Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 2,95 €
  • Gebundenes Buch

"Dies ist keine klassische Autobiografie, keine Lebensbeichte à la Rousseau. Man hat mich halt gefragt - zu meiner ersten Zigarette, zu den zotigen Sprüchen der Kinder, zu piemontesischen Schlössern, dazu, warum ich um Himmels willen die Hochkultur für die Niederungen des Krimis aufgegeben habe, zu meinem Verhältnis zu Italo Calvino, Franco Lucentini, Pietro Citati - und so weiter und so weiter. Und so entstand dieses Buch ganz beiläufig, ja zufällig, und es verschweigt, wie bei den meisten anderen Menschen auch, viel mehr, als es erzählt ..." Carlo Fruttero Carlo Fruttero ist eine Legende -…mehr

Produktbeschreibung
"Dies ist keine klassische Autobiografie, keine Lebensbeichte à la Rousseau. Man hat mich halt gefragt - zu meiner ersten Zigarette, zu den zotigen Sprüchen der Kinder, zu piemontesischen Schlössern, dazu, warum ich um Himmels willen die Hochkultur für die Niederungen des Krimis aufgegeben habe, zu meinem Verhältnis zu Italo Calvino, Franco Lucentini, Pietro Citati - und so weiter und so weiter. Und so entstand dieses Buch ganz beiläufig, ja zufällig, und es verschweigt, wie bei den meisten anderen Menschen auch, viel mehr, als es erzählt ..." Carlo Fruttero Carlo Fruttero ist eine Legende - seine literarischen Plaudereien sind nicht nur für die Millionenschar seiner treuen Leser eine wahre Fundgrube.
Autorenporträt
Carlo Fruttero, geboren 1926 in Turin, hat zusammen mit Franco Lucentini viele sehr erfolgreiche Kriminal- und Gesellschaftsromane geschrieben, darunter "Die Sonntagsfrau", "Wie weit ist die Nacht", "Der Palio der toten Reiter", "Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz", "Das Geheimnis der Pineta".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz dem melancholischen Charme des Autors erlegen, erinnert Kristina Maidt-Zinke an den letzten Exponenten der Einaudisten, die von Turin aus linksliberal das nachfaschistische (und vorcavalliereske) Italien moralisch bewegten. Carlo Frutteros Erinnerungen u. a. an seinen Schreibbruder Franco Lucentini, an Italo Calvino oder Turiner Momente des Ungarn-Aufstands 1956, an den Kohlgeruch auf der Frankfurter Buchmesse und Paolo Conte atmen für die Rezensentin Eleganz und Understatement und zeugen von der Fähigkeit des Autors, ironisch und einfühlend zugleich zu beobachten, Ambivalenzen zu erkennen und kein Wort zu viel verwenden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.02.2013

