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Die Frage, warum sich in den nach 1918 neu entstandenen Staaten vom Balkan bis zum Baltikum statt der Demokratie fast nur autoritäre Regime durchsetzten, blieb lange ungeklärt. Erst die Öffnung der Archive nach 1989 hat differenzierte Antworten ermöglicht. Dies gilt auch für die Frage nach Struktur und Folgen dieser nationalen Diktaturen. Die jetzt aus einem mehrjährigen internationalen Forschungsprojekt hervorgegangenen Innenansichten dieser Regime vermitteln nicht nur Einblick in die komplexen und zum Teil bis heute relevanten Probleme der Region, sondern bestätigen auch, dass die…mehr

Produktbeschreibung
Die Frage, warum sich in den nach 1918 neu entstandenen Staaten vom Balkan bis zum Baltikum statt der Demokratie fast nur autoritäre Regime durchsetzten, blieb lange ungeklärt. Erst die Öffnung der Archive nach 1989 hat differenzierte Antworten ermöglicht. Dies gilt auch für die Frage nach Struktur und Folgen dieser nationalen Diktaturen. Die jetzt aus einem mehrjährigen internationalen Forschungsprojekt hervorgegangenen Innenansichten dieser Regime vermitteln nicht nur Einblick in die komplexen und zum Teil bis heute relevanten Probleme der Region, sondern bestätigen auch, dass die autoritären Regime einen eigenen, von totalitären Regimen klar abgrenzbaren Typus der Diktatur verkörpern.

Behandelt werden:
Estland - Lettland - Litauen - Polen - Ungarn - Slowakei - Österreich - Rumänien - Bulgarien - Griechenland - Jugoslawien - Serbien - Albanien
Autorenporträt
Erwin Oberländer, Prof. Dr. phil., geb. 1937, ist o. Prof. für Osteuropäische Geschichte an der Universität Mainz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2002

Die eingetrübte Großwetterlage
Präsidial- und Königsdiktaturen in Ostmittel- und Südosteuropa in der Zwischenkriegszeit

Erwin Oberländer (Herausgeber): Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1944. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. XI und 697 Seiten, 51,60 Euro.

Aus der Konkursmasse des Russischen, des Deutschen, des Habsburger und des Osmanischen Reiches entstanden nach dem Ersten Weltkrieg in Ostmittel- und Südosteuropa zwölf Staaten. Sieben von ihnen wurden ganz neu geschaffen: Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechoslowakei und Albanien. Fünf waren in ihrem Bestand so stark verändert worden, daß ihre Existenz fast schon einer Neugründung gleichkam: Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland. Grundprinzip sollte für alle Demokratie und nationale Selbstbestimmung sein. Doch ein wirklicher "Nationalstaat" war kaum einer von ihnen. Und kaum einer glaubte, die inneren Probleme auf Dauer mit demokratischen Mitteln lösen zu können.

In zehn der zwölf Staaten wurden die parlamentarischen Systeme während der zwanziger und dreißiger Jahre von autoritären Regimen, Präsidial- und Königsdiktaturen abgelöst: 1919 in Ungarn, 1926 in Polen und Litauen, 1928 in Albanien, 1929 in Jugoslawien, 1934 in Estland und Lettland, 1935 in Bulgarien, 1936 in Griechenland und 1938 in Rumänien. Hauptgrund war weniger die äußere Bedrohung, obwohl es auch sie gab: Nicht nur die beiden Flügelmächte Deutschland und Sowjetunion waren mit der Grenzziehung unzufrieden und strebten eine Revision an. Auch zwischen den neuen ostmittel- und südosteuropäischen Staaten hatte sie tiefe Gräben, zwischen Siegern und Verlierern, aufgerissen, war kaum eine Grenze unumstritten und das Konfliktpotential enorm. Doch die Hauptprobleme kamen von innen, bündelten sich im lapidaren Befund, daß kaum einer der Staaten war, was alle sein wollten: ein "Nationalstaat", solidarisch verbunden durch gemeinsame Sprache, Herkunft, Kultur und Werteordnung.

Der Versuch, das Territorium Ostmittel- und Südosteuropas nach ethnischen Gesichtspunkten staatlich neu zu gliedern, glich von vornherein der Quadratur des Kreises, weil die Siedlungsgebiete ineinander übergingen, sich vielfach überlagerten, Stadt und Land oft unterschiedliche Mehrheiten aufwiesen. So bescherte der Versuch jedem der Staaten eine beträchtliche Minderheit und mitunter auch eine nicht geringere Irredenta jenseits der eigenen Grenzen. Er zerschnitt gewachsene Kultur- und Wirtschaftsräume, ohne daß die aus ihren Stücken zusammengefügten Staaten bereits wieder eine neue Einheit ergaben. Die Zuschreibung zur gleichen ethnischen Gruppe brachte - selbst wenn die nationalen Vordenker das bedauern mochten - weder die historisch-politischen, sozialen und kulturellen Unterschiede zum Verschwinden, noch vermochte sie per se, bestehende Orts- und Sippenloyalitäten als zweitrangig in den Hintergrund zu drängen.

