und den fechten wahrscheinlich auch sprach- und musikwissenschaftliche Einwände nicht an. Allerdings entschwindet die logo- dezentrierte Aufklärungskritik damit in jenes modisch-naturale Urdunkel, das Benn in seinem Essay „Pallas” verspottete und dem Freud mit einem Schillervers antwortete: „Es freue sich, wer da atmet in rosigem Licht.”
CLEMENS
PORNSCHLEGEL
MANFRED POHLEN, MARGARETHE BAUTZ-HOLZHERR: Eine andere Aufklärung. Das Freudsche Subjekt in der Analyse: Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2001. 528 Seiten, 17 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Kritik an einer medizintechnisch instrumentalisierten Psychoanalyse, die die Autoren da anbringen, leuchtet Clemens Pornschlegel schon ein. Als Nicht-Analytiker aber hat er sich ziemlich schwer getan mit dem "langatmigen Diskurs", der ihm über weite Strecken doch eher wie ein "Familienstreit unter Psy-Experten" vorkam. Hilft auch die eigens betonte Rückbindung an die klinische Alltagspraxis nichts - Falldarstellungen sucht der Rezensent vergebens. Stattdessen geht's "ums große Ganze", klinische, historische, ethnologische, religionswissenschaftliche Empirie, so Pornschlegel, komme den Autoren nicht in die Quere. Dafür Adorno, Bloch, Lacan et al. und zwar so, dass sich beim Leser "das Deja-Lu am laufenden Band einstellt". Unerhört. Zumal sich das historische Material auch noch die ideologische Zurichtung gefallen lassen muss. Unter Aufklärungskritik versteht Pornschlegel aber was anderes.

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