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An das Spiel mit zwei Identitäten hat Ted Mundy sich nie gewöhnen können. Jetzt führt er endlich ein ruhiges Leben in Deutschland. Bis Ssasha, ein alter Weggefährte, vor seiner Tür steht - und ihn in die Untiefen der gegenwärtigen Zeitläufe lockt. Das brillante Portrait einer ungewöhnlichen Freundschaft vor dem Hintergrund der weltpolitischen Emotionen.
Wieviel Politik ist heute noch möglich? Und wo verlaufen die neuen Frontlinien nach dem Ende des Kalten Krieges? Ted Mundy, Brite und Kenner der deutschen Literatur, ahnt, dass er in Schwierigkeiten steckt, als im Frühjahr 2003 Sasha vor ihm
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Produktbeschreibung
An das Spiel mit zwei Identitäten hat Ted Mundy sich nie gewöhnen können. Jetzt führt er endlich ein ruhiges Leben in Deutschland. Bis Ssasha, ein alter Weggefährte, vor seiner Tür steht - und ihn in die Untiefen der gegenwärtigen Zeitläufe lockt. Das brillante Portrait einer ungewöhnlichen Freundschaft vor dem Hintergrund der weltpolitischen Emotionen.

Wieviel Politik ist heute noch möglich? Und wo verlaufen die neuen Frontlinien nach dem Ende des Kalten Krieges? Ted Mundy, Brite und Kenner der deutschen Literatur, ahnt, dass er in Schwierigkeiten steckt, als im Frühjahr 2003 Sasha vor ihm steht. Kennengelernt hatten der schüchterne Engländer und der politische Charismatiker sich auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung in Berlin - nur um sich nach den Tagen der Ernüchterung jenseits des Eisernen Vorhangs wiederzufinden: Sasha als vom Dogmatismus der DDR enttäuschter politischer Idealist, Ted als Reisender in Sachen britischer Kultur, der durch ihre Freundschaft unversehens zum hochkarätigen Mitglied des Britischen Geheimdienstes wird. Erst der Fall der Mauer bringt die so ungleichen Männer auseinander. Bis Sasha Jahre später angesichts des Irakkriegs an Teds politisches Gewissen appelliert - und ihn mit einem rätselhaften und von großen Visionen beseelten Milliardär namens Dimitri zusammenbringt. Doch diesmal steht mehr auf dem Spiel als nur ihre Freundschaft. Denn die Welt hat sich grundlegend verändert und mit ihr das, was bislang als Wahrheit galt...

Autorenporträt
John le Carré, geboren 1931 in Poole, Dorset, studierte in Bern und Oxford Germanistik, bevor er in diplomatischen Diensten u. a. in Bonn und Hamburg tätig war. Er lebt mit seiner Frau in Cornwall und London. 2011 wurde John le Carré mit der "Goethe-Medaille" für sein "eindrucksvolles humanistisches Plädoyer" in seinem Lebenswerk ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2004

Mata Hari feixt
Böse CIA: John le Carrés neuer Roman feiert das alte Europa

Es ist gut zwei Jahre her, daß die Konjunktur einer politisch-psychologischen These an Fahrt gewann: Kein Feuilleton, das damals nicht mehrere Artikel in Folge gebracht hätte, die den Deutschen, später auch den Franzosen wahlweise Antiamerikanismus oder Antisemitismus vorwarfen. Manchmal kam die Kritik im Doppelpack, dann sollte das "alte Europa" von beiden Ressentiments zugleich befallen und zudem noch ein Kontinent feiger Drückeberger sein. Und wer als besonders tiefschürfender Kulturdiagnostiker gelten wollte, senkte sein Lot zu den hitlerhörigen Großvätern, den rebellischen Achtundsechzigern und ihren Kindern von "Attac" - ein großer Mischmasch, in dem man trefflich über den ewigen Nationalcharakter der Deutschen spekulieren konnte. So richtig ernst genommen wurden diese Artikel wohl nicht; meist sah man nur zu deutlich, daß sie von interessierter Seite kamen. Und vor allem: So grundlegend konnte sich die deutsche Mentalität seit der überwältigenden Sympathiebekundung für die am 11. September 2001 getroffenen Amerikaner doch wohl nicht gewandelt haben.

