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Einst galt er als Kommunist, dann als deutschnationaler Einheitsphantast, zuletzt geriet er gar unter Antisemitismusverdacht. Martin Walser hat Konflikte geradezu magisch angezogen, oft nur deshalb, weil er, ausgestattet mit einem sensiblen Geschichtsgefühl, dem Zeitgeist stets ein paar Jahre voraus gewesen ist. Die erste umfassende Biographie des streitbaren Schriftstellers vom Bodensee untersucht dessen spannungsvolles Verhältnis zur deutschen Geschichte und zur Öffentlichkeit, das stets geprägt war von dem Zwiespalt, sich einmischen und zugleich zurückziehen zu wollen. Sie erzählt von…mehr

Produktbeschreibung
Einst galt er als Kommunist, dann als deutschnationaler Einheitsphantast, zuletzt geriet er gar unter Antisemitismusverdacht.
Martin Walser hat Konflikte geradezu magisch angezogen, oft nur deshalb, weil er, ausgestattet mit einem sensiblen Geschichtsgefühl, dem Zeitgeist stets ein paar Jahre voraus gewesen ist. Die erste umfassende Biographie des streitbaren Schriftstellers vom Bodensee untersucht dessen spannungsvolles Verhältnis zur deutschen Geschichte und zur Öffentlichkeit, das stets geprägt war von dem Zwiespalt, sich einmischen und zugleich zurückziehen zu wollen. Sie erzählt von Wandlungen, Werk und Wirken und von wichtigen Freundschaften: mit dem Verleger Siegfried Unseld, mit den Kollegen Uwe Johnson und Max Frisch oder mit dem politischen Antipoden Günter Grass.
Sie zeigt Walser als Gläubigen und als Skeptiker, als heimatverbundenen Familienvater und als ewigen Reisenden, als Spielsüchtigen und Liebesbedürftigen, als Autor in der Gruppe 47 und als Gewerkschaftsmitglied, als Machtkritiker und als Freund der Mächtigen, als Förderer junger Autoren, als Lesenden und als Lobenden, als Kleinbürger und als Kleinunternehmer in eigener Sache. So entsteht das Porträt eines widersprüchlichen Intellektuellen und dabei eine faszinierende Kulturgeschichte der Bundesrepublik.

Autorenporträt
Jörg Magenau studierte in Berlin Philosophie und Germanistik. Er gehörte zu den Gründern der Wochenzeitung "Der Freitag", deren Literaturredakteur er bis 1996 war. Er arbeitete für die taz, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ist seit 2002 freier Autor, u. a. für die Süddeutsche Zeitung und Deutschlandradio Kultur. 1995 wurde seine Arbeit für den "Freitag" mit dem Alfred-Kerr-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2005

Wir taumeln, träumen, reden dahin
Eine Gesprächigkeit, so offenherzig und berechnungsarm: Jörg Magenau schreibt Martin Walsers Leben als Biographie des Literaturbetriebs
Hier ist sie nun, die große, die, wenn schon nicht „autorisierte”, so doch vom Autor freundlich begleitete Martin-Walser-Biographie in Walsers neuem Verlag, das Buch, mit dem der Wechsel von Suhrkamp zu Rowohlt so recht erst besiegelt wird. Von einem Verlag, der seinen großen Autoren schon zu Lebzeiten gern Gesamtausgaben einrichtet, ist Martin Walser zu einem Verlag gewechselt, der nicht allen seinen Autoren, wohl aber ihm gleich nach dem ersten Buch mit einer bebilderten Biographie aufwartet. Man kann sich schlecht vorstellen, dass zu Walsers und Unselds Tagen bei Suhrkamp eine Walser-Biographie erschienen wäre; das gehörte nicht zu den Usancen dieses Hauses und seines Verlegers. Bei Rowohlt gibt es andere Traditionen, an die sich Walsers Werk erst noch adaptieren muss.
