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Von der Donbas Arena zum Stadion Miejski in Breslau - acht Schriftsteller unterwegs zu den Austragungsorten der Euro 2012. Wie Ufos sehen sie aus, die gigantischen Stadien, die im hintersten Osten der Ukraine von milliardenschweren Oligarchen errichtet werden. Hier liegt die Machtbasis von Präsident Janukowitsch, der das Land derzeit in die autoritäre Vergangenheit zurückkatapultiert. Die Fußball-Europameisterschaft 2012 wird die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Länder richten, die sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozeß befinden. Vier polnische und vier ukrainische Autoren…mehr

Produktbeschreibung
Von der Donbas Arena zum Stadion Miejski in Breslau - acht Schriftsteller unterwegs zu den Austragungsorten der Euro 2012. Wie Ufos sehen sie aus, die gigantischen Stadien, die im hintersten Osten der Ukraine von milliardenschweren Oligarchen errichtet werden. Hier liegt die Machtbasis von Präsident Janukowitsch, der das Land derzeit in die autoritäre Vergangenheit zurückkatapultiert. Die Fußball-Europameisterschaft 2012 wird die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Länder richten, die sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozeß befinden. Vier polnische und vier ukrainische Autoren porträtieren die acht Austragungsorte - Breslau, Danzig, Posen, Warschau, Lemberg, Kiew, Charkiw, Donezk - und erzählen, wie sich dieser dramatische Wandel auf ihr Leben, auf den Fußball und auf die Städte ausgewirkt hat, in denen sie zu Hause sind.
Autorenporträt
Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk/Ostukraine geboren, studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für Die Erfindung des Jazz im Donbass wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum »Buch des Jahrzehnts«. Zhadan lebt in Charkiw, Ukraine.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2012

Was zählt, ist auf dem Platz

Hintergründig, komisch und umarmend: Schriftsteller aus der Ukraine und Polen stellen in zwei lesenswerten Büchern die Austragungsorte der Fußball-Europameisterschaft vor.

Kein Wort über Tschernobyl" lautet eine programmatische Zwischenüberschrift in Juri Andruchowytschs Beitrag zum schönen Sammelband "Totalniy Futbol", in dem polnische und vier ukrainische Autoren die Austragungsorte der Europameisterschaft porträtieren: Danzig, Warschau, Posen, Breslau, Lemberg, Kiew, Charkiw und Donezk. Dabei markiert das Frühjahr 1986 auch für Juri Andruchowytsch - einen hervorragenden Autor, von dem hierzulande zuletzt der orgiastisch-postmoderne Roman "Perversion" erschienen ist - eine Zeitenwende, aber aus anderem Grund: Der Verein Dynamo Kiew, den der legendäre Trainer Valeri Lobanowski ein Jahrzehnt zuvor zu ungeahntem Erfolg geführt hatte, so dass er gar Basismannschaft der sowjetischen Nationalauswahl wurde, der dann aber wieder komplett abstürzte, erklomm in dieser Saison mit Siegen über Rapid Wien, Dukla Prag und Atletico Madrid aufs Neue einen Platz in der europäischen Fußball-Spitze. Tschernobyl taucht dagegen tatsächlich nicht weiter auf, weder in diesem hinterrücks mentalitätsgeschichtlichen Band noch in der ebenso lesenswerten Sammlung von elf ukrainischen Fußballgeschichten "Wodka für den Torwart".

Beide Bücher haben indes nichts Beschönigendes, im Gegenteil: Mit Genuss und Humor werden Unzulänglichkeiten der EM-Gastgeberländer aufgespießt: vom polnischen Nachholbedarf in der Sexualerziehung (zu wenig Kondome für die EM) und der ständigen Eingeschnapptheit - "kaum jemand erwartet so oft Richtigstellungen und Entschuldigungen" - bis zu den erheblichen Demokratiedefiziten in der Ukraine: "vorerst keine Verbesserung in Sicht". Und doch sind es Manifeste der frohen Erwartung, Liebeserklärungen an die Schönheit des Spiels der Spiele. Das fiebrig Hoffnungsvolle, das Aufgehen in der Parallelwelt des reinen Sports jenseits aller Politik und Katastrophenbeweinung prägt sämtliche Beiträge, sowohl die wenigen (und nicht gerade umwerfend guten) fiktiven als auch die vielen essayistischen. Und es kann wohl nicht schaden, noch einmal vorgeführt zu bekommen, dass sich die Ukraine nicht auf die zwei Merkmale Schauplatz der atomaren Apokalypse und Beute zweifelhafter Staatslenker reduzieren lässt. Selbst Fußball-Laien wissen nach der Lektüre, dass sie ebenso jener glorreiche Ort ist, an dem die den Holländern abgeschaute, hochflexible Spielweise des totalen Fußballs, hier "Totalniy Futbol" genannt, weiterentwickelt wurde, eben von Lobanowski in Kiew. Emphase also lautet das Motto.

