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Um der übermächtigen Wirklichkeit zu entkommen, erfinden Menschen Bilder und Mythen, metaphysische und kulturelle Systeme, denn sie bieten Orientierung, auch wenn sich ihre »Wahrheit« kaum beweisen läßt. Von dieser Überlegung geleitet, interessierte sich der Philosoph Hans Blumenberg lebenslang für bestimmte Metaphern, die als »regulative Ideen« dem Denken einen Rahmen geben, ohne es ganz festzulegen. Metaphern, so war seine Überzeugung, bilden den Untergrund der Ideengeschichte. Seit 1978 schwebte ihm ein eigenes Buch zu den drei »Wassermetaphern« Quellen, Ströme und Eisberge vor, denen er…mehr

Produktbeschreibung
Um der übermächtigen Wirklichkeit zu entkommen, erfinden Menschen Bilder und Mythen, metaphysische und kulturelle Systeme, denn sie bieten Orientierung, auch wenn sich ihre »Wahrheit« kaum beweisen läßt. Von dieser Überlegung geleitet, interessierte sich der Philosoph Hans Blumenberg lebenslang für bestimmte Metaphern, die als »regulative Ideen« dem Denken einen Rahmen geben, ohne es ganz festzulegen. Metaphern, so war seine Überzeugung, bilden den Untergrund der Ideengeschichte. Seit 1978 schwebte ihm ein eigenes Buch zu den drei »Wassermetaphern« Quellen, Ströme und Eisberge vor, denen er zentrale Bedeutung zumaß. Er sammelte umfangreiche Materialien und Belege in seinen Zettelkästen, und in seinem Nachlaß fand sich ein nahezu druckfertig ausgearbeiteter Text, der hier zum ersten Mal veröffentlicht wird. Anhand zahlreicher Beispiele - von den Vorsokratikern bis hin zu Werbetexten der Gegenwart - zeigt er anschaulich: Wasser ist, auch als Metapher, buchstäblich lebensnotwendig.
Autorenporträt
Hans Blumenberg wurde am 13. Juli 1920 in Lübeck geboren und starb am 28. März 1996 in Altenberge bei Münster. Nach seinem Abitur im Jahr 1939 durfte er keine reguläre Hochschule besuchen. Er galt trotz seiner katholischen Taufe als ¿Halbjude¿. Folglich studierte Blumenberg zwischen 1939 und 1947 mit Unterbrechungen Philosophie, Germanistik und klassische Philosophie in Paderborn, Frankfurt am Main, Hamburg und Kiel. 1947 wurde Blumenberg mit seiner Dissertation Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Hier habilitierte er sich 1950 mit der Studie Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls. Sein Lehrer während dieser Zeit war Ludwig Landgrebe. Im Jahr 1958 wurde Blumenberg in Hamburg außerordentlicher Professor für Philosophie und 1960 in Gießen ordentlicher Professor für Philosophie. 1965 wechselte er als ordentlicher Professor für Philosophie nach Bochum und ging im Jahr 1970 an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, wo er 1985 emeritiert wurde. Blumenberg war Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz (seit 1960), des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitgründer der 1963 ins Leben gerufenen Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik«.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ahlrich Meyer kennt seinen Blumenberg, weswegen er sich Gedanken macht über Sinn und Zweck dieses von Marbachs Mitarbeitern Ulrich von Bülow und Dorit Krusche aus dem Nachlass des Metaphorologen besorgten Bandes. Es geht um absolute Metaphern des philosophischen Sprechens, mit denen sich der Autor zeitlebens beschäftigt hat. Die nun veröffentlichten Texte zum Thema jedoch hatte Blumenberg verworfen. Warum, kann auch Meyer nur mutmaßen. Vielleicht, weil Blumenberg seine Beobachtungen zu Metaphern in früheren Arbeiten bereits argumentativ stringenter, besser durchgearbeitet und gegliedert, weniger assoziativ formuliert hatte? Vieles, was er hier, teils gelehrt, teils unterhaltsam gefasst, manchmal brillant formuliert, liest, ist dem Rezensenten jedenfalls bekannt, wenn auch angenehm bekannt. So Blumenbergs Ausführungen zu historischen und philologischen Quellen oder zur Phänomenologie Husserls.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.09.2012

Mit Felsquellwasser gebraut
Erfrischung für die begrifflich ermüdete Vernunft: Wie Hans Blumenberg Wasser-Metaphern erkundete
