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Die Ethnologie ist als empirische Disziplin keine hundert Jahre alt. Noch heute stehen für viele Kulturen ausschließlich oder ergänzend die Berichte von Nichtethnologen zur Verfügung - von Wissenschaftlern anderer Disziplinen über Missionare, Händler, Seeleute bis zu Journalisten und Schriftstellern. Dabei reichen die Zielsetzungen solcher Autoren von sorgfältiger Ethnografie bis hin zu künstlerischer Phantasie und schlichter Erfindung: der Physiker, der das erste Buch mit dem Titel 'Ethnologie' schrieb, der Stenograph, der lange Aufenthalte in den Philippinen erfand, der Autor des 'Papalagi'…mehr

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Produktbeschreibung
Die Ethnologie ist als empirische Disziplin keine hundert Jahre alt. Noch heute stehen für viele Kulturen ausschließlich oder ergänzend die Berichte von Nichtethnologen zur Verfügung - von Wissenschaftlern anderer Disziplinen über Missionare, Händler, Seeleute bis zu Journalisten und Schriftstellern. Dabei reichen die Zielsetzungen solcher Autoren von sorgfältiger Ethnografie bis hin zu künstlerischer Phantasie und schlichter Erfindung: der Physiker, der das erste Buch mit dem Titel 'Ethnologie' schrieb, der Stenograph, der lange Aufenthalte in den Philippinen erfand, der Autor des 'Papalagi' u. a. Hans Fischer stellt den quellenkritischen Umgang mit diesen außergewöhnlichen Beschreibungen vor.
Autorenporträt
Hans Fischer, geboren 1932, früherer Direktor des Hamburgischen Museums für Völkerkunde und Vorgeschichte, 30 Jahre lang Professor für Völkerkunde (Ethnologie) an der Universität Hamburg. Zahlreiche Publikationen und Einführungen zur Ethnologie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2003

Lob der Außenseiter
Ohne sie gäbe es keine Ethnologie: Hans Fischers Zunftporträts

Es zählt zu den sympathischen Zügen der Ethnologie, daß sie sich gegenüber Außenseitern nie verschlossen hat. Der Geologe Franz Boas, der Physiker Bronislaw Malinowski, der Theologe Pater Wilhelm Schmidt, der Philosoph Claude Lévi-Strauss und andere mehr, denen das Fach so wichtige Impulse verdanken sollte, hatten erst nach einigen Umwegen zur Ethnologie gefunden. Ihnen stehen freilich zahllose Amateure gegenüber, die sich selbst zwar als Ethnologen verstanden, denen diese Anerkennung aber von seiten der Wissenschaft zu Recht versagt geblieben ist. Zehn dieser Randfiguren hat Hans Fischer, der über drei Jahrzehnte hin selbst eine der zentralen Positionen der deutschsprachigen Ethnologie innehatte, seine jüngste Abhandlung gewidmet.

Die Darstellung beginnt mit dem Werk Moritz Frankenheims, eines 1801 geborenen Gelehrten jüdischer Herkunft, der bereits im Alter von sechsundzwanzig Jahren auf eine außerordentliche Professur für Physik an der Universität Breslau berufen worden war. Neben einigen kristallographischen und astronomischen Studien hat Frankenheim auch ein Buch mit dem Titel "Völkerkunde" publiziert. Als es 1852 erschien, existierte in Deutschland freilich noch kein einziges ethnologisches Museum, und die Einrichtung erster Lehrstühle an den Universitäten lag in noch weiter Ferne. Frankenheim war insofern eher ein Vorläufer als ein Außenseiter der akademischen Ethnologie. Das von zeitgenössischen Vorurteilen über außereuropäische Völker erstaunlich freie Werk dieses liberalen Gelehrten für die Wissenschaftsgeschichte wiederentdeckt zu haben ist zweifellos ein Verdienst. Doch hat Frankenheim mit den skurrilen Persönlichkeiten im Umfeld des Faches, denen Fischers Aufmerksamkeit ansonsten gilt, nur wenig gemeinsam.

