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"Er blickte hinunter auf die reizlose Straße vor dem Haus und sagte sich, verglichen mit Havanna ist Miami eine Plastikstadt, provisorisch und ohne Wurzeln. Was verflucht hatte er hier zu suchen?" Der kubanische Zahnarzt Stalin Martinez sitzt sechs Tage lang versteckt auf der brütend heißen Dachterrasse seines Bruders in Miami, ohne Sonnenschutz und Verpflegung, um das Aussehen eines Bootsflüchtlings zu erlangen und die amerikanischen Behörden glauben zu machen, er sei per schwimmendem Untersatz von Kuba nach Amerika geflohen. In wehmütig-witzigen Rückblicken erfährt der Leser von der Odyssee…mehr

Produktbeschreibung
"Er blickte hinunter auf die reizlose Straße vor dem Haus und sagte sich, verglichen mit Havanna ist Miami eine Plastikstadt, provisorisch und ohne Wurzeln. Was verflucht hatte er hier zu suchen?" Der kubanische Zahnarzt Stalin Martinez sitzt sechs Tage lang versteckt auf der brütend heißen Dachterrasse seines Bruders in Miami, ohne Sonnenschutz und Verpflegung, um das Aussehen eines Bootsflüchtlings zu erlangen und die amerikanischen Behörden glauben zu machen, er sei per schwimmendem Untersatz von Kuba nach Amerika geflohen. In wehmütig-witzigen Rückblicken erfährt der Leser von der Odyssee der letzten Wochen des gutmütig-unsicheren Antihelden Martinez. Einziger Balsam für seine verlassene Seele ist die Mulattin Miriam, mit deren Hilfe er sich schweren Herzens seinem geliebten, verhaßten Kuba stellt.
Autorenporträt
Jesus Diaz, geboren 1941, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der kubanischen Gegenwartsliteratur und wurde für seine Romane und Drehbücher mehrfach preisgekrönt. Zunächst unterrichtete er Philosophie in Havanna und später im Exil an der Filmhochschule Berlin. Heute lebt Jesus Diaz in Madrid und ist Herausgeber der wichtigsten Exilzeitschrift "Encuentro". Zuletzt erschien von ihm auf deutsch "Erzähl mir von Kuba".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Evita Bauer scheint es sehr zu gefallen, dass im Vergleich zu Diaz` früheren Romanen, in denen "Bitterkeit und Enttäuschung" über Kuba im Vordergrund standen, im vorliegenden Buch nun vielmehr "Satire und (...) Burleske" vorherrschend sind. Die Rezensentin erinnert dieser Roman in vielerlei Hinsicht an Don Quijote, nur dass der Protagonist hier ein - wenn auch unfreiwillig in die USA emigrierter - kubanischer Dentist ist, der sich statt mit Windmühlen mit kaputten Ventilatoren und `einem alten, störrischen Drahtesel` herumplagen muss. Zu den großen Stärken dieses Buchs gehören Bauers Ansicht nach vor allem die "fein nuancierte Darstellung" des Dentisten Stalin Martinez und seines durchaus gegensätzlichen Bruders Lenin alias Leo, der als Clown in Miami lebt. Bauer schätzt darüber hinaus den Autor als "Sprachartisten und leidenschaftlichen Imitator", der in seinem neuen Roman äußerst virtuos die verschiedenen Dialekte Kubas, das "Spanenglisch" der Emigranten und das "Radebrechen seines Protagonisten auf Englisch" handhabt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.03.2001

