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"Dorst schob seinen Einkaufswagen von hinten sachte in Elners Hüfte. Elner drehte sich um: Ach nein, sagte sie und ließ den Spinat sinken. Der spanische Sekt ist im Sonderangebot, sagte Dorst, legte den Kopf schief und wartete." Unergründlich und scheu ist er, der Held in Annette Pehnts kraftvollem ersten Roman. Er läuft in den schwarzen Anzügen seines toten Vaters herum, erzählt als selbsternannter Reiseführer von Limonadebrunnen und Honigfrauen. Seine Phantasie ist grenzenlos, die Nähe zu anderen nicht. Vor allem nicht die zu seiner Mutter und ihrem neuen Freund. Erst als Dorst die junge…mehr

Produktbeschreibung
"Dorst schob seinen Einkaufswagen von hinten sachte in Elners Hüfte. Elner drehte sich um: Ach nein, sagte sie und ließ den Spinat sinken. Der spanische Sekt ist im Sonderangebot, sagte Dorst, legte den Kopf schief und wartete." Unergründlich und scheu ist er, der Held in Annette Pehnts kraftvollem ersten Roman. Er läuft in den schwarzen Anzügen seines toten Vaters herum, erzählt als selbsternannter Reiseführer von Limonadebrunnen und Honigfrauen. Seine Phantasie ist grenzenlos, die Nähe zu anderen nicht. Vor allem nicht die zu seiner Mutter und ihrem neuen Freund. Erst als Dorst die junge Elner trifft, scheinen seine Zurückhaltung und seine Rastlosigkeit ein Ende zu finden. Lakonie und leiser Humor vereinen sich in Annette Pehnts Debütroman "Ich muß los" zu einer traurig-schönen Geschichte über einen ganz besonderen Menschen und seine Verbindung zur Welt.
Autorenporträt
Annette Pehnt, geboren 1967, studierte und arbeitete in Irland, Schottland und den USA. Heute lebt sie als freie Autorin in Freiburg und lehrt dort an der Pädagogischen Hochschule. Sie hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. 2008 wurde Annette Pehnt mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet, 2009 erhielt sie den Italo-Svevo-Preis, im Jahr 2012 wurde sie mit dem Solothurner Literaturpreis geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Mit der doppelten Kraft der Erdbeerseife
Debüt mit Glanzlichtern: Annette Pehnts Roman "Ich muß los"/ Von Pia Reinacher

Im ersten Moment überrascht die Redseligkeit. Aber dann entdeckt man, daß der ungebändigte Erzählfuror, dieser unaufhaltsam plätschernde Redefluß, der den Leser von der ersten Seite an überschwemmt, nur Maske ist. Täuscht man sich oder wispert und flüstert es unter der geriffelten Erzähloberfläche die ganze Zeit ironisch? Die 34jährige Freiburger Kritikerin und Autorin Annette Pehnt präsentiert mit ihrem Erstling "Ich muß los" ein lakonisches, witziges und böses Stück Literatur. Ein schelmisches Lachen zuckt durch die Textfluchten dieses kleinen Romans und bringt den Leser von Anfang an aus der Ruhe. Ihr Held ist ein scheuer Sonderling, ihr literarisches Experimentierfeld das Innenleben dieses eigenbrötlerischen Hochbegabten, der so außergewöhnlich Geige spielt und vor den Menschen zurückschreckt. Dorst ist ein in allen praktischen Dingen des Lebens eigenartig Verkehrter. Schon als Kind hat er sich zur trotzigen Verpuppung entschlossen. Als junger Mann denkt er nicht daran, die sorgfältig aufgerichteten Mauern stürmen zu lassen. Er braucht Distanz. Er braucht Freiraum. Er braucht das Geheimnis und genügend Platz für seine rätselhaften Forschungsexpeditionen in die Welt der Erwachsenen, deren Existenz er mehr oder weniger widerwillig zur Kenntnis nimmt. Weder durch die robuste Mutter noch durch die feinen amourösen Vorstöße seiner Freundin Elner ist er zu erweichen. Annette Pehnts Debüt besticht gleichzeitig durch kühle Konsequenz und äußerst präzise Beschreibung delikater menschlicher Beziehungen. Konsequenz, weil sie ihren seltsamen, merkwürdige Hacken schlagenden Helden gnadenlos beobachtet und in seinen Fluchtbewegungen beschreibt. Präzis, weil sie sich förmlich ins Innere dieses Eigenbrötlers kriecht und von da aus dem Leser rückhaltlos Bericht erstattet. Als Kind zum Beispiel sagte Dorst jedem die Wahrheit. Unerbittlich. Rücksichtslos. Als ihn die Großmutter fragt, ob er sie lieb habe, läßt er keinen Zweifel über seine grundsätzlichen Bedenken in diesem Punkt. In der Schule soll er einen Kameraden, der ein Stück auf der Violine vorspielt, loben. Er verweigert die Zustimmung und handelt sich auf der Stelle einen Tadel plus Brief an die Eltern ein, die über die Taktlosigkeit ihres Kindes aufgeklärt werden.