Turiner Stil,
charmant serviert
Im vergangenen Jahr starb der italienische Autor
Carlo Fruttero – jetzt sind seine Erinnerungen erschienen
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Das Italien, das wir liebten, wird mit seinem Namen verbunden bleiben. Oder vielmehr mit dem Namen der „Firma“, als die das Autorenduo Fruttero & Lucentini damals gern tituliert wurde. Damals, das waren die Siebziger- und Achtzigerjahre, eine Zeit, in der Italien gewiss auch chaotisch und korrupt war, aber noch nicht vom Berlusconismus benebelt, sondern intellektuell lebendig, noch nicht globalisiert, sondern plötzlich stilprägend durch schöne alte Gewohnheiten. Der Turiner Carlo Fruttero und der Römer Franco Lucentini, die sich 1953 in Paris kennengelernt hatten, veredelten in jenen Jahren das italienische Feuilleton mit ihren Kolumnen und Essays und schufen mit postmodern verspielten, als Kriminalromane maskierten Gesellschaftssatiren eine Variante des „leichten Fachs“, deren Raffinement vielen als unübertroffen gilt.
  Lucentini kam 2002 seinem Lungenkrebstod durch Selbstmord zuvor, weshalb es fast makaber anmutet, dass die Erinnerungen seines Spießgesellen und Mitrauchers Carlo Fruttero, der im Januar 2012 mit 85 Jahren starb, in der deutschen Fassung „Ein Herr mit Zigarette“ heißen. Doch der Originaltitel „Mutandine di Chiffon“, übersetzt „Chiffonhöschen“, wäre im Ausland womöglich falsch aufgefasst worden. Die beiden Signori hatten, obwohl in ihrem ersten Krimi „Die Sonntagsfrau“ ein schwules Paar vorkommt, keinerlei transvestitische Neigungen und waren Partner nur im künstlerischen Sinne. Und natürlich Freunde fürs Leben. So handeln erwartungsgemäß einige der schönsten Passagen in Frutteros Erinnerungsbuch von Franco, dem zartfühlenden Exzentriker, und den Kuriositäten der vierhändigen Schreibarbeit. Auch wenn das „Porträt des Künstlers als schöne Seele“ schon 2005 als Nachwort in einem Piper-Band mit drei frühen, neorealistischen Erzählungen Lucentinis enthalten war, sei es noch einmal allen F&L-Liebhabern und Spätentdeckern ans Herz gelegt.
  Aber der Verfasser dieser unsystematischen, anspielungsreichen „Gelegenheitsmemoiren“ hat noch viel mehr zu erzählen. Carlo Fruttero war der letzte lebende Exponent jener geistigen und moralischen Erneuerungsbewegung, die nach Krieg und Faschismus vom linksliberalen Turiner Verlag Einaudi ausging. Italo Calvino gehörte zu seinen Kollegen und wurde ein enger Freund – auch an ihn finden sich hier wunderbare Reminiszenzen, unter anderem das amüsante Protokoll seines Versuchs, den nach allen Richtungen parteiresistenten Fruttero als Mitglied der KPI zu werben, sowie ein schillerndes Porträt seiner Ehefrau Esther, genannt Chichita.
  Das dramatischste Kapitel (und eines der komischsten) berichtet von der Nacht des Ungarn-Aufstands 1956, in der Fruttero als „offizieller Anglist des Hauses“ beauftragt wird, einen flammenden Appell der Verlagsmitarbeiter an die UN ins Englische zu übersetzen, sodann mit dem Lektor Giulio Bollati zur Post fährt, um den Text als Telegramm aufzugeben, und schließlich beim Verleger Einaudi per „Spitzbubenleiter“ ans Schlafzimmerfenster klopfen muss, um sich das fehlende Geld zu holen. An dieser Begebenheit lässt sich, wie an vielen Anekdoten der Sammlung, Frutteros Gabe studieren, Vorgänge und Personen aus ironischer Distanz und zugleich mit menschlicher Einfühlung zu schildern. In hohem Maße beherrschte er, nicht von ungefähr ein namhafter Beckett-Übersetzer, die Kunst, widersprüchlichen Charakteren Gerechtigkeit angedeihen lassen und die Ambivalenz von Situationen herauszustellen – im Idealfall ohne ein überflüssiges Wort.
  Wie er Mehrdeutigkeit und Perspektivwechsel innerhalb eines einzigen Satzes auf die Spitze treiben konnte, zeigt eine Impression von der „Frankfurter Buchmesse, wo gerade ein Duft nach Gemüse durch die Hallen wehte, sehr appetitlich übrigens, das Gericht wurde in kasernenhaft anmutenden Metallnäpfen serviert“. Und die feine, unterschwellige Art, mit der er im Kapitel „Germania felix“ den Nachkriegsdeutschen ihre Verdrängungskunst unter die Nase reibt, wird ihm nicht so leicht einer nachmachen. Der frankophile Piemontese Fruttero hatte französische Eleganz wie englisches Understatement derart in seine Mentalität integriert, dass sich daraus eine neue, eigenartige Mischung ergab.
  Umso tiefer berührt jede seiner Liebeserklärungen. Ob sie nun dem Städtchen Asti gilt oder Paolo Conte, dem „Musiker Borges’scher Prägung“, ob sie sich auf die märchenhafte Bücher-Burg bezieht, in der er während kriegsbedingter Evakuierung seine literarische Sozialisation empfing, auf seine Frau Maria Pia, seinen Enkelsohn Nathan oder überhaupt Kinder, dieses „kleine Volk von Außerirdischen, das es aus kosmischen Räumen zu uns verschlagen hat“ – stets sind sein melancholischer Charme, seine diskrete Scheu vor dem „Zuviel“ grundiert von einer Lebensweisheit, die das altmodische Wort „Güte“ evoziert. Hätte man in den Kapitelüberschriften nach einer dritten Titel-Alternative suchen dürfen („Mutandine di Chiffon“ hieß ein Gassenhauer aus den Jugendjahren des Autors, und der „Herr mit Zigarette“ ist der Adelphi-Verleger Luciano Foà), dann wäre die Wahl wohl auf „Turiner Stil“ gefallen.
  Genau davon könnte Italien jetzt eine kräftige Dosis gebrauchen – aber das ist nur eine schöne Utopie.
  
    
  
  
Carlo Fruttero: Ein Herr mit Zigarette. Erinnerungen.
Aus dem Italienischen von Luis Ruby. Piper Verlag, München 2013. 288 Seiten,
19,99 Euro.
Repräsentierte Italien vor der Berlusconisierung: das die „Firma“ genannte Autorenduo Carlo Fruttero (links) und Franco Lucentini.
FOTO: HERLINDE KOELBL/AGENTUR FOCUS
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr