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Was passiert bei der Übertragung mathematischer Formeln in die unscharfe Welt der Wörter? Wer wird angesprochen, und welche Absichten werden verfolgt? Wie kann man wahr und falsch unterscheiden? Roald Hoffmann spricht von der Aufrichtigkeit, die der Forscher dem singulären Gegenstand entgegenzubringen hat, und davon, daß Darstellen und Erzählen, daß "Übersetzen" zur Grundausstattung der menschlichen Welt gehören. Wäre daher die Bevorzugung des Einfachen gegenüber dem Komplexen eine Lüge? Jean-Michel Rabaté hält "wahren" Lügen zugute, daß sie Gefühle zur Wahrheit überlisten können. Evelyn Fox…mehr

Produktbeschreibung
Was passiert bei der Übertragung mathematischer Formeln in die unscharfe Welt der Wörter? Wer wird angesprochen, und welche Absichten werden verfolgt? Wie kann man wahr und falsch unterscheiden? Roald Hoffmann spricht von der Aufrichtigkeit, die der Forscher dem singulären Gegenstand entgegenzubringen hat, und davon, daß Darstellen und Erzählen, daß "Übersetzen" zur Grundausstattung der menschlichen Welt gehören. Wäre daher die Bevorzugung des Einfachen gegenüber dem Komplexen eine Lüge? Jean-Michel Rabaté hält "wahren" Lügen zugute, daß sie Gefühle zur Wahrheit überlisten können. Evelyn Fox Keller stellt fest, daß auch die Wissenschaft voller Metaphern ist: Die Bezeichnungen Atom, Gen, Organismus sind metaphorische Notlösungen. Aber sprachliche Ungenauigkeit und Assoziationen können durchaus zum wissenschaftlichen Erkennen beitragen. Mieke Bal fragt, ob vielleicht Fiktion Fakten überhaupt erst greifbar macht, und untersucht die Ethik des Geschichtenerzählens. Alle Autoren, die ganz unterschiedlichen Fachrichtungen angehören, stellen die grundsätzliche Frage nach dem unvermeidlichen, notwendigen Zusammenhang von Sprache - wissenschaftlicher wie literarischer -, Lüge und Moral."Die interessantesten wissenschaftlichen Fragen überschreiten heute die Grenzen der traditionellen wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Ein Paläontologe verfügt eben nicht automatisch über Kenntnisse der Relativitätstheorie oder der Thermodynamik. Jeder interdisziplinäre Dialog muß die Sprache aus einem Kontext herauslösen und auf einen anderen übertragen. Beim Transport gehen oft Dinge verloren, sie zerbrechen, wie geschickt und vorsichtig die Möbelpacker auch immer sein mögen."
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2009