Stalin in Miami
Jesús Díaz’ Roman-Satire
„Erzähl mir von Kuba”
Federleicht und humorvoll thematisiert der aus Kuba verbannte, in Madrid lebende Autor Jesus Díaz in seinem neuen Roman „Erzähl mir von Kuba” die „kubanische Tragödie”. Seine frühere Bitterkeit und Enttäuschung über ein System, das nur Helden oder Verräter kennt, ist der Satire und der Burleske gewichen. Sein neuer Protagonist gehört weder zu den Helden noch zu den Verrätern. Beide Rollen wären für den verheirateten Dentisten namens Stalin Martínez eine Nummer zu groß. Schon der Name ist, selbst unter Castro, ein starkes Stück. Er ist ein „großes Kind”, „fast ein Trottel, so gutherzig, schüchtern und unsicher, unfähig für sich selbst zu entscheiden”. Díaz karikiert in seinem Protagonisten den gewöhnlichen, materielle Not und alltägliche Demütigungen erleidenden Kubaner. Listig hält der Autor dem Mythos des Revolutionärs seinen kubanischen Don Quijote entgegen: Der Kampf mit den Windmühlen wird zum Ringen mit einem defekten Ventilator, den klapprigen Gaul von Cervantes ersetzt „eine alte, störrische Drahteselin” und die Herzensdame Dulcinea trägt die Züge einer untreuen Showtänzerin.
Martínez muss wie einst Don Quijote hinaus in die Welt. Mühelos erfüllt sich für ihn der Traum der meisten Inselbewohner. Als er spät abends in Havanna die Fähre nimmt, nötigen drei Männer den Bootsmann, Kurs auf Florida zu nehmen. Nur knapp entkommt das gekaperte Schiff der kubanischen Küstenwache. Auf amerikanischer Seite werden die Flüchtlinge mit großem Presserummel empfangen. Doch im Gegensatz zu den anderen Passagieren möchte Martínez nicht in den USA bleiben. Vor den Kameras äußert er nur den Wunsch, seinen Bruder Lenin zu sehen. Aus dem ehemals linientreuen Juristen und Parteifunktionär, ist inzwischen Leo, der beste Clown Miamis geworden. Die psychologisch fein nuancierte Darstellung der gegensätzlichen Brüder gehört zu den großen Stärken des Romans. In dem Verhältnis Stalin/Lenin spürt Díaz auch dem schmerzhaften, sinnlosen Riss zwischen Exil- und Inselkubanern nach.
Die Umstände, nicht die Verlockungen des Konsums oder der Wunsch nach Freiheit, treiben den weltfremden Protagonisten letztlich doch ins Exil. Auf dem Dach von „Leos” Haus der glühenden Sonne Floridas schutzlos ausgesetzt, soll Stalin in sechs Tagen wie ein echter Bootsflüchtling aussehen. Dabei hat er Zeit, die fatale Verkettung von Missgeschicken nach seiner Rückkehr zu rekapitulieren: den Diebstahl des nagelneuen Mountainbikes, Trophäe seines ersten Ausflugs, die lächerliche Kissenschlacht mit dem Liebhaber seiner Frau, den Rachefeldzug an ihren Schminktiegeln und Töpfen und schließlich den Zahnarztkongress in Mexiko – eine Auszeichnung der Staatssicherheit dafür, freiwillig nach Kuba zurückgekehrt zu sein. Doch die Ehrung wird zur Katastrophe. Um auf der Tagung nicht als Hochstapler aufzufliegen, bleibt dem Protagonisten nur, sich in die USA abzusetzen und als falscher „balsero”, das einst ausgeschlagene Asyl zu erschleichen.
Auch dieser Roman von Jesús Díaz lebt vom Rhythmus kubanischer Songs und Boleros. Zudem ist Díaz ein Sprachartist und leidenschaftlicher Imitator. Bereits als Kind entwickelte er ein besonderes Gehör für die unterschiedlichen Dialekte und Melodien der vielen Einwanderer Havannas. Unbekümmert mischt er in „Erzähl mir von Kuba” das Spanisch der Karibikinsel mit dem Spanenglisch der in Miami lebenden Hispanos und dem Radebrechen seines Protagonisten auf Englisch.
Cervantes erfand seinen Don Quijote im Gefängnis, weil er nicht mehr ertragen konnte, dass die Welt nur war, was sie war, statt endlich einmal zu sein, was sie sein sollte. Vom Exil aus hat Jesús Díaz seinen kubanischen Quijote in die Welt hinausgeschickt, wohl um sich von ihm zu befreien, aber auch, um dieser Welt zu zeigen, wie der Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf Kuba immer größer wird.
EVITA BAUER
JESÚS DÍAZ: Erzähl mir von Kuba. Roman. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs. Piper Verlag. München 2001. 300 Seiten, 39,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2001

Stalin auf der Dachterrasse
Wege zum Asyl: Jesús Díaz weiß um die Nöte von Exilkubanern

Im Kern ist Stalin ein guter Diener der Revolution. Doch als er die Augen nicht mehr davor verschließen kann, daß der Kommunismus sein privates wie berufliches Leben zugrunde richtet, vermag er den Verlockungen des Klassenfeinds nicht mehr zu widerstehen. Klammheimlich macht der Diktator sich aus dem Staub und beantragt in Miami Asyl.

