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Vom ersten Tag an war seine Mutter misstrauisch gewesen gegenüber der »dürren Missgeburt«, wie sie seinen Freund Jouri immer nannte. Als Sohn eines Kollaborateurs hatte Jouri in den Niederlanden der Fünfziger Jahre wahrhaftig nicht viel zu lachen, genauso wenig wie der Erzähler selbst, der mit seinem eigensinnigen Humor und seinen Darmwinden Mitschüler und Lehrer quälte. Als sich dann einmal die kleine Ria Dons tapfer an seine Seite stellt und ihm, gegen Bezahlung von fünf Cent, sogar erlaubt sie zu küssen, ist das der Beginn einer schmerzlichen Erfahrung denn Jouri zerreißt das zarte Band und…mehr

Produktbeschreibung
Vom ersten Tag an war seine Mutter misstrauisch gewesen gegenüber der »dürren Missgeburt«, wie sie seinen Freund Jouri immer nannte. Als Sohn eines Kollaborateurs hatte Jouri in den Niederlanden der Fünfziger Jahre wahrhaftig nicht viel zu lachen, genauso wenig wie der Erzähler selbst, der mit seinem eigensinnigen Humor und seinen Darmwinden Mitschüler und Lehrer quälte. Als sich dann einmal die kleine Ria Dons tapfer an seine Seite stellt und ihm, gegen Bezahlung von fünf Cent, sogar erlaubt sie zu küssen, ist das der Beginn einer schmerzlichen Erfahrung denn Jouri zerreißt das zarte Band und spannt ihm ungerührt die Freundin aus. Voller funkelnder Lust am Erzählen ist »Der Schneeflockenbaum« ein Roman um verlorene Liebe, ein lebenslanges Missverständnis und eine unerklärliche Freundschaft.
Autorenporträt
Maarten 't Hart, geboren 1944 in Maassluis bei Rotterdam als Sohn eines Totengräbers, wuchs in streng protestantischem Milieu auf. Seit 1987 lebt er als freier Schriftsteller in Warmond bei Leiden. Seine zahlreichen Romane und Erzählungen machen Maarten 't Hart zu einem der meistgelesenen europäischen Gegenwartsautoren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2010

Wenn Freunde alles teilen
Maarten 't Hart spielt Bäumchen-wechsle-dich

Von Oliver Jungen

Das Leben ist eine lange, sinnlose Testreihe. Wenn man nämlich nach all dem Empirieaufwand schließlich Regelmäßigkeiten zu extrapolieren vermag, sind die Gesetze meist schon nichts mehr wert. Das aber muss nicht bedrücken, am wenigsten den Verhaltensbiologen - und Maarten 't Hart ist studierter Verhaltensbiologe -, denn das Experiment, man hat es ja immer schon geahnt, war natürlich das Ziel. Es mag sogar tröstlich sein, dass unsere Lebenswelt bloß auf induktivem Wissen fußt: Alle Serialität kann nicht verhindern, dass am Ende doch alles anders kommt.

Wenn also die Regel der Serie nun besagt, dass der bewunderte Jugendfreund, der stets ein wenig genialer war und schmackhafter aussah als man selbst, einem vom Sandkasten aufwärts sämtliche Mädchen ausspannte, dann liegt es nahe, dahinter ein Naturgesetz zu wittern. Der Held formuliert es so: "dass Jouri, um ein Mädchen zu erobern, erst dann seinen überwältigenden Charme in die Waagschale warf, wenn ich in das Mädchen verliebt war und das Mädchen in mich. Er musste sich unbedingt zwischen uns drängen." Entscheidend ist hier das Wörtchen "unbedingt". Dieser Ausschluss aller Bedingtheit ist es, der die Freiheit in den Kerker der Norm sperrt.

Tatsächlich ließe sich mit der Diagnose "zwanghaftes Ausspannverhalten" manches erklären: das Abspenstigmachen Ansjes etwa, im Alter von vier Jahren, dann die feindliche Übernahme von Ria, Wilma und Hebe. Eine gewisse dramaturgische Rekursivität in diesem Rückblicksroman ist nicht zu leugnen, aber doch ist das alles mit solch satirisch-charmanter Bravour erzählt, dass man noch reihenweise weitere freche Hollandgören hinnähme und hergäbe. Tatsächlich treten noch einige von ihnen auf, zum Beispiel die melancholische Julia, die erste ernstere Freundin des Erzählers. Auch sie entdeckt er eines Tages mit Jouri in einem Restaurant, und zwar glücklich lachend, ganz anders als an seiner Seite: Aber hier hätte er doch schon etwas bemerken können, eine kleine Unregelmäßigkeit, wenn ihn nicht die scheinbare Gesetzmäßigkeit dafür blind gemacht hätte.

