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Die Entstehung der modernen, nationalen Gesellschaften ist begleitet von der Ausbildung eines neuen populistischen Politikertyps. Diese charismatischen Führer stützen ihre Herrschaft auf das Volk, welches wiederum in ihnen seine Wünsche und Hoffnungen verwirklicht sieht. Als "Charisma" hat Max Weber die Eigenschaften eines Politikers bezeichnet, die von seinen Anhängern als außeralltäglich bewertet werden. Diese Vorstellungen und Zuschreibungen der deutschen Öffentlichkeit gegenüber den wichtigsten deutschen Politikern des 19. und 20. Jahrhunderts werden in den Beiträgen des Sammelbandes…mehr

Produktbeschreibung
Die Entstehung der modernen, nationalen Gesellschaften ist begleitet von der Ausbildung eines neuen populistischen Politikertyps. Diese charismatischen Führer stützen ihre Herrschaft auf das Volk, welches wiederum in ihnen seine Wünsche und Hoffnungen verwirklicht sieht. Als "Charisma" hat Max Weber die Eigenschaften eines Politikers bezeichnet, die von seinen Anhängern als außeralltäglich bewertet werden. Diese Vorstellungen und Zuschreibungen der deutschen Öffentlichkeit gegenüber den wichtigsten deutschen Politikern des 19. und 20. Jahrhunderts werden in den Beiträgen des Sammelbandes untersucht und verglichen. Gefragt wird also nicht, ob diese Politiker charismatische Führer waren, sondern welche charismatischen Qualitäten ihnen von ihren Anhängern zugeschrieben wurden. Betrachtet werden neben der Vorbildfunktion, die das Kaisertum Napoleons auch für Deutschland hatte, Heinrich von Gagern, Otto von Bismarck, Wilhelm II., Paul von Hindenburg, Adolf Hitler, Konrad Adenauer, Walter Ulbricht, Willy Brandt und Helmut Kohl. Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den gesellschaftlichen Bildern über diese nationalen Führer werden dabei herausgearbeitet.

Mit Beiträgen von Rainer Gries, Dieter Hein, Christian Jansen, Wolther von Kieseritzky, Dirk van Laak, Frank Möller, Wolfram Pyta, Andreas Schulz, Ulrich Sieg und Edgar Wolfrum.

Frank Möller ist Privatdozent in Frankfurt am Main.
Autorenporträt
Frank Möller, geboren 1954, Historiker, Germanist, Verlagskaufmann; zwei Jahre Redakteur der taz, sieben Jahre Verleger des Kölner Volksblatt Verlags, zwanzig Jahre freier Autor des Deutschlandfunks; Produktion und Management wissenschaftlicher Ausstellungen, Forschung und Prozessorganisation zu erinnerungspolitischen Themen und Fragestellungen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2005

Aus überquellenden Herzen dringt es stammelnd hervor
Von Micky Maus und Helmut Kohl - anlässlich eines neuen Sammelbandes fragt man sich: Wozu nützt Max Webers Charisma-Begriff?
Auch Micky Maus könnte ein charismatischer Führer sein. In den achtziger Jahren hat ein amerikanischer Wahlkampfstratege es in der Zeit erklärt: Wenn er es darauf anlege, so wurde dieses Mannes Meinung über die mündigen amerikanischen Bürger zitiert, „dann wählen sie Micky Maus”. Vermutlich ohne es zu wissen, hatte er damit auf den entscheidenden Punkt von Max Webers Definition der charismatischen Herrschaft angespielt: Charismatiker ist man nicht, man wird dazu gemacht.
In seiner Typologie der Herrschaftsformen fragte Weber nicht nach den besonderen Fähigkeiten oder Zielen eines Staatslenkers, sondern danach, warum Untertanen, Bürger, Wähler einen Herrscher respektierten. Weber unterschied zwischen der „traditionalen” Herrschaft, klassischerweise vertreten durch das gesalbte König- oder Kaisertum, der „legalen” oder „rationalen” Herrschaft, die auf allgemein anerkannten Regeln und Gesetzen fußt, sowie der „charismatischen” Herrschaft, deren Legitimität darauf beruht, dass dem Herrscher vom Volk bestimmte Fähigkeiten zugebilligt werden - mag er sie nun tatsächlich haben oder nicht.
Gesellschaftstheoretikern kommt die Einteilung denn auch gut zupass, den Geschichtswissenschaftlern hingegen ist sie immer noch etwas fremd. Es liegt wohl in der Natur der Sache: Wer sich für „große Männer” interessiert, tut sich schwer damit, deren Absichten und Fähigkeiten hinter den hohen Zwecken und edlen Eigenschaften zurückstehen zu lassen, die ihnen vom Volk zugute gehalten wurden.