Daß diese scheinbar apokryphe Biographie des Genossen Josef Wissarionowitsch ins Zentrum eines Romans von Kubas wohl angesehenstem Exilautor Jesús Díaz rückt, liegt nur an einer kuriosen Namenskoinzidenz: Stalin heißt weiter Martínez und wohnt in Casablanca; und Casablanca ist hier nicht die legendäre Stadt Humphrey Bogarts und Ingrid Bergmans, sondern ein heruntergekommener Vorort von Havanna.

Mit dem sowjetischen Diktator, nach dem ihn sein Vater aus Solidarität mit Moskau benannte, hat der dünnhäutige Zahnmediziner herzlich wenig gemeinsam. Eigentlich ist er schon zufrieden, solange er sich in seine Gebisse, Brücken und Füllungen versenken darf, ihn sein alter Ventilator namens Pepe, seine verrostete Drahteselin namens Fredesvinda und seine Frau namens Idalys nicht im Stich lassen und letztere ihm das regelmäßige "Schwapi-Schwapi" nicht versagt, womit sie die Ausübung der ehelichen Pflichten zu bezeichnen pflegt. Allein nicht einmal dieses bescheidene Glück ist ihm gegönnt. Da ein kubanischer Zahnarzt einen Hungerlohn verdient, muß er nachts als Kellner in einem Privatrestaurant aushelfen, während seine angetraute Kabarettänzerin das Schwapi-Schwapi einem Taxifahrer zugute kommen läßt.

Daß die Flucht von Havanna nach Little Havana Dr. Stalin keinen seiner Träume von Ruhm und einer eigenen großen Stomatologischen Klinik erfüllen wird, ist vorprogrammiert. Mit Stalin hat Jesús Díaz einen Prototypen des ewigen Verlierers geschaffen. Trotz aller Ironie gibt der Autor seine Figur dennoch in keinem Moment der Lächerlichkeit preis. Vielmehr entwickelt der vom Schicksal und seinen Unterentwicklungskomplexen gebeutelte Stomatologe Stalin in all seiner Mittelmäßigkeit eine große Glaubwürdigkeit, ja zuweilen Tragik.

Ohne eigenes Verschulden an der Perspektivlosigkeit des eigenen Landes gescheitert, ist Martínez auf dem besten Weg, auch in der neuen Heimat Amerika unters Rad zu kommen. Ob Diktatur des Proletariats oder der Finanzen - für den Exilanten bedeuten sie letztlich etwas Ähnliches: Selbstverleugnung und Illusionsverlust. Lenin Martínez, der stromlinienförmig angepaßte Bruder, wird von Stalin als Gewinnertyp beneidet, doch was will das heißen? Nach einer Funktionärslaufbahn kehrt Lenin der Partei und seinem Namen samt Patron den Rücken, um in Miami die steile Karriere als Pausen- und Kinderclown Leo anzutreten. Und Stalin? Nach Umtaufe in einen politisch korrekteren Estebán ist seine erste Erfahrung im selbsternannten Land der Freiheit und der Menschenrechte die selbstauferlegte Folter. Um als politischer Asylant anerkannt zu werden, muß der soeben einem Flugzeug Entstiegene rückwirkend in einen balsero verwandelt werden, in einen der zahllosen Flüchtlinge, die auf selbstgezimmerten Flößen die Straße von Florida überqueren. Auf der Dachterrasse von Lenin-Leos Haus harrt er so lange in der prallen Sonne aus, bis ihn Unterernährung und Verbrennungen dritten Grades zu einem glaubwürdigen Asylbewerber gemacht haben.

