Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 9,00 €
  • Broschiertes Buch

Welche Vorstellungen verbanden sich für Menschen des Mittelalters mit Arbeit? War sie im theozentrischen Weltbild der Zeit allein Sündenstrafe für den verdorbenen Menschen oder konnte er sich durch Arbeit den Weg zum Heil verdienen? Waren die Menschen allein von Gottes Gnade abhängig, wollten sie das ewige Leben erreichen oder konnten sie durch eigene Leistung dazu beitragen? Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die menschliche Willensfreiheit, der freiwillige Entschluss, etwas zu leisten? Vergab Gott das Heil unabhängig von der Leistung der Menschen im Diesseits oder honorierte er…mehr

Produktbeschreibung
Welche Vorstellungen verbanden sich für Menschen des Mittelalters mit Arbeit? War sie im theozentrischen Weltbild der Zeit allein Sündenstrafe für den verdorbenen Menschen oder konnte er sich durch Arbeit den Weg zum Heil verdienen? Waren die Menschen allein von Gottes Gnade abhängig, wollten sie das ewige Leben erreichen oder konnten sie durch eigene Leistung dazu beitragen? Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die menschliche Willensfreiheit, der freiwillige Entschluss, etwas zu leisten? Vergab Gott das Heil unabhängig von der Leistung der Menschen im Diesseits oder honorierte er Verdienste?
Die mentalitätsgeschichtliche Studie zur mittelalterlichen Arbeitsethik wendet sich dieser philosophisch-theologischen Diskussion um die Gnadenlehre und deren Auswirkungen auf die Bewertung von Arbeit und Leistung des Menschen im Diesseits zu. Anhand ausgewählter Textzeugen von Augustin bis Thomas von Aquin erörtert die Autorin die anthropologische Grundfrage nach dem Vorhandensein einer menschlichen Willensfreiheit und deren Auswirkungen auf die Arbeitsethik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2010

Warm und hell spürt er die Freiheit seines Willens
Verena Postel krempelt das Mittelalter nach Argumenten gegen die Hirnforschung um

Der Versuch von geisteswissenschaftlichen Disziplinen, sich partout an die neurowissenschaftlichen Debatten zu hängen, treibt auch in der Mittelalterforschung seltsame Blüten. Aktuelles Beispiel ist eine Studie über "Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter", die mit historischer Munition gegen den Reduktionismus der Neurowissenschaften antreten möchte - und scheitert.

Der Autorin Verena Postel geht es zunächst um den mittelalterlichen Arbeitsbegriff. Zur Illustration berichtet sie beispielsweise von dem weitgereisten Abt Johannes Cassian. Als dieser um 415 in Marseille ein Kloster gegründet hatte, erzählte er den Mönchen vom Leben der ägyptischen Wüstenväter, das er ein Jahrzehnt mit diesen geteilt hatte. Einer der christlichen Eremiten namens Paulus habe sich von Kokosnüssen und Erzeugnissen seines Gartens ernährt, konnte seine Ernteüberschüsse aber nicht absetzen, da der nächste Markt unerreichbar für ihn war. Trotzdem sammelte Paulus sorgsam alle Palmenblätter, als ob er sie verkaufen wollte, und füllte mit den Stapeln eine Höhle - um am Ende jedes Jahres alles zu verbrennen.

Seine Arbeit - das ist die Pointe dieser von Postel exemplarisch referierten Geschichte - hatte ihm nicht zum Lebensunterhalt gedient, sondern der Todsünde der Trägheit und den Anfechtungen der Einsamkeit vorbeugen sollen; ein arbeitender Mönch - so belehrte der Abt seine Brüder - werde von einem Dämon gequält, ein träger aber von unzähligen!