Metaphern und Lügen
Margery Arent Safir versammelt disparate Forschungsgeschichten
Dass der Flügelschlag eines Schmetterlings über dem Steinhuder Meer einen Wirbelsturm in Brasilien auslöst oder zumindest einen Sack Reis umfallen lässt, hat sich in unserem kulturellen Gedächtnis eingenistet. Welche naturwissenschaftlichen Vorgänge hinter diesem Phänomen stecken sollen, weiß aus dem Stegreif allerdings kaum jemand zu sagen. Und noch nicht einmal, ob der „butterfly effect” überhaupt den Tatsachen entspricht oder nur eine Legende ist.
Und es ist ja auch völlig gleich. Denn die Macht der Erzählung hat die Fakten längst überschrieben. Schließlich ist der Betrachter gewillt, das Unwahrscheinliche zu akzeptieren, der guten Geschichte wegen. Wir lassen uns auf eine Illusion ein, wenn wir im Gegenzug gut unterhalten werden. Samuel Taylor Coleridge beschrieb schon vor 200 Jahren eine quasi-magische „willing suspension of disbelief” im Angesicht schwer erklärlicher Ereignisse, die sich attraktiv darbieten.
Auch die Wissenschaften machen Gebrauch von solchen Erzählstrategien. Wer versucht, Erkenntnisfortschritte zu beschreiben, dem kann die Unschärfe der Sprache gute Dienste leisten: mit einer Metapher kann der Forschungsstand umrissen werden, ohne sich auf bindende Zuschreibungen festzulegen. Das Sfumato kann beispielsweise die Bedeutung der Metapher „Gen” (die im Lauf der Forschungsgeschichte ihre Bedeutung änderte) bewusst im Vagen halten.
Die Hinwendung zum Erzählen wird von den Philologien seit einigen Jahren durch eine intensive Methodendiskussion, die Narratologie, nachgeholt. Dass sich auch die sonst als phantasielos gebrandmarkten (oder selbststilisierenden) Naturwissenschaften inzwischen des Erzählens bedienen, will Margery Arent Safir zeigen. In ihrem Sammelband „Sprache, Lügen und Moral – Geschichtenerzählen in Wissenschaft und Literatur” versammelt die Pariser Professorin vier Aufsätze, die das Verhältnis zwischen Fiktionalität und Faktizität ausloten. Safir möchte die Beiträge des Bändchens als „Übersetzungsprojekte” von der einen in die andere Sprache verstanden wissen, die neue Bewertungszusammenhänge erschließen. Die Gender-Biologin Evelyn Fox Keller denkt über das Verhältnis von Rhetorik und Wissenschaft nach. Die Sprachkunst ist als „Lüge” in den Wissenschaften zwar schlecht beleumundet, liefert Forschern aber einen „Erklärungsrahmen”, in den sie ihre Ergebnisse einbetten können. Keller versteht die Offenheit von scheinbar eindeutigen Begriffen als Bedingung des kreativen Forschungsflusses – auch der Naturwissenschaften.
Der Literaturkritiker Jean-Michel Rabaté leistet sich in seinem Exkurs über „Platon, Nietzsche und Hollywood” eine minutiös-holprige Nacherzählung der Schwarzenegger-Perle „True Lies”, um dann scharf auf Nietzsches Sprachphilosophie vorzustoßen. Von Narration und Naturwissenschaft bleibt unter viel gelehrter Hermeneutik nicht viel übrig. Nur: „Was zählt, ist nicht das Bewusstsein, das man von den Dingen hat, sondern allein die Möglichkeit, diese Ereignisse in Geschichten zu verwandeln”. Der Chemie-Nobelpreisträger Roald Hoffmann, selbst Lyriker und Dramatiker, hofft, die Komplexität wissenschaftlicher Forschung durch erzählerische Unterfütterung reduzieren zu können – und öffnet eine weitere Tür im Korridor dieses Sammelbands: Er verknüpft die Frage der Erzählung mit der nach Moral. Hoffmann findet ethisches Verhalten in der „Aufrichtigkeit”, die Dichter wie Teilchenphysiker ihrem Gegenstand entgegenbringen. Der Anschaulichkeit halber stellt er eigene Lyrik neben der molekularen Umgebung von Zinn-Atomen aus: „Eine Geschichte muss her, also erzähle ich eine, so gut ich eben kann.”
Mieke Bal schließlich übt sich in dekonstruktiver Kritik: In ihrer anstrengend kleinteiligen Lektüre von Thomas Manns Josephs-Tetralogie verknüpft sie literarische Qualität mit ethischen Fragen. Der Autor Mann fördere eine „Ästhetik der moralischen Nichtindifferenz”, konstatiert die ausgewiesene Narratologin nur wenig redundant.
Gemessen an den Ansprüchen der „edition unseld”, den durch „Naturwissenschaft und Technologie bewirkten Wandel unseres Weltgefühls” zu beschreiben und vor allem zu erklären, will der Band mit Antworten nicht so recht herausrücken. Zwar sind sich alle Autoren darin einig, dass sich Forschung erzählen lässt, aber was heißt das und zu welchem Ende? Mit dem Argument, die Wissenschaft verknüpfe bildhaftes Sprechen mit der Lüge, die Lüge aber mit Moral, werden die vier Aufsätze zusammengehalten. So fehlt der Sammlung der nötige, große Bogen, bleibt sie trotz virtuoser Detailbeobachtungen enttäuschend. LINO WIRAG
MARGERY ARENT SAFIR (Hrsg.): Sprache, Lügen und Moral – Geschichtenerzählen in Wissenschaft und Literatur. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009. 151 Seiten, 10 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2009