Zu ihnen gehört zum Beispiel ein Hochstapler namens Mundt-Lauff, der sich nicht nur mit allen möglichen akademischen Titeln schmückte, sondern darüber hinaus behauptete, von 1858 an fast zwölf Jahre auf den Philippinen, auf Formosa und im ozeanischen Raum verbracht zu haben. Seine Artikel wurden in führenden wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert. Sie waren aber samt und sonders aus den Veröffentlichungen anderer abgeschrieben. Wegen verschiedener Betrügereien verfügte Mundt-Lauff über eine intime Kenntnis deutscher Haftanstalten, die Südsee aber hat er nie gesehen. Von Kapitän Alfred Tetens, der im Auftrag des Hamburger Handelshauses Godeffroy die Inselwelt Ozeaniens bereiste, läßt sich dies zwar nicht behaupten. Seine erhalten gebliebenen ethnologischen Notizen weisen ihn überdies als exakten Beobachter aus. Doch stammt das populäre Südseebuch, das 1899 unter seinem Namen erschien, aus der Feder eines anderen, der die Aufzeichnungen des Handelskapitäns phantasiereich ausschmückte und mit nationalistischen Parolen versah.

Wie ein Abenteuerroman liest sich das von Fischer rekonstruierte Schicksal des Hannoveraner Kaufmannssohns Bruno Mencke, der das Vermögen seines verstorbenen Vaters in eine Luxusyacht investierte, einige Wissenschaftler anheuerte und mit ihnen im Juli 1900 zu einer Reise aufbrach, die er hochtrabend zur "1. Deutschen Südsee-Expedition" erklärte. Bereits ein knappes Jahr später fand der Dreiundzwanzigjährige auf der Insel St. Matthias den Tod durch die Speere Einheimischer, deren Kokosplantagen er hatte zerstören lassen. Dem anschließenden Rachefeldzug der deutschen Kolonialtruppen fielen 81 Inselbewohner zum Opfer. Die wissenschaftliche Ausbeute der Menckeschen Expedition aber war kaum der Rede wert. Neben einigen kleineren Aufsätzen seiner wissenschaftlichen Reisebegleiter umfaßte sie an die fünfhundert völkerkundliche Exponate, von denen sich jedoch später herausstellte, daß Mencke sie zum Großteil aus anderen Sammlungen zusammengekauft hatte.

Bemerkenswerter waren da schon die wissenschaftlichen Resultate der Tätigkeit des Neuendettelsauer Missionars Karl Panzer, dem die Nachwelt neben einer Sammlung mythischer Texte auch ein erstes Wörterverzeichnis der Sprache der Wampar in Ost-Neuguinea verdankt. In den Augen seiner Kirchenoberen trieb Panzer es mit der Fraternisierung allerdings zu weit, als er seine deutsche Ehefrau verließ und sich mit einer Einheimischen zusammentat. Diesen Schritt konnten sie nur als einen Anfall von Geistesstörung deuten. Sie ließen Panzer von der australischen Protektoratsverwaltung festnehmen und schickten ihn 1923 zurück nach Deutschland.

Ob die Geschichte des Zeichners und Fotografen Hans Vogel, der sich von seiner Teilnahme an der Hamburger Südsee-Expedition vergebens eine erfolgreiche Künstlerkarriere erhofft hatte, dafür aber ein respektables Buch über deren ethnologische Ergebnisse veröffentlichte, oder ob der Lebensweg der oberbayerischen Bauerntochter und Köchin Senta Dinglreiter, die in ihren in hoher Auflage vertriebenen Reisebüchern über die ehemaligen deutschen Kolonien im Südpazifik und in Afrika nationalsozialistische Ideen verbreitete - Hans Fischer verfolgt alle diese Fälle mit geradezu kriminalistischer Akribie.

