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Im Gegensatz zu seiner objektiven Bedeutung spielt das Telefon im theoretischen Bewußtsein bislang nur eine Nebenrolle. Es ist so stark in unser Alltagsleben integriert, daß es schlechterdings selbstverständlich geworden ist: Gerade sein zunehmend exzessiver Gebrauch, das zeigt das Beispiel des Handys, läßt das »Telefon« als Medium in den Hintergrund treten.
Damit ist das Telefon nicht nur das unauffälligste, sondern zugleich das am meisten unterschätzte Kommunikationsmittel der Gegenwart. In einer Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Reflexion auf die uns umgebenden elektronischen
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Produktbeschreibung
Im Gegensatz zu seiner objektiven Bedeutung spielt das Telefon im theoretischen Bewußtsein bislang nur eine Nebenrolle. Es ist so stark in unser Alltagsleben integriert, daß es schlechterdings selbstverständlich geworden ist: Gerade sein zunehmend exzessiver Gebrauch, das zeigt das Beispiel des Handys, läßt das »Telefon« als Medium in den Hintergrund treten.

Damit ist das Telefon nicht nur das unauffälligste, sondern zugleich das am meisten unterschätzte Kommunikationsmittel der Gegenwart. In einer Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Reflexion auf die uns umgebenden elektronischen Technologien von immer grundlegenderer Bedeutung wird, ist es aber unentschuldbar, dem Telefon als dem Zentralmedium seine Aufmerksamkeit zu verweigern. Denn ob wir E-Mails, Faxe, gesprochene Nachrichten verschicken oder empfangen, ob wir im Internet recherchieren oder an Videokonferenzen teilnehmen - es heißt immer: wir telefonieren.
Autorenporträt
Münker, StefanStefan Münker ist Kulturredakteur beim Fernsehen und Dozent am Institut für Medienwissenschaften der Universität Basel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2001

Ein Anrufbeantworter sind wir, deutungslos
Guck mal, wer da spricht: Die psychoanalytische Auswertung des Telefonierens ist mehr als eine Theoriesatire

Kaum wohl ein Telefonierender wird noch die Schockerlebnisse früher Fernsprechteilnehmer verspüren, die eine eigentlich vertraute Stimme, wie Prousts Marcel die seiner Großmutter, aus dem Telefon wie aus dem Jenseits zu hören meinten, "als steige diese Stimme aus Tiefen klagend auf, aus denen man niemals wiederkehrt".

Sind aber darum die Geister heute nicht mehr unter uns? Ein soeben erschienener Band zur Kulturtechnik des Telefons bemüht sich darum, das durch Allgegenwart Vertraute wieder unvertraut zu machen ("Telefonbuch", hrsg. von Stefan Münker und Alexander Roesler, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2000). Zu diesem Zweck macht sich die Aufsatzsammlung auf einen spannenden Grenzgang zwischen Technik- und Kulturgeschichte, Philosophie, Psychoanalyse und Literaturwissenschaft.

John Durham Peters zeichnet die frühen Versuche nach, jene Geister zu bändigen, die Bells Apparat heraufbeschworen hatte ("Das Telefon als theologisches und erotisches Problem", ein Kapitel seines Buches "Speaking into the Air", Chicago 1999). Keineswegs war der neuen Technik von vornherein die Kommunikation zwischen zwei Individuen als Nutzungsziel eingeschrieben. In der Berliner Kultur- und Bildungsstätte Urania etwa findet sich bis 1898 das "Theatrophon", mit dem sich Übertragungen aus der Oper anhören lassen; in Budapest kommt ein "Telefon-Bote" als Vorläufer des Radios auf. Umgekehrt eignet sich die drahtlose Technologie in Form des Funkverkehrs auch zur Herstellung individueller Kontakte.

Erst nach und nach und parallel zur Aufwertung der Privatsphäre werden Telefon und Radio auch technisch als zwei Kommunikationsmedien voneinander geschieden, von denen sich das monogame Telefon an einen bestimmten, das polygame Radio an viele unbestimmte Adressaten wendet. So sind es also "weniger die inhärenten Eigenschaften des jeweiligen Mediums als vielmehr die soziale Konstellation von Sprechern und Hörern, die sich als normativ wirksam erwiesen hat". Von der Norm der privaten kommunikativen Zweisamkeit aus gesehen, scheint telekommunikative Promiskuität aber eine verführerische Möglichkeit für die frühen Telefonierenden gewesen zu sein: Noch in den späten zwanziger Jahren, berichtet Peters, stellten in Amerika Gespräche in sogenannten Partylines die Mehrzahl aller Telefonate dar.

