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"Es ist in der Tat ein spannendes Wörterbuch, nicht nur weil es in überzeugender Weise Sprach- und Zeitgeschichte miteinander verbindet, sondern weil wir Leser mit Bewusstsein die hier dokumentierten Sprachveränderungen erlebt und zum Teil, wenn auch unbewusst, daran mitgewirkt haben. (Romerike Berge, Heft 4/2004)"Dieses Wörterbuch ist ... für weite Kreise als lehrreiche Lektüre zu empfehlen." (Das Historisch-Politische Buch, 52. Jg. 2004)"Formal-inhaltlicher Sprachwandel erscheint so in lebendiger, ausgezeichnet dokumentierter Präsentation als Widerspiegelung geschichtlicher Ereignisse und…mehr

Produktbeschreibung
"Es ist in der Tat ein spannendes Wörterbuch, nicht nur weil es in überzeugender Weise Sprach- und Zeitgeschichte miteinander verbindet, sondern weil wir Leser mit Bewusstsein die hier dokumentierten Sprachveränderungen erlebt und zum Teil, wenn auch unbewusst, daran mitgewirkt haben. (Romerike Berge, Heft 4/2004)"Dieses Wörterbuch ist ... für weite Kreise als lehrreiche Lektüre zu empfehlen." (Das Historisch-Politische Buch, 52. Jg. 2004)"Formal-inhaltlicher Sprachwandel erscheint so in lebendiger, ausgezeichnet dokumentierter Präsentation als Widerspiegelung geschichtlicher Ereignisse und gesellschaftlicher Veränderungen. Dieses Wörterbuch ist gut lesbar (es erzählt sozusagen neuere Wortgeschichten) und für weite Kreise als lehrreiche Lektüre zu empfehlen." (Das Historisch-Politische Buch, Jg. 52/2004, Heft 1)Öffentlicher Sprachgebrauch prägt das gesellschaftliche Bewusstsein. Der unterschiedliche Wortgebrauch in einer pluralistischen Gesellschaft wird in traditionellen Wörterbüchern kaum sichtbar.Das "Zeitgeschichtliche Wörterbuch" ist neuartig. Es untersucht ausgewählte Streitwörter aus dem deutschen gesellschaftlich-politischen Sprachgebrauch seit 1945. Die einzelnen Artikel verschränken Sprach- und Zeitgeschichte, indem sie die Geschichte des Wortgebrauchs im Zusammenhang mit historischen Ereignissen darstellen.Dabei wird deutlich, wie im durch Interessen geleiteten Sprachgebrauch jede Gruppierung mit von ihr favorisierten Vokabeln (Fahnenwörtern) Interpretation von Wirklichkeit und Strategien zur Durchsetzung ihrer ,Sicht der Dinge' betreibt: Ist Deutschland Einwanderungsland, Prostitution als Beruf anzuerkennen, Abtreibung Tötung, Kopftuch-Verbot Berufsverbot?Innerhalb der Artikel werden etwa 2000 Ausdrücke in gesellschaftlichen Diskursen dargestellt und sind im Index mit Verweisen auf die betreffenden Artikel erfasst.Das Wörterbuch, das sich als an der kommunikativen Praxis orientierte Ergänzung zu den großen Wörterbüchern versteht, zeigt auch, dass sich der Streit um Worte offenbar lohnt.Die 2. Auflage bietet neben der Aktualisierung der Artikel die neu hinzugekommenen Artikel Chancengleichheit/Chancengerechtigkeit, Drittes Reich, Euthanasie, Frau/Fräulein, Machtergreifung, Reichskristallnacht, Sozialismus, Studentenbewegung, Vergewaltigung in der Ehe."Der Band macht eindringlich klar, dass solche Wörter in der politischen Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Parteien nie neutral benutzt werden und dass sie einem stetigen Bedeutungswandel unterliegen oder dass ein Wort ein anderes ablöst. (...) In einem Index am Ende des Bandes werden Hunderte weiterer Stichworte aufgeführt, die in den gesellschaftlichen und politischen Ausienandersetzungen der letzten Jahrzehnte ebenfalls eine besondere Rolle gespielt haben. Man erhält so einen Überblick über die semantischen Konfliktfelder der jüngsten deutschen Geschichte." (Juventa, deutsche Jugend, 56. Jg., H. 11, November 2008)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2003

