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Die in der Französischen Revolution erhobene Forderung nach "Verdampfung aller Stände" sollte dazu führen, daß neue Stabilitäten geschaffen werden. Nach über zweihundert Jahren des Kampfes um Freiheit und Emanzipation müssen wir einsehen, daß eine Kluft zwischen dem befreiten Individuum de jure und seinen Einflußmöglichkeiten de facto entstanden ist.
Zygmunt Bauman entwirft das Bild einer Moderne, die sich durch exterritorial und mobil gewordene Machtstrukturen auszeichnet. Das Individuum ist zwar in die Freiheit entlassen, muß das soziale Gewebe jedoch in Heimarbeit selbst herstellen. Es
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Produktbeschreibung
Die in der Französischen Revolution erhobene Forderung nach "Verdampfung aller Stände" sollte dazu führen, daß neue Stabilitäten geschaffen werden. Nach über zweihundert Jahren des Kampfes um Freiheit und Emanzipation müssen wir einsehen, daß eine Kluft zwischen dem befreiten Individuum de jure und seinen Einflußmöglichkeiten de facto entstanden ist.

Zygmunt Bauman entwirft das Bild einer Moderne, die sich durch exterritorial und mobil gewordene Machtstrukturen auszeichnet. Das Individuum ist zwar in die Freiheit entlassen, muß das soziale Gewebe jedoch in Heimarbeit selbst herstellen. Es gibt kein Schaltzentrum der Macht mehr, die Strukturen sind flüchtig, die Freiheit beliebig. In seiner mitreißenden Analyse wagt Zygmunt Bauman einen Ausblick auf eine Zeit nach der Zweiten Moderne; die Risikogesellschaft mit ihren flexiblen Menschen läuft auf eine flüchtige Moderne zu, in der Revolutionen, die ja etwas Bestehendes auflösen sollen, keinen Ansatzpunkt mehr haben.
Autorenporträt
Zygmunt Bauman, geboren 1925 in Posen, gestorben 2017 in Leeds, lehrte zuletzt an der University of Leeds. Er gilt als einer der bedeutendsten Soziologen der Gegenwart und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Theodor- W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main (1998) und den Prinz-von-Asturien-Preis (2013). Zygmunt Bauman, geboren 1925 in Posen, gestorben 2017 in Leeds, lehrte zuletzt an der University of Leeds. Er gilt als einer der bedeutendsten Soziologen der Gegenwart und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Theodor- W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main (1998) und den Prinz-von-Asturien-Preis (2013).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003

Monade im Speck
Zygmunt Baumann kämpft weiter für das Individuum
Jeden Nachmittag pflückt der emeritierte Soziologieprofessor Zygmunt Baumann saftige Lesefrüchte aus den neuen Büchern seiner Lieblingsautoren, legt sie im Zettelkasten ab, kramt am nächsten Morgen das Passende heraus, befruchtet es mit eigenen Geistesblitzen und gewinnt so im Laufe des Vormittags zwei Seiten trefflicher Zeitdiagnose. So jedenfalls darf man sich das vorstellen.
Seit etwa fünfzehn Jahren arbeitet Baumann unentwegt an einem einzigen großen Werk, das den Untertitel haben könnte: „Warum das Leben in der späten Moderne radikal anders ist als in der frühen Moderne – und unsere Aufgabe dennoch die gleiche geblieben ist”. Alle zwölf oder achtzehn Monate macht Baumann einen Schnitt im Textkontinuum, umklammert das Produkt mit Vorwort und Nachwort und gibt es zur Veröffentlichung frei. Eines dieser Stücke wurde „Moderne und Ambivalenz” genannt, eines „Postmoderne Ethik”, ein anderes „Flaneure, Spieler und Touristen”, eines „Die Krise der Politik”. Die Lektüre lohnt immer, denn Baumann besitzt die Gabe, die Dinge distanziert und anschaulich zugleich und stets lakonisch auf den Punkt zu bringen.