Von da an sind die Gesetze, die sein Leben bestimmen, vorgezeichnet. Er schweigt. Nur daß jetzt seine Kiefergelenke so gespenstisch knacken beim Gähnen. Es ist nicht so, daß wir einem solchen Protagonisten in der Literatur noch nie begegnet wären. Aber die Freiburger Autorin, die bisher ein paar Kurzgeschichten und eine Monographie über John Steinbeck veröffentlicht hat, überrascht doch durch ein hohes Entlarvungspotential. Nichts über das menschliche Mittelmaß bleibt ihr verschlossen. Und keine ihrer Erkenntnisse erspart sie dem Leser. Die Geschichte von Dorst und seiner alleinerziehenden Mutter, die sich nach dem Tode des Mannes in engen Verhältnissen durchschlagen muß, sich aber schon bald von den bürgerlichen Reizen des Herrn Quoirins betören läßt - der ehemalige Kollege des Vaters verschafft sich den Zugang zum Herzen der Mutter mit Duftlampen, Ziergewächsen und Erdbeerseifen - und nach der einen und anderen praktischen Überlegung dessen Tröstungen stracks erliegt, ist die Geschichte moderner Durchschnittsverhältnisse.

Gerade da liegt der Reiz dieses Erstlings: Wie Annette Pehnt aus dem Gewöhnlichen die Gesetze herausfiltert, die das mediokre Leben bestimmen, und wie sie dann ihre Fundstücke dem Leser unspektakulär, aber laut herauslachend vor Augen führt, das setzt schon einiges an literarischem Können voraus. Dazu kommt die differenzierte Zeichnung des Psychogramms eines Aussenseiters. Annette Pehnt zieht die pfiffige, manchmal slappstickartige, immer aber heitere Karikatur eines Einsiedlers durch, ohne auch nur einmal aus der Rolle zu fallen. Mit diskret plazierten Farbtupfern holt sie sein Bild vor die Augen ihrer Leser. Dorst trägt die schwarzen, völlig unpassenden Kleider seines Vaters noch lange nach dessen Tod und manifestiert damit stumm seine Opposition gegen die Mutter, die ohne viel Federlesens zu Herrn Quoirin übergelaufen ist. Wie die Mutter sich dann allmählich aus den näheren Bezirken ihres verschrobenen Sohnes zurückzieht und sich in süßere Gefilde rettet, erfährt man; wie der Sohn sich im Gegenzug mit kleinen Attacken an der Mutter rächt ("Keine Haare mehr, aber sonst umtriebig"), sieht man. Wie er durch die erotischen Annäherungen der jungen Lehrerin Elner geschüttelt wird und doch auf ihre leibhaftige Präsenz mit vollständigem Verstummen reagiert: diese winzigen, mit leichter Hand geschriebenen Arrangements sind Glanzpunkte im Debütroman von Annette Pehnt und machen deutlich, daß hier eine Autorin am Werke ist, von der noch einiges zu erwarten ist.

Annette Pehnt: "Ich muß los". Roman. Piper Verlag, München und Zürich 2001. 125 S., geb., 29,80 DM

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wie so ein Talent wie das der Autorin vom Himmel fällt, ist Andreas Nentwich ein Rätsel. Mit Lob geizt unser Rezensent deswegen allerdings nicht: In die Ahnschaft Melvilles, Robert Walsers und Franz Hessels stellt er Annette Pehnt und ist nahe dran, dafür unser Placet zu erhalten. Von der hier vorgelegten Geschichte des "Schweigers" Dorst nämlich weiß er anregend zu berichten. Und von der, wie Nentwich uns wissen lässt, sprachlich begründeten Fertigkeit der Autorin, den Balanceakt zwischen der Sympathie für ihren Helden und einer einkalkulierten Erbitterung (des Leser) über dessen Verhalten zu bestehen. Dass es sich bei dem Roman um mehr als um die Fallgeschichte eines Soziopathen handelt, glauben wir ihm am Ende gern.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Annette Pehnt schildert in ihrem Roman die emotionale Unbehaustheit ihres Helden so lakonisch wie eindringlich. In einer erfreulich schlichten Sprache zähmt sie die Gefühlswelt des ganz und gar nicht schlichten Gemüts ihres Helden. Ein Psychogramm ohne belehrenden Zeigefinger, das von der ersten bis zur letzten Seite mitreißt.« Frankfurter Rundschau