Die Sprache der Leithammel
Leitkultur, multikulturelle Gesellschaft oder Verfassungspatriotismus: Worüber man in Deutschland streitet
GEORG STÖTZEL/ THORSTEN EITZ (Hrsg.): Zeitgeschichtliches Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2002. 527 Seiten, 29,90 Euro.
Wenn man der Sprache sehr viel Ehre antun will, begibt man sich auf die Ebene des Mythischen und stellt fest, dass ohne sie nichts sei. Immerhin steht geschrieben, dass das Licht erst entstand, nachdem Gott gesprochen hatte: „Es werde Licht.” Auf dieser Ebene gilt das Wort so viel wie das Ding selbst, wie das Wesen des mit ihm Bezeichneten, weswegen auch einer, der die Dinge zu benennen weiß, Gewalt über sie hat. Feine Sache, dieser Wortzauber, weil er der Sprache die Fähigkeit zutraut, das Sein zu bestimmen, zu ordnen und zu beherrschen.
Mittlerweile weiß man, dass Wort und Sache sich keineswegs decken müssen; bei pessimistischer Sicht der Dinge könnte man das adäquate Reden über die Welt sogar für ausgeschlossen halten. In der riesigen Grauzone zwischen Wortzauber und sprachlicher Vergeblichkeit ereignet sich unser aller Leben – und mit ihm das zeitgeschichtliche deutsche Wörterbuch, das Georg Stötzel und Thorsten Eitz zusammen mit einem runden Dutzend Helfer erarbeitet haben.
Der Terminus „Wörterbuch” ist freilich schon ein Exempel für die Wort/Ding-Divergenz. Wörterbücher dieses Umfangs bieten üblicherweise etliche tausend Einträge. Hier sind es ganze 64 Lemmata, von der Abtreibung bis zur Wiedervereinigung, und daraus wird klar, dass es sich weniger um ein Wörterbuch als um ein, landläufig gesprochen, Begriffebuch handelt. (Dass das Register dieser 64 Stichwörter im riesigen „Index des diskursrelevanten Vokabulars” versteckt wird und dass zudem nicht auf Seitenzahlen, sondern auf die Artikelnummern verwiesen wird, sei als Erschwernis genannt und gegeißelt.)
Die Verfasser haben keineswegs den Ehrgeiz, die in diesen 64 Begriffen widergespiegelte deutsche Nachkriegswelt zu erklären oder gar zu deuten. Vielmehr wollen sie zeigen, dass es im öffentlichen Wortschatz und Sprachgebrauch „kein einheitliches Deutsch gibt”, und uns teilhaben lassen an der „Bezeichnungskonkurrenz”, mit der die unterschiedlichen Interessensgruppen ihre Sicht der Dinge durchzusetzen versuchen. Dieser Prozess ist nichts Geringeres als „eine andauernde Weltinterpretation”, und Stötzel, Germanist an der Düsseldorfer Universität, hat ihm schon in so mancher Publikation nachgespürt. Was herauskommt, wenn die genannten Gruppen ihre jeweilige Sicht der Dinge durchzusetzen trachten, sei am Stichwort Leitkultur gezeigt. Im großen Duden von 1999 kommt es noch gar nicht vor, weil es erst 1998 aufgeflattert war, und zwar aus dem Staub einer Affäre, in der es um das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin ging. Es war der damalige Berliner Innensenator Schönbohm, der den Begriff in die Debatte brachte. Die ersten Geplänkel fielen noch locker aus, wie Gerhard Schröders Bonmot beweist, wonach Leitkultur in seinen Ohren wie Leithammel klinge.
Der Ton samt Ober- und Untertönen änderte sich, als Friedrich Merz im Oktober 2000 im Bundestag forderte, Zuwanderer müssten sich der deutschen Leitkultur anpassen. Es erhob sich ein allgemeines und meistens ziemlich gereiztes Summen und Brummen. Analytischere Köpfe versuchten sich der „eigentlichen Bedeutung” des fatalen Wortes zu vergewissern, was bei fehlenden etymologischen Wurzeln schwierig genug war. Bald galt es als ausgemacht, dass der Göttinger Politologe Bassam Tibi den Ausdruck bereits 1996 aufgebracht hatte – eine vielerorts als sehr glücklich empfundene Konstellation, da dem gebürtigen Syrer Tibi Deutschtümelei nur schwer zu unterstellen war. So oder so, die Union hatte ihr Fahnenwort und ließ es denn auch bei jeder Gelegenheit prächtig knattern.
Das ging eine ganze Weile hin und her, und es fehlte auch nicht an Versuchen, den Diskurs differenzierend und dämpfend zu steuern: Heiner Geißler zum Beispiel holte den von Dolf Sternberger geprägten Terminus Verfassungspatriotismus aus der Schmuckschatulle, um ihn als Alternativvokabel zu etablieren, während sich Gregor Gysi von der unbelasteten, ja schier hoffnungsfrohen europäischen Kultur Heil und Beruhigung versprach. Die Grünen operierten währenddessen mit der guten, alten multikulturellen Gesellschaft, nicht ganz glücklich freilich, weil man parteiintern zu der Ansicht gelangte, sie sei auf ihre Weise ähnlich unscharf, vieldeutig und missverständlich wie die Leitkultur.
Der Eintrag erteilt am Ende noch einmal Friedrich Merz das Wort. Diesmal spricht er von der freiheitlichen Leitkultur als von einem Wertmaßstab, an dem Einwanderung und Integration sich orientieren könnten. Damit, heißt es lakonisch, „klingt die öffentliche Auseinandersetzung ab”, und in der Tat
hat man von der Leitkultur bald nichts mehr gehört. Der Streit um sie war wie eine Fontäne aufgestiegen und ebenso schnell in sich zusammengesackt. Beim Nachlesen kriegt man noch ein paar Spritzer davon ab.
HERMANN
UNTERSTÖGER
Besonders beliebt in der Politikersprache sind so genannte Fahnenwörter, die man bei jeder Gelegenheit prächtig knattern lassen kann. Foto: Regina Schmeken
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit der Sprache, findet Hermann Unterstöger, ist es so eine Sache: Einerseits gibt es da die Vorstellung, man könne mit ihr die Wirklichkeit ordnen und beherrschen; andererseits sei ja bekannt, dass Wort und Sache oft nicht übereinstimmen. Doch durch dieses ungewöhnliche Wörterbuch wird die "Grauzone zwischen Wortzauber und sprachlicher Vergeblichkeit" beispielhaft ausgemessen, freut er sich. Den Herausgebern gehe es darum zu zeigen, wie umkämpft der Wortschatz öffentlicher Diskurse ist: Ein Begriff hat einen ersten Auftritt, und in der Folge streiten die verschiedenen Interessengruppen um die Definitionsmacht - alle wollen sie mit Sprache die Wirklichkeit beherrschen. Wie biegsam die Begriffe sind, das werde hier anhand von 64 der bei Politikern so beliebten "Fahnenwörter" "von der 'Abtreibung' bis zur 'Wiedervereinigung'" demonstriert.

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