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Neben Auschwitz wird das Konzentrationslager Bergen-Belsen häufig als Synonym der nationalsozialistischen Lager begriffen. Doch allein die Entwicklungsgeschichte des sogenannten "Aufenthaltslagers Bergen-Belsen", so die spätere offizielle Bezeichnung, zeigt schon die Sonderrolle, welche Bergen-Belsen innerhalb des Konzentrationslager-Systems eingenommen hat.
Aufgrund seiner unterschiedlichen Funktionen von einem anfänglichen Sammellager für Austauschzwecke bis hin zu einer der letzten Stationen innerhalb der nationalsozialistischen "Endlösung" weist Bergen-Belsen erhebliche Unterschiede zu
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Produktbeschreibung
Neben Auschwitz wird das Konzentrationslager Bergen-Belsen häufig als Synonym der nationalsozialistischen Lager begriffen. Doch allein die Entwicklungsgeschichte des sogenannten "Aufenthaltslagers Bergen-Belsen", so die spätere offizielle Bezeichnung, zeigt schon die Sonderrolle, welche Bergen-Belsen innerhalb des Konzentrationslager-Systems eingenommen hat.

Aufgrund seiner unterschiedlichen Funktionen von einem anfänglichen Sammellager für Austauschzwecke bis hin zu einer der letzten Stationen innerhalb der nationalsozialistischen "Endlösung" weist Bergen-Belsen erhebliche Unterschiede zu anderen Lagern auf. In Bergen-Belsen sollten - das war der Leitgedanke zur Gründung im Jahre 1943 - bestimmte Juden zentral inhaftiert werden, um im Tausch gegen Waren oder Reichsdeutsche ausreisen zu dürfen.

Die Geschichte des Lagers und das Schicksal seiner Insassen werden in diesem Buch im Kontext der verschiedenen Austausch- und Freikaufverhandlungen rekonstruiert. Ausgehend vom völkerrechtlich üblichen Zivilgefangenenaustausch wurden seit 1942 auch inhaftierte Juden mit echten oder gekauften Pässen ausländischer Herkunft ausgetauscht, so daß der Austausch zum Medium für den Freikauf von Juden wurde. Die Hoffnungen der Internierten und die politischen Erwägungen auch der Alliierten bildeten hier oftmals einen ernüchternden Kontrast. Mit dem mittlerweile zugänglichen Material läßt sich zeigen, welche Interessen wie verfolgt wurden. Erfolgreiche Verhandlungen wie deren Scheitern beleuchten die Rolle von deutschen Ämtern und ihren Verhandlungspartnern.

Das erklärte Ziel der Nationalsozialisten blieb die Ermordung der Juden. Doch mit der "Idee" Bergen-Belsen öffnete sich eine kleine Tür aus dem todbringenden Lagersystem. Wer kam überhaupt nach Bergen-Belsen und was erwartete ihn dort? Wie war der "Alltag" organisiert? Wie kam es schließlich zu der "Hölle Bergen-Belsen"? Nicht nur die Umsetzung von Befehlen wird hier nachgezeichnet, sondern auch die Motive der beteiligten Funktionäre, die - oftmals im Rang gleichgestellt - doch unterschiedliche Intentionen verfolgten.

Die erfolgreichen Austauschaktionen führen zu der unbequemen und doch hypothetischen Frage, welche Überlebenschancen für viele Opfer noch geblieben wären? Realität sind über 43.000 Tote, deren letzte Leidenszeit nicht beschrieben werden kann, aber durch nüchterne Protokolle und durch Berichte Überlebender erinnert werden soll. Dies ist die soziale und historische Folie, vor der eine Dichotomie des Scheiterns der Austauschidee erarbeitet wird.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2001

Berüchtigte Verhandlungen "Blut gegen Ware"
Das KZ Bergen-Belsen: Vom Austauschlager zum Sterbelager

Alexandra-Eileen Wenck: Zwischen Menschenhandel und "Endlösung". Das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2000. 444 Seiten, 68,- Mark.

Die Erinnerung an das Lager Bergen-Belsen ist geprägt von den Bildern aus dem April 1945: Die britischen Befreier trafen auf die Leichen Tausender ausgemergelter Menschen. Und doch verdeckt diese Wahrnehmung die kurze und ungewöhnliche Geschichte des Konzentrationslagers.

Am Anfang stand nämlich nicht allein der Massenmord, sondern das Interesse der Staatsführung an den Auslandsdeutschen im "Feindesland", insbesondere in Palästina. Dem Auswärtigen Amt gelang Ende 1941 ein erster Austausch gegen Juden mit Verwandten in Palästina, die man aus der deutschen Herrschaft entließ. Doch erwies sich bald, daß solche Juden kaum noch am Leben waren. So rückten allmählich die "Judenexperten" unter Himmler ins Zentrum des Geschehens. Mit Deckung Hitlers sollte er nicht nur Geiseln für den Austausch mit Feindstaaten halten, sondern auch die Beschaffung dringend benötigter Devisen im Tausch gegen Menschen organisieren.

