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Winter 1939. Ziska ist zehn Jahre alt, als sie mit dem Kindertransport ihre Heimatstadt Berlin verlässt. In London findet sie ein neues Zuhaue bei einer jüdisch-orthodoxen Familie. Auf Ziska warten eine fremde Familie, eine fremde Sprache, Heimweh, Ungewissheit und bald ein mörderischer Krieg aber auch das Abenteuer ihres Lebens.

Produktbeschreibung
Winter 1939. Ziska ist zehn Jahre alt, als sie mit dem Kindertransport ihre Heimatstadt Berlin verlässt. In London findet sie ein neues Zuhaue bei einer jüdisch-orthodoxen Familie. Auf Ziska warten eine fremde Familie, eine fremde Sprache, Heimweh, Ungewissheit und bald ein mörderischer Krieg aber auch das Abenteuer ihres Lebens.
Autorenporträt
Anne C. Voorhoeve, geb. am 19. Dezember 1963, schrieb ihre erste Geschichte mit sechs Jahren. Sie studierte nach der Schule Politikwissenschaft, Amerikanistik und Alte Geschichte in Mainz und arbeitete unter anderem als Assistentin an der University of Maryland, als Verlagslektorin, Drehbuchautorin und in der Öffentlichkeitsarbeit eines evangelischen Klosters. Anne C. Voorhoeve lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2007

Kindertransport
Eine junge deutsche Jüdin überlebt in England
Mit einem kühnen Satz springt ein Mädchen aus dem dritten Stock in eine Birke. Überlebenstraining nennen Ziska und ihre Freundin Rebekka ihre Mutproben und Versteckspiele, die – so viel Spaß sie machen – einen ernsten Hintergrund haben. Die Mädchen sind Jüdinnen im Berlin der dreißiger Jahre und müssen damit rechnen, von Hitlerjungen verfolgt und, wenn sie geschnappt werden, verprügelt zu werden.
Der Sprung in die Birke wird Ziska später tatsächlich einmal retten, als ein Nazitrupp in die Wohnung ihrer Eltern eindringt und ihren Vater zusammenschlägt. Letztlich aber hätten ihre kindlichen Überlebensstrategien ihr wohl wenig genutzt, da macht Anne C. Voorhoeve, die mit Lilly unter den Linden bekannt wurde, dem Leser nichts vor. Ziska entkommt den Nazis mit einem der Kindertransporte, die 1938 und 1939 jüdische Jungen und Mädchen nach England brachten. Aus Ziska, die eigentlich Franziska heißt, wird Frances – ein halber Name für ihre deutsche, ein halber Name für ihre englische Existenz. Das protestantisch erzogene jüdische Mädchen kommt zudem in eine orthodox-jüdische Familie. Ein Identitätsbruch, der traumatisch sein könnte – im Kinderbuch jedoch gemildert wird durch eine nahezu ideale Ersatzfamilie.
Liverpool Street ist eine Geschichte vom Überleben in schwierigen Zeiten. Wer die erschütternden Biographien der Menschen kennt, die mit den Kindertransporten den Nazis entkamen, weiß, wie diese Kinder darunter litten, von ihren Familien weggeschickt worden zu sein, wie schwer eine spätere Rückkehr in ihre Familien, sofern diese überlebt hatten. Dass sich solche historischen Katastrophen auch für Kinder erzählen lassen, hat Annika Thor mit ihrem Buch Eine Insel im Meer gezeigt. Anne C. Voorhoeves Roman ist literarisch schwächer, schafft es jedoch, über 500 Seiten hinweg zu fesseln mit einer Geschichte, die mit historischen Fakten und Details zum jüdischen Leben gespickt ist.
Von der Verfolgung der Juden durch die Nazis in Deutschland wird erzählt, vom Exil, von den Bombenangriffen auf London, schließlich sogar vom Schicksal der in Deutschland verbliebenen Juden. Dass das Buch nicht an der Schwärze der Ereignisse erstickt, ist der lebendigen Schilderung des Kinderalltags zu verdanken, hinter dem die historischen Schrecken schon mal zurücktreten. Und seiner Hauptfigur, deren Temperament immer wieder amüsante Situationen provoziert. Als Erzählerin ihrer Geschichte überzeugt Ziska/Frances durch Witz und Selbstironie, auch wenn manche Einsichten wenig kindlich klingen.
Viel Raum nimmt die Schilderung orthodox-jüdischen Lebens ein, das auch für Frances neu und geheimnisvoll ist. Hier wird das Buch etwas unangenehm missionarisch, wenn es Traditionen feiert und die Notwendigkeit predigt, die Erinnerung an sie zu bewahren. Jüdische Wurzeln, das sind am Ende jedoch vor allem Namen: Eine Freundin wie Rebekka würde Frances niemals mehr haben. (ab 12 Jahre) MARTINA KNOBEN
Anne C. Voorhoeve
Liverpool Street
Ravensburger Buchverlag 2007.
480 Seiten, 16,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2007

