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Walter Jens litt ein Jahrzehnt lang an Demenz. Der einst wortgewaltige Gelehrte versank zunehmend in eine Welt jenseits der Sprache, jenseits der Gedanken. Er starb am 9. Juni 2013. Seine Frau Inge Jens, mit der er mehr als ein halbes Jahrhundert zusammenlebte, hat ihn in seiner Krankheit begleitet und ihn, unterstützt von anderen Menschen, bis zuletzt gepflegt. In vertraulichen Briefen an Freunde und Bekannte hat sie immer wieder geschildert, wie er sich veränderte und wie schwierig es ist, mit einem Demenzkranken umzugehen. «Ich sehe seinem Entschwinden zu - den Mann, den ich liebte, gibt es…mehr

Produktbeschreibung
Walter Jens litt ein Jahrzehnt lang an Demenz. Der einst wortgewaltige Gelehrte versank zunehmend in eine Welt jenseits der Sprache, jenseits der Gedanken. Er starb am 9. Juni 2013. Seine Frau Inge Jens, mit der er mehr als ein halbes Jahrhundert zusammenlebte, hat ihn in seiner Krankheit begleitet und ihn, unterstützt von anderen Menschen, bis zuletzt gepflegt.
In vertraulichen Briefen an Freunde und Bekannte hat sie immer wieder geschildert, wie er sich veränderte und wie schwierig es ist, mit einem Demenzkranken umzugehen. «Ich sehe seinem Entschwinden zu - den Mann, den ich liebte, gibt es nicht mehr.»
Das Buch dokumentiert mit ausgewählten Briefen und einem längeren Bericht die Leidensgeschichte von Walter Jens. Einfühlsam und respektvoll beschreibt Inge Jens die Veränderungen, die durch die fortschreitende Krankheit verursacht wurden; und offen reflektiert sie die eigene Unsicherheit, wie man sich dem Kranken gegenüber verhalten soll. Zugleich ist sie sich bewusst, wie privilegiert ihre Situation als Angehörige war - und dass die Akzeptanz und die Bezahlung von Pflegepersonal in unserer Gesellschaft dringend verbessert werden müssen.
Eine berührende Schilderung und ein wichtiger Denkanstoß.
Autorenporträt
Inge Jens, geboren 1927 in Hamburg. Studium der Germanistik, Anglistik und Pädagogik, Promotion 1953. Herausgeberin der Tagebücher Thomas Manns, Mitarbeit an zahlreichen weiteren kulturhistorischen Projekten. Zusammen mit ihrem Mann Walter Jens schrieb sie die Bestseller 'Frau Thomas Mann' (2003) und 'Katias Mutter' (2005). 2009 erschienen ihre 'Unvollständigen Erinnerungen' und wurden ebenfalls ein Bestseller. Inge Jens starb am 23. Dezember 2021 in Tübingen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2016