Die Spitze des Eisbergs ist eine der beliebtesten Metaphern, denn sie ist ein imaginatives Gift, das sofort wirkt. Derjenige, dem die Metapher injiziert wurde, erschaudert und versteht: Nur ein kleiner Teil von etwas – meist sind es Missstände – ist sichtbar und damit unter Kontrolle. Die unter der Meeresoberfläche verborgenden riesigen und zerklüfteten neun Zehntel des Eisbergs, die in das Bildarchiv unserer Sprache Eingang gefunden haben, verweisen auf ein gewaltiges Ausmaß von etwas, von dem die Spitze nur eine Ahnung vermittelt. Dieses suggestive Potenzial sichert der Eisberg-Metapher ihre Existenz, so inflationär sie inzwischen auch verwendet wird. Es widerspricht sich eben schwerer, wenn auf physikalische Naturgesetzlichkeiten Bezug genommen wird, schließlich stehe die Metapher, so der Philosoph Hans Blumenberg, „in einem morphologischen Vertrautheitshorizont. Rhetorik arbeitet mit Vertrautheiten. Sie will nicht beweisen, sondern Widerspruch erschweren.“
  Dies ist eine der Funktionen von Metaphern, die Blumenberg in seinem jahrzehntelang verfolgten Forschungsprogramm, das er „Metaphorologie“ genannt hat, untersucht. Blumenberg begründete die Metaphorologie um 1960, weil er in der philosophischen Fixierung auf den exakten und abstrakten Begriff eine Vernachlässigung der Metapher als Form der Erkenntnis und der Selbstverständigung über Sinnfragen feststellte. Bis zu seinem Tod 1996 hat er über verschiedenste Metaphern kurze Texte, lange Aufsätze und dicke Bücher geschrieben. Neben dem Licht als Metapher der Wahrheit und der Höhle, die seit Platon zum imaginativen Grundbestand der Philosophie gehört, waren es immer die nautischen Metaphern, die sein Interesse erregten: im „Schiffbruch erleiden“ und in der Distanz, die der Zuschauer des Schiffbruchs auf sicherem Grund einnehmen kann, sah er eine kulturell tief verwurzelte „Daseinsmetapher“ und ein raffiniertes Diagnoseinstrument für geistige Havarien.
  Bei dieser Liebe zu Seefahrer-Metaphern ist es kein Wunder, dass Blumenberg sich auch für Wasser-Metaphern interessierte. Als Lebens-Elixier ist das Wasser seit ewigen Zeiten präsent. Und so entzaubert die Natur insgesamt auch sein mag, bleibt sie Leitfaden für das Selbstverständnis des Menschen. Aber: „Sie tut es auf metaphorischem Wege.“ Zu den Wasser-Metaphern, in denen die Orientierung an der Natur konserviert ist, gehören nicht nur die Eisberge, sondern auch Quellen und Ströme. Zwar hatte Blumenberg diesen zeit seines Lebens schon Überlegungen gewidmet, doch konnten Ulrich von Bülow und Dorit Krusche aus dem (quellmetaphorisch ausgedrückt) schier unerschöpfliche Nachlass des Philosophen, der sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befindet, ein Buch über die drei Wassermetaphern herausbringen, das Einblicke in den Materialreichtum bietet, den das Forschungsprogramm Metaphorologie (strommetaphorisch formuliert) angestaut hat.
  Die Fülle des Materials war vor der Computerisierung nur mit einem Zettelkastensystem zu organisieren. Die etwa 30 000 Karteikarten wurden von Dorit Krusche in den letzten Jahren mit dem übrigen Nachlass erschlossen. Dem Buch „Quellen, Ströme, Eisberge“ konnten daher Bilder von Karteikarten und anderen Materialien beigefügt werden. Erschienen ist es in der Bibliothek Suhrkamp – eine Reihe, die immer wieder gern einen „Blumenberg“ beherbergte –, wobei für diese Edition die legendär schlichte Einbandgestaltung von Willy Fleckhaus mit einem Zettelkastenmotiv hinterlegt wurde.
  In den drei Teilen, die jeweils einer der Metaphern gewidmet sind, kann man den Autor Blumenberg von verschiedenen Seiten kennenlernen. In den „Quellen“ ist er der Metaphorologe, wie wir ihn kennen. Er geht dem Authentizitätsgewinn nach, der mit der Aufforderung, „zu den Quellen zu gehen“, intendiert ist. Wenn auf Quellen verwiesen wird, soll der Ursprung oder die Reinheit von etwas betont werden. Da der Ausdruck „Quelle“ durch die Geschichtswissenschaft zu einem Fachbegriff geworden ist, interessiert Blumenberg der „instabile Zustand der Begriffsbildung“ zwischen Metapher und Terminus. Droysens „Historik“ ist dabei ebenso Gegenstand der Analyse wie Kants Rede von den „Quellen der Erkenntnis“. Es finden sich aber auch süffisante Beobachtungen zum „Felsquellwasser“ und seiner kryptotheologischen Reinheitssuggestion und zum finanzbürokratischen Nebeneinander von „Steuerquellen“ und „Quellensteuern“.
