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Seit dem Erscheinen ihres ersten Gedichtbandes "Die Untiefen des Verrats" (1993) auf Deutsch hat sich die lettische Lyrikerin Amanda Aizpuriete einen festen Platz in der zeitgenössischen europäischen Lyrik erschrieben. In ihren gänzlich unhermetischen Gedichten wird die Verzweiflung einer Generation sichtbar, die ihre Kindheit und Jugend in den 50er, 60er Jahren unter dem Sowjetsystem erlebte.In den neuen Gedichten, geschrieben nach dem Aufbruch in die staatliche Unabhängigkeit, hat sich der fatalistische Blick eher noch verstärkt, aber "die Verse kommen auf anderem Kurs", wie die Dichterin…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem Erscheinen ihres ersten Gedichtbandes "Die Untiefen des Verrats" (1993) auf Deutsch hat sich die lettische Lyrikerin Amanda Aizpuriete einen festen Platz in der zeitgenössischen europäischen Lyrik erschrieben. In ihren gänzlich unhermetischen Gedichten wird die Verzweiflung einer Generation sichtbar, die ihre Kindheit und Jugend in den 50er, 60er Jahren unter dem Sowjetsystem erlebte.In den neuen Gedichten, geschrieben nach dem Aufbruch in die staatliche Unabhängigkeit, hat sich der fatalistische Blick eher noch verstärkt, aber "die Verse kommen auf anderem Kurs", wie die Dichterin schreibt, auf dem Kurs der schwierigen, unruhigen Liebe. Die Aura der Melancholie wird aufgehellt durch den Glauben an die Liebe - und an die Macht der Poesie. "Babylonischer Kiez" umfasst ca. 60 neue Gedichte in der Übertragung des Peter Huchel-Preisträgers Manfred Peter Hein.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2000