Das neue Buch von John le Carré sieht diese Kampagne vor dem Hintergrund des geplanten Irak-Krieges. Geschrieben wurde "Absolute Freunde" mit Blick auf die schärfste Aktualität; am Ende ist der Krieg der Vereinigten Staaten, der Briten und ihrer Alliierten siegreich beendet - und alles, was wir auch in diesem Buch an Vorhaltungen gegen die Kontinentaleuropäer hören, entpuppt sich als ein psychologisch-politisches Instrument, um die unwilligen Länder weichzuklopfen, als Strategie der diskursiven Daumenschraube. Es ist ein zorniges Buch, das le Carré geschrieben hat, und es ist, indem es die große Propagandakampagne gegen das "französisch-deutsche Herumgenörgel am Vorgehen der Amerikaner" aufrollt, ein Meisterwerk. Sein großes Thema ist die Frage: Wie kann man Biographien so verfälschen, daß sie dem Bild entsprechen, das man für die Presse braucht?

Die beiden Freunde, deren Geschichte le Carré erzählt, Ted Mundy, der Brite, und Sascha, der Deutsche, kennen sich aus der Berliner Studentenbewegung der späten sechziger Jahre. Es ist die Zeit der wirren ideologischen Träume. Aber Ted und Sascha sind Freunde in einem unerklärbaren, anderen Sinn: Sie sind einander treu, über alle geschichtlichen Brüche hinweg. Nicht daß sie in jedem Moment sympathisch gezeichnet würden. Der humpelnde Sascha ist doch ein Völker-Befreiungsschwadroneur von Graden, wie es sie damals eben gab. Und Ted schwimmt mehr mit, als daß er selbst irgendwie zu Entscheidungen käme - mit der einen, großen Ausnahme: Er schützt den Freund vor dem Zugriff der West-Berliner Polizei und nimmt dafür die eigene Festnahme und anschließende Ausweisung aus der Bundesrepublik in Kauf.

Dieser Held verfügt ansonsten über keine große Begabung; mehr schlecht als recht schlägt er sich durch, wird zum mittelmäßigen Schriftsteller, zum mittelmäßigen Ehemann und zum gerade noch erträglichen Vater. Ein Riß geht durch seine Geschichte: In Pakistan wurde er geboren, wo sein Vater bei der Armee diente; von der Mutter wollte es die Familienlegende, daß sie dem Adel entstammte, bis sich herausstellt, daß sie in Wahrheit eine irische Haushaltshilfe war. Und nun geben wir es zu, daß man sich durch Ted Mundys Vorgeschichte hindurchfressen muß wie im Märchen durch den Hirsebrei. Das ist mal unterhaltsam, mal spürt man die Längen empfindlich. Nun weiß man, daß bei le Carré auch bisher schon die ersten hundert Seiten gleichsam als die Pflicht gelesen werden mußten, wenn man die Kür erleben wollte. Diesmal sind es die ersten 278 Seiten.

Aber merkwürdig: Wenn man als Leser am Ende des Buches angelangt ist, weiß man, daß Meisterwerke sich nicht daran erweisen, daß jede Einzelheit glatt und gekonnt geschrieben ist. "Absolute Freunde" ist ein geradezu abenteuerlich ungleichmäßiges Buch. Es hat Passagen an der Untergrenze der Glaubwürdigkeit und ist doch ein großer Wurf. Man kann darauf die Gegenprobe machen: Autoren wie der gegenwärtig sehr beliebte, aber überschätzte Lee Child oder Tom Clancy würden sich sehr davor hüten, dem Leser solche Geduldsproben abzuverlangen wie John le Carré - aber dafür ist auch der ganze Plot ihrer Geschichten so sehr dem republikanischen Konsens und den außenpolitischen Zielen der Vereinigten Staaten verpflichtet, daß an der guten Machart ihrer Romane keine rechte Freude aufkommt. Bei le Carré nimmt man erzählerische Durststrecken in Kauf, weil man eine andere Intelligenz am Werk sieht.

Dieser Schriftsteller kann seit seinem Durchbruch mit "Der Spion, der aus der Kälte kam" (1963) nicht verleugnen, daß er von Deutschland fasziniert ist. Er hat Germanistik studiert, er ist sensibel für jedes Echo aus der Dichtung und der Geschichte, das irgendwo erklingt. Als wir Ted Mundy zu Beginn als Fremdenführer in Süddeutschland sehen - gerade war ein neuer Karriereplan mit einer Sprachschule in Heidelberg wieder einmal gescheitert -, erfahren wir, daß ganz in der Nähe Neville Chamberlain 1938 das Münchner Abkommen unterzeichnete, was Ted zum Anlaß für eine gequält-humoristische Einlage über Regenschirme nimmt: Denn der Regenschirm Chamberlains wurde zum Emblem der illusionären Friedenshoffnungen, ein Bild von Salvador Dalí hat diesen Regenschirm sogar surreal-rätselhaft als Mitte der Geschichte dargestellt.