  Im Teil zu den „Strömen“ zeigt sich Blumenberg auch als Phänomenologe, der sich intensiv mit Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, auseinandersetzt. In den Nachlassbüchern von 2002 und 2006, „Zu den Sachen und zurück“ und „Beschreibung des Menschen“ konnte man schon die stupend präzise Husserl-Lektüre bewundern, in dem aktuellen Band folgt sie der Metapher des Stromes, da der „Bewusstseinsstrom“ zu den zentralen Bildern Husserls gehört. Auch wenn die Bewusstseinsstrom-Metapher die unbefriedigend gebliebenen Bilder vom Bewusstsein als Behälter abgelöst hat, ist die fluviale Metaphorik voller Tücken, denn das Strömen will ja beobachtet werden. Beobachten und Strömen gleichzeitig geht aber nicht. Daher diagnostiziert Blumenberg: „Das metaphorologische Instrument läßt eine Krise am Präparat auftreten.“ Gleichzeitig ist Blumenberg immer so nah am Präparat, dass man spürt, wie sehr die Bewusstseinsproblematik ihn selbst philosophisch umgetrieben und herausgefordert hat.
  In dem „Eisberge“-Teil wiederum tritt Blumenberg als Sprach- und Jargonkritiker auf. Daher ist die überwiegende Zahl der Beispiele aus der Presse oder aus Sachbüchern, wie den Memoiren von Henry Kissinger. Sein Interesse ist hier weniger die Anstrengung, mit Metaphern theoretische Suchbewegungen zu erfassen, sondern deren Einsatz zu rhetorischen Zwecken: „Immer wenn es um schwer Beweisbares geht, hilft die Metapher.“ Naturgemäß interessiert ihn vor allem das Scheitern: Dabei sieht er etwa die „Anreicherung“ der Eisberg-Metapher von Fritz J. Raddatz, der einmal von der „winzigen Spitze eines riesigen Eisbergs“ redet, durch einen gewissen „Übereifer des Kulturkritikers“ fehlschlagen. Der Witz an der Eisberg-Metapher sei gerade, dass es ein naturgesetzlich klar geregeltes Verhältnis der über und unter dem Wasser liegenden Teile gebe: das sei es, was erst Plausibilität herstelle. In diesem Teil finden sich durchaus Pingeligkeiten, wie der Hinweis, dass Hannah Arendt in „Vom Leben des Geistes“ seine „Paradigmen zu einer Metaphorologie“ in Bezug auf Freuds angebliche Verwendung der Eisberg-Metapher falsch zitiert. Doch insgesamt zeigt sich wiederum, dass es philosophisch ein lohnendes Geschäft bleibt, Metaphern genau zu analysieren, da sie der „begrifflich ermüdeten Vernunft“ nicht nur „Frische und Erfrischung“ verschaffen, sondern auch Formen von Erkenntnis und Kritik.
OLIVER MÜLLER
  
Hans Blumenberg: Quellen, Ströme, Eisberge. Herausgeben von Ulrich von Bülow und Dorit Krusche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 306 S., 21,95 Euro.
Kann man gleichzeitig
beobachten und strömen?
Die „Spitze des Eisbergs“ ist eine besonders beliebte Metapher – sie hilft dem geübten Rhetor, wenn es um schwer Beweisbares geht.
FOTO: JOHN MCCONNICO/AP
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»Die Texte sind in ihrer sympathischen Vorläufigkeit belassen, was es ermöglicht, in die Denk- und Arbeitsweise BIumenbergs einen Einblick zu gewinnen. Hier öffnet sich die verborgene Werkstatt des Philosophen und lädt dazu ein, seinem Ordnungsgang und seinen Gedankenspuren zu folgen, auf seine Kommentare einzusteigen und das gesammelte Material auch selber zu reflektieren.« Oya Erdogan Die Presse, Wien 20121006
»Dass Erkenntnis nicht ohne Metaphern gelingen kann, vermittelt dieses Buch auf faszinierende Weise.«