Unser düpierter Held und angehender Parasitologe (ausgerechnet!) lässt sich nicht entmutigen, schon gar nicht kündigt er dem Konkurrenten die Freundschaft, aber mit der Zeit stellt sich doch ein leichter Überdruss ein. Als intimste Freundin erscheint ihm bald das für Jouri gänzlich uninteressante Grammophon, genauer: die klassische Musik. Seitenlang frönt 't Hart seiner schon zu mehreren Büchern verdichteten Leidenschaft. Auch die Calvinisten bekommen wieder zahlreiche Keulenschläge übergebraten, wie es in den Büchern dieses Autors Tradition ist: "Religion ist die Bilharziose des Geistes."

Der Erzähler kann von dem Arrangement - das Jouri freilich eher als Unschädlichmachen falscher Kandidatinnen bezeichnet - durchaus auch profitieren. So weiß die Jahrgangsbombe Frederica, eine so schöne wie durchtriebene Reederstochter, die ein Auge auf Jouri geworfen hat, dessen Interesse nur über den Umweg einer vorgegebenen Liebschaft mit dem Erzähler zu wecken - und wieder übersieht dieser, dass er nicht allein Mittel zum Zweck ist. Gleichwohl scheint ihm das Leben erst zu beginnen, als der Freund nach Harvard aufbricht: "Jetzt geht's los, dachte ich, jetzt bin ich endlich frei." Aber ganz so leicht ist es dann natürlich doch nicht.

Der Umweg-Trick hat indes funktioniert. Frederica und Jouri werden ein Paar, sie heiraten nach dessen Rückkehr aus Harvard. Auch der Erzähler findet schließlich zu einer Musiklehrerin, die er dem Jugendfreund kaum vorzustellen wagt. Diese Bindungen bedeuten indes nicht das Ende der einander überkreuzenden Liebschaften. So überrascht wie der Erzähler stellt der Leser allerdings irgendwann fest, dass sich das Verhältnis der Freunde nahezu verkehrt hat, ohne dass man den Wendepunkt genau angeben könnte. Wir müssen einsehen, dass der Experimentator das Experiment verzerrte.

Mit dem überraschenden Schluss tritt Maarten 't Hart schließlich den Beweis an, dass der Biomathematiker Toon, ein Freund der beiden Protagonisten, vollständig falschlag mit seiner Einschätzung: "In Romanen wird die Welt beschrieben, als sei sie deterministisch", sagte er, "während das ganze Leben stochastisch ist und aus Markowketten besteht." Gemeinhin nämlich betrachtet schließlich eher die Wissenschaft das Leben (und noch den Zufall) als Gesetzeserfüllung, während sich Romane wie Freundschaften die Freiheit nehmen, auf Wahrscheinlichkeiten nichts zu geben.

Maarten 't Hart: "Der Schneeflockenbaum". Roman. Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. Piper Verlag, München 2010. 416 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Um Wiederholungszwang, zwangsweises Freundinnen-Ausspannen, klassische Musik und vor allem Gesetz und Zufall geht es, so Rezensent Oliver Jungen, im jüngsten Roman des gelernten Verhaltensbiologen Maren t'Haart. Auf die Figuren gewendet: Von Kindheit an Freunde sind der Ich-Erzähler und Jouri, der schöner ist und erfolgreicher bei den Frauen, für die er sich freilich vor allem dann interessiert, wenn der Erzähler ein Auge auf sie geworfen hat. So passiert in diesem Roman mehr als einmal dasselbe: ein Mädchen, dann eine Frau nach der anderen gewinnt Jouri für sich - was an entscheidender Stelle auch einmal so gedreht wird, dass eine Frau, die es auf Jouri abgesehen hat, den Erzähler zum Mittel der Eroberung macht. Jungen liest das gern, wenngleich er schon zugibt, dass eine gewisse Serialität das Prinzip der Erzähldramaturgie ist. Wobei das alles am Ende dann aber doch eine überraschende Wendung nehme, die alle Determinismus-Behauptungen im Roman selbst ad absurdum führe.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Maarten t`Hart beweist auch mit diesem großartigen unterhaltsamen Roman brillantes Gespür für die Zwischentöne im Leben.« Aachener Zeitung 20100522