Der Leser bezahlt seine Einsichten allerdings mit leichter Verwirrung. Häufig hat er das Gefühl, einer bestimmten These im selben Buch schon begegnet zu sein, und weiß nun nicht, ob der Autor Gedankengänge fortspinnt oder wieder bei Punkt Null ansetzt. Und er rätselt ständig, ob Baumann das gerade Dargelegte bitter beklagt oder als Resultat unumkehrbarer Entwicklung akzeptiert und sogar als Potenzial der Befreiung gutheißt – beispielsweise das konfuse Dasein in der „Flüchtigen Moderne” (Titel des 1999 gefertigten Textes, der nun erschienen ist). Oder ob er auf Ambivalenz plädiert. Da Baumann ein geübter Selbsterreger ist, der in jedem Kapitel ein Angriffsziel braucht, um in Fahrt zu kommen, ebbt manche Hitzewallung später wieder ab.
In der „Flüchtigen Moderne” entzündet sich sein kunstvoller Ärger an allen Formen der postmodernen Sehnsucht nach „Gemeinschaft”. (Achtung, Irritationsgefahr! Auf mehr als 200 Seiten beschreibt Baumann die üblen Folgen der Kolonisierung des Öffentlichen, Gesellschaftlichen und Politischen durch das Private. Und schickt damit sich und die Leser auf die „Suche nach einem alternativen gemeinsamen Leben”.)
Lust am Verlust
Mit einem trotzigen „Jetzt erst recht!” bekennt sich Baumann zu einer unabhängigen Soziologie, die unverzagt Löcher in die „Mauern des Offensichtlichen und Selbstverständlichen” bohrt. Zugleich liefert das Buch Belege für die Vermutung, dass die Soziologie eine hinscheidende Disziplin sei. Wie alle engagierten Analytiker des sozialen Wandels besticht Baumann bei der Darstellung von Verlusten, Schäden und Risiken und enttäuscht beim Werben für Lösungsmodelle. Den wiedergeborenen Kommunitarismus erledigt er mit wenigen Hieben, indem er eine unaufhebbare Paradoxie der Gegenwart bestimmt: Schlechte Beliebigkeit soll durch gute Beliebigkeit überwunden werden. „Will man das kommunitäre Projekt realisieren, bedarf es des Appells an genau jene. . . individuellen Entscheidungen, die im Rahmen dieses Denkens geleugnet werden.”
Warum aber der Bedarf nach kollektiver Geborgenheit wächst, erklärt niemand besser als Baumann. Wieder einmal führt er uns durch das postmoderne Fegefeuer, präsentiert in aller Ausführlichkeit die Demontage aller sozialen Bindungen und Verbindlichkeiten, dazu geeignet, „das Grauen, das wir aus Orwells und Huxleys Albträumen kennen, in den Schatten zu stellen”. Orwell und Huxley beschworen noch die Gefahren der „schweren”, „soliden”, „systemischen” Moderne. Ungleich bedrohlicher erscheint das Leben des formal freigesetzten und gesamtverantwortlichen Individuums in der „leichten”, „diffusen” und „flüssigen” Moderne. Hier werden die Risiken und Widersprüche nach wie vor sozial produziert, jedoch dem ohnmächtigen Einzelnen angelastet. Dieser nur de jure souveräne Lebenskünstler muss täglich in der Heimarbeit seiner Tagträume ein bisschen Identität zusammenraffen, seine zerbrechlichen Partnerschaften kitten und einen Fetzen sozialen Gewebes produzieren, ohne seine Probleme verallgemeinern zu können. Er flieht in den Supermarkt der Wegwerfobjekte und zu paranoiden Schutzgemeinschaften und wird dort am Ende erneut der „ausweglosen Unsicherheit” gewahr. Haltlos in der Gegenwart, kann er keine Zukunft planen.