Es ist auch mein Krieg
Sicherheit gibt es nicht: Ein jüdisches Mädchen überlebt in England

Die beiden Freundinnen Bekka und Ziska trainieren das Überleben in Berlin-Neukölln. Sie kundschaften Verstecke aus; notfalls werden sie aus dem Fenster des dritten Stockwerks in einen Baum springen. Im Sommer 1938 sind jüdische Kinder auch in deutschen gutbürgerlichen Stadtvierteln nicht mehr sicher vor prügelnden Pimpfen und denunzierenden Nachbarn. Sie sind Freiwild. In ihre nahe Schule dürfen sie schon längst nicht mehr gehen, auch nicht in Grünanlagen, die für Juden und Hunde verboten sind. Als Bekannte spurlos verschwinden, als die große Wohnung beschlagnahmt wird, als Ziskas Vater seine Anwaltskanzlei schließen muss und kurz darauf verhaftet und zusammengeschlagen wird, ist die Hoffnung, dass die Ausschreitungen nur vorübergehender Natur sind, verloren, doch nun ist es zu spät. Der Familie Mangold gelingt es nicht mehr auszureisen. Nur Ziska erhält kurz vor Kriegsausbruch noch einen Platz auf einem Schiff, das von Holland aus jüdische Kinder nach England bringt. Ihre Freundin bleibt zurück.

Liverpool Street ist der Londoner Bahnhof, in dessen Schalterhalle die Kinder darauf warten, von ihren Pflegeeltern oder Verwandten abgeholt zu werden. Das Schicksal dieser geretteten Kinder ist schon oft beschrieben worden. Anne C. Voorhoeve, die mit ihrem Jugendroman "Lilly unter den Linden" bekannt wurde, stützt sich auf verschiedene authentische Berichte. Mit Ziska hat sie ein ungewöhnlich starkes Mädchen erfunden, das auch unter kaum erträglichen Belastungen nicht zusammenbricht. Die Zwölfjährige leidet nicht nur unter der Trennung von ihrer Familie und der großen Sorge um deren Sicherheit, es bedrückt sie auch, dass sie ihrer Freundin, ohne es zu wollen, die Schiffspassage fortgenommen hat.

Anfangs fällt es ihr sehr schwer, sich in England bei ihren orthodoxen Pflegeeltern zurechtfinden. Wäre da nicht der Sohn Gary, der ihr beim Einleben hilft und sie als seine kleine Schwester akzeptiert, sie käme mit ihrer Doppelexistenz gar nicht zurecht. Sie lebt tatsächlich zweigleisig: Ziska, so hieß sie in Berlin - jetzt nennen die Shephards sie Frances. Dass sie sich bei ihren englischen Pflegeeltern an die komplizierten geheimnisvollen jüdischen Riten gewöhnen muss, von denen sie als protestantisch Getaufte keine Ahnung hatte, ist bald kein Problem mehr für sie.