Das Medium ist also nicht schon die ganze Botschaft. Gleichwohl führte die ihm eigene Trennung von Stimme und Körper von Beginn an nicht nur ein erotisierendes, sondern auch ein bedrohliches Potential mit sich. Der Wegfall situativ klärender Elemente des Gesprächs von Angesicht zu Angesicht erforderte die Einübung neuer Gesprächsregeln und Etiketten, die doch eines nicht aufheben konnten: die potentielle Unsicherheit darüber, was der Anrufer tut, als wer und von welchem Ort aus er spricht, schließlich die im unangekündigten Klingeln sich meldende Initiativmacht des Anrufers über den Angerufenen. Früh schon werden beide Formen von Telefonterror beschrieben: der Ausnahmefall anonymer telefonischer Belästigung wie der Normalfall des plötzlichen Einbruchs gesichtsloser Stimmen. Für Peters ist denn auch aufgrund dieser ursprünglichen Unheimlichkeit des Mediums, in dem jemand die Bühne betritt, der sie so nicht betreten sollte, "der Begriff eines obszönen Anrufs redundant".

Freilich hat seit jenen frühen Tagen der Angerufene die Macht zurückgewonnen, das Heft der Kommunikation selbst in die Hand zu nehmen. Folgerichtig bringt der Beitrag von Uwe Wirth die Telefonproblematik auf den neuesten Stand, indem er entlang dekonstruktiv-psychoanalytischer Bahnen "Die Frage nach dem Anrufbeantworter" stellt. Im Gegensatz zum einstigen Fräulein vom Amt speichert der Anrufbeantworter die flüchtige mündliche Rede des Anrufenden, enteignet sie in dieser Wiederholbarkeit dem Sprecher und schiebt zugleich das Gespräch auf. Damit taucht also inmitten der fernmündlichen Kommunikation ein Apparat auf, in dem genau jener Begriff von Schrift realisiert ist, mit dem Derrida das altehrwürdige Oppositionspaar von lebendig bei sich seiender Stimme und entfremdendem Buchstaben torpediert hatte.

Was sich auf den ersten Blick wie eine Theoriesatire ausnimmt - Wirth vergleicht die Textsammlung auf dem Anrufbeantworter mit den klassischen Briefromanen und ihren fiktiven Herausgebern und erkennt in der Maschine einen "éditeur automatique" -, ergibt doch in der gewitzten Ausweitung auf die Psychoanalyse ein ergiebiges Metaphernfeld. Freud hatte die Analysesituation in ein telefonisches Gleichnis gefaßt: Der Arzt "soll dem gebenden Unbewußten des Kranken sein eigenes Unbewußtes als empfangendes Organ zuwenden, sich auf den Analysierten einstellen wie der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist". Gleichwohl muß der Analytiker, der so sein zensierendes Ich-Bewußtsein ausschaltet und sich zum Medium macht, in dem die Botschaften des Patientenunbewußten ankommen, diese auch aufzeichnen. Schließlich soll ja im Verlauf der Behandlung ein Rückruf an den Patienten erfolgen. Erst der Anrufbeantworter, so Wirth, ermöglicht das rechte metaphorische Verständnis dieses psychoanalytischen Speichervorgangs. In ihm gibt sich der Analytiker nämlich wie die Maschine in der "Gleichzeitigkeit von Unerreichbarkeit und Empfangsbereitschaft".

Der Widerstand gegen die Analyse erscheint so als ein Widerstand dagegen, nicht mit einem Ich kommunizieren zu dürfen, sondern im Rahmen einer reinen Gerätekommunikation als Apparat behandelt zu werden, der im Zweifelsfall immer die gleiche Platte abspielt. Und insofern der Anruf beim Arzt sich dieser externen Vermittlung nur bedient, weil das "Haustelefon der Seele", also gewissermaßen die Standleitung zwischen Bewußtem und Unbewußtem, gestört ist, kann die Analysesituation als ein Spezialfall des psychischen Mechanismus schlechthin angesehen werden. Ein Anrufbeantworter sind wir, deutungslos? In diesem kuriosen Spätling der Verdinglichungskritik liegt für Wirth freilich auch die rettende Einsicht, daß wir den Ein- und Ausschalter dieses Geräts ja vielleicht selbst bedienen lernen können.