Wie mächtig Martin Walser auf die Suhrkamp-Kultur und diese auf ihn eingewirkt hat, zeigt ein Blick auf die zehn meistgenannten Personen in Jörg Magenaus Biographie. Es sind, in dieser Reihenfolge: Siegfried Unseld, Uwe Johnson, Günter Grass, Käthe Walser, Hans Magnus Enzensberger, Marcel Reich-Ranicki, Max Frisch, Franz Kafka, Peter Weiss und Hans-Werner Richter. Zu Walsers Welt, so gibt die Liste zu erkennen, zählen erstens die Suhrkamp-Familie, zweitens die eigene Familie und drittens ein Rest, aus dem drei Solitäre herausragen: Grass, der ewig Suhrkamp-ferne Lebensfreund, Kafka, der literarische Leitstern, und Reich-Ranicki, Walsers kritischer Fluch und Segen. Der Rowohlt-Verlag ist in dieser alten Walser-Welt einstweilen ein Fremdkörper - nichts, was noch kommt, kann je wieder so prägend sein wie das, was war.
Gestalten einer Gründerzeit
Jörg Magenau hat sympathischerweise zunächst gar nicht die großen Zusammenhänge - die Kulturgeschichte der Bundesrepublik oder dergleichen - im Sinn. Sein Buch ist zunächst der Zuneigung zu Walsers Büchern zu verdanken. Als Gymnasiast habe er Walsers Romane „mit systematischer Begeisterung in chronologischer Folge” gelesen, berichtet er im Vorwort. Mit derselben systematischen Begeisterung erzählt er nun in siebzehn Kapiteln von „Heimat. 1927-1945” bis „Metaphysik der Sprache. 2002-2004” aus den Lebzeiten des Martin Walser. So wenig man von einer Walser-Biographie erwarten kann, dass sie vorwiegend Unbekanntes präsentierte - denn Martin Walser ist nun einmal seit gut fünfzig Jahren kein Unbekannter -, so wenig darf man erwarten, dass das präsentierte Unbekannte ganz neuen Aufschluss über Martin Walser böte. Dass er etwa den Juli 1953 „mit Frau und Tochter bei der Mutter in Wasserburg” verbrachte, ist ein biographisch womöglich wichtiger Satz, aber keiner, der uns in Bezug auf Walser entscheidend weiterhilft. Aber womit wäre uns denn sonst entscheidend weitergeholfen? Was wäre die Frage, auf die uns diese Walser-Biographie Antworten geben soll? Offen gestanden: Wir haben zwar einige Fragen an Walsers Bücher und öffentliche Reden, aber keine einzige an sein Leben.
Was an Walser die Gemüter mitunter bis zur Saalschlacht erhitzt, sind Sätze, die Walser anders meint, als manche Hörer sie verstehen - ein Problem, von dem die Biographie zwar handeln und das sie beurteilen kann, aber keines, zu dem sie eine neue Aktenlage beisteuern kann. So ist für das Provokante oder gar Skandalöse in Walsers Wirken der letzten Jahrzehnte die Biographie im Grunde nicht das zuständige Genre. Sie kann die Eklats zwar rekapitulieren und notfalls auch Partei ergreifen; aber sie kann nicht zeigen, ob oder wie Walsers sprachliche Äußerungen, Ausbrüche und (wie manche finden) Entgleisungen mit einem Leben zusammenhängen, das diese motiviert. Das liegt daran, dass Walsers Äußerungen stets ein sprachlicher Überschuss zugrunde liegt. Die Sprache, wenn sie nur stark und eigen genug ist, bedingt sich selbst; so hat es Walser an Kafka wahrgenommen und im eigenen Leben je länger, je lieber beherzigt.
Magenaus Biographie zeichnet zunächst das Bild eines selbstbewussten, ehrgeizigen und begabten jungen Mannes aus der südwestdeutschen Provinz, der um 1950 herum die literarisch-feuilletonistische Szene betritt, schnell die richtigen Förderer findet und, in dieser kulturellen Gründerzeit sondergleichen, im Eiltempo Karriere macht. Hätte sich der junge Walser nicht in den Kopf gesetzt, Autor, also Freiberufler zu werden, er hätte ebenso gut Rundfunkintendant, Germanistikprofessor oder Feuilletonchef werden können. Aber er wollte lieber frei sein, nichts anderem verpflichtet als seiner Sprache, dieser radikalsubjektiven Suada, die schon bald, in Romanen, Interviews und sonstigen Redeformen, zu Walsers Markenzeichen wird. Gesprächigkeit ist die Grundlage dieser Autorschaft, eine Gesprächigkeit, so offenherzig und berechnungsarm, dass ihre Effekte den Autor ein ums andere Mal verwundern.