Anne C. Voorhoeve beschreibt die jüdische Gemeinde in der Londoner Diaspora mit deutlich missionarischen Untertönen. Sie hat auch im Anhang ein kleines Wörterbuch mit den wichtigsten religiösen Begriffen untergebracht. Die Shephards sind in dieser idealen Gemeinschaft fest verankert, sie übernehmen, je länger der Krieg dauert, immer mehr soziale Dienste und beziehen Frances mit ein. Doch bald wird das Mädchen wegen der Bombenangriffe auf London mit ihrer Klasse aufs Land verschickt. Zum ersten Mal erlebt Frances in England offene Feindseligkeit, sie wird als Nazi beschimpft und möchte nichts mehr, als nach London zurückzukehren zu den Menschen, die sie liebt. Sicherheit gibt es in diesen Zeiten sowieso nicht, erklärt sie den Pflegeeltern. Als im Sommer 1942 die Nachricht eintrifft, dass der Sohn Gary vor den Azoren mit der HMS Princess of Malta untergegangen ist, schließt sich Frances noch inniger an die Shephards an. Sie wird ihre Tochter und überschreitet sogar, ohne zu zögern, die Glaubensschwelle.

Bomben und Minen auf London, die historischen Städte Coventry, Canterbury und Exeter in Trümmern, Lebensmittelknappheit und die Angst vor neuen Luftangriffen - Frances hat kaum Zeit, daran zu denken, was jenseits des Kanals geschieht. Vom Tod ihres Vaters hat sie noch erfahren, doch ob ihre Mutter im holländischen Versteck unentdeckt blieb, weiß sie nicht. Erste Gerüchte über Massenmorde und Vernichtungslager erfährt sie durch den Freund vom Kindertransport, Walter Glücklich, der jetzt bei Tunis gegen Rommels Afrikakorps kämpft. Churchills Stimme im Radio: "Unser Krieg gegen eine ungeheuerliche Tyrannei", es ist auch ihr Krieg. Das Ende ersehnen alle.

Die fast fünfhundert Seiten dieses Jugendbuchs sind reichlich beladen mit Fakten aus dieser Schreckenszeit. Doch da Anne C. Voorhoeve ihre temperamentvolle Frances erzählen lässt, gibt es dazwischen viele lebendige Dialoge, auch humorvolle oder abenteuerliche Szenen. Die Spannung lässt über weite Strecken kaum nach. Es ist auch immer wieder die Spontaneität des jungen Mädchens, das sich zum ersten Mal verliebt oder als Deutsche in Gewissensnöte gerät, die von den Katastrophen der Weltgeschichte ablenkt.

Als die Friedensglocken läuten, hat sich für Ziska oder Frances viel verändert. Sie ist fast erwachsen geworden, bekennt sich jetzt zum Judentum und zu den Shephards. Auch nach dem Wiedersehen mit der Mutter, die im Lager überlebt hat, wird sie in England bleiben. Sie wird Walter Glücklich heiraten, der sie versteht, weil er wie sie geliebte Menschen verlor, aus Lebenszusammenhängen herausgerissen wurde und hier neue gefunden hat.

Der Roman "Liverpool Street" beruht auf historischen Ereignissen, versichert die Autorin. Aber sie hat sie zusammengetragen und zu einem dramatischen Epos verdichtet, das niemanden unberührt lässt.

MARIA FRISÉ

Anne C. Voorhoeve: "Liverpool Street". Roman. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2007. 480 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 14 J.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein umfangreiches Buch, eine nicht zum ersten Mal erzählte, alles andere als leichtgewichtige Geschichte: und doch bewegend und spannend, urteilt die Rezensentin Maria Frise. Die Heldin des historischen Romans ist das Mädchen Ziska, das als getaufte Jüdin in Neukölln aufwächst und mit knapper Not den Nazis noch in Richtung England entkommt. Dort wird sie, von einer jüdischen Familie aufgenommen, zu deren Glauben sie schließlich auch konvertiert. Anne Voorhoeve erzählt das, so Frise, detailreich und auch "mit missionarischen Untertönen". Sehr gestört hat sich die Rezensentin an beidem offenbar nicht, denn die Dialoge haben Schwung, es fehlt weder an Abenteuern noch an komischen Momenten. Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten - wie Voorhoeve daraus aber ein "dramatisches Epos" gemacht hat, das nötigt Frise doch Bewunderung ab.

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