Mundy also, dem wir als Mittfünfziger begegnen, lebt in Deutschland. Nach seiner gescheiterten Ehe hat er in München mit der Türkin Zara eine Liaison begonnen. Und hier ist es, daß wir ihn erneut als einen Menschen kennenlernen, an dem mehr dran ist, als sein suboptimaler Karriereverlauf erkennen läßt: In den merkwürdigsten Situationen erweist es sich, daß er verantwortlich handelt. Sicher: Er ist in manchem zu weich, zu wenig zielbewußt, und er folgt den Angeboten, die sich gerade ergeben. Aber für Zara, die nachts in einem türkischen Restaurant bedient, übernimmt er es, sich um die regelmäßigen Morgengebete ihres Sohnes Mustafa zu kümmern. Mag sein, daß die Erinnerungen an seine Kindheit in Pakistan ihm ein unkompliziertes Verhältnis zum Islam ermöglichen. Irgendwann kommt der Moment, wo man ihn in der Presse als Ex-Anarchisten und fanatischen Islamismus-Sympathisanten präsentiert. Daß er als Junge bei einem Emigranten aus Deutschland die Schönheiten der Sprache kennenlernte, wird nun als "ungesunde Vorliebe für alles Deutsche" umgedeutet: "Es gab da diesen alten Knacker, der Cello und Deutsch unterrichtet hat. Hat sich Mallory genannt. Ein paar von den Jungens waren sich ziemlich sicher, daß er ein untergetauchter Nazi war. Ted klebte an ihm wie eine Klette. Ständig lag er uns mit deutschen Gedichten in den Ohren, bis wir ihm das Maul gestopft haben."

Aber zwischen der Berliner Studentenrevolte und der Vorbereitung des Irakkrieges liegt ein zweites Leben. Ted kommt in den achtziger Jahren mit Ach und Krach beim British Council unter, jener Einrichtung, die die britische Kultur im Ausland repäsentiert. In der DDR trifft er auf Sascha. Nun ergibt sich eine Art Zwischenplot, eine sehr heitere, klassische Spionagestory mit Agentenschulung und Doppelspielen. Ted macht sich um das Vaterland verdient. Und wieder verliert er Sascha für Jahre aus den Augen.

Eines Tages taucht der ewig enttäuschte Revoluzzer wieder auf. Er hat eine neue Heilslehre gefunden, ein zwielichtiger Antiglobalisierungs-Guru mit offenbar unbegrenzten Finanzmitteln hat es ihm angetan. Konspirative Treffen folgen, Ted läßt sich auf die Sache ein, wieder zeigt sich die Stärke der Freundschaft, wieder kommt es zu einem Doppelspiel - diesmal mit der CIA, die schon im Kalten Krieg Interesse an Ted bekundet hatte. Übrigens scheint es, daß man im Lektorat des Verlages von der Geschichte der Spionage nicht mehr viel weiß: "Du feixt mich an wie Matahari", heißt es einmal in der ansonsten passablen Übersetzung - als ginge es um einen indischen Mahatma und nicht, wie im englischen Original des Romans, um die deutsche Agentin Mata Hari.

Sehr langsam wird deutlicher, wie der Theaterdirektor heißt, der in diesem Stück die Anweisungen gibt. Man kann über den Verlauf des Romans nicht mehr verraten, ohne dem Leser die Spannung zu nehmen, die sich erst in der letzten, irrwitzigen, bitter-grotesken Pointe des Buchs wirklich löst. Nur so viel sei gesagt: Dieser Roman ist eine furiose, oft überaus witzige Abrechung mit der Kriegspartei des vergangenen Jahres, ein Lehrstück über die Techniken der Desinformation bis zur Fälschung. Und der Leser bemerkt, wie schnell ein Lebenslauf, der eben noch ein wenig schräg und umwegig, aber liebenswürdig genug anmutete, durch leichte Retuschen in sein Gegenteil manipuliert werden kann. Der Meister der höheren Spionagegeschichte hat eine grandiose Rechtfertigung des alten Europas geschrieben, seines Takts, seiner Menschen, ihrer Verwirrungen und Loyalitäten, ihrer Schwächen und ihrer Stärken.