Anhand von Stalins Erinnerungen während dieser sechs Tage dauernden Gewaltkur läßt Díaz die Vergangenheit Revue passieren. Geradezu spiegelbildlich treten auf der Dachterrasse so Havanna und Miami, Kapitalismus und Kommunismus wie ein Diptychon einander gegenüber. Der Aufforderung "Erzähl mir von Kuba" kommt Díaz in einem umfassenden Sinn nach, der dem Regime in Havanna wenig schmeicheln dürfte: Angesichts der zwei Millionen über alle fünf Kontinente verstreuten Kubaner und einer zweiten Hauptstadt Miami, in der die englischsprachigen Einwohner immer mehr zur Minderheit werden, ist der Begriff "Kuba" nicht mehr in den Grenzen der karibischen Insel faßbar. "Erzähl mir von Kuba" erzählt auch vom kubanischen Exil. Doch anders als vielen exilkubanischen Autoren, etwa seiner Pariser Kollegin Zoé Valdés, fehlt Díaz jene bittersüße Mischung aus Emigrantennostalgie und Anklage gegen Castros Regime.

Nicht wegen der steten Verletzung der Menschenrechte verläßt Martínez die Insel, sondern weil er sich als hochqualifizierter Arzt keinen neuen Ventilator leisten kann und seine Frau dadurch verliert, daß er nicht einmal ein eigenes Auto hat. Die Banalität dieser Tatsache entspricht einer Wirklichkeit, die weder zum revolutionären noch zum konterrevolutionären Pathos paßt. So setzt sich Jesús Díaz zwischen alle Stühle; doch gerade dieser unbequeme, in der Luft hängende Sitz ist es, der Díaz während seines zehnjährigen Exils in Berlin und Madrid und als Herausgeber der Zeitschrift "Encuentro de la cultura cubana" zu einem der differenziertesten kubanischen Intellektuellen gemacht hat.

Der Roman bringt aber leider auch die Schattenseiten dieses politischen wie kulturellen Zwischenstadiums zum Ausdruck. "Erzähl mir von Kuba" oszilliert in befremdlicher Weise zwischen Havanna, Miami und Madrid, und bis zum Schluß ist nicht klar, für wen er eigentlich geschrieben ist: Auf der einen Seite handelt es sich um ein Werk der kubanischen Literatur, beschreibt Díaz eine Realität, die wohl nur von einem mit der Insel Vertrauten vollständig begriffen werden kann. Andererseits erzählt er mit dem Gestus des Reiseführers. Fast auf jeder Seite finden sich Erläuterungen zu "typisch kubanischen" Sachverhalten, ob es sich nun um die Geheimnisse der kreolischen Kochkunst, des tropischen Kommunismus oder des mit Afrikanismen getränkten Wortschatzes handelt. Skurrilerweise wirft so ein Kubaner einen touristisch gefärbteren Blick auf das eigene Land, als es über Kuba schreibende Ausländer - man denke nur an Hemingway - je wagten. Kubanismen treten sprachlich an die Seite von sich anbiedernden Modismen aus Madrid, die weder in Havanna noch in Miami etwas verloren haben. Daß sich der Roman auf deutsch dennoch flüssig liest, ist nicht zuletzt der Übersetzung von Klaus Laabs zu verdanken.

In seiner Vorbemerkung erklärt der Autor, die Geschichte sei ursprünglich als Drehbuch für einen nicht realisierbaren Film geplant gewesen. Was das Recyclingprodukt, den Roman, betrifft, wird man den Verdacht nicht los, Díaz habe sein Filmtreatment noch rasch verwerten wollen, bevor eine bereits überschwappende Kuba-Welle in Europa endgültig abebbt. Darauf verweist die unverhohlen auf ein spanisches Leserpublikum ausgerichtete Machart ebenso wie der im Vergleich zu Díaz' früheren Werken wie "Die Haut und die Maske" oder "Die Initialen der Erde" recht marktschreierisch anmutende Titel.

FLORIAN BORCHMEYER

Jesús Díaz: "Erzähl mir von Kuba". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Klaus Laabs. Piper Verlag, München 2001. 303 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Vom Exil aus hat Jesus Diaz seinen kubanischen Don Quijote in die Welt hinausgeschickt, wohl um sich von ihm zu befreien, aber auch, um dieser Welt zu zeigen, wie der Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf Kuba immer größer wird." (Süddeutsche Zeitung)