Macht und Kapital sind ins Nirgendwo elektronischer Netzwerke entschwunden und herrschen unkontrollierbar über die Kreaturen mit Pässen, Adressen und Arbeitskraft. Politik und Staat haben als Besorger gemeinsamer, öffentlicher Angelegenheiten abgedankt. In ihre Stelle tritt, befürchtet Baumann, keine supranationale Ordnung, sondern die „explosive Gemeinschaft”, die der Gewalt gegen die jeweils Ausgeschlossenen bedarf, um zu entstehen und zu überleben. Seine vielen Damals-und-heute-Vergleiche steckt Baumann in fünf Schubkästen, etikettiert mit Stammbegriffen der alten Gesellschaftstheorie: „Emanzipation”, „Individualität”, „Zeit/Raum”, „Arbeit” und „Gemeinschaft”. Zieht man aber einen von ihnen heraus, findet man jeweils auch reichlich Material aus den anderen.
Erstleser von Zygmunt Baumann wird es besonders verwirren, dass die Diagnose der Ausweglosigkeit den Diagnostiker erst richtig munter macht. Wenn die Kritik an der flüchtigen Moderne „zahnlos” wird, ist das für Baumann ein Grund, ganz auf sie zu setzen: „Kritische Theorie revisited”. Wie bei Theodor W. Adorno und, anders, bei Herbert Marcuse, stimuliert bei Baumann der Bankrott die Hoffnung. Die Zeit der Revolutionen sei vorbei, stellt er fest, und es gebe heute niemanden mehr, „der sein eigenes Schicksal durch eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse verbessern möchte”. Wohl gerade deshalb steht für den Soziologen „die Aufgabe der Befreiung nach wie vor an”. Baumann fordert das für nahezu unmöglich Erklärte, nämlich die Überwindung des Abgrunds zwischen den Individuen de jure und den Aussichten auf eine Individualität de facto, die Verfügung über die Mittel zur wahren Selbstbestimmung. Unterstützt von der Soziologie, sollen die Geschöpfe der flüchtigen Moderne die „verwaiste Agora”, die öffentliche Sphäre, neu gestalten und hier die jeweils dringlichen Gemeinsamkeiten des Tages aushandeln.
An diesem „republikanischen” Plan stört weniger die Unwahrscheinlichkeit des Gelingens als die fixe Idee, dass aus dem Dilemma absolut gesetzter Wahlfreiheit eben dieselbe herausführen soll. Gewiss kann heute in Westeuropa niemand das Moment der Notwendigkeit benennen, dessen es bedarf, um solidarische Bande zwischen sozialen Monaden zu stiften. Solange dieses Moment aber nicht in der politischen Auseinandersetzung hervortritt, ist es kein Wunder, dass die verwaisten Bürger offen oder heimlich den Eingriff von außen ersehnen – einen Fingerzeig höherer Gewalten oder wenigstens eine Katastrophe, die für ein paar Monate verbindliche Prioritäten schafft.
FRANK BÖCKELMANN
ZYGMUNT BAUMANN: Flüchtige Moderne. Aus dem Englischen von Reinhard Kreissl. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 260 Seiten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent mit dem Kürzel "upj" ist ausgesprochen einverstanden mit dieser Analyse des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman, obwohl diese ganz schön kulturpessimistisch daherkomme und reichlich "Schwarzgalliges" enthält. Es geht darum, dass der Mensch in der Spätmoderne allen gesellschaftlichen Halt verloren hat. Das macht das Leben jeden Tag aufs Neue ungeheuer anstrengend, denn "flüssig geworden ist alles, was uns Umgibt". Diesen Prozess beschreibt Bauman nach Ansicht des Rezensenten mit "Redlichkeit und Sprachmacht". Mutig findet "upj" Baumans Arbeit auch noch: "Er beschreibt, worum wir alle wissen, was wir aber kaum je auf solch ungeschönte Begriffe zu bringen wagen."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Er hat ... viele einprägsame Bezeichnungen gefunden. Die Flüchtige Moderne (im Original: Liquid Modernity ), die zur Jahrtausendwende Baumans wohl einflussreichstem Buch den Titel gab, wird seither oft zitiert."
Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel 11.01.2017