John le Carré: "Absolute Freunde". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Roth. List Verlag, München 2004. 427 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2004

Zapfenstreich für den Kalten Krieg
Ein Roman von John Le Carré sagt mehr als tausend Leitartikel: „Absolute Freunde”
Die Historiker werden später noch darüber streiten, welches Datum die tiefergehende Epochenscheide bezeichnet: der 9. November 1989 oder der 11. September 2001. Vielleicht wird einer der künftigen Forscher sogar den Roman entdecken, der dieses Problem auf subtile, am Ende sympathisch ratlose Weise verhandelt: John Le Carrés Meisterwerk „Absolute Freunde”. Der Roman, 2003 in der Zeit des anhebenden Irak-Krieges in England erschienen, zählt zu jenen Agententhrillern, an deren langer Folge seit Eric Amblers Faschismus-Romanen der dreißiger Jahre sich dereinst die Geschichte der internationalen Politik im 20. Jahrhundert wird ablesen lassen.
Le Carrés eigene Bücher, angefangen mit dem „Spion, der aus der Kälte kam” (1963), haben dieses bedeutende Genre wegweisend bereichert: Der Reichtum an kultureller Lokalfarbe, präziser Information, brillanter Personenschilderung (um vom Offensichtlichsten, dem fast immer brisant spannenden Plot) zu schweigen, macht sie zu einem schier unerschöpflichen Reservoir zeitgeschichtlicher Einsicht. Amblers Methode, den oft ahnungslosen Helden zwischen die mühlsteinschweren Gewichte einer hochriskanten Weltpolitik zu legen und den Abgrund, an dem wir unter modernen technischen Bedingungen immer leben, in schier grenzenlose Angst zu übersetzen - diese Fähigkeit hat Le Carré noch verfeinert und womöglich gesteigert. Denn als mitfühlender Menschendarsteller ist er Ambler unverkennbar überlegen: Für seine Helden zittern wir fast noch mehr als für die des kühleren Vorgängers.
„Absolute Freunde” ist ein Werk des Rückblicks und des Ausblicks. Es erzählt die Geschichte zweier Agenten, des Briten Ted Mundy (für den Westen) und des Deutschen Sascha (für den Osten, aber als Doppelagent auch für den Westen). Die Zeit ihrer Zusammenarbeit reicht von den siebziger Jahren bis zum Untergang der Sowjetunion, um dann im Zeichen des Terrors noch einmal kurz aufzuleben. Ted, ein schlaksiger verträumter Brite mit germanophilen Neigungen, die er bei einem jüdischen Emigranten erwerben konnte, lernt Sascha im linksradikal bewegten West-Berlin der Zeit um 1968 kennen. Sie teilen bald Wohnung, Mahlzeiten und Freundinnen in einer Welt, in der nicht nur die Körper Gemeineigentum sind. Man demonstriert für den Frieden, und Ted wird bald abgeschoben. Die beiden Freunde verlieren sich aus den Augen.
Meisterhaft ist nun, wie der Erzähler die beiden Hauptfiguren zu Exponenten ihrer unterschiedlichen historischen Herkunftswelten ausgestaltet: Ted, Sohn eines verkrachten britischen Kolonialoffiziers, in Pakistan aufgewachsen, entwurzelt zurück nach England, dort Universität, dann, nach dem Berliner Zwischenspiel, Heirat mit einer Labour-Politikerin, kleinbürgerliche Karriere im britischen Kulturaustausch. Sascha: Sohn eines deutschen Pfarrers, der erst glühender Nazi war, sich dann in sowjetischer Gefangenschaft zum glühenden Kommunisten wandelte, um, aus der DDR geflohen, im Westen wieder Neo-Nazi zu werden. Sascha also ist komplex- und schuldbeladen wie nur je ein sensibler Deutscher in der Generation nach den Tätern. Während Ted seine gemütliche Kleinbürgerkarriere einschlägt, geht Sascha gläubig in den Osten, um in der DDR dem besseren Deutschland zu dienen.
Als Ted mit einer britischen Theatergruppe durch den Ostblock tourt, begegnet er Sascha wieder. Nun beginnt der thrillerhaft spannende Teil des Romans, die professionell detailgenau ausgestaltete Agentenbeziehung der beiden. Aus einer Freundschaft wird ein weltpolitisch belastetes Zwangsverhältnis mit dämonischen Zügen. Am Ende taucht Sascha wieder auf - erneut als Sendbote gefährlicher Hintermächte, deren Sitz, wer weiß, in Saudi-Arabien oder doch nur in einem westlichen Geheimdienst liegt? Die tiefe Zweideutigkeit dieser Schlussvolte zerstäubt in Millionen Einzelteile durch die kraftvolle Bombenexplosion, die das Buch rumsend abschließt - Ouvertüre einer neuen Epoche von Kriegen.