Das zeigt sich sogar in dem Sammelband über „charismatische Führer der deutschen Nation”, in dem neun deutsche Politiker daraufhin betrachtet werden, ob sie in Max Webers Sinn charismatische Herrscher waren. Das augenfälligste Beispiel dafür ist Ulrich Siegs Artikel über Wilhelm II., der nichts davon sagt, wie das Volk seinen Kaiser sah, und stattdessen konstatiert: „Wilhelm II. legte ein Verhalten an den Tag, das die ersehnte ,charismatische Wirkung‘ auf die Dauer zerstören musste.” Der Aufsatz handelt von Wilhelms Wunsch, imponierend zu wirken, nicht aber davon, was „von außen” an seine Person herangetragen wurde, wie Frank Möller in der Einführung Webers Charisma-Begriff umschreibt.
Vertrauen und Fanatismus
Ähnliches gilt für Werner Gries’ Beitrag, in dem Walter Ulbricht als einer geschildert wird, der „kein Vertrauen zu den Menschen” hatte und sich deshalb zum charismatischen Herrscher nicht eignete. Dass Väterchen Stalin Vertrauen zu seinem Volk gehabt hätte, wird man nicht sagen wollen, und doch wurde der stets humorvolle Massenmörder wie ein Halbgott verehrt. Charismatische Herrschaft, hat Max Weber auch gesagt, sei stets revolutionär. Das eben unterscheidet sie von der legalen Herrschaft; der charismatische Führer kann sich über Strukturen und Normen hinwegsetzen. Stalin tat das, der moskautreue Ulbricht versuchte es gar nicht erst.
Man kann es den Autoren dieses Buches nicht verdenken, wenn sie unter dem Wort Charisma auch, wie landläufig üblich, die besondere Ausstrahlung eines Politikers verstehen. Max Weber selbst ging es ähnlich, was Frank Möller dankenswerterweise erwähnt. Und auch Hans-Ulrich Wehler mag sich von dieser Sichtweise nicht lösen. Christian Jansens Bismarck-Aufsatz wendet sich indes nicht gegen Wehlers Charismabegriff, sondern gegen dessen Versuch, Bismarck als Vertreter der charismatischen Herrschaftsform zu sehen. Jansen führt viele Argumente an. Bismarck sei nicht in der Lage gewesen, „größere Versammlungen wirksam anzusprechen”, er hatte keine „leidenschaftlichen oder gar fanatischen Anhänger”. Nicht umsonst hätten seine Erfolge vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik gelegen. „Ein typischer Vertreter traditionaler Arkanpolitik” sei er gewesen. Der Bismarckkult habe denn auch erst in den späten 1880er Jahren, kurz vor seinem Sturz, um sich gegriffen - dies dann aber mit Schmackes: „Bismarck! - aus überquellenden Herzen / Dringt es stammelnd hervor . . .”, so ein zeitgenössisches Eulogium.
Die für dies Buch entscheidende Frage ist indes, ob demokratische Politiker im Hinblick auf Webers Charismabegriff zu betrachten sind. In einem demokratischen Staat wird Chef, wer beim Wähler ankommt. Die Selbstinszenierung für das Volk ist für demokratische Politiker de rigueur. Da keiner der aufgeführten Nachkriegskanzler - weder Adenauer noch Brandt noch Kohl - sich mit der FDGO anlegte, bleibt den Autoren, die sich mit diesen Männern befassen, nichts übrig, als deren Ausstrahlung zu untersuchen. Interessant ist also nur, ob die Selbstdarstellung die erhoffte Wirkung hatte; dafür braucht man Webers Charisma-Begriff freilich nicht. Wenn die Aufsätze von Edgar Wolfrum (über Adenauer), Wolther von Kiesritzky (über Brandt) und Dieter Hein (über Kohl) - wie die meisten Artikel dieses Bandes - trotzdem lesenswerte Herrscherporträts sind, so liegt es nicht an Max Weber.
Hitler war nicht Don Giovanni
Amüsant - auch im Hinblick auf den Charisma-Begriff - ist Dieter Heins Bemerkung, dass Helmut Kohl trotz seiner Unbeliebtheit gewählt wurde, die Rede war in den achtziger Jahren vom „Kanzlermalus”. Auch das hat mit Weber nichts zu tun, was Hein bewusst gewesen sein wird. Denn er erinnert an das revolutionäre Moment der charismatischen Herrschaft. Rainer Lepsius, schreibt er, habe davor gewarnt, sich nur damit zu beschäftigen, ob eine „soziale Beziehung charismatisch ist oder nicht”. Ergiebiger sei „die Frage nach dem Grad und der Richtung ihrer Charismatisierung”. Die mag laufen, wohin sie will. Am Ende wird sie an der Wand enden, auf der zu lesen ist: Dafür braucht man in der entzauberten Gegenwart der heutigen Demokratie Max Weber nicht mehr.
