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Im April 1999 erschien in der Türkei Mehmets Buch. Es enthält 42 Protokolle türkischer Wehrpflichtiger ("Mehmets"), die ihren Militärdienst in der Südosttürkei ableisteten und in dem seit 16 fahren andauernden Kampf gegen die PKK eingesetzt wurden. Die jungen Veteranen sprechen im Schütze der Anonymität mit bestürzender Offenheit über ihre persönlichen Erfahrungen vor, während und nach ihrem Einsatz in diesem "Low-intensity war", wie dieser bewaffnete Konflikt im Militärjargon heißt. Sie erzählen von der Brutalität ihrer Mitstreiter, von den grausamen Methoden der Sonderkommandos, von den…mehr

Produktbeschreibung
Im April 1999 erschien in der Türkei Mehmets Buch. Es enthält 42 Protokolle türkischer Wehrpflichtiger ("Mehmets"), die ihren Militärdienst in der Südosttürkei ableisteten und in dem seit 16 fahren andauernden Kampf gegen die PKK eingesetzt wurden. Die jungen Veteranen sprechen im Schütze der Anonymität mit bestürzender Offenheit über ihre persönlichen Erfahrungen vor, während und nach ihrem Einsatz in diesem "Low-intensity war", wie dieser bewaffnete Konflikt im Militärjargon heißt. Sie erzählen von der Brutalität ihrer Mitstreiter, von den grausamen Methoden der Sonderkommandos, von den Misshandlungen der kurdischen Zivilbevölkerung, von den Schwierigkeiten, mit ihren Traumata umzugehen, und davon, wie der Krieg aus ihnen andere Menschen gemacht hat.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2001

Weinende Helden
Türkische Soldaten berichten anonym über das grausame Vorgehen gegen die Kurden
„Du schießt, ohne die Männer zu sehen. Du müsstest ihn getötet haben” – mit dürren Worten beschreibt ein Soldat der türkischen Armee seine Aufgabe. Krieg ist Graumsamkeit, Schmutz und Angst. Auch Militärs zittern um ihr Leben, harte Männern wimmern, flüchten sich in Drogen und werden von Depressionen geplagt. 42 türkische Soldaten, einfache Rekruten und Unteroffiziere, haben 1999 mit ungeschminkten Berichten über den Krieg gegen die kurdische Guerilla der PKK ein Tabu gebrochen: Sie zerkratzen
das sorgsam gepflegte Bild einer helden-haften Armee, die im Kampf gegen Separatisten und Terroristen nur ihre vater-ländische Pflicht erfüllt.
Der 15 Jahre dauernde blutige Bürger-krieg im Südosten der Türkei ist seit zweieinhalb Jahren zu Ende, aber viele der schätzungsweise 2,5 Millionen Män-ner, die an die Fronten im Südosten ge-schickt wurden, leben immer noch mit dem Kampf: Sie träumen davon. „Eines nachts soll ich meiner Frau die Kehle zugedrückt haben. Sie ist aufgewacht und hat mir die Arme festgehalten”, schildert ein 1976 geborener Türke, der mit 21 Jahren bei den berüchtigten Spezialeinheiten diente, sein Leben nach dem Militär in den Interviews mit der türkischen Journalistin Nadire Mater.
Als ihr Buch 1999 in der Türkei erschien, wurde es erst verboten und dann doch 20 000 mal verkauft, nachdem Gerichte eine Verfolgung der Autorin ablehnten. Dazu gab es ungezählte Raubkopien und eine Internetversion des Buches. Als in diesem Jahr zuerst eine italienische und dann die deutsche Übersetzung von „Mehmets Buch” („Mehmetcik” – kleiner Mehmet heissen die Wehrpflichtigen im türkischen Volksmund) erschien, gab es wieder heftige Angriffe gegen die Autorin. In mehreren Kolumnen der Tageszeitung Hürriyet wurde die Journalistin beschuldigt, ihr Buch mit Hilfe von Geldern einer amerikanischen Stiftung mit Verbindungen zur CIA geschrieben zu haben. Sowohl die Stiftung wie Mater dementierten die reichlich absurde CIA-Connection. Welches Interesse sollte der US-Geheimdienst denn auch haben, das Militär des Nato-Verbündeten Türkei zu düpieren?
Zumindest für einen Teil der türki-schen Generalität sind solche Ambitionen aber keineswegs verwegen, wie ein zweites Buch zeigt. „Der türkische Generalstab respektiert die militärische Macht der USA, bleibt aber mißtrauisch gegenüber ihren Motiven” schreibt Gareth Jenkins in seiner nüchternen Analyse der türkischen Militärs. Er sieht eine Skepsis der zweigrößten Nato-Armee gegenüber den Vereinigten Staaten und gegenüber der weiteren Integration der Türkei in Europa. Es gibt nicht viele Studien über das Militär der Türkei, und wer wissen möchte, warum sich die Türkei auf ihrem Weg in den Westen selbst immer wieder im Weg steht, findet in Jenkins Buch viele Hinweise. Die Armeeführung kultiviert das Bild einer Elite, die im immerwährenden Auftrag von Staatsgründer Atatürk die Einheit des Landes gegen innere wie äußere Feinde zu verteidigen hat. Davon zeugen drei Militärputsche und der Sturz des bislang einzigen islamisti-schen Premiers Necmettin Erbakan im Jahr 1997 durch einen „postmodernen Putsch”. Das Militär ist in der Türkei auch eine wirtschaftliche Macht mit eigener Bank, Immobilien und Industriebeteiligungen. Aber es ist auch ein politischer Faktor, der Innen- wie Außenpolitik beeinflusst, wie der der Konflikt um die geteilte Mittelmeerinsel Zypern zeigt.
Trotz einiger Putsche und politischer Einflussnahme aber ist das Ansehen der Militärs in Meinungsumfragen nach wie vor hoch; junge Männer werden auf dem Weg in ihren Militärdienst auch in den Straßen der Metropole Istanbul mit Autohupen wie Hochzeitspaare gefeiert. Dennoch ist eine Begeisterung für das Kriegerische damit nach dem Trauma des Bürgerkriegs im Südosten kaum noch verbunden. Dies zeigen auch die aktuellen Umfragen zum Krieg in Afghanistan. Die Entsendung türkischer Spezialeinheiten dorthin, von der Regierung in Ankara beschlossen, wird von rund 90 Prozent der Türken abgelehnt.
CHRISTIANE SCHLÖTZER
NADIRE MATER: Mehmets Buch. Der Krieg gegen die Kurden, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2001. 300 Seiten, 29,91 Mark.
GARETH JENKINS: Context and Circumstance: The Turkish Military and Politics, Oxford University Press, Oxford und New York, 2001, 104 Seiten, 49, 80 Mark
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2001