Über Erich Scheurmann, den Autor der fiktiven Reden des Südseehäuptlings Tuivea aus Tuiavii über den Papalagi, ist zwar in den letzten Jahren schon einiges geschrieben worden. Daß der Verfasser dieses Kultbuchs der Studentenbewegung sich in seinen späteren Veröffentlichungen ebenfalls als Anhänger des Nationalsozialismus zu erkennen gab, dürfte dennoch für manchen neu sein. Der Ideologie des Dritten Reiches waren zu dieser Zeit freilich auch einige etablierte Fachvertreter erlegen. Wahrscheinlich war es ihr schlechtes Gewissen, dem der ehemalige KZ-Häftling und angebliche Ethnologe Hellmut Draws-Tychsen das Aufsehen verdankte, das er in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit seinen Auftritten in der Fachwelt auslöste. Andernfalls hätte seine phantastischen Spekulationen über den versunkenen Erdteil Lemuria als der Wiege polynesischer Kultur vermutlich kaum jemand ernst genommen.

Fischers Kurzporträts lesen sich amüsant. Für seine "Geschichten aus der Südsee" hätte Jack London hier manche Anregung finden können. Doch fragt man sich, ob sich unter wissenschaftshistorischen Gesichtspunkten die Mühe tatsächlich lohnt, sich mit den Schriften dieser und anderer Möchtegern-Ethnologen auseinanderzusetzen. Fischer begründet sein Unternehmen mit der großen Breitenwirkung, die sie mit ihren Werken erzielten und mit der echte Wissenschaftler kaum konkurrieren könnten. Denn eine seriöse Abhandlung käme auch heute noch über eine Auflage von ein paar hundert Exemplaren kaum hinaus. Fischers Darstellung einiger obskurer Randfiguren aus der Geschichte der Disziplin ist insoweit nicht ohne aktuelle Bezüge. Tatsächlich hat die Ethnologie in Deutschland ihre große Popularität in den siebziger und achtziger Jahren nicht ihren akademischen Vertretern, sondern den Veröffentlichungen einiger Außenseiter verdankt, denen eine universitäre Karriere oft versagt blieb. Fischer erwähnt sie in seinem Buch zwar nur am Rande. Aber vielleicht sind sie es, die er eigentlich meint.

KARL-HEINZ KOHL

Hans Fischer: "Randfiguren der Ethnologie". Gelehrte und Amateure, Schwindler und Phantasten. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2003. 275 S., Abb., br., 34,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Ethnologie hat sich anders als andere Wissenschaften Außenseitern gegenüber nie verschlossen, behauptet Karl-Heinz Kohl und führt die Namen einiger bedeutender Ethnologen an, die über Umwegen zur Ethnologie gekommen sind. Darüber hinaus gebe es aber auch den Amateur-Ethnologen, dem die Anerkennung für seine Feldstudien versagt geblieben sei. Meistens zu Recht, findet er nach Lektüre von Hans Fischers Buch. Fischer berichte in "amüsanten Kurzporträts" von teilweise sehr abenteuerlichen Existenzen, die sich dem Traum der Südsee verschrieben hatten. Die wissenschaftlichen Erträge dieser Amateure waren eher spärlich, fasst Kohl zusammen, eine Ausnahme bildet wohl der Neuendettelsauer Missionar Karl Panzer, der ein Wörterverzeichnis der Wampar und eine Mythensammlung anlegte. Insofern fragt sich Kohl, ob sich unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt die Recherche der im Buch abgehandelten Biografien überhaupt gelohnt habe. Der Autor begründe sein Vorhaben mit der immensen Popularität, die ein Teil dieser Amateurethnologen besessen hätte, referiert Kohl; auch die Ethnologie verdanke ja ihren Popularisierungsschub in den 70er und 80er Jahren den Veröffentlichungen einiger Außenseiter, merkt er dazu an, insofern sei Fischers Buch vielleicht eine Art Danksagung an diese Adresse.

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