Ende 1942 entschloß man sich, ein großes Austauschlager einzurichten. Beim Truppenübungsplatz Bergen waren unter Aufsicht deutscher Soldaten 1941/42 schon weit über 11 000 sowjetische Rotarmisten an Hunger zugrunde gegangen, mitten in Norddeutschland. Ab April 1943 begann hier der Aufbau eines besonderen Konzentrationslagers. Denn Bergen-Belsen war im Gegensatz zu den anderen Konzentrationslagern im Reich allein für Juden eingerichtet; andernorts kamen Juden erst allmählich als Häftlingsgruppe in die Lager.

Desolater äußerer Zustand

Da nun kaum mehr Juden mit Verwandten in Feindstaaten zu ermitteln waren, tolerierte die Gestapo zusehends dubiose Zertifikate über die Staatsangehörigkeit. Als nächste gerieten jüdische Staatsangehörige neutraler Staaten ins Lager, so spanische Juden in Griechenland. Für die verschiedenen Gruppen richtete man in Bergen-Belsen getrennte Bereiche ein, für letztere das "Neutralenlager". Die meisten Häftlinge gelangten jedoch in das "Sternlager", zunächst Juden mit Verwandtschaft im Ausland aus den Niederlanden, dann aus anderen Ländern und sogar Personen aus Nordafrika. Nach der deutschen Besetzung Ungarns im März 1944 trat schließlich noch das "Ungarnlager" hinzu, in dem man Juden internierte, die bei den berüchtigten Verhandlungen um "Blut gegen Ware" ausgelöst worden waren.

Trotzdem scheiterten die groß angelegten Austauschpläne. Nur wenige tausend Menschen erlangten die Freiheit. Zwar macht die Autorin hier explizit auch die restriktive Einwanderungspolitik der Westalliierten verantwortlich, doch stellt sie ebenso heraus, wie sehr die SS-Funktionäre bereits in ihrem Menschheitsverbrechen gefangen waren. Juden aus Polen wollte man nicht freigeben, weil diese genaue Kenntnisse vom Massenmord hatten; andere Häftlinge befanden sich in einem zu desolaten äußeren Zustand.

Die eindrucksvollsten Passagen gelingen der Autorin bei der Beschreibung des Lagerlebens. Dank der zahlreich überlieferten Tagebücher und Zeugenaussagen erreicht sie eine dokumentarische Dichte, wie man sie in anderen Lagergeschichten suchen muß. Der anfänglich noch relativ erträgliche Alltag, der durch eine reiches Kulturleben erleichtert wurde, geriet Ende 1944 allmählich zur Hölle. Mit dem deutschen Rückzug wandelte sich das Gesicht von Bergen-Belsen, bald als Sterbelager für Kranke aus anderen KZ, bald als Auffanglager für die chaotischen Evakuierungstransporte. Nicht nur Kommandant Josef Kramer, der Ende 1944 aus Auschwitz kam, zeichnete dafür verantwortlich. Die zentrale KZ-Verwaltung weigerte sich, die Infrastruktur auszubauen oder die Transporte zu stoppen. In der letzten Woche brach schließlich die Nahrungsversorgung zusammen, so daß man die geschwächten Häftlinge einfach verkommen ließ, 13 000 starben noch in den ersten Tagen nach der Befreiung.

Trotz überlanger Fußnoten und weit ausholender Exkurse hat Alexandra-Eileen Wenck einen wichtigen Beitrag vorgelegt, der die Historiographie zur Außenpolitik, zur Judenverfolgung und zu den Konzentrationslagern im "Dritten Reich" verknüpft und bereichert.

DIETER POHL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Bilder von den verhungerten und ausgemergelten Lagerinsassen aus dem Jahr 1945 prägten bis heute das Bild vom KZ Bergen-Belsen und ließen darüber vergessen, dass dieses Lager eine besondere Geschichte hatte, schreibt Dieter Pohl einleitend zu Alexandra-Eileen Wencks historischer Arbeit. Zum einen sei das Lager ausschließlich Juden vorbehalten, zum anderen sei es als Austauschlager konzipiert gewesen, in dem das Auswärtige Amt Geiseln festhielt, mit denen es seine Devisen aufzubessern gedachte. Mit ihrer Studie leiste die Autorin einen wichtigen Beitrag zur Historiografie des Dritten Reiches, schreibt Pohl anerkennend, indem sie die Verquickung von Außenpolitik und Judenverfolgung zum Thema erhebe. Ellenlange Anmerkungen und häufige Exkurse bezeichnet er allerdings als der Lektüre abträglich. Am eindrucksvollsten findet Pohl darum auch die Beschreibung des Lagerlebens, die aufgrund der zahlreichen Tagebücher und Zeugenaussagen eine enorme "dokumentarische Dichte" erhalten habe.

© Perlentaucher Medien GmbH