Aufs Ganze der - immerdar unerreichbar fernen - Weltgeschichte gesehen, ist seine Typologie immer noch hilfreich. Deshalb liest man gern, was Andreas Schulz über die deutsche Napoleon-Verehrung zu Beginn des 19. Jahrhunderts schreibt. Und Frank Möllers Versuch, Heinrich von Gagern als charismatischen Politiker darzustellen, ist schon deshalb interessant, weil Hans-Ulrich Wehler und andere uns gelehrt haben, dass 1848/49 mit den halbherzigen deutschen Liberalen wenig anzufangen war.
Wer den Deutschen in den fünfziger Jahren mittels Webers mitgeteilt hätte, dass sie als durchaus begeisterte Gefolgschaft Hitler zu dem gemacht hatten, was er war, der hätte den Charisma-Begriff sinnvoll verwendet. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass Hitler kein Don Giovanni war, der das erfahrungslose, unschuldige Volk verführt hätte. Nicht zufällig schreibt Dirk van Laak: „Charisma entsteht durch eine Rückkopplung zwischen einem lernbereiten ,Charismatiker‘, als welcher Hitler sich nur zu genau erwies, und einer Anhängerschaft, die aufgrund ihres krisengesättigten Bewusstseins in hohem Maße projektions- und gefolgsbereit ist.” Auf den Begriff der Krise kommt es hier an: Wo die Deutschen sich in ungewisser Bedrängnis wähnen, rufen sie gern nach dem starken Mann. Heutzutage tut es zu Hitlers Darstellung nichts mehr dazu, ihn einen charismatischen Herrscher zu nennen. Dieser Teil von Webers Herrschaftssoziologie ist so sehr Allgemeingut geworden, dass die Lehre nicht selten Tautologien im soziologischen Gewand hervorbringt, dies zumal dann, wenn sie auf die deutsche Zeitgeschichte angewandt wird.
FRANZISKA AUGSTEIN
FRANK MÖLLER (Hrsg.): Charismatische Führer der deutschen Nation. Oldenbourg, München 2004. 281 S., 39,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So richtig, stellt Franziska Augstein fest, hilft er den Historikern nicht (mehr) weiter: Max Webers Charisma-Begriff, welcher besagt, dass man Charismatiker nicht einfach so kraft seiner Eigenschaften und Begabungen ist, sondern dazu gemacht wird von den Untertanen. Das jedenfalls ist ihr Fazit nach der Lektüre der hier versammelten Texte, in denen Webers Definition auf neun deutsche Politiker - von Heinrich von Gagern über Bismarck bis hin zu Helmut Kohl - gemünzt wird. Oder besser: gemünzt werden soll. Denn es stellt sich, so Augstein, heraus, dass die meisten Beiträge zwar sehr lesenswert sind, aber vor allem von den Politikern und ihren Eigenschaften und Bemühungen handeln, weniger aber von der Ursachen und Wirkungen dessen, was an sie vom Volk herangetragen wurde. Und was die politische Führerschaft in der demokratischen Gegenwart betrifft: Da greift der Webersche Begriff einfach nicht mehr - die Wähler entscheiden sich für den, der sich am besten inszeniert, wirken also selber am Bild des Politikers denkbar wenig mit. Also: Wenn's um die fernere Geschichte geht, ist die Typologie nützlich, ebenso beim Blick auf die historischen Krisen Deutschland, in denen typischerweise der Ruf nach dem "starken Mann" laut wurde. Ansonsten wird sie kaum mehr gebraucht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Insgesamt erweist sich dieser Sammelband als rundum gelungen. Die Auswahl der einzelnen Aufsätze ist wohl begründet und doch überraschend genug, um neugierig zu machen. Die theoretischen Grundlagen zie-hen sich wie ein Gerüst durch den gesamten Band, ohne dass die Texte jemals theorieüberfrachtet wirken. Die Beiträge sind präzise formuliert und quellennah. Sie halten sich eng an die vorgegebenen Leitfragen und ermöglichen damit dem Leser Gewinn bringende Vergleiche. Es bleibt also zu hoffen, dass dieser Band möglichst viele Leser findet." Marcus A. König in: sehepunkte Nr. 4/2005 "Ein Historiker-Buch über charismatische Führerschaft: Vermutlich wären diese anhand der jüngeren deutschen Geschichte analysierten Phänomene auf die atuelle Politik - in Deutschland, den USA, Russland und anderswo - leicht übertragbar. Aber das überlässt Frank Möller gern dem Leser dieses überaus instruktiven Buchs." Wolfgang Hirsch in: Thüringische Landeszeitung, 10.01.2005