Der Roman bietet ein Resümee des Kalten Krieges, seiner Angststarre, der geheimen Kanäle darunter, der endlos zähen Grenzabfertigungen, aber eben auch einer Geordnetheit, die mancher inzwischen schmerzlich vermissen mag. Fern, wie am Horizont, geht noch mit edlem Zapfenstreich das britische Empire unter. Und nun die Zukunft, durch Teds aus Pakistan mitgebrachte muslimische Neigungen mit dieser Vorvergangenheit verknüpft: Terror und Lüge, die Grunderfahrungen der neuen Epoche seit 11/9. Offenbar hat John Le Carré, der Geheimdienstkenner, von Anfang an auf die Expertisen vor dem Irak-Krieg keinen Pfifferling gegeben - sein Buch bedeutet auch eine kühle Kritik des Kriegskurses von Tony Blair. Der ostentative erzählerische Schulterschluss mit dem tragischen Deutschland, die Liebeserklärung ans Alte Europa, die jede dieser Seiten trägt, sagt mehr als tausend Leitartikel.
Wie immer die tagespolitischen und die welthistorischen Perspektiven, die der Roman „Absolute Freunde” aufreißt, dereinst beurteilt werden, schon heute zeigt er wie in einer Gegenprobe das schwerste professionelle Manko der aktuellen amerikanischen Politik: ihren Mangel an kultureller Einfühlung, an Ortskenntnis. Denn was Le Carré auf diesem Gebiet auffährt, wäre ja selbst beim raffiniertesten amerikanischen Romancier heute unvorstellbar, geschweige bei Geheimdienstleuten oder Journalisten.
Der derzeitige Deutschlandkorrespondent der New York Times kann kein Deutsch - Le Carré kann mit Kennerschaft über Eduard Mörike perorieren. Man lese oder höre dieses Buch (in der sympathisch ohrensesselhaften Gestaltung durch Achim Höppner) und erinnere sich daran, dass es einst imperiale Kulturen gab, die nicht von Provinzialismus behindert waren.
GUSTAV SEIBT
JOHN LE CARRÉ: Absolute Freunde. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth. List Verlag, München 2004. 427 Seiten, 22 Euro.
Achim Höppner liest John Le Carrés „Absolute Freunde”. Ullstein Hörverlag. 6 CDs, 448 Minuten, 22,40 Euro.
Die schöne Zeit der Blockkonfrontation: Szene mit Richard Burton aus „Der Spion, der aus der Kälte kam”
Foto: Cinetext Bildarchiv
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Als großen Wurf und Meisterwerk feiert Rezensent Lorenz Jäger John Le Carres "zornigen" Roman, den er mit "Blick auf schärfste Aktualität" als "grandiose Rechtfertigung des alten Europa" geschrieben findet. Zwar dauert es Jäger zufolge 278 Seiten, bis man als Leser von der Pflicht zur Kür gelangt. Doch es lohnt sich, wie man den begeisterten Ausführungen des Rezensenten aus jeder Zeile entnehmen kann. Am Ende des Buches hat er gelernt, dass Meisterwerke sich nicht daran erweisen, dass jede Einzelheit glatt und gekonnt geschrieben ist, hat er selbst erzählerische Durststrecken gern in Kauf genommen, weil er dahinter eine "andere Intelligenz" am Werke sah. Im Zentrum steht, wie wir lesen, die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem Deutschen und einem Briten, die sich aus der Berliner Studentenbewegung der späten sechziger Jahre kennen. Man folge ihnen durch ihr Leben, Etappen ihrer Freundschaft und durch die europäische Geschichte. Dabei entfalte "der Meister der höheren Spionagegeschichte" zugleich, samt "Zwischenplot" und einer "letzten, irrwitzigen, bitter-grotesken Pointe", ein historisches Panorama, ein Lehrstück über Techniken der Desinformation und eine "furiose", in den Augen des Rezensenten "oft überaus witzige Abrechnung mit der Kriegspartei des letzten Jahres".

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