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»Die Zollerklärung« , von der Melancholie des Abschieds gefärbt, ist die Lebensbilanz eines mitteleuropäischen Intellektuellen. Ein literarisches Dokument der Emigration und des Heimatverlusts, das nichts von seiner Aktualität verloren hat.

Produktbeschreibung
»Die Zollerklärung« , von der Melancholie des Abschieds gefärbt, ist die Lebensbilanz eines mitteleuropäischen Intellektuellen. Ein literarisches Dokument der Emigration und des Heimatverlusts, das nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Autorenporträt
Cosic, BoraBora Cosic, 1932 geboren, einer der bedeutendsten serbischen Autoren der Gegenwart, lebt seit 1992 in Rovinj/Istrien und in Berlin. Im Jahr 2002 wurde er mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Ein Leben ist zu verzollen
Von Belgrad nach Berlin: Ein Roman und Gedichte von Bora Cosic

Als das Provisorium des Exils zum Dauerzustand wurde, beschließt der Emigrant, seinen endgültigen Abschied zu nehmen: von der Stadt, in der er aufgewachsen und zum Schriftsteller geworden ist, von dem Staat, der ihn in den Gehorsam zwingen wollte und dem er deshalb entlaufen mußte, von der Jugend, die er in Belgrad zurückgelassen hat . . . So geht er aus der Ferne daran, seinen Hausstand in der Hauptstadt am Balkan aufzulösen und das Wichtigste in die andere Hauptstadt im Norden, "wo das natürliche Ende jedes Lebens liegt", zu transferieren.

Vor allem sind es die Bücher, die er in den kargen, kalten Jahren, die ihm in Berlin noch bleiben werden, nicht entbehren möchte. Für sie hat er eine "Zollerklärung" abzugeben, eine Liste, die jedes einzelne seiner Bücher anführt; er muß also seine Bibliothek rekonstruieren, ohne daß er sie zur Hand hätte, und sich aller Bücher, die er gelesen hat, die sein Leben bestimmt haben, die seine Gefährten waren, Stück für Stück erinnern.

"Die Zollerklärung" ist eine bittere Erzählung aus dem Exil und über das Exil, mit der Bora Cosic sich noch einmal dessen vergewissert, was von ihm an Dingen und Ideen, materiellen Werten und Träumen in Belgrad geblieben ist. Den Erzähler, der sich zuerst nur dem bürokratischen Akt einer speziellen Zollerklärung aussetzen wollte, packt über der Arbeit daran "der administrative Wahn", und die vielen Listen, die er statt der einen mit seinen Büchern aufstellt, fügen sich zur mitleidlosen Bilanz seiner Existenz; der Existenz eines Schriftstellers, der das Alter in den Knochen spürt, dem die Freunde in der zur Fremde gewordenen Heimat wegsterben, dessen vierzig Bücher am neuen Wohnort, der langsam vertraut, aber nie zur Heimat wird, kaum jemand kennt und der schließlich auch begreift, daß sein Grab eines Tages nicht dort sein wird, wo seine Vorfahren ruhen und er selbst die längste Zeit gelebt hat. In dieser Situation, die einen radikalen Bruch markiert, wird aus einer schlichten Besitzerklärung für den Zoll der Rechenschaftsbericht eines ganzen Lebens: "So gehe auch ich mit meinem Bleistift wie mit dem winzigen Stock eines alten Mannes über den Platz meiner Erinnerung und versuche, eine fast unermeßliche Menge an Erscheinungen und Ereignissen aufzuspüren . . ."

Bora Cosic, 1932 in Zagreb geboren und in Belgrad aufgewachsen, war vor dem Druck des serbischen wie des kroatischen Nationalismus früh nach Rovinj ausgewichen, auf die Halbinsel Istrien, wo die Nationalitäten über die Jahrhunderte gelernt haben, miteinander auszukommen. Wenige Autoren mag es geben, die sich so leidenschaftlich auf die Traditionen aller jugoslawischen Literaturen bezogen haben wie er, der dieses Erbe eines Tages nur mehr hüten konnte, indem er auch Istrien verließ und zum Schriftsteller im Exil wurde.

Seit 1992 lebt er, schreibt er in Berlin, doch ihm widerfuhr, was vor ihm unzählige geflüchtete, ausgestoßene, vertriebene Autoren erleben mußten: An seinen neuen Büchern zeigte seine neue Umgebung vornehmes Desinteresse. Zwar sind in den letzten Jahren einige seiner Erzählwerke auch auf deutsch erschienen, aber "Bel Tempo", "Interview am Zürichsee" oder "Musils Notizbuch" waren im Original allesamt lange vor den jugoslawischen Zerfallskriegen und der Exilierung des Autors erschienen. Von dem, was er in Berlin geschrieben hat, zeugte bisher einzig der Auswahlband "Das barocke Auge", während in kroatischen und neuerdings auch in serbischen Verlagen mittlerweile zehn Exilbücher Cosics erschienen sind.

Wer die Verspieltheit dieses Autors kennt, der mit echten und falschen Zitaten zu hantieren pflegt, jede Gelegenheit nutzt, vom Thema abzuschweifen, und die Arabeske als definitive Form europäischer Gelehrsamkeit bevorzugt, den überrascht Cosic mit einem neuen, von ihm noch nicht gehörten Ton. In "Die Zollerklärung" hat er seine überbordende Sprache gebändigt und sich auf kunstvolle Weise den lapidaren, nüchternen Stil eines Berichterstatters angeeignet. Was auf beherrschte Weise erzählt wird, ist freilich befremdlich genug, so daß der Bericht immer wieder ins Surreale kippt. Der Zoll wird für den, der seine Vergangenheit zu durchforschen beginnt, zur kafkaesken Instanz, vor der er nicht bestehen kann, ja für die er selbst "versucht, eine Anklage zu erfinden". Die Zollerklärung, die nur die Bücher betrifft, hat er längst beiseite gelegt, nun fragt er sich, was er sonst noch zu deklarieren hat und von seinem früheren Leben in den Norden des Todes mitnehmen möchte.