Aus der Vielzahl der freundschaftlichen und strategischen Beziehungen jener Jahre ragt bald die Freundschaft zu Unseld heraus. Walser zählt, wie sonst nur Enzensberger und Johnson, zu einer Spezies Suhrkamp-Autor, die, in komplizierter Personalunion, zugleich Berater, Lektor, Scout, Intimus und - umschichtig wie es scheint - bester Freund des Verlegers ist. Wo wurde, um nur das berühmteste Beispiel zu erwähnen, die Gründung der „Edition Suhrkamp" beschlossen? Bei Martin Walser in Wasserburg. Die Nähe zu Siegfried Unseld bringt es freilich auch mit sich, dass Walser ein Mann des „Betriebes” wird. Die Biographie eines der bedeutendsten deutschen Schriftsteller unserer Zeit liest sich über lange Strecken - ohne dass dies Magenau anzukreiden wäre - wie eine Literaturbetriebsbiographie mit ständiger Rücksicht auf die je aktuelle Zimmertemperatur im Hause Suhrkamp. Unseld und Walser, das ist, wie man weiß, eine monumentale Männerfreundschaft mit symbiotischen ebenso wie mit agonalen Motiven (vor allem beim Wettschwimmen im Bodensee oder beim verbissenen Schachspiel), eine Freundschaft, die keinen Zweifel kennt an der Dringlichkeit der gemeinsamen Mission, eine Freundschaft, die ständig von übergroßer Eitelkeit und übermäßigem Liebesverlangen bedroht ist und die schließlich, als Unseld sich von Walser zurückzieht oder von ihm zurückgezogen wird, ein trauriges Ende findet.
Das alles ist zwar menschlich bewegend, nur gewinnt man dabei nie den Eindruck, die beiden Männer hätten einen auch geistig bedeutsamen Austausch gepflegt. Auch sonst bleibt Walsers intellektuelles Profil der frühen Jahre bei Magenau ein wenig blass; was vielleicht aber weniger an Magenau als an Walser selbst und am insgesamt doch nicht so schwindelerregenden intellektuellen Niveau der deutschen spätfünfziger und sechziger Jahre liegt. Eher nährt das von Magenau ausgebreitete Material den Eindruck, dass Martin Walser als Schriftsteller, Intellektueller und öffentlicher Sprecher noch nie so gut, und das heißt auch, so verwegen war wie heute, oder genauer gesagt, seit dem „Springenden Brunnen” (1998), jener Zäsur, in deren Folge sich peu à peu der Suhrkamp Verlag, Marcel Reich-Ranicki und die Frankfurter Allgemeine Zeitung von Walser abwandten - oder er sich von ihnen?
Bevor dieses letzte, das fraglos spannendste Kapitel von Magenaus Buch zur Sprache kommt, sollte man wenigstens ein paar von den Realien streifen, die Walsers Leben und also, diesseits oder jenseits der Literatur, seine Biographie ausmachen: seine Spielleidenschaft etwa, die ihn früher regelmäßig in Casinos führte, bis er weniger riskante Ersatzbefriedigungen fand; seine Freude am Autofahren, und sei es auch nur im Schritttempo, um den im Zorn ausgestiegenen Uwe Johnson eine Chance zum Wiedereinstieg zu geben; Walsers Einsatz (selbst noch in seiner Paulskirchenrede) für Häftlinge, für Außenseiter, für die Stillen im Lande und vor allem an den Ufern des Bodensees; Walsers Vorliebe für kurze Sätze, seit er sich einmal, seiner älteren Gewohnheit folgend, bis zum Ende einer langen Periode den Atem anzuhalten, veratmete; Walsers geordnete Familienverhältnisse mit vier schreibenden oder schauspielernden Töchtern und einer Ehefrau, die seit jeher jedes Walsersche Bleistiftmanuskript mit der Maschine abschreibt. Abseits der betriebsbedingten Haupt- und Staatsaktionen ist es gar nicht schwer, an Martin Walser Gefallen zu finden.