Mitunter beruhte die Zuschreibung ohnehin nur auf einer Illusion, bestenfalls auf einer Hoffnung, wie die Zuschreibung zur "dreinamigen Nation der Serben, Kroaten und Slowenen" oder die Zusammenfassung der Tschechen und Slowaken zu einer Einheit. Wenn "Nation" nur ist, was sich auch als "Nation", als Solidar- und Wertegemeinschaft fühlt und von anderen als solche wahrgenommen wird, so war die Grundmasse der Bevölkerung in den neugeschaffenen Staaten meist noch recht weit davon entfernt, die heftigen inner- und außerparlamentarischen Konflikte, Auseinandersetzungen und Kämpfe zeugten davon - wie es ein wesentlicher Programmpunkt der autoritären Regime war, ebendiese ethnisch, kulturell, sozial und politisch homogene Gesellschaft zu schaffen, die Nationsbildung zu vollenden und den Nationalstaat zu konsolidieren.

Bei der Bewältigung komplexer, gesamtstaatlicher, kurz "nationaler" Probleme auf autoritäre Herrschaftsformen zu setzen schien überdies durchaus "zeitgemäß" im gesamteuropäischen Trend zu liegen. Schließlich waren nach Rußland (1917) auch Italien (1922), die Türkei (1923), Spanien (1923 beziehungsweise 1936), Portugal (1926 beziehungsweise 1932), Deutschland und Österreich (1933) zu autoritären Regimen (oder Schlimmerem) übergegangen. Die Hoffnungen und Verheißungen des Kriegsendes hatten sich nicht erfüllt, auf den Krieg war der Bürgerkrieg gefolgt, die politische Großwetterlage hatte sich eingetrübt, und Demokratie schien nur etwas für schöne Zeiten zu sein.

Über Jahrzehnte in den Ländern selbst kein Thema, weil - wie es den Machthabern schien - ein für allemal erledigt, also bestenfalls nur noch traurige Vorgeschichte einer glücklicheren Gegenwart, hat der Fall der kommunistischen Herrschaft in Ost- und Südosteuropa auch das Interesse an der Zwischenkriegszeit und die Auseinandersetzung mit den ersten, meist gescheiterten Versuchen der Nationalstaatsbildung wiederbelebt. Woran war zu erinnern, woran anzuknüpfen, was daraus zu lernen, welche Fehler durften nicht wieder gemacht werden? Dieses Scheitern war im Herbst 1993 Gegenstand einer Tagung, zu der Zeithistoriker aus allen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas in die Pfalz eingeladen worden waren. Unterstützt von der Volkswagen-Stiftung, wurde ein Forschungsprojekt daraus, an dem 17 Mitarbeiter aus elf Staaten der Region beteiligt waren. Ihre Studien gruppierten sich um zwei Leitfragen; sie galten einerseits den Grundlagen und Trägern des Regimes: der Vorbereitung, den auslösenden Faktoren, den Trägern, der Legitimation und den Konzepten des Coup d'État. Sie galten andererseits den Umgestaltungsprozessen, die sie initiierten und auslösten: den Maßnahmen zur Sicherung der Macht, den institutionellen und personellen Veränderungen, der Reaktion der politischen und geistigen Eliten, der Akzeptanz oder Ablehnung in der Gesellschaft. Die Projektmitarbeiter diskutierten ihre Ergebnisse auf zwei Workshops in Mainz 1997 und 1998. Die 16 Beiträge des vorliegenden Sammelbandes fassen die Resultate des gemeinsamen Bemühens zusammen, wobei ein erster Teil - eingeleitet von Erwin Oberländer - den "Präsidialdiktaturen in Ostmitteleuropa", ein zweiter Teil - eingeleitet von Holm Sundhaussen - den "Königsdiktaturen in Südosteuropa" gilt. Ein gewichtiger Band, eine Bestandsaufnahme, von der Anregungen auf die weitere Forschung ausgehen werden.

HELMUT ALTRICHTER

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Helmut Altrichter skizziert in seiner Rezension ausführlich die kurze Geschichte der ostmittel- und südosteuropäischen Nationalstaaten nach dem Ersten Weltkrieg, die mit der kommunistischen Vorherrschaft nach Ende des Zweiten Weltkriegs schon wieder beendet war. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion interessierte man sich jedoch wieder für diese Zeit und vor allem für die Frage, was man aus der damals gescheiterten Nationalstaatenbildung heute lernen könnte. Aus diesem Grund war 1993 ein Forschungsprojekt initiiert worden, an dem "17 Mitarbeiter aus 11 Staaten" beteiligt waren, schreibt der Rezensent. Der vorliegende "gewichtige" Sammelband enthält eine erste Bestandsaufnahme, erklärt Altrichter und hofft, dass damit "Anregungen für die weitere Forschung" gegeben werden.

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