Schonungslos

TÜRKEI. Das Buch der Istanbuler Journalistin avancierte innerhalb weniger Wochen zu einem Bestseller. Es wurde verboten, die Autorin vor ein Gericht gestellt, aber schließlich von dem Vorwurf freigesprochen, die Armee beleidigt zu haben. Die ursprüngliche Reaktion des türkischen Staates ist verständlich, da Mater am Image der wichtigsten Institution kratzt. In 41 Interviews läßt sie junge türkische Wehrpflichtige (mehmets) aus unterschiedlichen sozialen Schichten und aus verschiedenen Landesteilen zu Wort kommen, die zwischen 1994 und 1998 ihren Militärdienst ableisten mußten, vornehmlich im Frontgebiet gegen die PKK. Sie schildern eine andere Armee, als sie in den offizielle Berichten vorkommt. Sie berichten über regelmäßige und willkürliche Prügel seitens ihrer Vorgesetzten. Selbst der Kontakt zu ihren Verwandten wurde ihnen manchmal verwehrt. Die Angst, in einen Hinterhalt der kurdischen Guerrilla zu geraten oder auf eine Mine zu treten, ist ständig vorhanden. Dies schlägt sich umgekehrt in Folter gegenüber Gefangenen beziehungsweise im Mißtrauen gegenüber der Bevölkerung nieder. Der Übergang in das Zivilleben gelingt den Wehrpflichtigen nicht immer. Interessant sind auch die Äußerungen von Soldaten kurdischer oder griechischer Abstammung über die Schwierigkeit, sich in diese Armee einzugliedern. Für die Türkei war dies eine wichtige Veröffentlichung, da Mater ein schonungsloses Bild des Krieges gegen die PKK aus der Sicht der betroffenen Wehrpflichtigen liefert. Dem deutschen Leser bietet die reine Übersetzung wenig, zumal ein Teil des Hintergrundwissens, auf dem die Schilderungen aufbauen, nicht präsent ist - das zehnseitige Glossar ist hier eher eine Zumutung als eine Hilfe. Vor allem fehlen eine Einführung in das Thema und eine Einbettung in die Geschichte der Türkei: So stellt die Verfolgung der kurdischen Minderheit eine Fortsetzung der Nationalisierungspolitik unter der Herrschaft des Sultans gegen Ende des vorigen Jahrhunderts dar; sie fand ihren ersten Höhepunkt im Ersten Weltkrieg mit der Vernichtung der christlichen Armenier - an ihr beteiligten sich auch Kurden. Abgesehen davon macht das Buch deutlich: Solange der von den Interviewten geschilderte Umgang mit den Rekruten gang und gäbe ist und keine Kritiker dazu Stellung beziehen - das Buch könnte hier ein kleiner Ansatz sein -, ist das Land weit davon entfernt, ein demokratischer Staat zu sein. (Nadire Mater: Mehmets Buch. Türkische Soldaten berichten über ihren Kampf gegen kurdische Guerrillas. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 437 Seiten, 29,90 Mark.)

FRANZ-JOSEF KOS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine in der Türkei ausgesprochen wichtige Veröffentlichung ist dieser Interviewband von Nadire Mater in den Augen des Rezensenten Franz-Josef Ros. Das Buch enthält Interviews, die die Autorin mit türkischen Wehrpflichtige geführt hat, die ihren Dienst "im Frontgebiet gegen die PKK" ableisteten und die von erschütternden Zuständen in der Institution berichten, so Ros. Dabei widersprechen die Interviewten dem offiziellen Image der Armee ganz deutlich und werfen einen kritischen Blick auf das Demokratieverständnis der türkischen Armee und damit auch des Staates. Dem deutschen Leser bringt das Buch nach Meinung des Rezensenten jedoch recht wenig, da ihm viel an Hintergrundwissen fehlt, das für das Verständnis der Aussagen aber Voraussetzung ist. Eine Hilfestellung für den Leser versuche ein zehnseitiges Glossar zu geben, aber diesen Anhang nennt Ros "eher eine Zumutung als eine Hilfe". Er vermisst eine Einführung in das Thema und eine Darstellung des historischen Hintergrunds.

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