MICHAEL ADRIAN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2000

Lesetip zum Wochenende
Das Ding
Die Geschichte des Telefons schwingt sich zur Zeichentheorie auf
„Ring-Ring” hat Roy Lichtenstein eins seiner suggestiven – weil selbstverständlichen – Bilder genannt, 1961, Öl auf Leinwand, und heute meint man in dessen Bewegung ein letztes Aufbäumen zu erkennen, einen verzweifelten Hilferuf, mit dem das einst omnipräsente Kommunikationsinstrument auf sein Verschwinden aufmerksam machen will.
Die Tage des „sprechenden Knochen” sind gezählt, die Zeit von Internet und WAP-Handy bringt neue Kommunikationsmittel und -formen – in diesem Sinne wird man das „Telefonbuch”, das die Philosophen und Kommunikationswissenschaftler Stefan Münker und Alexander Roesler herausgegeben haben, vor allem als einen wehmütigen Abgesang lesen, als Epitaph.
Ganz würdevoll wirkt, im Kontrast zu Lichtensteins Konvulsionen, der Apparat dagegen bei Andy Warhol, „Telephone”, Acryl und Bleistift auf Leinwand, aus dem gleichen Jahr. Mit ähnlicher Distanz wird auch in der Literatur über ihn reflektiert, besonders meisterhaft zum Beispiel bei Marcel Proust (der in einer Zeit schrieb, da man bereits per Telefon ganze Konzerte in die bourgeoisen Heime übertrug): „Wirkliche Gegenwart einer so nahen Stimme – bei tatsächlicher Trennung! Aber Vorwegnahme auch einer ewigen Trennung! Oft, wenn ich zuhörte, ohne die zu sehen, die von so weither zu mir sprach, schien es mir, als steige diese Stimme aus Tiefen klagend auf, aus denen man niemals wiederkehrt . . .”
Von Auftauchen und Wiederkehr des Telefons und des Telefonierens handeln die einzelnen Beiträge des Bandes, in Literatur (Bettina Bannasch), Malerei (Annette Spohn) und Film (Heinz-Jürgen Köhler und Hans J. Wulff). Stefan Münker liefert ein paar „Anmerkungen zur Frühgeschichte des Virtuellen” und Alexander Roesler erklärt uns den Primat der Mündlichkeit bei Sokrates, Heidegger und Derrida: warum Heidegger in seiner Philosophie das Telefon verschweigt, wie er nur vom Krug spricht und dadurch das eigentliche „Ding” verfehlt.
Das Herzstück der kleinen Sammlung aber ist ein verrücktes Stück Wissenschaftsgeschichte, die höchst komplexe, dabei bewegend einfache Geschichte des Alexander Graham Bell, der die erste Telefonverbindung geschaffen hat – am 2.  Juni 1875. Wolfgang Hagen erzählt sie uns als „Familiengeschichte” in drei Generationen – Großvater Alexander, Vater Melville, die Söhne Melly und unser Alexander – zur Unterscheidung Aleck genannt. Am Anfang steht eine öffentliche Demütigung: Dem Großvater Alexander – Schauspieler, Souffleur, Sprachlehrer – erklärt seine Frau in einer peinlichen öffentlichen Scheidungsaktion, sie könne ihn „nicht mehr hören”. Von diesem Moment an, scheint es, sind die Männer der Familie von der Dialektik des Nichthörenkönnens und Verschweigens, der Sichtbarkeit von Sprache gepackt. „Visible speech” ist das Motto – wie macht man das gesprochene Wort global sichtbar, in einem simplen, allgemeingültigen Zeichensystem.
Von der phonetischen Transkription geht es dann zu elektrischen Geräten der Lautverstärkung, in der Tradition der Sprachmaschinen von Charles Wheatstone und Wolfgang von Kempelen. Alexander Bell geht nach Boston, einem Zentrum progressiver Forschung, er studiert Helmholtz – obwohl er kein Wort Deutsch kann. Aber er muss Helmholtz in der Tat missverstehen, er muss das physikalisch und logisch Disparate zusammenzwingen, um jenes System elektrischer Schwingungen zu finden, das seine Worte übertragen wird. Und er muss die eigenen, die familiären Fragen dabei lösen: „Der Nicht-Physiker Bell . . . findet das Telefon nur, weil er es gleichsam ,in der Sprache‘ sucht. In der Sprache gibt es etwas, das wir nicht kommunizieren können, das zu tief in uns ist, als dass wir es beschreiben könnten. ”
Wissenschaftsgeschichte verwandelt sich hier in Psychoanalyse. Und wenn man die komplizierten Gabel-Versuchsanordnungen bei Helmholtz mehrfach liest, klingt eine Ahnung in uns an, wie sich hier Klänge formen. „Ein vergeblicher Versuch, Gehörlose sehen zu lassen, was Hörende hören, macht die Telegrafie sprechen. Nicht Orte werden verbunden, sondern Verbindungen schaffen Orte und machen sie zugleich unzugänglich wie den Ort der Entstehung des Telefons selbst. ”
FRITZ GÖTTLER
STEFAN MÜNKER, ALEXANDER ROESLER (Hrsg. ) Telefonbuch. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Telefons. Edition Suhrkamp Band 2174. Frankfurt 2000. 201 Seiten, 19,90 Mark.
Letztes Lebenszeichen: „Ring-Ring”, 1961, von Roy Lichtenstein
Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wenn schon Reich-Ranicki für die aktuelle Ausgabe wirbt, dann ist es höchste Zeit, dass sich auch die Kulturgeschichte des Telefons annimmt. Der Philosoph Münker und der Kommunikationswissenschaftler Roesler haben das getan, und Fritz Göttler erkennt in dem von ihnen herausgegebenen Band einen "Epitaph", denn: Das gute Stück wird zunehmend verdrängt. Jedenfalls in seiner klassischen Form. Hier wird noch mal daran erinnert, dass es eine beachtliche Karriere in Literatur (etwa Proust), Malerei (Warhol) und Film (fast alle) gemacht hat, aber das schönste ist für Göttler doch die Entstehungs-geschichte, wie sie Wolfgang Hagen erzählt. Eine Frau sagt ihrem Mann, sie könne ihn "nicht mehr hören" - und der Enkel grübelt darüber, missversteht Helmholtz, weil er kein Deutsch kann und erfindet das Telefon. Da wird "Wissenschaftsgeschichte ?(zur) Psychoanalyse", freut sich Göttler.

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