Verkannte Rhetorik

Die Rhetorik leidet seit langer Zeit schon unter übler Nachrede. Ob man nun die Romantiker oder erst spätere Avantgarden dafür verantwortlich macht: Die Feststellung rhetorischer Mittel ist seitdem selten freundlich oder anerkennend gemeint. Obwohl diese Mittel unter der Hand doch immer im Spiel sind, solange man nicht der Sprache den Abschied gibt - und wie wollte man sich von ihr befreien. Naturwissenschaftler scheinen manchmal allerdings davon zu träumen. Jedenfalls könnte das hinter den entsetzten Reaktionen stehen, die Evelyn Fox-Keller vor einigen Jahren erntete, als sie in Berkeley ein Forschungsprogramm zur "Rhetorik des Humangenomprojekts" auf den Weg bringen wollte. Da wurde der prominenten Wissenschaftshistorikerin (und Physikerin) schlagartig klar, dass ihre entrüsteten naturwissenschaftlichen Kollegen unter Rhetorik eine Form des Lügens verstanden. Ein solches Missverständnis gilt es aus dem Weg zu räumen, was Fox-Keller in einem bündigen Essay über Metaphorik und Rhetorik auf dem Terrain der Wissenschaft am Beispiel des Genbegriffs in Angriff nimmt. Sie nutzt ihn auch zum Versuch einer Klärung, wo die Vieldeutigkeit bestimmter Konzepte oder Bilder für die Forschung unerlässlich ist und wo sie neuen Perspektiven hinderlich werden kann. Es ist ihr Beitrag zu einem schmalen Band, der ein zu großes Thema, nämlich "Geschichtenerzählen in Wissenschaft und Literatur", in recht beliebiger Form behandelt. Wenn Zusammenwürfelungen dieser Art die Annäherung zwischen den "zwei Kulturen" dokumentieren sollen, kommt man noch glatt in Versuchung, sich aus leseökonomischen Gründen die alten Borniertheiten zurückzuwünschen. ("Sprache, Lüge und Moral". Geschichtenerzählen in Wissenschaft und Literatur. Hrsg. von Margery A. Safir. Aus dem Englischen von Rita Seuß und Thomas Wollermann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 152 S., br. 10,- [Euro].) hmay

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht wirklich zufrieden ist Lino Wirag mit diesem von Margery Arent Safir herausgegebenen Band, der vier Aufsätze über Erzählstrategien und Metaphern in den Wissenschaften versammelt. Die Frage nach dem Verhältnis von Fiktionalität und Faktizität scheint ihm so etwas wie die thematische Klammer, die die verschiedenen Aufsätze zusammenhält. Kurz referiert er die Texte des Bandes: die Gender-Biologin Evelyn Fox Keller befasst sich mit dem Verhältnis von Rhetorik und Wissenschaft, der Literaturkritiker Jean-Michel Rabate schreibt über "Platon, Nietzsche und Hollywood", der Chemie-Nobelpreisträger Roald Hoffmann denkt über die Komplexitätsreduktion wissenschaftlicher Forschung durch erzählerische Unterfütterung nach, und Mieke Bal widmet sich Thomas Manns Josephs-Tetralogie. Die Frage, was es eigentlich bedeutet, dass sich, wie der Band zu zeigen versucht, Forschung erzählen lässt, wird für Wirag nicht so recht beantwortet. Er vermisst den "nötigen, großen Bogen?. Darum bleibt der Band für ihn "trotz virtuoser Detailbeobachtungen enttäuschend?.

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