Ein obdachloser Gott
Die Lyrikerin Amanda Aizpuriete im „Babylonischen Kiez”
Wer sie je ihre Gedichte vortragen hörte, in der ihr eigenen sphinxhaften Mischung aus Ganz-bei-sich- und zugleich Außer-sich-Sein, hat einen kurzen Blick erhascht auf Amanda Aizpurietes unter den Worten vagabundierende „Raubtierseele” – von der nun auch in ihrem neuen Sammelband Babylonischer Kiez die Rede ist. Es ist der dritte, wiederum schmale Band der 1956 in Jarmula nahe Riga geborenen Lyrikerin, die auch in Deutschland gefeiert wurde, seitdem sie 1993 zum ersten Mal hier zu vernehmen war, sowohl auf Poesiefestivals wie mit ihrem ersten Band Die Untiefen des Verrats. Rasch war schon damals die Rede von einer neuen Stimme, beschworen in ihrer stillen Rebellion der Worte und der eindringlichen Alltagsnähe ihrer Themen. Lautes Pathos vermied sie von Anfang an ebenso wie die beschauliche Häkeldeckenidylle, dafür beeindruckte die dichterische Leidenschaft ihrer zugleich verständlichen und doch mit Widerhaken krakenden Sprache.
Widmeten sich ihre Gedichte in Die Untiefen des Verrats dem brüchigen Dasein unter dem Signum der schwierigen Geschichte Lettlands, so war Lass mir das Meer (1996, beide Rowohlt Verlag und wie der neue Band von Manfred Peter Hein übertragen) ganz durchdrungen von der Zwiesprache der Liebe. Von dieser künden auch die neuen Gedichte – eine nunmehr düstere Flaschenpost aus dem „babylonischen Kiez”: jenem aus „den Trümmern der gemeinsamen Sprache” geformten Brachland und Schlachtfeld, mit dem das grundsätzliche Misslingen, einander zu verstehen, schon das Privatim der Zweisamkeit dem Hohn preisgibt. Wie eine Lackschicht überzieht Verzweiflung die Welt dieses lyrischen (und immer auch autobiografischen) Ichs, das dennoch und um so mehr an einem trotzigen Bündnis mit dem Leben, mit Leben-und-lieben-Wollen, festhält: „Geblendet werde ich lächeln / blind ich bis ans Ende. ” Das Leben: „Treibsand”; die Liebe: ein Spiel mit gezinkten Karten (und manchmal mit einem Hauch poetischer Gefälligkeit).
Die meisten der 57 durchwegs titellosen Gedichte ergehen sich daher nur selten im Appellativen; dafür scheint es schon zu spät. Eher lauschen wir mal einem stummen Zwiegespräch mit dem bereits abwesenden Du oder einem Selbstgespräch, immer in wenigen Sätzen skizziert wie ein Tagebucheintrag: Selbsterkundungen eines nunmehr auf sich geworfenen, in sich selbst ankernden Ichs. Terrainabschreitung des Inneren, Grenzabsteckung des beengten Lebens, das einen wie die eigene Haut umspannt.
Es ist eine unbehauste Welt – „obdachlos streunt irgendein Gott” darin umher – in der „der Dinge wirksam unheimliches Leben” mehr Geltung hat als die Existenz der Menschen selbst. Diese „durchgleiten einander”, und was von ihnen bleibt, erfährt Gewicht allein im Senklot der Erinnerung: „Dem einen der Jasmingeruch ihres Haars im Gedächtnis / dem anderen dessen Seegeschmack. ”
Der Tod ist allgegenwärtig im Daseinsentwurf dieser Dichterin, und das von Anfang ihres Werks an. Doch trägt er weniger die drohende Fratze eines christlichen Jenseits, sondern wirkt wie ein zarter Silberfaden im Unterfutter einer spirituellen Verwobenheit von Vergangenem, Seiendem und Zukünftigem: „Durch die Dielenritzen wächst Gras aus Gräbern / und alle Spiegel sind Türen offen in ein anderes Leben. ” Vielleicht ist es solch sicherer Verbund mit einem Anderswo, von dem auch Aizpurietes lyrisches Ich zehrt: Keine Muse küsst sie in ihrer rauen Heimat, wo mit Gedichten noch weniger Geld als sonstwo zu verdienen ist. Nein: „Wie Fingerabdrücke des Todes im Spiegel / aus anderem Irgend kommen die Verse. ”
Immer wieder ist diese harte Arbeit, „im klammen Unterschlupf auf Poesie zu stoßen”, Gegenstand ihrer selbst. Und doch spricht hier eine, die sich verschenkt, in all der schlichten Präzision ihrer Worte; eine, die wider besseres Wissen um den Ausverkauf der Welt auf den persönlichen Ertrag nicht achtet: „Die Liste vergessner Habe wär / herbstabendlang. ” Was sie enthielte: „Was im Zugegen / auszuleben, auszudichten mir nicht in den Sinn kam. ” Leben, Dichten ist hier eins. Kein Teppich aus Tibet, kein Traum nirgendwo. Statt dessen ertasten wir wie Blinde im Dunkeln die schlichte Schönheit des spröden Lebens: „Wie zu Ende sagen mein Leben? / in dieser Mundart der Sehnsucht, / die zu lernen wär, wo ringsum stumme Finsternis?”
CLAUDIA KRAMATSCHEK
AMANDA AIZPURIETE: Babylonischer Kiez. Gedichte. Aus dem Lettischen von Manfred Peter Hein. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 72 Seiten, 38 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2001

Worte im Verstandesgeviert
Glühlämpchen inklusive: Neue Gedichte von Amanda Aizpuriete

Als 1993 der Band "Die Untiefen des Verrats" erschien, war die lettische Lyrikerin Amanda Aizpuriete eine Entdeckung. Eine Stimme war zu hören, die ihre Emotion mit harschen Imperativen bändigte: "Geh mit dem Schwamm über deinen Jubel, / kehr deine Slogans aufs Blech." Man mochte sich an Ingeborg Bachmanns "Gestundete Zeit" erinnert fühlen, an ihr "Fall ab, Herz, vom Baum der Zeit".