Als erstes fallen dem Erzähler seine vielen Schwächen ein, die er nicht missen möchte und dem Land, das er verlassen mußte, nicht gönnt. "Ich denke, daß ich meine Schwächen mitnehmen muß, weil sie mir gehören. Doch vielleicht hat mein Land Schwächen nötiger als ich. Weil es ein stolzes Land ist, das sehr auf seine Stärke hält." So direkt satirisch geht es selten zu in diesem großen Protokoll des Abschieds, doch macht sich der Erzähler nach der Inventur seiner Schwächen immerhin an die seiner gesammelten Torheiten. Zu diesen rechnet er "das Umhergehen", den Hang, sich ziellos flanierend durch die eigene Stadt zu bewegen, die "Unschlüssigkeit" und das Träumen, Spintisieren, Nichtstun, ja das "Nichtdenken". Gerade die letzte Torheit ist ihm lieb und teuer, so daß er auch sie exilieren möchte: Allerdings "denke ich wieder, ich nähme meinem Land etwas weg, worauf es heute dringend angewiesen ist. Denn um dort weiterleben zu können, darf man sich nicht auf das Denken einlassen, weil sonst das Überleben nicht gewährleistet ist."

Indem er Belgrad immer mehr entzieht, am Ende sogar jene Dinge, die er gar nicht besessen hat, aber immer besitzen wollte, wird diese Stadt in der Vorstellung des Erzählers nach und nach gähnend leer, leer die Straßen, leer die Wohnungen, die Zimmer - eine Stadt in Europa, leergefegt von ihren Traditionen und allem Leben. Am Ende nimmt der Exilant seiner Heimat, die ihn verstoßen hat, sogar noch seinen eigenen Tod: "Ich denke, ich werde dieser Stadt jetzt meinen Tod vorenthalten . . . Die beiden Tode meiner Eltern lasse ich dort . . . Doch meinen Tod nehme ich mit, anderswohin."

Wohin nimmt er den Tod mit? Nach Berlin! Cosic, der "sein Lebtag lang" keine Gedichte schrieb, hat ausgerechnet im Exil damit begonnen, und der erste Lyrikband, der von ihm jetzt erschienen ist, trägt den Titel "Die Toten. Das Berlin meiner Gedichte". Zwei scheinbar widersprechende Dinge werden da zusammengeführt: die Toten, die der alternde Autor aus der Erinnerung heraufbeschwört, und die neue Stadt, die er sich erst ergehen, erkunden, erschreiben muß. Das eine verheißt Abgesang, das andere Entdeckung. Doch steht über dem einen wie dem anderen die Überschrift "Exil", und im Exil kommen die beiden Erfahrungen - des Abschieds und der Ankunft im Ungewissen - zusammen.

Ein typischer Ort des Exils ist das Hotel: "Das Hotelzimmer verlassend / schreibe ich an der Rezeption das Testament", heißt es, und Berlin selbst scheint für Cosic so etwas wie sein Testament, sein vorläufig letztes Wort zu sein. Dabei ist ihm Berlin offenbar der Ort des Exils schlechthin, und er trachtet dort sein persönliches Bleiberecht zu gewinnen, indem er die Stadt nach den Spuren der Emigranten durchwandert, die vor ihm hierhergekommen, und nach jenen Toten, die ihm da vorausgestorben sind.

KARL-MARKUS GAUSS

Bora Cosic: "Die Zollerklärung". Roman. Aus dem Serbischen übersetzt von Katharina Wolf-Grießhaber. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 153 S., br., 17,90 DM.

Bora Cosic: "Die Toten. Das Berlin meiner Gedichte". Aus dem Serbischen übersetzt von Irena Vrkljan und Benno Meyer-Wehlack. Reihe Spurensicherung, Band 5, DAAD Berliner Künstlerprogramm Berlin 2001. 125 S., br., 16,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wer die Verspieltheit des Autors Bora Cosic kennt, wird sich wundern, behauptet der Rezensent Karl-Markus Gauß: statt Arabesken, Zitaten und Abschweifungen, die sonst die überbordende Sprache des exilierten jugoslawischen Schriftstellers prägten, herrsche diesmal ein nüchterner, lapidarer, fast protokollhafter Ton vor. Der gebürtige Kroate, der in Belgrad aufwuchs, dort lange lebte, bevor er sich zunächst nach Istrien zurückzog, um dann ganz nach Deutschland ins Exil zu gehen, zieht Bilanz. Er ordne, so beschreibt Gauß das literarische Verfahren Cosic', aus der Ferne seine Besitztümer, seinen Hausstand, den er in Belgrad zurücklassen musste, und schreibe sich "in einen administrativen" Wahn, der bald auch immaterielle Güter wie Freunde, Erfahrungen, usw. ergreift. Was nimmt man mit, was lässt man da? Am Ende nimmt Cosic, so Gauß beeindruckt vom Galgenhumor des Autors, sogar seine Schwächen und seinen eigenen Tod mit.

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