Als die Tiere
wichtig wurden
Inge Jens über die Demenzkrankheit von Walter Jens
In diesem Fall haben sich die Zeiten zum Positiven gewandelt. Demenz ist heute kein Tabuthema mehr. Die Gesellschaft redet über die Krankheit. Nicht zuletzt setzt sich die Literatur seit einigen Jahren mit ihr auseinander. Erinnert sei etwa an Arno Geigers verständiges Buch über den eigenen Vater „Der alte König in seinem Exil“. Es erschien 2011, zwei Jahre vor dem Tod von Walter Jens.
  Als Inge Jens 2008/9 die Öffentlichkeit über die Krankheit ihres Mannes Walter Jens in Kenntnis setzte – unter anderem in einem Stern-Interview und in ihrem Memoirenbuch „Unvollständige Erinnerungen“ – waren noch viele entsetzt. Wird hier nicht einer der intellektuellen Leuchttürme der bundesrepublikanischen Gesellschaft nach 1945 vorgeführt? Hat dieser einst so begnadete Rhetor nicht ein Recht auf ein zurückgezogenes, den Blicken Neugieriger entzogenes Leben?
  Stattdessen ließ Inge Jens den Hilflosen in Begleitung seiner patenten Langzeitbetreuerin Margit Hespeler auch noch in Tübingen einkaufen gehen, weil sie wusste, wie viel Freude dies ihrem Mann bereitete. In einem Interview, das die heute 89-jährige Autorin und Kennerin der Familie Mann anlässlich des Erscheinens ihres jüngsten Buches „Langsames Entschwinden. Vom Leben mit einem Demenzkranken“ kürzlich der Zeitung Die Welt gab, rät sie denn auch allen, die gerade Ähnliches durchleben, herauszufinden, was der kranke Partner benötigt, „auch wenn es so etwas scheinbar Sinnloses ist wie ein Gang durch den Supermarkt“. Und fügt hinzu: „Nehmen Sie keine Rücksicht auf Konventionen. Das Wesen der Krankheit ist ja gerade, dass sie sich außerhalb der Konvention abspielt. Man darf nicht zu ängstlich sein.“
  Inge Jens schreibt im Vorwort, dies werde vermutlich ihr letztes Buch sein. „Langsames Entschwinden“ versammelt eine Auswahl ihrer Korrespondenz aus den Jahren 2005 bis 2013. Sie leistet zweierlei. Einmal rufen die Briefe, die sie einst an Freunde und Bekannte wie an Ratsuchende schrieb, nicht nur den Patienten, sondern unweigerlich auch den Intellektuellen Walter Jens in Erinnerung.
  Doch vor allem hat Inge Jens mit ihrer Veröffentlichung all diejenigen im Blick, deren Lebensgefährten an Demenz erkrankt sind – in Deutschland sind dies bereits jetzt weit mehr als eine Million Menschen. In den meist kurzen Briefen geht es natürlich immer auch um den Gesundheitszustand von Walter Jens. Abgesehen von den Problemen des Alltags, erzählen sie aber auch von eigenen Gefühlen und der Sicht auf die Krankheit. Und hier zeigt sich: Inge Jens wollte und oder konnte lange Zeit nicht begreifen.
  „Beim Wiederlesen der alten Briefe“, schickt sie voraus, „scheint es mir (. . .) geradezu absurd, wie viele Jahre ich brauchte, bis ich die Demenz meines Mannes auch als solche bezeichnen konnte.“ So spricht sie noch im März 2006 gegenüber einer Schulfreundin von „einer relativ schweren Depression, die ihn immer häufiger heimsucht“. Die Erklärung „Depression“ lag natürlich nahe, litt doch Walter Jens zeitlebens unter depressiven Phasen. Inge Jens musste mit den Jahren lernen, „ehrlich“ zu sich selbst zu sein, dazu gehört Mut.
  Die These ihres Sohnes Tilman Jens, der den Ausbruch der Krankheit als Folge der Enthüllung von Walter Jens’ NSDAP-Mitgliedschaft im Jahr 2003 sieht, teilt sie bis heute nicht. Das Ehepaar Jens führte ein dialogisches Leben. Als das Gespräch zu versiegen begann, war dies eine niederdrückende Qual für beide. Einem befreundeten Mediziner schreibt Inge Jens im Oktober 2007: „Wirklich schlimm ist für ihn das Wissen um seinen Zustand. Dadurch, dass er immer wieder sehr lichte Momente hat, gibt er sich keinen Illusionen hin und leidet unendlich.“ Das Leiden nahm ab, je mehr die Krankheit voranschritt. Im März 2008 unterrichtet sie einen Freund: „Aber ich bin froh, dass er jetzt so weit unten ist und in einem Zustand, wo wirklich alle geistigen Fähigkeiten erloschen sind. Heute leidet er vermutlich nicht mehr.“
  Die Jahre bis zu seinem Tod lernte Inge Jens dann ihren Mann noch einmal von einer anderen Seite kennen. Der Intellektuelle par excellence, der stets Angst vor Tieren hatte, verwandelte sich auf dem Bauernhof von Margit Hespeler in Mähringen, wo er sich tagsüber aufhielt, zu einem Tierliebhaber. Inge Jens konnte es sich durch den Erfolg ihrer Bücher leisten, den Gatten in vertrauter Umgebung rundum betreuten zu lassen. Er musste nicht in ein Heim.
  Auf dieses Privileg kommt sie in den Briefen häufig zu sprechen. Sie leitet daraus die Verpflichtung ab, „auf die eklatanten Missstände hinzuweisen, die den betroffenen Familien das Leben noch einmal schwerer machen, als es ohnehin schon ist“. Der 2012 auf einer Fachtagung gehaltene Vortrag „Leben mit einem Demenzkranken“rundet das Buch ab. Es ist, alles in allem, ein tröstliches Buch über das Leben und das Sterben. Die Briefe sind nie Klagebriefe, aus ihnen spricht stets auch Dankbarkeit und Demut: „Aber er ist ein Mensch . . . und das ist das große Erlebnis für mich: bis zu welchen ,Tiefen‘ ein Mensch ein Mensch bleibt.“
FLORIAN WELLE
Am Anfang glaubte sie noch,
es mit „einer relativ schweren
Depression“ zu tun zu haben
Schlimm waren die lichten
Momente. Das Leiden nahm ab, je
weiter die Krankheit voranschritt
Inge Jens: Langsames Entschwinden. Vom Leben mit einem Demenzkranken. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 154 Seiten, 14,95 Euro. E-Book 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die persönlichen Briefe, die Inge Jens in ihrem vermutlich letzten Buch über die Demenz-Erkrankung ihres Mannes veröffentlicht, erinnern nicht nur an den Patienten, sondern auch noch einmal an den Intellektuellen Walter Jens, schreibt Rezensent Florian Welle. Darüber hinaus empfiehlt der Kritiker das Buch allen Angehörigen von Demenz-Kranken, denn Inge Jens gewährt hier auch Einblicke in ihr eigenes Gefühlsleben, so Welle, der etwa erfährt, dass sie die Demenz lange Zeit selbst nicht wahrhaben wollte und immer wieder von den "Depressionen" ihres Mannes sprach. Berührt liest der Rezensent, wie erlösend das endgültige Erlischen der geistigen Fähigkeiten für das Ehepaar war, da insbesondere das Wissen um seinen Zustand Walter Jens quälte. Ein "tröstliches" Buch ohne Klagen, aber voller Demut und Dankbarkeit, schließt der Kritiker.

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