Amanda Aizpuriete ist drei Jahrzehnte jünger als die Bachmann. 1956 in Jumala bei Riga geboren, arbeitete sie nach dem Studium am Moskauer Literaturinstitut als Rundfunkreporterin und Archäologin. Heute lebt sie als Übersetzerin in ihrer Heimatstadt.

Aizpuriete hat vor allem Lyrik übertragen: Achmatova, Brodskij, Mandelstam, Zwetajeva - und eben Bachmann. Ihr Deutsch befähigt sie, Interlinearversionen für die deutsche Fassung ihrer Gedichte herzustellen.

Der in Finnland lebende Lyriker Manfred Peter Hein - nach eigenem Zeugnis des Lettischen nicht kundig - hat mit ihr die Nachdichtungen erarbeitet. So auch den zweiten Band "Laß mir das Meer" und nun auch die neue Auswahl "Babylonischer Kiez".

Diese zeigt freilich, wie sehr die Welt der Amanda Aizpuriete im Lauf der Jahre geschrumpft ist. Das großartige Debüt spielte mit dem Doppelsinn der "Untiefen des Verrats": In die Beziehungen der Herzen spielte Zeitgeschichte mit hinein. Die Liebesgedichte von "Laß mir das Meer" faszinierten immerhin durch Emotion und Sarkasmus.

Der neue Band wirkt dagegen privatistisch. Er bietet vor allem Variationen der bekannten Motive. Selten findet sich die alte Kraft und illusionslose Härte: "Und wir tranken, tranken, einer des andern Säufer / bis zum lippen-, händezitternden Morgen."

Aus solch ekstatischer Desperation flüchtet die Autorin gern ins Kunstgewerbe. Aizpuriete phantasiert sich in eine Jugendstilwelt zurück, wo sie den Geliebten in die Fahne für einen einsamen Kriegszug stickt, doch keine "Heldenklinge" sich zur Seite weiß. Dort bindet "irgendeine Göttin" auf windiger Höhe die "aufgegangne Sandale", dort deutet sie "Träume flachsblonder Mädchen im Siedlungskiez" (was immer das sei) und spürt "Violenduft wie Duft der Jugend selbst um uns". Babylon ist ziemlich fern.

Die Dichterin hat - wie sie selbst meint - "den Kopf voller altem Gedicht" und findet "vielleicht darum alles so altertümlich". Sie spricht liebevoll ironisch von ihren "Freiverslein", nur geraten diese im Deutschen oft hölzern und manieriert. "Wie Glühlämpchen leuchten / Worte auf im Verstandesgeviert", heißt es einmal. Was immer da aufgeht - das Licht der Poesie ist es nicht.

HARALD HARTUNG

Amanda Aizpuriete: "Babylonischer Kiez". Gedichte. Aus dem Lettischen übersetzt von Manfred Peter Hein. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000. 74 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die früheren Bücher der Lyrikerin Amanda Aizpuriete müssen beeindruckend gewesen sein, das jedenfalls legen die einführenden Worte des Rezensenten nahe. Von diesem neuen Band nun aber ist Harald Hartung enttäuscht. Anstatt, wie vormals, mit Doppelsinn, Zeitgeschichte und Sarkasmus arbeite die Autorin nun "privatistisch". In dieser geschrumpften Welt hat Hartung allenfalls Variationen der bekannten Motive und nur selten die "alte Kraft und illusionslose Härte" entdecken können, für die er die Autorin einmal bewundert hatte. Hölzern und manieriert, schreibt er, klingen die Verse im Deutschen. - Poesie? Laut Hartung, kaum.

© Perlentaucher Medien GmbH
Jasminregen Joachim Sartorius