Dabei kann die Begeisterung durchaus gesellschaftliche Folgen haben, wie das ukrainische Sommermärchen von 2006 zeigt, als diese Mannschaft, mit der niemand gerechnet hatte, plötzlich im Viertelfinale der Weltmeisterschaft stand. "Zum ersten Mal seit der orangen Revolution, die für die einen Offenbarung, für die anderen Katastrophe und Kollaps bedeutet hatte, machte das postrevolutionäre Land die Erfahrung von Einheit und Zusammenhalt", so der Lyriker, Erzähler und Organisator der ukrainischen Autorennationalmannschaft Serhij Zhadan, der in beiden Bänden eine prominente Rolle spielt. Nur bewirtschaften lässt sich solche Überwältigung nicht, zumal in einer Region, in der man von staatlicher Planung genug hat: Fußballmeisterschaften sind produktives Chaos, haben etwas subkutan Oppositionelles, denn der Jubel ist immer auch Verbrüderung gegen alles Offizielle.

Das Nörgeln lässt sich wohl nicht vermeiden, wird aber im Vorhinein erledigt. Wie groß war die Diskrepanz zwischen der besorgten Vorberichterstattung und den Bildern vom fröhlichen Fußballfest bei der WM in Südafrika! Diesmal gilt es offenbar, vor polnischen Hooligans zu warnen und in Richtung Ukraine politisch den mahnenden Zeigefinger zu heben. Dass Deutschland sich im Falle beider Länder nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte, machen Beiträger mit historischen Schlenkern deutlich. Im Jahr 1934, so lesen wir, präsentierte eine NSDAP-Kampftruppe vor dem Gedania-Stadion von Danzig das Plakat "Juden und Polen raus aus Danzig!" - der Anfang eines schrecklichen Jahrzehnts.

Auch das "Todesspiel" von 1942 findet Erwähnung: Den Sieg des FC Start gegen eine Wehrmachtsauswahl im besetzten Kiew bezahlten viele Spieler mit Lagerhaft oder Tod, auch wenn ein direkter Zusammenhang zwischen Spiel und Verfolgung nicht nachgewiesen werden konnte. Nicht nur die Deutschen, auch die sowjetischen Kommunisten bekommen in beiden Büchern übrigens ihr Fett weg. Beim Anpfiff am 8. Juni darf, soll und wird all das - die Vergangenheit, die Stereotype, die politischen Probleme - für einen Moment vergessen sein, wird die Spieleuphorie so rein und übermächtig von den Herzen Besitz ergreifen, dass sie jeden Nationalismus (letztlich ja doch immer mickrige und beleidigte Angelegenheiten) beiseitedrückt, das ist die berechtigte Hoffnung nicht nur Serhij Zhadans: "Uns bleibt, Sie einzuladen, teilzuhaben. Das Feuer reicht für alle!"

OLIVER JUNGEN

"Wodka für den Torwart". Elf Fußball-Geschichten aus der Ukraine.

Herausgegeben und übersetzt vom Verein translit e.V. Edition FotoTAPETA, Berlin 2012. 208 S., br., 12,80 [Euro].

"Totalniy Futbol". Eine polnisch-ukrainische Fußballreise.

Herausgegeben von Serhij Zhadan. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 242 S., br., 18,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit großer Freude hat Christian Thomas zwei Erzählbände gelesen, die ihm als literarisch hochwertige Schlachtgesänge die diesjährige Fußball-EM verschönerten. "Wodka für den Torwart" versammelt elf Geschichte ukrainischer Autoren, während bei "Totalniy Futbol" neben ukrainischen auch polnische Autoren vertreten sind. Unmöglich auseinanderzutüfteln, welche Geschichte in welchem Band steht, Thomas schwärmt von Serhij Zhadans Wortkünsten ebenso wie von Andruchowytschs Hingabe oder Geschichte über Transkarpatien, das "ukrainische Brasilien".

© Perlentaucher Medien GmbH