Wo, wie schon die Genesis lehrte, der Mensch zur Mitwirkung an Gottes Schöpfung bestimmt war, musste die antike Diskreditierung der Arbeit fallen, und selbst wenn Sklavenarbeit weiterlebte, konnte sie nun als Christusdienst eine Aufwertung erfahren. Die Gläubigen des Mittelalters aber waren in überwältigender Mehrheit davon überzeugt, dass sie Gutes tun und mit ihren Werken ihre Seligkeit befördern konnten; die Freiheit des Willens, die sie bei der Karitas und den Schenkungen an die Kirche ungefragt in Anspruch nahmen, diente ihrem Heil. Man kann deshalb kaum überrascht sein, dass die Lehre des Kirchenvaters Augustin (von 397), der Mensch könne nicht durch sein eigenes Mühen, sondern nur durch die Gnade Gottes gerechtfertigt werden, kaum Wirkung gezeigt hatte. Eben dies zu belegen, hat sich Verena Postel in ihrer Studie vorgenommen.

Doch schon die Auswahl der behandelten Autoren von Augustin und Ambrosius von Mailand bis zu Thomas von Aquin (gestorben 1274) mit Ausblicken auf Duns Scotus und Wilhelm von Ockham überzeugt nicht; so fehlen eine Autorität wie Anselm von Canterbury und vor allem Studien über prominente Kritiker der Willensfreiheit wie Gottschalk von Orbais und Siger von Brabant. Eine mittelalterliche Debatte über Arbeit und Willensfreiheit zu konstruieren gelingt Postel auch deshalb nicht, weil sie über die Wirkungsgeschichte der untersuchten Schriften fast gar nichts zu sagen weiß.

Die für die alte Ideengeschichte typische Überraschung, schon früh auf Gedanken zu stoßen, die "eigentlich" erst später zu erwarten gewesen wären (wie bei der Intentionalethik Abaelards), lässt sie nicht am eigenen Konzept einer Entwicklung zweifeln. Historische Kontexte, die die Wirkung oder Unfruchtbarkeit eines Gedankens erst verständlich machen, führt sie allenfalls mit Handbuchwissen ein, und ihr Anspruch, über die Abhandlung von mittelalterlichen Intellektuellen die Mentalität der jeweiligen Epoche zu erfassen, läuft ins Leere.

Das Buch ist aber eben auch nicht aus originären Impulsen historischer Forschung entstanden, sondern war als mediävistischer Beitrag zur Abwehr neurowissenschaftlicher Skepsis gegen die Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen gedacht. Als Autorität zitiert Postel in diesem Zusammenhang gleich zweimal einen Biologen mit prominentem Namen, dem es genügte zu sagen, dass er die Freiheit des Willens "spüre" wie Wärme und Licht. Auf diesem Niveau ist der durchaus wünschenswerte Versuch, Mittelalterforschung zu aktualisieren, ein Fehlschlag.

MICHAEL BORGOLTE

Verena Postel: "Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter". Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2009. 189 S., br., 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht anfreunden kann sich Rezensent Michael Borgolte mit Verena Postels Studie über "Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter". Schon die Auswahl der behandelten Autoren findet er nicht überzeugend, fehlen ihm doch wichtige Autoritäten wie Anselm von Canterbury oder Siger von Brabant. Generell gelingt es der Autorin in seinen Augen nicht, eine mittelalterliche Diskussion über Arbeit und Willensfreiheit zu konstruieren, was für ihn auch daran liegt, dass sie viel zu wenig über die Wirkungsgeschichte der Texte bringt. Zudem moniert er die allzu dürftige Darstellung der für das Verständnis der Debatten wichtigen historischen Kontexte. Borgolte hebt hervor, dass die Studie auch als mediävistischer Beitrag wider die neurowissenschaftliche Skepsis gegen die Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen gedacht ist, eine Idee, die ihm grundsätzlich begrüßenswert scheint. In vorliegendem Fall funktioniert sie zu seinem Bedauern allerdings nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"So bleibt dieses in seiner Kürze doch sehr informative und didaktisch gut geschriebene Buch [...] nicht beim Mittelalter stehen, sondern zieht die Fäden bis ins Spätmittelalter und manchmal bis heute." Leonhard Lehmann Collectanea Franciscana 81, 2011