Gespenster hinterm Vorhang
Und schließlich aber: „Mediensatire II: ,Tod eines Kritikers’. Das Antisemitismusurteil.” Hier schildert Magenau beinahe im Protokollstil und unter Einbezug der heiklen Vorgeschichte die Vorgänge, die nach etlichem Hin und Her zu Frank Schirrmachers „offenem Brief” in der FAZ vom 29. Mai 2002 führten, in dem der nichts ahnende Walser des Antisemitismus in einem Roman bezichtigt wurde, dessen Vorabdruck dieselbe Zeitung noch einige Tage zuvor erwogen hatte. Die Schilderung des Vorfalls hat zum einen Teil etwas stark Erheiterndes, denkt man an Walsers Mitteilung an den damaligen Suhrkamp-Geschäftsführer: „Ich erkläre Ihnen jetzt mal, was der Unterschied ist zwischen einem guten Verleger und Ihnen.” Jenseits davon hat sie etwas entschieden Gespenstisches.
Ein gemeinsames Essen mit Reich-Ranicki sei „geplant gewesen, zu dem, ein positiver Verlauf vorausgesetzt, Walser später hätte dazustoßen sollen”, hat der genannte Suhrkamp-Geschäftsführer Magenau erzählt. Ein hochdiplomatisches Essen also mit Suhrkamp, Reich-Ranicki, FAZ und einem in der Kulisse wartenden Walser, der hinzugetreten wäre, wenn was? Wenn Reich-Ranicki erklärt hätte, mit dem Vorabdruck von „Tod eines Kritikers” in der FAZ einverstanden zu sein, obwohl er sich (oder weil er sich nicht?) in der Figur des Kritikers Ehrl-König wiedererkenne? Und hätte daraufhin dann Frank Schirrmacher den Antisemitismusvorwurf ruhen lassen, und wenn ja weshalb?
Man wird sehen, wer nun wiederum von Magenaus Darstellung glaubt gekränkt sein zu dürfen. Martin Walser eher nicht. Er möchte das annus horribilis 2002 ungern noch einmal aufrollen. Gibt es sonst jemanden, der das möchte? „Besser”, so heißt es in einem kleinen Walser-Entwurf namens „So zu sagen”, den Magenau abschließend zitiert, „wir taumeln, träumen, reden dahin.”
CHRISTOPH BARTMANN
JÖRG MAGENAU: Martin Walser. Eine Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 624 Seiten, 24,90 Euro.
Von den Schauplätzen unserer Kämpfe: Der Stern hatte Martin Walser im November 1972 mit dem Auftrag nach Trinidad geschickt, eine Reportage zum Thema „Dichter suchen ihre Paradiese” zu schreiben. Es entstand aber ein Bericht über ein Elendsgebiet. Der Beitrag wurde abgelehnt.
Foto aus dem besprochenen Band / Archiv Martin Walser
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Christoph Bartmann fühlt sich zuallererst genötigt, Jörg Magenau zu entschuldigen. Man dürfe nicht erwarten, dass einem hier allzu viel Unbekanntes präsentiert wird. Das liege aber nicht an Magenau, sondern an Walser, der "nun einmal seit fünfzig Jahren kein Unbekannter" ist. Genau so wenig dürfe man hoffen, das einem dieses Neue beim Verstehen von Walser weiterhilft. Und schließlich gesteht der Autor, gar kein Bedürfnis zu haben, mehr von Walsers Leben zu erfahren. Er hat nach eigener Aussage höchstens ein paar Fragen zu Walsers Büchern und anderen Aussagen, "aber keine einzige an sein Leben". Die Biografie ist nicht zuständig für das "Provokante" an Walsers Werk, erklärt der Rezensent. Denn mit Walsers Leben hätten die vieldiskutierten Äußerungen wenig zu tun, vielmehr liege ihnen ein eigenständiger "sprachlicher Überschuss" zugrunde. Dann findet Bartmann aber doch noch Interessantes: Zum einen merkt er, wie stark Walser von seinem Hausverlag Suhrkamp geprägt wurde, weshalb sich Magenaus Buch auch über "lange Strecken" wie eine "Literaturbetriebsbiografie mit ständiger Rücksicht auf die aktuelle Zimmertemperatur im Hause Suhrkamp" lese. Interessanter findet der Rezensent die heutige Zeit. Das "spannendste" Kapitel, das über den Antisemitismusvorwurf des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, stellt Magenau "beinahe im Protokollstil" dar, notiert Bartmann, der dieses Vorgehen aufgrund der heiklen Sachlage auch nicht kritisiert. Und die letzte Überraschung für den Rezensenten: "Abseits der betriebsbedingten Haupt- und Staatsaktionen ist es gar nicht so schwer, an Martin Walser Gefallen zu finden."

© Perlentaucher Medien GmbH
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